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Die Barke, welche zu verschiedenen Stunden und an mehreren Punkten der Küste von Guernesey bemerkt wurde, war, wie man schon errathen hat, der dickbäuchige Hochländer. Gilliatt erwählte das Fahrwasser zwischen den am Strande hinlaufenden Felsen. Der Weg war gefährlich, aber der kürzeste. Mit dem Schiffbruch geht es schnell; das Meer hat Eile und eine Stunde Verzögerung läßt sich nicht wieder gut machen. Er wollte der gefährdeten Maschine schnell zu Hülfe kommen.
Mit besonderer Sorgfalt war Gilliatt darauf bedacht gewesen, Guernesey zu verlassen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Seine Abreise glich einer Flucht. Er sah fast aus, als wolle er sich verstecken. Er vermied die Ostküste wie Jemand, der sich fürchtete, bei St. Pierre Port vorüberzufahren. Er glitt – man könnte diesen Ausdruck wirklich anwenden – sachte längs der entgegengesetzten, unbewohnten Küste hin. Zwischen den Klippen war er genöthigt, sein Ruder zu gebrauchen und er that dies dem hydraulischen Gesetz gemäß, indem er ohne Stoß das Wasser langsam schnitt. Auf diese Weise vermochte er in der Dunkelheit mit größter Schnelligkeit und ohne das geringste Geräusch die Fluth zu durchschiffen. Man hätte glauben können, er ginge auf eine böse Handlung aus.
Die Wahrheit zu gestehen, fürchtete er, daß noch Jemand außer ihm sich in eine Unternehmung einlassen möchte, deren Ausführung fast an das Unmögliche grenzte, eine Unternehmung, in welche er sich mit geschlossenen Augen stürzte und bei der er sein Leben fast ohne Hoffnung auf Entrinnen preis gab.
Als der Tag graute, konnte ein unbekanntes Auge, das vielleicht in den unbegrenzten Raum hinausschaute, an einer der einsamsten und drohendsten Stellen des Meeres zwei Gegenstände erkennen, die einander näher rückten. Der eine, – er ließ sich bei der hochwogenden See nur mühsam unterscheiden, – war eine Segelbarke, die einen Mann trug: Gilliatt in seinem Holländer. Der andere ragte unbeweglich, riesengroß, schwarz und fremdartig aus den Wogen empor. Zwei hohe Pfeiler trugen oberhalb des Wassers in der Luft eine Art Querbalken, der horizontal liegend, ihre beiden Gipfel brückenartig vereinigte. Der Querbalken, welcher aus der Ferne gesehen, so unförmlich gestaltet war, daß man unmöglich errathen konnte, was er vorstellte, bildete in Vereinigung mit den beiden Grundpfeilern einen Körper, der einem Thor glich. Wozu diente ein solches in dem schrankenlosen, freien Raum über dem Meer?
Die Helle im Osten nahm zu. Das Meer erschien im Gegensatz zu dem lichten Horizont nur noch schwärzer. Am westlichen Himmel ging eben der Mond unter. Die beiden Pfeiler waren die Douvres. Wie ein Querbalken zwei Simse vereinigt, wurden sie durch ein Zwischenglied – die Durande – verbunden.
Diese Klippe, welche in der geschilderten Weise ihre Beute zeigte und festhielt, hatte etwas Furchtbares. Leblose Gegenstände treten dem Menschen zuweilen mit einer düsteren und feindseligen Anmaßung entgegen. Die Haltung dieser Felsen war trotzig. Sie schienen kampfbereit zu sein.
Man konnte sich nichts Stolzeres und Unverschämteres vorstellen, als diese, über das besiegte Schiff triumphirenden Meister. Die beiden Felsen, von denen noch das Wasser rieselte, welches sie am vorigen Abend wild umbraust hatte, glichen zwei schweißtriefenden Kämpfern. Der Wind war jetzt gelinder, und das Meer glättete sich. An friedlichen Stellen erkannte man unterseeische Klippen, die von Schaumstreifen anmuthsvoll umwunden wurden und von der hohen See kam ein Gemurmel, das an ein Bienensummen erinnerte. Alles war eben und flach, nur die beiden Douvres ragten wie schwarze Säulen empor. Bis zu einer gewissen Höhe waren sie mit Meergras bekleidet. Ihre schroffen Abhänge glänzten, wie das Metall einer Rüstung. Sie schienen bereit zu sein, den Kampf auf's Neue anzutreten. Man begriff, das sie unter dem Wasser in Gebirgen wurzelten. Der Anblick dieser Felsen wirkte über die Maßen niederdrückend.
Gewöhnlich verbirgt das Meer seine Absichten. Es bleibt gern unerkannt. Seine unermeßliche, düstere Tiefe hegt und bewahrt ihm alle seine Geheimnisse, die selten offenbar werden. Ungeheuerlichkeiten wirken in den Catastrophen, welche die See herbeiführt, doch Niemand kennt ihre Menge. Das Meer ist gewandt und verschwiegen; es ist zurückhaltend und liebt es nicht, seine Handlungen frei zu enthüllen. Es richtet ein Schiff zu Grunde und entzieht es den Blicken; seine Scham besteht im Verschlingen des Zerstörten. Die Woge ist eine Heuchlerin; sie tödtet, stiehlt, hehlt, stellt sich unwissend und lächelt. Erst rast sie und läßt dann kräuselnd ihre Wasser spielen.
Himmelweit verschieden von dem Meer handelten die Douvresfelsen, welche die todte Durande mit triumphirender Miene über dem Wasser emporhielten. Sie glichen zwei Riesenarmen, die aus dem Abgrund ragten, um dem Unwetter den Leichnam des Schiffes zu zeigen; sie erinnerten an einen Mörder, der sich seiner That rühmt.
Der heilige Schauer des Augenblicks gesellte sich zu diesen Eindrücken. In der Morgendämmerung liegt eine geheimnißvolle Größe, welche aus dem Schluß eines Traumes und dem Anfang des wiedererwachten Denkens besteht, ein schwankender Zustand, der etwas Gespenstisches hat.
Die beiden Douvres, in Gestalt eines riesenhaften H, dessen Verbindungsstrich die Durande war, traten am Horizont in einem seltsamen, majestätischen Dämmerlicht hervor.
Gilliatt trug seine Schifferkleider: Wollnes Hemde, wollne Strümpfe, nägelbeschlagene Schuhe, gestrickte wollne Jacke, Hosen von dickem, wolligem Stoff und eine jener Mützen von rothem Tuch, deren man sich damals in der Marine bediente und welche im letzten Jahrhundert unter dem Namen »Galériennes« bekannt waren.
Er kannte die Klippe und schiffte auf sie zu.
Die Durande war das vollständige Gegentheil eines auf den Grund gegangenen Fahrzeuges, denn sie hing in der Luft.
Keine Rettung mußte auf seltsamere Weise bewerkstelligt werden, als die ihrige.
Gilliatt erreichte die Klippe erst bei vollem Tageslicht. Das Meer war dort, wie schon vorhin erwähnt, nicht sehr tief. Es bewegte sich nur gerade so stark, als die Einengung zwischen den Felsen bedingte. Jede Meerenge, groß oder klein, ist unruhig und innerlich erregt.
Gilliatt landete nicht ohne Vorsichtsmaßregeln bei den Douvres. Er warf mehrere Male das Senkblei.
An häufiges Reisen gewöhnt, sorgte er stets für genügenden Vorrath, er mußte also jetzt zu einer kleinen Ausladung schreiten. Der Vorrathsbehälter enthielt einen Beutel mit Schiffszwieback, einen Korb mit Stockfisch und geräuchertem Rindfleisch, eine große Schiffskanne mit süßem Wasser, ein Säckchen Roggenmehl, ein mit Blumen bemaltes norwegisches Kistchen, worin er einige grobe wollene Hemden, eine Oberjacke, seine getheerten Hosen und ein Schafsfell aufbewahrte.
Ehe er Bû de la Rue verließ, hatte er diesen Sachen noch ein frisches Brot beigefügt und das Ganze dann eiligst in dem dickbäuchigen Holländer untergebracht. Nur darauf bedacht, schnell abzureisen, nahm er kein anderes Handwerkzeug mit sich, als Axt, Schmiedehammer, Beil, Säge und Knotentau, woran sein Klettereisen befestigt war.
Mit einer solchen Leiter, die er auf seine eigene Weise benutzte, sind einem tüchtigen Seemann die schroffsten Abhänge und die rauhesten Felswände zugänglich. Auf der Insel Serk kann man beobachten, welche Vortheile die Fischer von Havre Gosselin sich durch den Gebrauch des Knotentaues verschaffen.
Seine Netze und Angelleinen, sowie alles übrige Fischergeräth hatte Gilliatt ebenfalls in dem Fahrzeug untergebracht. Er that dies ohne Ueberlegung und nur weil seine Gewohnheit es so mit sich brachte, denn er mußte, wenn er seinen jetzigen Plan verfolgen wollte, längere Zeit in einem Klippenarchipel leben, wo er an keinen Fischfang denken konnte.
Als Gilliatt sich dem Felsen nahte, fiel das Wasser; ein günstiger Umstand. Die Wellen ebneten sich und entblößten am Fuß des einen Douvre einige flache oder doch nur mäßig abschüssige Steinplatten, die füglich als Träger einer Planke dienen konnten. Diese bald kleinen, bald größeren Platten, welche, durch ungleiche Zwischenräume getrennt, staffelartig längs des senkrecht abfallenden Hauptfelsens hinliefen, setzten sich in Gestalt eines kleinen Karnisses bis unterhalb der Durande fort, welche zwischen den Felsen wie in einem Schraubstock steckte.
Die erwähnten Steinplatten waren der Ausladung förderlich. Der Vorrathskasten aus dem Holländer fand vorläufig auf einer von ihnen Platz. Aber die Sache mußte unverzüglich bewerkstelligt werden, denn schon nach wenig Stunden stieg das Wasser und überfluthete die Steine.
Nach diesen Steinplatten, welche theils eben, theils abschüssig waren, steuerte Gilliatt seine Barke und machte dort Halt.
Der feuchte und schlüpfrige Seetang, welcher sie bedeckte, und die schräge Lage mancher Steine erschwerten das Emporklettern.
Gilliatt entledigte sich seiner Schuhe und Strümpfe, stieg mit nackten Füßen auf eine der Platten und befestigte den Holländer an einem Felszacken.
Dann schritt er auf dem schmalen Granitkarniß vorwärts, gelangte unter die Durande und hob seine Augen empor, um sie zu betrachten.
Sie hing, wie in die Felsen hineingepaßt, ungefähr zwanzig Fuß hoch oberhalb des Wassers.
Solche tolle Gewaltthätigkeiten des Meeres haben für Seeleute nichts Befremdendes. Um ein Beispiel anzuführen, warf nach vorangegangenem Unwetter eine letzte Sturzwelle im Golf von Stora eine Brigg über das Gerippe der gestrandeten Corvette la Marne und keilte sie, den Bugsprit vorwärts gestreckt, zwischen zwei Uferklippen ein.
Uebrigens steckte nur noch die eine Hälfte der Durande zwischen den Douvres.
Indem der Orkan das Fahrzeug den Wellen entriß, entwurzelte er dasselbe gewissermaßen. Der Sturmwirbel drehte es um und um, der Wasserwirbel hielt es fest gepackt, und durch diese beiden Kräfte des Unwetters hin und her gezerrt, zerbrach es wie eine Latte. Das Hintertheil mit Maschine und Rädern, durch die volle Wuth des Orkans aus dem schäumenden Element gehoben und in den Engpaß der Douvres geschleudert, steckte bis an den Segelbalken darin und blieb unverrückt in dieser Stellung. Der Windstoß mußte ein äußerst heftiger gewesen sein, um das Fahrzeug in solcher Weise zwischen die zwei Klippen zu zwängen; es mußte ein Keulenschlag des Orkans sein, dem dies gelingen konnte. Das Vordertheil des Schiffes wurde hin und her gerollt, vom Sturm emporgehoben und in einzelnen Stücken auf die Klippen geworfen.
Die ertrunkenen Ochsen waren aus dem zertrümmerten Schiffsraum in die See gestürzt.
Ein beträchtliches Stück der Wand des Vordertheils hatte noch einen schwachen Zusammenhang mit den Katzsparren des linken Tretrades, doch hätte ein leichter Axthieb hingereicht, dies morsche Verbindungsglied zu zerstören.
Hin und wieder entdeckte man auf entfernten unebenen Stellen der Klippen Balken, Planken, Segeltuchfetzen, Bruchstücke von Ketten und alle möglichen Trümmer des Fahrzeuges. Dort lagen sie in ungestörter Ruhe.
Gilliatt betrachtete die Durande mit forschenden Blicken, der Kiel bildete über seinem Kopfe ein Dach.
Am Horizont, wo das schrankenlose Meer kaum eine Bewegung sehen ließ, herrschte Klarheit. Die Sonne stieg in voller Herrlichkeit an der weiten, blauen Himmelswölbung empor.
Die Douvres hatten nicht nur eine ungleiche Höhe, sondern auch ihre Formen waren verschieden.
Der kleine Fels, dessen Spitze scharf und gekrümmt war, zeigte vom Fuß bis zum Gipfel, lange, verzweigte Adern von ziegelrother, verhältnißmäßig weicher Masse, welche das Innere des Granits spalteten und durchliefen. An der Außenseite des Felsens, wo diese Adern sich absetzten, waren Risse entstanden, welche einem Kletterer zum Vortheil gereichten. Einer dieser Risse, etwas oberhalb der Durande gelegen, war durch die anprallenden Wellen in einer Weise erweitert worden, daß er eine Art Nische bildete, in welcher eine Statue Platz gefunden hätte. Der Granit des kleinen Douvre war auf der Oberfläche eben und mit Moos und Streichsteinen bedeckt, eine Spende, die sein rauhes Aeußere nicht milderte. Der Gipfel lief in eine Spitze aus, die einem Horn glich. Der große Douvre, glatt, glänzend, senkrecht abfallend, regelmäßig gebildet, bestand aus einem einzigen Stück und seine Masse glich schwarzem Elfenbein. Nirgends eine Vertiefung, nirgends ein Vorsprung. Seine Steilheit war ungastlich; kein Galeerensclave hätte auf ihn flüchten, kein Vogel sein Nest auf ihn bauen können. Sein Gipfel war flach wie der des »Mannes«, nur konnte Niemand die Plattform des großen Douvre erreichen.
Der kleine Douvre ließ sich ersteigen, aber man fand oben keinen Ruhepunkt; der große gestattete auf seinem Gipfel Herberge, aber keiner fand den Weg zu derselben.
Nachdem Gilliatt seine erste Besichtigung beendigt hatte, kehrte er in seinen Holländer zurück, schaffte die Ladung auf die größte der trockenliegenden Steinplatten, machte aus allen mitgebrachten Gegenständen eine Art Ballen, die er in ein getheertes Segeltuch knüpfte, umschürzte ihn mit einem Tau, schob ihn in einen Felswinkel, wohin die Fluth nicht dringen konnte und kletterte dann, Füße und Hände gebrauchend, von Absatz zu Absatz, benutzte die geringsten Rillen zum Anklammern, und gelangte endlich zu der Stelle der Klippenwand, bei welcher die in der Luft schwebende Durande schiffbrüchig geworden war.
Als er das Niveau der Treträder erreicht hatte, sprang er auf das Verdeck.
Das Innere des Wracks bot einen düstern Anblick. Ueberall Spuren furchtbarer Vorgänge.
Es bot den Anblick der äußersten entsetzlichsten Gewaltthätigkeit des Orkans. Das Unwetter handelt wie eine Bande Seeräuber. Nichts gleicht mehr dem frevelhaft Vernichteten, als ein Wrack. Gewitterwolken, Regen, Wind, Wellen und Felsen sind furchtbare Spießgesellen.
Auf dem zerstörten Wrack glaubte man noch den zornigen Fußtritt des Meergeistes zu hören. Wohin das Auge blickte, drängten sich ihm Zeichen der Wuth entgegen. Seltsame Verdrehungen gewisser eiserner Gegenstände ließen die rasende Gewalt des Sturmes ahnen. Das Zwischendeck glich einer Koje, worin ein Wahnwitziger getobt und Alles zerschlagen hat.
Kein wildes Thier zerreißt seine Beute auf grausamere Weise, als das Meer es thut. Der Sturm mordet, die Welle verschlingt; sie hat ihre Kiefern. Im Punkt des Ansichreißens und Zerschmetterns gleicht sie der Tatze des Löwen.
Die Vernichtung der Durande war darin merkwürdig, daß sie sich bis auf die kleinsten Theile des Fahrzeugs erstreckte. Sie machte vollständig den Eindruck, als sei sie zerfetzt, zerrissen worden. – Vieles schien mit Ueberlegung gethan zu sein. Welche Nichtswürdigkeit! hätte man rufen mögen. Die Risse und Brüche der Schiffsverkleidung hatten etwas Künstlich-Berechnetes. Solche Art Verheerung bringt die Cyclone hervor. Zersägen und Glätten ist eine Liebhaberei dieses zerstörenden Ungeheuers. Es hat die Hülfsmittel eines Henkers. Die Verwüstungen, welche es ausübt, gleichen Todesstrafen. Es scheint durch Groll gestachelt zu werden und ersinnt Listen, wie ein Wilder. Während es tödtet, secirt es die Leiche. Es martert den Schiffbrüchigen; rächt und belustigt sich auf kleinliche Weise.
Die Cyclonen sind in unsern Climaten selten, aber um so furchtbarer, als sie unerwartet erscheinen. Die zufällige Lage eines Felsens kann bewirken, daß der Orkan im Meer gleichsam Wurzel schlägt. Wahrscheinlich war ein Windstoß spiralförmig über den Douvres emporgewirbelt und hatte, eine Wasserhose erzeugend, sich auf die Klippe geworfen. Dieser Umstand erklärte es, daß die Durande bis auf solche Höhe zwischen die Felsen geschleudert werden konnte. Wenn die Cyclone saust, wirft sie das Schiff mit einer Leichtigkeit wohin sie will, wie die Schleuder den Stein.
Die Durande glich einem in zwei Theile zerschnittenen Menschenleib. Sie war ein Rumpf, aus dessen offenem Innern eine Trümmermasse, die Eingeweide der Leiche, hervorstürzten. Tauwerk schwankte oder zuckte hier und dort hervor, zerrissene Ketten flogen klappernd hin und her; die Nerven des Schiffes waren bloßgelegt und gelähmt. Was der Zerschmetterung entgangen war, zeigte entstellte Formen. Bruchstücke der Spiekerhaut glichen Striegeln mit Nägeln statt der Borsten; ein Hebebaum war nichts, als ein Stück Eisen, eine Sonde, ein Bleiklumpen, die Schiffsscheibe ein Stück Holz, ein Hißtau ähnelte einer Hanfsträhne; ein Leik dem Faden in einem Saum – überall zeigten sich Gegenstände, die durch Gewaltthätigkeit in einen beklagenswerth unbrauchbaren Zustand versetzt waren. Kein Zusammenhang in diesem häßlichen Gemenge; dagegen nur Zerrissenheit, Verrenkung und Auflösung, – jene Bestandlosigkeit und Verschwommenheit, welche alle Arten Wirrwarr kennzeichnen, von dem Menschenwirrwar, den man Schlacht nennt, bis auf den Wirrwarr der Elemente, welcher Chaos heißt.
Der Rest dieses einst so mächtigen und stolzen Schiffsrumpfes, jetzt von den beiden Douvres in der Schwebe gehalten und vielleicht nahe daran, hinabzustürzen, war hin und wieder zerborsten und gestattete durch große Oeffnungen einen Blick in sein düsteres Innere.
Unter ihm wirbelten die Wasser und spieen ihren Schaum vor einem so jammervollen Gebilde aus.
Gilliatt hatte nicht erwartet, nur eine Hälfte des Schiffes vorzufinden. Der sonst so genaue Bericht des Shealtielführers bereitete ihn hierauf nicht vor. Das »teuflische Krachen«, welches Letzterer vernommen hatte, fand wahrscheinlich in dem Augenblick statt, als das Fahrzeug, durch die dichte Schaumschauer verhüllt, auseinandergeborsten war. Der Herr des Kutters mochte sich gerade bei dem letzten Windstoß entfernt haben und was er für Ueberschlagen von Sturzwellen hielt, war eine Wasserhose. Als er sich später näherte, um den Schiffbruch zu beobachten, hatte er nur den vordern Theil des Wracks sehen können; alles Uebrige, das heißt jenen gewaltigen Bruch des Fahrzeugs, verbarg ihm der emporspritzende Schaum.
Der Führer des Shealtiel hatte also aus seiner Ueberzeugung gesprochen. Der Rumpf des Fahrzeugs war verloren, die Maschine unversehrt.
Solche Zufälle giebt es bei Schiffbrüchen und Feuersbrünsten. Wir sehen keine Logik in dem Walten des zürnenden Schicksals.
Die Masten waren zerschmettert, doch der Schornstein hatte sich nicht gebogen; die große Eisenplatte, welche die innere Einrichtung schützte, erhielt letztere völlig unbeschädigt. Die Dielenverkleidung der Tret- und Laufräder war auseinander getrieben, und zwar in einer Weise, die an Sommerfensterläden erinnerte; aber man erkannte zwischen ihren Spalten den guten Zustand der Räder. Nur einige Schaufeln fehlten.
Außer der Maschine hatte auch das große Gangspill des Hinterdecks Widerstand geleistet. Es war durch seine Kette gesichert und Dank der starken Bohleneinfassung konnte es noch fernere Dienste leisten, vorausgesetzt, daß der Druck der Kabelaar die Planken nicht spaltete. Der Fußboden des Verdecks bog sich fast an allen Stellen; die ganze Scheidewand war erschüttert.
Die Hälfte des Gerippes, scheinbar stark und tüchtig, behauptete sich, wie schon gesagt, zwischen den Klippen.
Es lag etwas Hohnvolles in dem Umstand, daß die Maschine erhalten war. Die finstere Tücke des Geschicks bricht zuweilen in dergleichen bittern Spöttereien hervor. Die Maschine war gerettet und doch verloren. Der Ocean hatte sie geschont, um sie in aller Gemächlichkeit vernichten zu können. So spielt eine Katze mit ihrer Beute.
Die Maschine ging ihrem allmäligen Untergang entgegen. Bald sollte sie den tollen Streichen der schäumenden Wellen zum Spielball dienen. Mit jedem Tage schwand ihre Kraft und schmolz endlich, um diesen Ausdruck zu gebrauchen, ganz dahin. Gab es je eine Thorheit, die durch keine zweite übertroffen werden konnte, so war es der Gedanke, daß dieser schwere, massenhafte und doch zarte Mechanismus, durch sein Gewicht zur Unbeweglichkeit verdammt, zerstörenden Mächten einsam preisgegeben, durch die fesselnden Klippen den Wellen und Winden dargeboten, also unter dem Druck unerbittlicher, wirkender Kräfte niedergehalten – dem Verderben entrissen werden könne.
Die Durande war eine Gefangene der Douvres.
Auf welche Weise konnte man sie ihnen entführen?
Was mußte geschehen, damit sie frei würde?
Einen Menschen aus dem Kerker erretten, ist schwer, doch welche Aufgabe, diese Maschine ihrer Macht zu entreißen!
Gilliatt wurde von allen Seiten zur Eile gedrängt. Am nothwendigsten war es jedoch, daß er einen Ankerplatz für den Holländer und eine Nachtherberge für sich selber suchte.
Da der Backbord der Durande sich mehr gesenkt hatte als der Steuerbord, stand das rechte Laufrad höher als das linke.
Gilliatt stieg auf ersteres. Von dort aus konnte er die Anzahl der unterseeischen Klippen übersehen, und obgleich der enge Kanal zwischen den Felsen mehrere Krümmungen machte, war er doch im Stande, von dort den geometrischen Plan der Douvres zu studiren.
Diese beiden Felsen glichen, wie schon früher erwähnt, zwei hohen Giebelhäusern, die am Eingang eines engen Gäßchens standen, das durch niedrige, vorn senkrecht abfallende Granitwände gebildet ward. Man findet diese sonderbaren Gänge, welche mit der Axt ausgehauen zu sein scheinen, nicht selten in unterseeischen Urgebirgen.
Jener stark gekrümmte Hohlweg war niemals trocken, selbst nicht zur Zeit der Ebbe. Eine sehr lebhafte Strömung durchzog ihn an allen Stellen. Das ungestüme Fluthen in den Windungen war je nach dem herrschenden Windstrich von günstiger oder übler Wirkung. Bald trat es der hohlen See heftig entgegen, setzte sie dadurch in Verwirrung und zwang sie gewissermaßen zum Sinken; bald reizte es dieselbe zum Zorn. Der letztere Fall war der häufigste. Ein Hinderniß empört die Welle und treibt sie zu Ausschreitungen; der Schaum ist ein Zeichen ihrer innern Erregtheit.
Der Orkan erleidet in solchen Engpässen denselben Widerstand, dieselbe Bosheit; er geräth in den Zustand des Erdrosselns. Doch er, der Unbezwingliche, bleibt unbezwinglich und steigert seine Macht bis zu schneidender Schärfe; er ist Keule und Wurfspieß; durchbohrt und zerschmettert zu gleicher Zeit. Man vergegenwärtige sich einen zum rasenden Sturm angeschwollenen Zugwind.
Die beiden Felsketten, zwischen denen das Gäßchen hinlief, waren niedriger als die Douvres, dachten sich der Länge nach allmälig ab und verschwanden in einer gewissen Entfernung unter der Wasserfläche. Es gab dort noch eine zweite Felsengasse, niedriger und noch enger, als die beschriebene. Sie war die östliche Einfahrt des Douvre-Engpasses. Man errieth, daß die doppelte Verlängerung der beiden Felsgrate sich unter dem Wasser bis zu dem »Mann« fortsetzte, welcher wie eine Citadelle den Ausgang der Klippenreihe abschloß.
Zur Zeit der Ebbe – also im Augenblick, wo Gilliatt seine Forschungen anstellte – konnte man deutlich sehen, wie diese Felsketten, die jetzt theilweise trocken lagen, ohne Unterbrechung ausliefen und sich vereinigten.
Im Osten begrenzte und schloß der Mann – gleichsam ein Strebepfeiler – die ganze Klippenmasse, wie es die beiden Douvres im Westen thaten.
Aus der Vogelperspective gesehen, glich die ganze Kette einem Rosenkranz, dessen Hauptperlen die Douvres und der Mann waren.
Die Douvres waren nichts als zwei riesenhafte Granitwellen, die sich fast berührten und scheitelrecht, wie Kämme, von dem Gebirgsrücken im Meeresgrund emporgestiegen. Solche colossale Absplitterungen kommen oberhalb der Tiefe vor. Windstöße und Sturzwellen hatten diese Kämme zersägt. Man sah nur ihre Rücken. Die Fluth verdeckte das Uebrige; es mußten unberechenbare Massen in ihnen verborgen sein. Der Engpaß, in den die Durande geschleudert war, wurde durch zwei solcher Kämme gebildet.
Das Felsengäßchen hatte fast überall dieselbe Breite. Der Ocean wollte es so gestaltet wissen. Das ewige Toben der Elemente erzeugt oft solche seltsame Regelmäßigkeit. Die Wellen treiben ihre Geometrie.
Jene beiden Felsmauern standen einander so nahe gegenüber, daß der Rumpf der Durande den Raum fast ausfüllte. Da der Gipfel des kleinen Douvre gekrümmt und nach auswärts gebogen war, fanden auch die Räder der Maschine Platz zwischen den Klippen; sonst wären sie zermalmt worden.
Die doppelte innere Façade der Felsen war abschreckend häßlich. Alle unbekannten Dinge, auf welche man bei Forschungen in der Wasserwüste, die Ocean heißt, zu stoßen pflegt, sind überraschend und mißstaltet. Als Gilliatt von der Höhe des Wracks in den Engpaß hinuntersah, bot sich seinen Blicken ein grausiges Schauspiel. In den Granitschluchten des Meeres giebt es oft seltsame, unvergängliche Bilder, die an Schiffbruch erinnern und mit demselben im Zusammenhang zu stehen scheinen.
Der Oxyd der Felswände ging hin und wieder in rothe Flecken über, die geronnenen Blutlachen ähnlich waren. Eine Ausdünstung, wie die eines Metzgerkellers, schien aus der Schlucht hervorzugehen. Die Klippen hatten ihre Fleischkammern.
Die Auflösung metallischer Bestandtheile und Ansammlung von Schimmel, erzeugten hin und wieder ekelhafte Purpurfarbe, verdächtiges Grün und röthliche Kochstellen, welche Gedanken an Mord und Hinrichtung erweckten. Man glaubte die ungesäuberten Wände einer Henkerskammer vor sich zu sehen. Spuren von zerschmetterten Leibern schienen darin zurückgeblieben zu sein. Die Felsabhänge gaben geheimnißvolle Kunde von einer langen Reihe Todesopfer, die zwischen ihnen vollzogen wurden. An einzelnen Stellen zeigten sich noch frische Beweise der verübten Gräuel; die Mauer war feucht und dem Anschein nach konnte man sich nicht daran stützen, ohne seine Finger mit Blut zu beflecken. Ueberall blickte der Rost von früheren Gräuelthaten durch. Am Fuß der beiden steilen Abhänge in gleicher Höhe mit dem Wasser oder unter demselben und auch in den trockenen Felslöchern lagen mißgeformte Strandsteine von rother, violetter und schwarzer Farbe, die Eingeweiden ähnelten, – sie glichen frischen Lungen oder moderigen Lebern. Es schien, als wären an dieser Stelle Riesenleiber entleert worden. Lange blutrothe Fäden – verderblichen Ausschwitzungen vergleichbar, – durchliefen den Granit vom Rande bis an den Fuß.
In den Felsenhöhlen des Meeres sind solche Erscheinungen häufig.
Gilliatt kannte die Klippen nur zu gut, um nicht die Douvres für gefährlich zu halten. Zunächst war er, wie schon gesagt, darauf bedacht, den Holländer in Sicherheit zu bringen.
Das doppelte Riff, welches sich in gekrümmter Form bis hinter die Douvresklippen erstreckte, hing hin und wieder mit anderen Felsen zusammen und man durfte in denselben Höhlen und Buchten vermuthen, die mit dem Engpaß in Verbindung standen und ihm zugehörten, wie die Zweige dem Baumstamm.
Die niederen Theile der Klippen waren mit Seegras bedeckt, und auf den höheren wuchsen Moosflechten. Die Gleichmäßigkeit der Meergrasbedeckung bezeichnete die Wasserlinie wie Ebbe und Fluth. Die Stellen, welche das Meer nicht erreichte, schimmerten in jenem Gemisch aus Silber- und Goldfarbe, die dem weißen und gelben Moose eigen ist.
An manchen Punkten war der Fels mit afterkegelförmigen Muscheln bedeckt – ein trockener Aussatz des Granits. In geschützten Winkeln, wo der Wind wahrscheinlicher als das Wasser feinen, welligen Sand aufgeschichtet hatte, wuchsen bläuliche Distelbüschel.
In den Felsritzen, die vom Wellenschlage nicht viel zu leiden hatten, entdeckte man Höhlungen, welche durch das Bohren der Seeigel entstanden waren. Dies stachligte Schalenthier rollt wie eine lebendige Kugel umher und hat einen Panzer, der aus mehr als zehntausend künstlich ineinandergefügten Stücken besteht. Sein Mund führt den Namen Diogeneslaterne. Mit seinen fünf Zähnen gräbt es Höhlungen in den Granit und erwählt dieselben zu seiner Wohnung. In diesen Schlupfwinkeln finden die Menschen, welche vom Fang der Meerthiere leben, den Seeigel. Man schneidet ihn in Stücke und ißt ihn roh, wie die Auster, oder belegt das Brot mit seinem weichen Fleisch. Von letzterem stammt sein Name: »das Meerei.« Die fernen Gipfel der unterseeischen Klippen, welche durch die Ebbe trocken gelegt werden, endigten an dem Abhang des Mannes in einer fast von Felswerk eingeschlossenen Bucht. Dort war augenscheinlich ein Ankerplatz. Gilliatt beobachtete denselben. Er hatte die Form eines Hufeisens und öffnete sich nach Osten, der wenigst gefährlichen Windseite dieser Seestriche. Das Wasser dieser Bucht lag geschützt und zeigte kaum eine leise Bewegung. Der Platz gewährte Sicherheit. Gilliatt hatte übrigens keine große Auswahl.
Wollte er die Ebbe benutzen, so durfte er keine Zeit verlieren. Das Wetter war noch immer schön und milde! Der trotzige Ocean befand sich in guter Stimmung. Gilliatt stieg vom Felsen, zog Strümpfe und Schuhe an, löste das Bindeseil des Holländers und stach in's Meer. Mit Hülfe seiner Ruder schiffte er längs der äußeren Klippen hin und untersuchte, bei dem Mann angelangt, den Eingang der Bucht. Ein inneres Kräuseln des Wassers, dessen Oberfläche vollkommen ruhig schien, gewisse, nur dem Auge des Seemanns sichtbare Furchen, bezeichneten die Oeffnung.
Gilliatt studirte die fast unkenntlichen Linien, welche sich im Meeresspiegel zeigten, ruderte dann etwas schärfer, um bequem sich drehen und geschickt in den Eingang gelangen zu können und brachte sich mit einem einzigen Schlag in den kleinen Hafen. Er warf das Senkblei.
Der Ankergrund war in der That ein vortrefflicher.
Der Holländer fand hier gegen fast alle Arten von bösem Wetter sichere Zuflucht.
Die furchtbarsten Felsenriffe sind nicht ohne friedliche Schlupfwinkel. Ein Hafen inmitten der Klippen gleicht dem gastfreien Dach eines Beduinen; er bietet sichern, redlichen Schutz.
Gilliatt brachte seinen Holländer so nahe als möglich an den »Mann« und warf dann seine beiden Anker in einen Grund, den er stellenweise so tief fand, daß der Kiel ihn nicht streifte.
Als er mit dieser Arbeit fertig war, kreuzte er seine Arme und hielt mit sich selber Rath.
Das Fahrzeug befand sich in Sicherheit; diese Schwierigkeit war beseitigt, aber eine zweite lag noch vor ihm. Wo sollte er selber Herberge suchen?
Der Holländer mit seinem Winkel von einer Cajüte, in welchem es sich allenfalls leben ließ und das Plateau des leicht zu erklimmenden »Mannes« standen ihm offen.
Von beiden Plätzen konnte er bei niedrigem Wasserstande von Klippe zu Klippe springend, fast trockenen Fußes zwischen die Douvres gelangen, wo die Durande lag. Doch die vollständige Ebbe dauerte nur kurze Augenblicke und während der übrigen Zeit trennten ihn mehr als zweihundert Faden Länge von dem Wrack, mochte er sich auf dem Holländer oder der Klippe befinden. Zwischen Felsriffen schwimmen ist schwierig, bei Wellenschlag wird es unmöglich.
Sowohl der Holländer als der Mann konnten ihm nichts nützen.
Kein wirthlicher Ort in den benachbarten Felsen.
Zur Fluthzeit standen die Gipfel der niederen Felsen zweimal täglich unter Wasser.
Die höheren waren fortwährend dem Anprallen der schäumenden Wogen ausgesetzt.
Das Wrack blieb ihm.
Konnte er darin wohnen?
Er hoffte es.
Eine halbe Stunde später stieg Gilliatt von dem Verdeck des Wracks in das Zwischendeck und von dort in den Schiffsraum, um der zweiten kurzen Untersuchung eine gründlichere folgen zu lassen.
Mit Hülfe der Schiffswinde hatte er seinen Ballen, der die Ladung des Holländers enthielt, auf das Verdeck der Durande gehißt. Die Winde leistete den gewünschten Dienst auf das Beste und an einer Stange, vermittelst derer er sie in Bewegung setzte, fehlte es ihm auch nicht. Er hatte in dem Haufen von Gerümpel nur zu wählen. Selbst einen Meißel, der ohne Zweifel aus der Kufe des Zimmermanns gefallen war, fand er vor und er vermehrte damit seinen kleinen Vorrath von Handwerkszeug.
Außerdem – bei großem Mangel ist auch das kleinste Hülfsmittel von Bedeutung – trug er sein Messer in der Tasche.
Gilliatt arbeitete den ganzen Tag auf dem Wrack. Er säuberte es, verbesserte Schäden und räumte alles Ueberflüssige hinweg.
Am Abend war er zu der Einsicht gelangt, daß das zertrümmerte Fahrzeug durchaus unhaltbar sei. Es zitterte im Winde und schwankte bei jedem Schritte Gilliatt's. Wirklich fest und sicher war nur der Theil des Rumpfes, welcher, zwischen den Felsen gezwängt, die Maschine trug. Die Querbalken stemmten sich kräftig zwischen die Granitwände.
Gilliatt hätte unklug gehandelt, sich auf der Durande niederzulassen. Dies wäre eine Ueberbürdung gewesen und anstatt es nur noch mehr zu beschweren, hielt er es für wichtig, die Last des Fahrzeugs zu mindern. Grade letzteres war nothwendig.
Das Wrack wollte mit der größten Vorsicht behandelt sein. Es glich einem Kranken, der in den letzten Zügen lag. Nicht lange konnte es währen, so verfuhr der Wind schonungslos mit ihm.
Es war schon übel genug, daß Gilliatt gezwungen war, auf dem zertrümmerten Schiff zu arbeiten. Die Menge der nothwendigen Verrichtungen, welche er vorzunehmen hatte, konnten dasselbe vielleicht bis über die vorhandenen Kräfte erschöpfen.
Wenn überdies irgend ein Ereigniß Gilliatt während seines Schlafes in der Durande überraschte, so mußte er mit ihr untergehen. Auf Hülfe durfte er nicht rechnen; Alles war hoffnungslos verloren. Um das Wrack zu erhalten, blieb ihm nichts übrig, als außerhalb desselben zu wohnen.
Außerhalb des Wracks und doch nahe dabei, dies war die zu lösende Aufgabe.
Die Schwierigkeiten häuften sich.
Wo sollte er unter diesen Bedingungen ein Obdach finden?
Gilliatt grübelte.
Ihm blieb nichts als die beiden Douvres. Sie schienen freilich wenig Wohnlichkeit zu bieten!
Man bemerkte auf dem hochgelegenen Plateau des großen Douvre eine Art Auswuchs.
Einzelne emporstrebende Felsen wie der Mann und der eben erwähnte Douvre sind oben vollständig flach. Sie finden sich im Gebirge wie im Ocean in großer Menge. Gewisse Klippen, – man begegnet ihnen am häufigsten auf hoher See – haben Einschnitte wie gefällte Bäume. Sie scheinen durch Axthiebe gestürzt zu sein und sind in der That der Willkür des Orkans, diesem Holzschläger der Meere, preisgegeben.
Manche Granitkolosse sind ebenfalls oben flach. Zuweilen ist die Spitze nicht heruntergestürzt, sondern liegt verstümmelt auf dem platten Gipfel. Solche Eigenthümlichkeiten findet man nicht selten. La Roque-au-Diable zu Guernesey und »der Tisch« im Thal von Anweiler bieten diese seltsamen geologischen Räthsel unter den überraschendsten Verhältnissen.
Der große Douvre hatte wahrscheinlich ein gleiches Schicksal gehabt.
Wenn die Auswüchse auf seinem Plateau keine natürlichen Höcker waren, so mußten sie zurückgebliebene Reste eines früheren zerstörten spitzen Gipfels sein.
Vielleicht gab es in jenem Felsstück eine Vertiefung, ein Loch, in welches Gilliatt sich drängen konnte; er verlangte nicht mehr.
Doch auf welche Weise das Plateau erreichen? Wie konnte er diese scheitelrechte Wand erklimmen, die glatt und fest wie ein Kiesel und zur Hälfte mit klebrigen Wassermoosen bedeckt war, im Uebrigen aber eine so glänzende Oberfläche zeigte, daß sie abgeseift zu sein schien?
Die Entfernung von dem Deck der Durande bis zu dem Rande des Douvreplateaus betrug wenigstens dreißig Fuß.
Gilliatt nahm ein Knotentau aus seinem Werkzeugskasten, befestigte dasselbe vermittelst des Klettereisens am Gürtel und begann den kleinen Douvre zu ersteigen. Je höher er klomm, desto rauher wurde der Weg. Er hatte vergessen, seine Schuhe auszuziehen, was die Unbequemlichkeit des Kletterns vermehrte. Nicht ohne Noth erreichte er den Gipfel. Dort angelangt, richtete er sich empor. Der Platz, auf dem er sich befand, war kaum für seine beiden Füße ausreichend. Es wäre schwierig gewesen, sich hier häuslich einzurichten. Für einen Säulenheiligen genügte der Ort. Gilliatt stellte größere Anforderungen.
Der kleine Douvre neigte dem großen seinen Gipfel zu. Von ferne schien es, als wolle er salutiren. Der Zwischenraum der Klippen betrug oben nur acht bis zehn, unten aber zwanzig Fuß.
Von seinem gegenwärtigen Platze aus sah Gilliatt deutlicher als vorhin die felsige Erhöhung, welche einen Theil der Plattform des großen Douvre bedeckte.
Jene Plattform selber erhob sich mindestens drei Klafter hoch über seinem Haupte und ein Abgrund trennte ihn von derselben.
Die steile, doch nicht senkrechte Wand des kleinen Douvre verbarg sich unter seinem Körper.
Er löste das Knotentau von seinem Gürtel, maß mit den Blicken schnell die Entfernung und schleuderte das Klettereisen auf das Plateau des großen Douvre.
Es schleifte den Felsen und sprang dann zurück. Das Knotentau, an dessen Ende es befestigt war, fiel, am kleinen Douvre hinablaufend, unterhalb Gilliatts Füßen nieder.
Er schleuderte das Seil zum zweiten Male empor, doch so, daß es mehr vordringen mußte, indem er auf die granitne Erhöhung zielte, an der er Spalten und Kerben bemerkte.
Der Wurf fiel gut aus. Das Eisen haftete.
Gilliatt zog an dem Seil.
Das Felsstück zerbrach und das Knotentau fiel wieder längs der Klippenwand herunter.
Gilliatt warf es zum dritten Mal in die Höhe.
Es haftete wieder.
Er zog aus voller Kraft an dem Tau. Es widerstand. Das Eisen hatte geankert. Es steckte in einer Unebenheit des Plateau's, die man nicht bemerken konnte.
Jetzt sollte er sein Leben dem unbekannten Halt anvertrauen.
Gilliatt zauderte nicht.
Alles drängte zur Eile. Er mußte sich so kurz wie möglich fassen.
Es war fast unmöglich, daß er wieder auf das Verdeck der Durande stieg, um über eine andere Maßregel nachzudenken. Ausgleiten schien wahrscheinlich und ein Fall fast unvermeidlich. Man steigt wohl hinauf, aber nicht hinab.
Gilliatt hatte, wie jeder tüchtige Seemann, sichere, bestimmte Bewegungen. Er verschwendete niemals seine Kräfte und machte nur Anstrengungen, die nicht über seine Leistungsfähigkeit hinausgingen. Daher schrieben sich diese Wunder von Kraft, welche er mit gewöhnlicher Körperkraft ausübte. Die zweiköpfigen Muskeln hatte er mit dem ersten besten Mann gemein, nicht aber den Sinn. Der physischen Leibesstärke gesellte er die moralische Thatkraft bei.
Vor ihm lag ein furchtbares Werk.
Es handelte sich darum, an einem Faden schwebend, den Zwischenraum der beiden Klippen zu durchreisen.
Im Begriff, eine Handlung freiwilliger oder pflichtschuldiger Hingebung zu unternehmen, stößt man oft auf Fragen, die der Tod aufzuwerfen scheint.
Wirst Du dies vollführen? ruft es aus dem Reich der Schatten.
Gilliatt prüfte zum zweiten Mal durch Ziehen die Haltbarkeit des Klammereisens; es hielt Stand.
Er umwickelte seine linke Hand mit dem Taschentuch, umfaßte mit der rechten, die er mit der linken bedeckte, das Knotentau, streckte einen Fuß vorwärts und stieß mit dem andern heftig gegen den Fels, um die Kreisdrehung des Seils zu verhindern und stürzte sich von dem Gipfel des kleinen Douvre nach der steilen Wand des großen.
Der Gegenprall war ein starker.
Ungeachtet der Vorsichtsmaßregel drehte sich das Tau und Gilliatt's Schulter stieß an den Fels.
Er wurde zurückgeworfen und beim zweiten Mal traf die Reihe seine Fäuste. Das Taschentuch hatte sich verschoben. Die Hände wurden geschunden; ein Wunder, daß sie nicht zerbrachen.
Gilliatt blieb einen Augenblick betäubt in der Schwebe, doch war er seiner Sinne mächtig genug, um das Tau festzuhalten.
Einige Zeit verstrich mit Schwanken und Zucken, ehe er im Stande war, das Seil mit den Füßen festzuhalten; doch endlich gelang es ihm.
Als er wieder völlig zu sich gekommen war und das Tau zwischen den Händen und Füßen hielt, warf er einen Blick in die Tiefe.
Ueber die Kürze des Seils durfte er sich nicht beunruhigen; es hatte ihm schon öfter zum Erklimmen bedeutenderer Höhen gedient, und es reichte in der That bis auf das Verdeck der Durande.
Gilliatt sah, daß er hinabgelangen könne und fing an, empor zu klettern.
In einigen Augenblicken erreichte er das Felsplateau.
Kein lebendiges Wesen, außer dem Gevögel, hatte hier jemals Fuß gefaßt. Als Beweis dafür diente der Unrath, welcher die Plattform bedeckte. Letztere war ein unregelmäßiges Trapez, ein Bruchstück der colossalen granitnen Ecksäule, Douvre genannt.
Dies Trapez hatte eine kesselförmige Höhlung, das Werk der Regengüsse.
Gilliatt's Berechnungen erwiesen sich als richtig. Den südlichen Winkel des Trapezes überbauten mehrere Felsstücke, vermutlich Reste des zertrümmerten Gipfels. Diese Felsstücke, welche einem Haufen unregelmäßiger Pflastersteine glichen, hätten einem Reh, das hierher verschlagen worden wäre, gestattet, zwischen ihre Spalten zu schlüpfen. Sie lagen unordentlich, doch ohne das Gleichgewicht zu verlieren, durcheinander und hatten Zwischenräume, wie man sie etwa im Gipsabfall findet. Sie boten weder Winkel noch Grotten, sondern nur Löcher wie ein Schwamm. Eins derselben war groß genug, um Gilliatt aufzunehmen. Es hatte einen mit Moos und Gras gepolsterten Boden. Der Eingang war zwei Fuß hoch; der Hintergrund wurde allmälig niedriger. Man findet Steinsärge, welche die Form dieser Höhlung haben. Da der Steinhaufen sich in südwestlicher Richtung aufthürmte, war die Höhle vor dem Eindringen der Wellen geschützt, dafür aber dem Nordwind ausgesetzt.
Gilliatt fand dies nach seinem Sinn.
Die beiden Aufgaben waren gelöst; der Holländer hatte einen Hafen und er selber ein Obdach gefunden.
Das Vortheilhafte dieses Ortes bestand darin, daß er oberhalb des Wracks lag.
Das Klettereisen war zwischen zwei Felsquadern gefallen und hatte dort sichern Fuß gefaßt. Gilliatt befestigte es bis zur Unbeweglichkeit, indem er einen schweren Stein darauf wälzte.
Alsdann ging er unverzüglich an seine Arbeit auf der Durande.
Von jetzt an war er häuslich eingerichtet.
Der große Douvre diente ihm als Wohnung, die Durande als Zimmerplatz. Gehen und kommen, hinauf und hinab steigen, was war einfacher?
Schnell glitt er an seinem Knotentau auf das Verdeck hinab.
Das Wetter war schön – ein guter Anfang. Gilliatt fühlte sich zufrieden und bemerkte, daß er Hunger hatte.
Er suchte seinen Eßkober hervor, öffnete sein Messer, schnitt eine Scheibe geräuchertes Rindfleisch ab, aß dazu von seinem groben Brote, that einen Zug aus der Flasche mit süßem Wasser und hielt mit einem Wort ein ausgezeichnetes Abendessen.
Gutes thun und gut speisen, sind zwei angenehme Dinge. Ein gesättigter Magen gleicht einem befriedigten Gewissen.
Nach Beendigung der Abendmahlzeit war es noch nicht ganz dunkel. Er benutzte den Rest des Tageslichts, um die Durande eiligst ihrer Last zu entheben.
Einen Theil des Tages hatte er schon angewandt, um das Gerümpel zu durchsuchen und alles Brauchbare als: Holz, Eisen, Tauwerk und Segelleinwand in den sichern Theil des Schiffsrumpfes, worin sich die Maschine befand zu schaffen. Das Nutzlose warf er in's Meer.
Die Ladung des Holländers, welche er mit Hülfe der Schiffswinde auf das Verdeck gehißt hatte, war, obgleich nicht bedeutend, doch immerhin ein Hinderniß bei seinem Arbeitsverkehr. Gilliatt richtete sein Augenmerk auf eine Art Nische, die sich in der Wand des kleinen Douvre befand. Er konnte diese Höhlung mit der Hand erreichen. Man sieht in den Felsmauern oft dergleichen natürliche, freilich unverschlossene Schränke.
Gilliatt gedachte dieser Nische seine Vorräthe anzuvertrauen. In den Hintergrund setzte er seine beiden Kasten, von denen der eine das Handwerkszeug, der andere die Kleider enthielt, legte die Beutel mit Roggenmehl und Schiffszwieback daneben und stellte nach vorne – vielleicht zu nahe an den Rand, doch es fehlte an Raum – den Kober mit seinen übrigen Eßwaaren.
Er war vorsichtig genug, sein Schaffell, den Ueberrock mit der Reisekappe und die getheerten Beinkleider aus dem Kasten zurückzubehalten. Um das Knotentau nicht dem Winde Preis zu geben, befestigte er das untere Ende desselben an einem Katzsparren der Durande. Da diese viele Inhölzer hatte, war der Sparren sehr gekrümmt und hielt das Seilende so fest, wie eine geschlossene Hand es nur thun konnte.
Nun handelte es sich um den oberen Theil des Taues. Das untere Ende hatte sich leicht in Sicherheit bringen lassen, aber es stand zu fürchten, daß die scharfe Kante des Felsens oben auf der Erhöhung der Plattform, das auf ihr liegende Tau nach und nach zersägen würde.
Gilliatt wühlte unter den zurückbehaltenen Trümmern, wählte einige Segeltuchlumpen, zog aus dem Ende eines alten Seils mehrere lange Fäden Kabelgarn und steckte beides in seine Taschen.
Als er dies gethan hatte, zog er seine getheerten Oberhosen und den Ueberrock an – unter letzterm trug er noch seine Matrosenjacke, – schlug die Regenkappe zurück, knüpfte das Schaffell vermittelst der Tatzen desselben um seinen Hals, umfaßte, in diese vollständige Rüstung gekleidet, das Knotentau, welches jetzt in dem großen Douvre vollständig befestigt war, legte mit Sturmeseile die düstere Reise über dem Meer zurück und erreichte trotz seiner geschundenen Hände geschickt die Plattform.
Am Westhimmel erlosch die letzte Tageshelle. Das Meer lag im Dunkel da. Auf der Höhe des Douvre war noch ein Schimmer von Licht zurückgeblieben.
Gilliatt benutzte diesen Rest von Beleuchtung, um das Seil zu bekleiden. Die Krümmung, welche es auf der Felskante bildete, umwickelte er mehrmals mit Leinwand und schnürte dieselbe bei jedem Knotenabsatz sorgfältig fest, was an die Verbände erinnerte, welche die Schauspielerinnen zum Schutz gegen die Todesmarter und Pein des Knieens im fünften Act anlegen. Als Gilliatt mit der Umhüllung fertig war, richtete er sich aus seiner gebückten Stellung empor.
Seit einigen Minuten, während er die Leinwandlappen um das Knotentau gewickelt, bemerkte er ein unbestimmtes, sonderbares Rauschen in der Luft. Es glich dem Geräusch des Flügelschlages einer riesigen Fledermaus.
Gilliatt erhob seine Augen.
Ueber seinem Haupt am dämmerigen Abendhimmel drehte sich ein schwarzer Kreis.
Man sieht auf alten Gemälden über den Köpfen der Heiligen diese Kreise, nur sind sie golden und auf düstern Grund gemalt, während dieser schwarz war und einen lichteren Hintergrund hatte. Gab es je eine seltsamere Erscheinung? Sie glich einem nächtlichen Heiligenschein des großen Douvre.
Dieser Kreis näherte sich Gilliatt und schwebte dann wieder höher hinauf; jetzt wurde er enger und dann erweiterte er sich.
Es war ein Schwarm erschrockener Seevögel, – Möven, Fregatten und Meerraben.
Wahrscheinlich kamen sie, um in ihrer Heimath, auf dem großen Douvre, zu schlafen. Gilliatt hatte dort eine Kammer für sich in Anspruch genommen; er war diesen Thieren ein unerwarteter Gast, der sie beunruhigte.
Ein Mensch an dieser Stätte – dies war unerhört.
Ihr ängstlicher Flug währte einige Zeit. Sie schienen zu erwarten, Gilliatt würde sich entfernen.
Dieser folgte ihrem Flug ohne bestimmte Gedanken mit den Blicken.
Der fliegende Kreis schien endlich zum Entschluß gekommen zu sein; er löste sich in eine Schneckenlinie auf und ließ sich am Ausgang der Klippenreihe auf dem Mann nieder.
Dort schien Berathung gehalten zu werden. Während Gilliatt sich in seinem granitnen Gehäuse ausstreckte und einen Stein als Kissen unter seinen Kopf legte, hörte er, wie die Vögel ein Gespräch führten, an dem sich jeder einzelne durch sein eigenartiges Krächzen betheiligte.
Es währte lange Zeit, bis sie endlich alle schwiegen und auf ihrem Felsen einschliefen, wie Gilliatt auf dem seinigen.
Gilliatt schlief gut, doch fror ihn und er wachte aus diesem Grunde zuweilen auf. Natürlicherweise hatte er den Eingang seiner Höhle zum Kopfende erwählt und die Füße im Hintergrund untergebracht. Es war ihm nicht eingefallen, eine Menge ziemlich spitziger Kieseln von seiner Lagerstatt zu entfernen, ein Umstand, der seinem Schlaf nicht gerade zu Statten kam.
Auf Sekunden öffnete er halb und halb die Augen.
Von Zeit zu Zeit hörte er starke unharmonische Töne. Es war das fluthende Meer, welches mit einem Lärm wie Kanonenschüsse in die Höhlen der Klippen drang.
Die ganze Umgebung hatte etwas Außergewöhnliches, Traumhaftes. Gilliatt sah sich von Trugbildern umgaukelt und die Schauer der Nacht verstärkten die Eindrücke, welche er empfing. Er konnte nicht an die Wirklichkeit glauben, sondern sagte sich: ich träume.
Wieder in Schlaf verfallend, setzte er seine Träume fort, indem er sich in Bû de la Rue, in den Bravées oder irgendwo zu St. Sampson befand. Er hörte Déruchette singen und hielt dies für Wirklichkeit. So lange er schlief, glaubte er zu wachen und erwachte er, so war er überzeugt, zu träumen.
Von jetzt an befand er sich indeß wirklich im Traum.
Mitten in der Nacht ließ sich ein lautes Geräusch im Luftraum vernehmen. Trotz seines Schlafes spürte Gilliatt es, obgleich unbestimmt. Wahrscheinlich hatte der Wind sich aufgemacht.
Einmal als ein Frostschauer ihn weckte, öffnete er die Augenlider etwas weiter als bisher und sah am Himmel hoch über seinem Haupte schwere Wolken; der Mond verschwand und an seiner Stelle erschien ein großer Stern.
Gilliatt's Geist war von Träumen umnebelt und diese Hirngespinste ließen ihn alle seltsamen Gebilde der Nacht in vergrößertem Maßstabe sehen.
Als der Tag anbrach, schlief er fest und eine eisige Kälte hielt ihn gefangen.
Das plötzliche Erscheinen des Morgenrothes erweckte ihn aus diesem, vielleicht gefährlichen Schlummer. Von seiner Kammer aus hatte er den Blick auf die aufgehende Sonne.
Gilliatt gähnte, streckte seine Glieder und begab sich aus seinem Loch.
Er hatte so gut geschlafen, daß er anfangs nicht begriff, wo er eigentlich war.
Nach und nach kehrte sein Erkennungsvermögen zurück und wurde endlich so lebendig, daß er rief: Frühstücken wir!
Es war heiteres, stilles, kaltes Wetter und keine Wolke zeigte sich am Himmel; der Besen der Nacht hatte den Horizont reingefegt und die Sonne stieg friedlich empor. Ein zweiter schöner Tag brach an. Gilliatt war fröhlich gestimmt.
Er entledigte sich seiner getheerten Beinkleider und seines Rockes, wickelte beides in das Schaffell – die wollige Seite des letztern nach innen gekehrt – umschürzte das Bündel mit einem Ende Seil, und warf es in den Hintergrund der Höhlung, damit es vor möglichem Regen sicher sei.
Dann richtete er sein Bett her, das heißt, er schaffte die Kieselsteinchen hinweg.
Nach Beendigung dieses Geschäftes glitt er an seinem Knotenseil auf das Verdeck der Durande und eilte nach der Felsnische, welche seine Eßwaaren beherbergte.
Der Kober war nicht mehr darin. Da er nahe am Rand stand, hatte der Nachtwind ihn entführt und in's Meer geworfen. Der Wind mußte eine gewisse Willenskraft und Bosheit gehabt haben, um den Kober dort aufzufinden.
Die Feindseligkeiten begannen. – Gilliatt begriff dies sehr wohl. Wenn man mit dem Meer in rauhem, vertrautem Umgang lebt, ist es schwer, die Winde und Felsen nicht als Persönlichkeiten zu betrachten.
Gilliatt besaß von nun an keine andern Lebensmittel, als den Schiffszwieback, das Roggenmehl und als Aushülfe die Muscheln, mit denen der Schiffbrüchige auf dem Meer eine Zeit lang sein Leben gefristet hatte.
An Fischerei war nicht zu denken. Ein Feind von Stößen und Erschütterungen, vermeidet der Fisch die Brandung. Reusen und Netze sind zwischen Felsriffen nicht anwendbar und zerreißen auf dem spitzen Gestein.
Gilliatt aß einige Muscheln, die er nur mit Schwierigkeit vom Felsen löste; es fehlt nicht viel, so hätte er bei diesem Beginnen sein Messer zerbrochen.
Während er dies magere Frühstück verzehrte, hörte er über sich ein sonderbares Geräusch. Er blickte auf.
Es war der Schwarm Fregatten und Möven, die soeben flügelschlagend, schreiend, und einander überstürzend auf einen der niedrigen Felsen herabschossen. Diese, mit Schnäbeln und Krallen bewaffnete Horde, fiel irgend einen Gegenstand an.
Derselbe war nichts Anderes, als Gilliatts Kober.
Vom Winde auf eine Felsspitze geschleudert, hatte er sich geöffnet. Die Vögel eilten herbei und trugen in ihren Schnäbeln allerlei zerfetzte Bissen davon. Gilliatt erkannte von ferne sein Rauchfleisch und seinen Stockfisch.
Jetzt begannen auch diese Thiere den Streit. Sie übten Vergeltungsrecht. Gilliatt hatte sie aus ihrem Quartier vertrieben, sie raubten ihm sein Abendessen.
Eine Woche war verstrichen.
Obgleich es die Regenzeit war, herrschte zu Gilliatts Freude heiteres Wetter. Seine Unternehmung überstieg dem Anschein nach menschliche Kräfte. Der Erfolg war so unwahrscheinlich, daß der Versuch einer Narrheit gleich kam.
Erst wenn wir zum Angreifen einer That gedrängt werden, erkennen wir deren volle Schwierigkeit und Gefahr. Nichts ist schwerer, als ein Anfang, der uns ein ungünstiges Ende voraussehen läßt. Jeder erste Schritt bringt uns Bedenken. Das erste Hinderniß, welches uns entgegentritt, sticht wie ein Dorn.
Gilliatt hatte auf der Stelle mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Wer die, zum dritten Theil zwischen Felsen eingezwängte Durande an solchem Ort und zu dieser Jahreszeit mit einiger Hoffnung auf Erfolg dem Untergang zu entreißen beabsichtigte, mußte dem Anschein nach über ein Heer von Männern gebieten können. Gilliatt stand allein da. Er bedurfte sämmtlicher Werkzeuge des Zimmermeisters und Maschinenbauers und besaß nichts als Säge, Axt, Meißel und Hammer; er brauchte eine Hütte und eine tüchtige Werkstatt und ihm fehlte selbst das Obdach; er hatte Lebensmittel nöthig und war nicht Herr eines Brotes. Wer Gilliatt während der ersten Woche in den Klippen arbeiten sah, konnte sich keine Vorstellung von dem Zweck seines Treibens machen.
Er schien die Douvres und die Durande vergessen zu haben; denn er beschäftigte sich nur mit allerhand Dingen, die auf den unterseeischen Klippen umherlagen und dachte nur an die Rettung der durch den Schiffbruch verdorbenen Gegenstände. Zur Zeit der Ebbe raubte er den Riffen, was ihnen der Orkan zugetheilt hatte. Er ging von Klippe zu Klippe und sammelte Segeltuchfetzen, Tauenden, Eisenstücke, Splitter der Schiffsfüllung, zerstückelte Planken, zerbrochene Raaen, Balken, Ketten und Kolben.
Gleichzeitig studirte er alle Unebenheiten und Krümmungen der Klippen.
Er hatte zwischen den Steinen auf dem Gipfel des großen Douvre während der Nacht von der Kälte gelitten und wünschte dringend, eine bessere Mansarde zu finden, sah sich aber in seinen Hoffnungen auf letztere getäuscht.
Zwei jener Klippenauswüchse waren ziemlich groß und trotz ihrer schiefen und ungeraden Oberfläche konnte man auf denselben stehen und sogar umhergehen. Regen und Wind trieben dort ihr Spiel, aber die höchste Fluth konnte die Stellen nicht erreichen. Sie lagen in der Nähe des kleinen Douvre und gestatteten zu jeder Zeit die Landung. Gilliatt erwählte einen dieser Plätze zu seinem Magazin; der andere sollte ihm als Schmiede dienen.
Er benutzte alle Raabänder, welche er auffinden konnte, um die geretteten Gegenstände damit zu umschnüren. Das Trümmerwerk schichtete er bundweise zusammen und machte vermittelst der Leinwand sorgsam geformte Pakete daraus.
Er schleppte die Ballen über die Felsriffe bis in sein Magazin, damit die steigende Fluth dieselben nicht hinwegschwemme. In einem Felsloch fand er ein Hißtau, vermittelst dessen er selbst ansehnliche Stücke Zimmerholzes heraufziehen konnte. Auf dieselbe Weise schaffte er die zahlreichen Kettenenden, welche in den Klippen umherlagen, auf die Höhe.
Gilliatt bewies bei dieser Arbeit eine zähe, bewundernswerthe Geduld. Er führte aus, was er wollte. Der unermüdlichen Emsigkeit einer Ameise leistet nichts Widerstand.
Am Schluß der Woche hatte Gilliatt das ganze Gerümpel des zerstörten Schiffes gut geordnet in seinem Granitschuppen untergebracht. Er besaß einen Winkel für Segeltaue und einen andern, worin er Segeltuch bewahrte; die Boleinen lagen nicht etwa unter den Hißtauen umher; die Rackschlitten waren je nach der Zahl ihrer Löcher geordnet. Ankerringseile, sorgfältig von den zerbrochenen Ringen abgewickelt, lagen in Gebinden da; die Kolben ohne Rollen waren von den Flaschenzügen gesondert. Holzpflöcke, Schiffsschnabelstützen, Niederholer, Scheibengatte, Eselsohren, Rackwerk, Leisegelspiere und Feuerflaschen befanden sich, vorausgesetzt, daß der Schiffbruch sie nicht gänzlich zerstümmelt hatte, an ihren besonderen Plätzen. Bindebalken, Pfeiler, Deckstützen, Eselsköpfe, Pfortluken, Schalen und Scheerstöcke waren auf einer Seite untergebracht; so oft es anging, waren zerstückelte Hauptbalken zusammengefügt, um Abtheilungen zu bilden. Die Reefseile lagen nicht unter den Beschlagleinen, der Kabelaar und die Spinnkopfkolben nicht unter den Wurfankern, noch waren die Blockrollen der Pardune mit den Blockrollen des ungetheerten Tauwerks oder Bretterwerks der äußern Schiffsverkleidung mit dem des Dahlbords zusammengeworfen. Eine Ecke war für einen Theil der Schwingtingen der Durande zurückbehalten, auf welchen bis jetzt die Wandtaue des Mastkorbes und die Puttingtaue ruhten. Jedes Bruchstück hatte seinen Ort. Sämmtliche Schiffstrümmer waren nach ihrer Gattung geordnet und gesondert. Das Ganze erinnerte an ein Chaos auf Lager.
Ein Stagsegel, – es war freilich sehr durchlöchert – bedeckte, von großen Steinen festgehalten, die Gegenstände, welche möglicherweise vom Regen hätten leiden können.
So zerschmettert auch das Vordertheil der Durande war, gelang es Gilliatt doch, die beiden Krahnbalken mit ihren drei Blockrollenrädern zu retten.
Auch den Bugspriet fand er auf und mußte viel Mühe anwenden, ihn von seinen Seilen zu befreien, welche straff angezogen und zusammengeschrumpft waren, da sie, wie immer, mit dem Ankerhaspel zusammenhingen und durch das trockene Wetter gelitten hatten. Gilliatt löste sie dennoch. Diese Masse Tauwerk konnte ihm gute Dienste leisten.
Er hob ebenfalls den kleinen Anker auf, der von der Fluth bedeckt, in einer Höhlung der unterseeischen Klippe Grund gefaßt hatte.
In der ehemaligen Kajüte Tangrouilles fand er ein Stück Kreide, das er sorgfältig aufbewahrte. Vielleicht hatte er später Zeichen zu machen.
Ein lederner Feuereimer und mehrere ziemlich gut erhaltene Kufen vervollständigten seine Vorräthe.
Sämmtliche Kohlenreste von der Ladung der Durande trug er in sein Lagerhaus.
In acht Tagen hatte er die Trümmer des Schiffs und der dazugehörigen Dinge in Sicherheit gebracht. Die Klippen waren gesäubert, die Durande fühlte sich von ihren Lasten befreit. Nur die Maschine blieb auf dem Wrack.
Gilliatt, der sich vollständig in sein Werk vertiefte, suchte vergebens die Bugfigur der Durande. Sie gehörte zu den Dingen, welche die Wellen auf immer entführt hatten. Hätte er seine beiden Arme nicht so nothwendig gebraucht, er würde sie geopfert haben, um nur die Figur wieder aufzufinden.
Außerhalb seines Magazins und im Eingang desselben sah man zwei Kehrichthaufen; der eine bestand aus schlechtem Eisenwerk, das durch Umschmieden nutzbar werden konnte; der zweite enthielt Holzreste, welche zum Verbrennen taugten.
Mit Anbruch des Tages war Gilliatt bei seiner Arbeit. Außer seinen Schlafstunden gönnte er sich keinen Augenblick Rast.
Die Seeraben flogen hin und wieder und beobachteten ihn bei seinem Werke.
Als er mit dem Magazin fertig war, richtete Gilliatt die Schmiede ein.
Der zweite Felsauswuchs bildete eine Art ziemlich tiefer Höhlung. Anfangs hatte Gilliatt die Absicht, selber darin zu wohnen, doch da beständig und hartnäckig der Nordwind dadurchpfiff, mußte er den Gedanken aufgeben. Der erwähnte Zugwind ließ den Plan in ihm entstehen, in jener Höhle eine Schmiede anzulegen. Konnte der Ort nicht sein Zimmer sein, so sollte er ihm als Werkstatt dienen. Aus Hindernissen Nutzen ziehen, heißt dem Siege näher kommen. Der Wind war Gilliatt's Gegner und sollte ihm als Knecht dienen.
Man sagt von gewissen Menschen, daß sie sich zu allem bereit erklären und nichts erfüllen. Dasselbe gilt von den Felshöhlen. Sie halten nicht, was sie versprechen. Solche Gruben sind wie Badewannen, welche das Wasser durch ihre Spalten fließen lassen; sie gleichen einem Zimmer ohne Decke, einem Moosbett voller Feuchtigkeit oder einem Armstuhl, der mit Steinen gepolstert ist.
Die Natur hatte zwar die Vorarbeiten zu einer Schmiede, welche Gilliatt bauen wollte, geliefert, aber es gab nichts Schwierigeres als diese Höhle in eine zweckmäßige Werkstatt zu verwandeln.
Drei oder vier Felslöcher, welche trichterartig gestaltet waren und in einen engen Spalt ausliefen, bildeten eine Art natürlichen, riesigen, unförmlichen Blasebalgs, dessen Kraft sich jedoch anders äußerte, als die großen vierzehn Fuß langen Schmiedeblasebälge, welche bei jedem Druck acht und neunzigtausend Zoll Luft ausstoßen. Hier verhielt die Sache sich anders. Die Portionen des Orkans lassen sich nicht berechnen.
Das Uebermaß von Kraft wirkte störend; es war schwer, sich den Zugstrom in regelrechter Weise nutzbar zu machen.
Die Höhle hatte zwei Uebelstände: Wind und Wasser schalteten und walteten nach allen Richtungen darin.
Letzteres trat aber nicht in Gestalt von Sturzwellen auf, sondern drängte sich unter beständigem Rieseln hinein und glich mehr einem Gesicker, als einer Strömung.
Der Schaum, den die anprallenden Wellen unaufhörlich – zuweilen höher als hundert Fuß – über die Klippen schleuderten, füllte eine, durch die Natur gebildete Wanne, welche sich in dem, die Höhlung überragenden Felsvorsprung befand, mit Meerwasser. Das Ueberfließen dieses Behälters bildete einen kleinen Cataract, der einen Zoll im Durchmesser hatte und etwas hinterwärts an der steilen Klippenwand vier oder fünf Klafter hinabstürzte. Von Zeit zu Zeit ergoß sich eine Regenwolke im Vorüberziehen in dies unerschöpfliche und stets übervolle Gefäß. Das darin enthaltene Wasser war nicht trinkbar, sondern von salzigem Geschmack, trotzdem aber klar. Die Tropfen des Cataracts spielten anmuthig auf dem äußersten Gezweige der Wassermoose, wie auf Haarspitzen.
Gilliatt gedachte sich dieses Wassers zu bedienen, um den Wind im Zügel zu halten. Mit Hülfe eines Trichters, einiger Röhren, die er in aller Eile aus Brettern angefertigt und deren eine er mit einem Hahn versehen hatte, sowie einer sehr geräumigen Kufe, die unterwärts gestellt, als Trog diente, gelang es Gilliatt, der, wie gesagt, ein wenig Schmied und Mechaniker war, seinen Apparat ohne Anwendung eines Gegengewichts dadurch zu vervollständigen, daß er ihn nach oben hin verengte und unten Saugöffnungen anbrachte. Dies Machwerk, welches freilich in manchen Stücken sehr mangelhaft war, aber doch seinen Zweck erreichte, ersetzte ihm den fehlenden Blasebalg.
Gilliatt besaß Roggenmehl und aufgedrehtes Tauwerk. Aus ersterem machte er Kleister, aus letzterem Werg. Mit Hülfe dieser Dinge und einiger Holzkeile verstopfte er jeden Spalt seiner Felshöhle, doch brachte er in derselben ein Heberohr an, das er aus einem Ende Zündrohr verfertigte. Letzteres fand er in der Durande, wo es dem Steinböller als Luntenstock gedient hatte. Das Heberohr hatte eine horizontale Lage und mündete auf eine große Granitplatte, die Gilliatt als Schmiedeheerd benutzen wollte.
Nach Verrichtung dieser Dinge häufte Gilliatt Kohlen und Holz auf dem Heerd zusammen, schlug mit dem Feuerstahl Funken aus dem Felsen, ließ eine Handvoll Werg Feuer fangen und setzte mit diesem die Kohlen und das Holz in Brand.
Er versuchte den Blasebalg. Derselbe leistete vorzügliche Dienste.
Gilliatt fühlte sich stolz wie ein Cyclop. Er hatte sich Luft, Feuer und Wasser dienstbar gemacht.
Die Luft, indem er den Zugwind einer Granithöhle vermittelst eines Apparats in einen Blasebalg verwandelte, – dem Sturm also gewissermaßen eine Lunge gab; er war Herr des Wassers geworden, indem er jenen kleinen Wasserfall herstellte; zum Herr des Feuers hatte er sich insofern gemacht, als er aus dem überflutheten Fels Funken schlug.
Da die Höhlung fast ganz unter freiem Himmel lag, drang der Rauch ungehindert hinaus und schwärzte niedersteigend die steilen Abhänge der Felsen. Sie, die von Anbeginn bis in Ewigkeit für den Meeresschaum bestimmt schienen, machten jetzt Bekanntschaft mit dem Ruß.
Gilliatt wählte als Amboß einen großen, sehr festen Stein, der sich von den Felsen abgelöst hatte und an Form und Umfang dem gewünschten Zweck ziemlich entsprach. Für Hammerschläge war es indeß eine gefährliche Grundfläche, die vielleicht zersplittern konnte. Ein Vorsprung dieses Blocks endigte in eine abgerundete Spitze, die im buchstäblichen Sinn für einen Afterkegel gelten konnte, dessen pyramidale zweite Spitze jedoch fehlte. Es war der antike Steinamboß der Troglodyten. Die von den Wellen polirte Oberfläche hatte fast die Festigkeit des Stahls.
Gilliatt bedauerte, seinen eigenen Amboß daheim gelassen zu haben. Da er vorher nicht gewußt, daß die Durande vom Orkan in zwei Stücke gerissen worden war, hoffte er sämmtliches Handwerkszeug des Zimmermanns, das gewöhnlich seinen Platz im untern Raum des Schiffsvordertheils hatte, benutzen zu können. Nun aber war gerade diese Hälfte der Durande entführt worden.
Die beiden Höhlen, welche Gilliatt sich auf den Klippen eroberte, lagen nahe beisammen. Das Lagerhaus und die Schmiede waren Nachbarn.
Nach beendigtem Tagewerk speiste Gilliatt jedesmal ein Stück Schiffszwieback, den er mit dem Saft eines Seeigels oder einiger Meerkastanien befeuchtete, – der einzigen Beute, die er in den Klippen erjagen konnte – und kletterte dann an dem Knotentau auf den großen Douvre, um in seinem Felsloch zu schlafen.
Die rohe, plumpe Beschäftigung Gilliatt's vermehrte seine geistige Vertiefung. Ein außergewöhnlich lebhaftes realistisches Treiben bewirkt eine Betäubung der Geistesfähigkeiten. Seine körperliche Arbeit mit ihren endlosen Details erleichterte ihm nicht das beklemmende Gefühl, an einem solchen Ort sich solcher Beschäftigung hingeben zu müssen. Im Allgemeinen ist Mangel an materieller Thätigkeit eine Fessel, die uns zu Boden zieht; doch die Seltsamkeit der Unternehmung Gilliatt's versetzte ihn in einen idealen, traumhaften Zustand. Zuweilen war es ihm, als schwänge er seinen Hammer in den Wolken, während er in anderen Augenblicken seine Werkzeuge für Waffen hielt. Er hatte ein Gefühl, als leiste er einem geheimen Angriff Widerstand, oder als wiche er demselben aus. Wenn er aus zerstörtem Tauwerk Seile drehte und den Saumfaden aus einem Segel zog oder zwei Bohlen zusammenfügte, glaubte er Kriegsmaschinen herzustellen. Die tausend winzigen Bestandtheile seiner fremdartigen Arbeit dünkten ihm endlich Vorsichtsmaßregeln gegen geschickte und wenig versteckte, leicht zu durchschauende Angriffe zu sein. Gilliatt kannte die Gründe für diese Vorstellungen nicht, aber er war sich der letzteren deutlich bewußt. Allmälig gelang er dahin, sich für einen grausamen Wilden zu halten und er vergaß, daß er ein Arbeiter war.
Er befand sich an diesem Ort, um ihn sich zu erzwingen. Er glaubte fast, daß es geschehen könnte. Eine seltsame Erhebung für seine Seele.
Bald erfaßte ihn wieder der überwältigende Gedanke, seine Arbeit könne doch eine verlorene sein. Es giebt nichts, was den Geist mehr verwirrt, als unbegrenzte, unerforschte Kräfte wirken zu sehen. Man sucht nach einem Endpunkt. Raum und Zeit, in welchem kein Stillstand herrscht, unermüdliche Wogen, Wolken, welche die »geschäftigen« heißen sollten, unermeßliche unbekannte Gewalten – dies convulsivische Walten ist ein Räthsel. Was bedeutet dies ewige Schwanken? Was schaffen diese Windstöße, diese Erschütterungen? Dies Schluchzen, Heulen, diese Reibungen, was erzeugen sie? Worauf hat dieser Aufruhr es abgesehen? Ewig, wie Ebbe und Fluth, steigen diese Fragen im Menschengeist auf und ab. Gilliatt hatte zwar ein bestimmtes Werk vor sich, aber das Leben und Weben seiner schrankenlosen Umgebung wirkte wie ein verwirrendes Räthsel auf ihn.
Gilliatt, der Träumer, vermischte, ohne sein Wissen unwiderstehlich dazu gedrängt und einzig in Folge einer fast unsinnigen Bethörung, – sein eigenes Werk mit dem gewaltigen, aber nutzlosen Arbeiten des Meeres. Warum sollte er das Geheimniß der schreckenerregenden, geschäftigen Welle – wenn ein solches waltete – nicht ergründen und an sich reißen können? Weshalb sollte er nicht alle Schärfe, deren der Gedanke fähig ist, dem Zittern der Wogen und dem zornig emporspritzenden Schaume, der langsamen, kaum merklichen Abnutzung der Felsen und der athemlosen Hetze der vier Winde nachgrübeln dürfen? Welche Pein liegt in der Vorstellung dieses Anfangs ohne Ende – der Ocean ein Brunnen, die Wolken Danaiden – und alle diese mühselige Arbeit umsonst.
Umsonst? Nein. Doch nur der unbekannte Geist des Weltalls weiß, wozu sie nütze ist.
Eine der Küste benachbarte Klippe wird zuweilen von Menschen besucht; doch liegt sie in hoher See, bleibt Jeder ihr fern. Was wäre auf ihr zu finden? Sie ist ja keine Insel. Man darf nicht hoffen, auf ihr die Mittel zum Lebensunterhalt zu gewinnen; sie bringt weder Fruchtbäume, noch Weiden hervor, ernährt keine Thiere und liefert kein trinkbares Wasser. Sie ist ein kahler, nackter Punkt in der Einöde, ein Fels mit schroffen Wänden über der See und mit Spitzen, die sich im Meer verbergen. Sie liefert nichts als den Schiffbruch.
Diese Klippen, welche in der alten Seesprache die »Abgeschiedenen« heißen, sind, wie wir schon gesagt, sonderbare Dinge. Das Meer ist ihr einziger Gefährte. Es hat bei ihnen freien Spielraum. Keine Erscheinung vom Lande beunruhigt es. Der Mensch setzt die See in Schrecken. Sie mißtraut ihm und verbirgt ihm ihr Wesen und Treiben. In den Klippen fühlt sie sich sicher; dorthin dringt Niemand. Das Selbstgespräch der Wellen wird durch nichts gestört. Die See arbeitet an der Klippe, bessert ihre Schäden, schärft ihre Spitzen, versieht sie mit Stacheln, säubert sie, erhält sie in gutem Stande, durchlöchert das Gestein, entfernt die mürben Theile, löst das Fleisch von den Knochen, zerstört sie und behält das Gerippe zurück, – wühlt, zerfetzt, bohrt, gräbt Canäle, verbindet die Eingeweide, legt Zellen an, bildet einen Schwamm in großem Maßstabe, wölbt im Innern des Felsens Höhlungen und meißelt seine Außenseite. In diesen verschwiegenen Gebirgen, die ihm angehören, bildet das Meer Höhlen, Paläste und gründet sich ein Allerheiligstes; es hat eine Art Vegetation, welche zugleich scheußlich und prachtvoll, und aus schwimmenden Kräutern mit Gebissen und Unthieren, die auf dem Grunde Wurzel schlagen, zusammengesetzt ist; im düstern Schooß der Wogen verbirgt es diese grauenerregende Herrlichkeit. Niemand überwacht es zwischen den einsamen Klippen, Niemand stört es und erspäht seine Thaten; hier entwickelt es uneingeschränkt seine geheimnißvolle, dem Menschen unergründliche Seite.
Diesen Orten übergiebt es seine lebenden und gräßlichen Absonderungen. Kurz, hier vollbringt das Meer, was Niemand kennt und weiß. Vorgebirge, Landzungen, unterseeische Klippen, Felsriffe sind, wir behaupten es, großartige Gestaltungen. Die Bildung der Erdoberfläche ist einfach im Vergleich zur Bildung der Meeresgründe. Die Klippen, diese Wohnungen der Wogen, diese Pyramiden und Syringen des Seeschaumes, sind Werke einer geheimen Kunst, welche der Verfasser dieses Werkes irgendwo »die Kunst der Natur« genannt hat. Sie sind in einem gewissen großartigen Styl gebildet. Der Charakter dieser Bauten ist ein sehr verschiedener. Sie zeigen die Verworrenheit eines Polypenhäuschens, die Erhabenheit der Cathedrale, die bunte Ueberladung der Pagode, die großen Dimensionen eines Berges, die Zierlichkeit einer Juwelierarbeit und die schaurigen Gestaltungen der Todtengrüfte. Sie haben Zellen wie die eines Wespennestes, Gruben wie Thierzwinger, unterirdische Gänge wie Maulwurfslöcher, düstere Höhlen, die einer Bastille gleichen, und Verstecke wie Feldlager. Ihre Thore sind verrammelt, ihre Säulen verstümmelt, ihre Thürme neigen sich seitwärts und ihre Brücken sind zertrümmert. Nur Vögel und Fische haben Zugang in ihre Gemächer; allen anderen Geschöpfen bleiben dieselben unerbittlich verschlossen. Man gelangt nicht hinein. Die architectonischen Formen dieser Gebäude erleiden Verwandlungen; sie gerathen in's Schwanken und setzen sich wieder in's Gleichgewicht, zerbrechen, stehen plötzlich in sicherer neuer Gestalt da, gehen in Schwibbogen über und endigen als Architrav. Eine außergewöhnliche Naturkraft prahlt hier mit ihren gelösten Aufgaben. Block thürmt sich auf Block; erschreckende Felsstücke hängen drohend herab und stürzen nicht. Man weiß nicht, wodurch diese schwindelnde Gebilde sich aufrecht erhalten. Ueberall, steile, nicht senkrecht, sondern vornüber geneigte Felswände, Lücken und volle, schwebende Ueberhänge. Kein Gesetz in dieser babylonischen Verwirrung. Der unbekannte Weltgeist, ein Riesenbaumeister, berechnet nichts und doch gelingen seine Werke. Das Labyrinth der Felsen ist ein kolossales Denkmal – ohne Plan gegründet und doch in ungestörtem Gleichgewicht, es ist mehr als dauerhaft – es steht fest bis in alle Ewigkeit. Und dennoch herrscht Unordnung darin. Der Aufruhr der Wogen scheint bis in den Granit gedrungen zu sein; eine Klippe ist ein versteinertes Ungewitter. Nichts ergreift die Seele so stark, als der Anblick dieser wilden Gebilde, die ewig zerfallen und doch ewig ihren Stand behaupten. Sie arbeiten einander in die Hände und zerstören sich gegenseitig. Ein Kampf der Formen, woraus ein Gebäude hervorgeht. Man erkennt in ihm die Mitwirkung des Orkans und des Oceans, dieser beiden Feinde.
Unter den Felsgebäuden giebt es Meisterwerke von entsetzlicher Vollkommenheit. Die Douvreklippe war ein solches Meisterwerk. Das Meer hatte sie mit unheilvoller Liebe gestaltet und vervollkommnet. Die mürrischen Wellen küßten sie. Sie war garstig, verrätherisch und versteckt. In ihrem Innern gähnten Gruben und ein Adernsystem von Klüften, das sich bis in unergründliche Tiefen verzwingt, ging von ihr aus. Mehrere Mündungen dieser Höhlenreihen waren zur Ebbezeit trocken gelegt. Man konnte auf eigene Gefahr hineingehen.
Gilliatt mußte, um sein Rettungswerk zu betreiben, alle diese Grotten genau untersuchen. Sie waren durchweg schauerlich. In jeder einzelnen erzeugten sich unter den ungeschlachten Verhältnissen, die der Ocean liebt, jene an Mord und Tod erinnernden Dinge, welche man in dem Engpaß der beiden Douvres erblickte. Wer nie mit eigenen Augen in derartigen Klüften, auf Mauern ewigen Granits diese abscheulichen Fresken sah, kann sich keine Vorstellung von ihnen bilden. Die Grotten waren tückisch; man durfte sich nicht in ihnen verspäten. Die Fluth füllte sie bis zur Decke. Einschalige Muscheln und andere Meereserzeugnisse fanden sich in reicher Menge darin.
Runde Strandsteine bedeckten haufenweise ihren Boden. Viele dieser Steine wogen schwerer, als eine Tonne. Man sah sie in allen Größen und Farben, die meisten waren jedoch blutroth; einige mit haarigem, klebrigem Wassermoos bedeckte, glichen dicken, grünen Maulwürfen, die im Fels umherwühlten.
Unter den Höhlen gab es mehrere, die plötzlich in einer Wölbung wie die eines Backofens endeten und sich abschlossen. Andere, Arterien einer geheimnißvollen Verzweigung verlängerten sich in gekrümmte und finstere Spalten. Dies waren die Gassen des Abgrundes. Sie verengten sich zuletzt in einem Grade, daß sie Niemand den Durchgang gestatteten. Beim Schein einer brennenden Strohfackel hätte man in ihren Finsternissen die sickernde Feuchtigkeit des Gesteins erkannt.
Einst wagte sich Gilliatt bei seinem Herumspüren in eine dieser Spalten. Die Ebbezeit gestattete es. Es war ein stiller, sonniger Tag. Kein durch die See bewirktes Ereigniß konnte die Gefahr vermehren. Nichts stand zu befürchten.
Zwei Notwendigkeiten zwangen Gilliatt, wie wir schon sagten, zu diesen Forschungen: er mußte, um die Rettung der Maschine zu ermöglichen, die nützlichsten Schiffstrümmer zusammensuchen und sich Krabben und große Seekrebse zu seinem Lebensunterhalt verschaffen. Die Muscheln fingen an, in den Douvres selten zu werden.
Der Spalt war enge und ließ ihn kaum eindringen. Er zwängte sich dennoch mit Anstrengung hinein, wand sich so sehr er konnte und drang vorwärts, soweit es in seinen Kräften stand.
Ohne daß er es ahnte, befand er sich genau im Innern des Felsens, auf dessen Spitze Clubin die Durande hatte treiben lassen. Gilliatt befand sich also unterhalb dieser Spitze. Dieser Fels, von außen steil und unnahbar, war im Innern hohl. Er hatte Galerien, Brunnen und Gemächer, wie das Grab eines ägyptischen Königs. Diese Höhle gehörte zu den verworrensten Labyrinthen, die sich hier vorfanden; sie war eine Arbeit, eine Felsuntergrabung des unermüdlich fleißigen Meeres. Die Seitenarme dieses unterseeischen Erdgeschosses standen wahrscheinlich durch mehr als eine Oeffnung mit der offenen, unendlichen Wassermasse in Verbindung; manche, indem sie in gleichem Niveau mit dem Meeresspiegel standen, andere durch unsichtbare, tiefe Trichter. Ganz in der Nähe dieser Höhle hatte sich Clubin in die See gestürzt, was Gilliatt freilich nicht wußte.
Gilliatt schlängelte sich in diesem Krokodil-Spalt, wo indeß keine Krokodile zu fürchten waren, weiter, kletterte, stieß seine Stirn, bückte sich, richtete sich empor, verlor den Fußboden, fand ihn wieder und gelangte mühsam vorwärts. Allmälig erweiterte sich der Spalt, ein Dämmerlicht brach an und Gilliatt trat unverhofft in eine seltsame Höhle.
Das Dämmerlicht kam wie gerufen.
Nur noch ein Schritt und Gilliatt wäre in ein, vielleicht grundloses Wasser hineingefallen. Die Höhlengewässer bewirken eine so plötzliche Erstarrung und Lähmung der Glieder, daß die kräftigsten Schwimmer häufig derselben erliegen.
Auch giebt es keine Möglichkeit, in den steilen Wänden, von denen man eingeengt ist, emporzusteigen und sich an ihnen festzuklammern.
Gilliatt hemmte schnell seinen Schritt. Der Spalt, aus dem er trat, schloß sich durch einen schmalen, klebrigen Vorsprung in der senkrechten Felswand. An diese Wand lehnte sich Gilliatt und blickte umher.
Er stand in einer großen Höhle. Die Decke über ihm glich der innern Seite einer unförmlichen Hirnschale. Sie schien erst eben geöffnet und von dem Gehirn getrennt zu sein. Die triefenden Reifen des Gesteins der Wölbung stellten die Nervenzweige und die fein gezackten Näthe eines Schädels dar. Der Plafond der Grotte war ein Fels, das Wasser der Fußboden. Die Sturzwellen des fluthenden Meeres glichen, durch die vier Wände der Grotte eingeengt, großen, zitternden Quadern. Das Gewölbe war überall geschlossen. Nirgends eine Oeffnung, ein Kellerloch; kein Mauerriß, nicht die kleinste Spalte in der Decke. Das Licht schien durch das Wasser hinaus. Es war ein unbestimmtes dämmeriges Gefunkel.
Gilliatt, dessen Pupillen sich während seines Ganges durch den dunkeln Spalt erweitert hatten, unterschied in diesem Zwielicht jeden Gegenstand.
Er kannte aus eigener, mehrfacher Anschauung die Höhlen von Plémont zu Jersey, Creux-Maillé zu Guernesey und die Buden von Serk, welche diesen Namen führen, weil sie den Schmugglern zum Ablagern ihrer Waaren dienten. Doch keine dieser wunderbaren Grotten bestand einen Vergleich mit dem unterirdischen und unterseeischen Raum, den er soeben betrat.
Gilliatt sah gerade vor sich im Wasserschooß eine Art Brückenbogen. Die Wellen hatten seine innere Wölbung gerippt und er leuchtete zwischen den düstern Grundpfeilern hervor. Durch dies ertränkte Portal drang die Helle der offenen See in die Höhle. Ein seltsames Tageslicht, das erst vom Wasser verschlungen war, ehe es an diesem Ort wirkte. Es erweiterte sich unter den Wellen in Fächergestalt und wurde von dem Fels zurückgeworfen. Seine gradlinigen Strahlen brachen sich auf dem klaren Grund in langen Streifen, die, bald hell, bald dunkler, von einer Erhöhung zur andern liefen. Es herrschte eine Tageshelle, aber eine unbestimmte in dieser Höhle. Sie hatte nichts mit unserm Lichte gemein. Man konnte sich auf einen andern Planeten versetzt glauben. Es war eine räthselhafte Helle, – der meergrüne Glanz des Augapfels einer Sphinx. Die Höhle stellte das Innere eines kolossalen, prächtigen Todtenkopfes dar; die Wölbung war die Hirnschale, die Augenöffnungen fehlten, der Brückenbogen bildete den Mund. Dieser verschlang die Fluth und spie sie wieder aus; zur Mittagszeit war er aufgesperrt, um Licht zu trinken und dafür Bitterkeit von sich zu geben. Es giebt gewisse gescheidte und nichtswürdige Persönlichkeiten, die es ebenso machen. Die Meerwassermasse, welche die Bogenöffnung wie eine Glasscheibe von ungeheurer Dicke verschloß, ließ den Sonnenschein nur als grünen Schimmer, den Strahlen Aldebarans ähnlich, in die Grotte dringen. Die Fluth, überall von diesem Dämmerlicht durchglänzt, glich flüssigem Smaragd. Ein unendlich zarter Farbenton, wie wir ihn an dem Aquamarin sehen, erfüllte weich und milde die ganze Grotte. Die Wölbung, deren Moosbekleidung an Hirnadergezweig erinnerte, schimmerte in dem duftigen Licht des Chrysopras.
An der Decke schwebten goldene Ringel – das Widerspiel der zitternden, gaukelnden Wellen – in unermüdlichem geheimnißvollem Tanzen. Sie dehnten sich, wuchsen, lösten sich auf und nahmen neue Formen an – ein gespenstisches Treiben, wie es dem Beschauer däuchte. Man fragte sich, welche Beute dies prächtige Netz lebendigen Feuers so lustig zu erhaschen strebe? An den Vorsprüngen der Wölbung und zwischen Unebenheiten des Gesteins schwebten lange und zarte Pflanzen, die ihre Wurzeln wahrscheinlich durch die Felsritzen geschlagen hatten und dieselben in den Wassernäpfchen auf der Oberfläche der Decke badeten. An allen Spitzen dieser Ranken glänzte ein Wassertropfen, eine Perle, die mit leisem, sanftem Geräusch in den Abgrund fiel und stets durch eine neue ergänzt ward. Die Gesammtwirkung dieser Dinge war unbeschreiblich ergreifend. Es konnte keinen lieblichern und schauerlich-düsterern Aufenthalt geben, als diese Höhle.
Sie war ein Palast, in welchem der Tod nach gethaner Arbeit zufrieden ausruhte.
Ein lichtdurchfunkelter Schatten herrschte an diesem seltsamen Ort.
Die Bewegung des Meeres äußerte sich auch in ihm.
Mit der Regelmäßigkeit des Athmens machte das Schwanken außen die innere Wasserfläche bald steigen, bald fallen. Es war, als ob ein hier waltender geheimnißvoller Geist seine Schwingen hob und wieder senkte.
Das Wasser hatte eine zauberische Durchsichtigkeit und Gilliatt bemerkte an verschiedenen Stellen auf dem Grunde Felsvorsprünge mit Vertiefungen, in denen die grüne Farbe sich bis zu den dunkelsten Tönen steigerte. Mehrere finstere Höhlungen schienen bodenlos zu sein.
Zu beiden Seiten des Portals bewiesen flache, unvollkommene Wölbungen, in denen tiefes Dunkel herrschte, das Vorhandensein kleiner Nebenhöhlen, Untiefen der im Mittelpunkt gelegenen großen Grotte. Vielleicht waren sie zur Zeit der Fluth zugänglich.
Diese Mündungen hatten geneigte Deckflächen mit mehr oder weniger offenen Winkeln. Kleine, einige Fuß breite Sandschollen, welche von der Fluth aufgethürmt und blosgelegt waren, hatten sich unter diese schrägen Dächer gedrängt und wurden durch dieselben verdeckt.
Mit den Schwingungen eines Haares, das der Wind bewegt, schwammen Wasserpflanzen von mehr als Klafterlänge im Schooß des Wassers. Man glaubte Wälder von Seeeichen darin zu entdecken.
Die üppige Flora des Oceans, welche so selten von einem Menschenauge gesehen wird, daß alte, spanische Seefahrer sie praderias del mar nannten, überwucherte die ganze Mauer der Grotte von der Deckwölbung bis an die Stelle, wo das Gestein sich in der Tiefe verlor. Ein kräftiges Moos, das in allen Schätzungen der Olivenfarbe spielte, verhüllte und füllte die Unebenheiten des Granits und auf allen steilen Vorsprüngen drängten sich die feinen, streifenartigen Meergrasspitzen hervor, aus denen die Fischer ihre Barometer verfertigen. Der versteckte Luftzug der Grotte setzte diese glänzenden Streifchen in Bewegung.
Unter diesen Pflanzen verbargen sich, nur hin und wieder an's Licht tretend, die seltensten Juwelen aus dem Schmuckkasten des Oceans: Elfenbein- und Flügelschnecken, Bischofsmützen, Seetrompeten, Purpurmuscheln und thurmartige Hornschnecken. Die Glocken der Schlüsselmuscheln, winzigen Hüttchen ähnlich, klebten überall am Felsen und gruppirten sich zu Dörfern, in deren Gassen die Käferschnecken, diese Insecten der Wogen, ihr Wesen treiben.
Da die Strandsteine nur schweren Zugang in diese Grotte hatten, flüchteten die Mollusken dahin. Letztere sind Herren von hohem Stande, die mit Stickereien und Posamentirbesätzen geschmückt, die rohe und ungesittete Berührung des gemeinen Pöbels der Kieseln vermeiden.
An manchen Punkten im Wasser entstanden durch eine Anhäufung funkelnden Muschelwerks unvergängliche Ausstrahlungen, welche ein Gewühl von Perlenmuscheln, Azur- und Goldschnecken, die in allem Farbenglanz der Edelsteine schimmerten, durchblicken ließen.
An der Seitenwand der Grotte, etwas oberhalb der Wasserlinie, welche die hohe Fluth erreichte, heftete eine seltsame, herrliche Pflanze sich wie eine Randverzierung an die Tapete von Seegras und schloß dieselbe gleichsam ab. Diese Pflanze von schwärzlicher Farbe war faserig, buschig unauflösbar ineinander verwachsen und ließ durch breite, teppichartige, wirre und dunkle Geflechte überall zahllose kleine lapislazulifarbene Blüthen leuchten. Im Wasser schienen die Blumen sich zu entzünden und man hielt sie für blaue Flämmchen. Ueber den Wellen waren sie Blüthen, in denselben glichen sie Saphiren, so daß die Fluth, indem sie stieg und die Grundmauern der Grotte in ihren Schooß versenkte, den Fels mit Karfunkeln bedeckte.
Bei dem jedesmaligen Anschwellen der Wogen wurden die Blumen getränkt und schimmerten dann in schönem Glanz; dieser verlosch jedoch, sobald das Wasser sank, – ein trübes Bild des Menschengeschickes. Zuerst vorwärts streben, das heißt leben, dann ermatten, sterben.
Zu den Wundern der Grotte gehörte der Fels selber.
Das Gestein, bald Mauer oder Wölbung, bald Strebe- oder Wandpfeiler, war stellenweise roh und nackt und dicht daneben zeigte sich die zarteste, natürliche Meißelarbeit. Der dumme, ungeschlachte Granit schien gewissermaßen von Geist und Leben durchdrungen zu sein. Welcher Künstler ist der Abgrund! Die Mauerfläche, in Vierecke eingetheilt und mit erhabener Arbeit geziert, stellte ein undeutliches Basrelief dar; man konnte sich in dieser Skulptur, die zum Theil in Dämmerung gehüllt war, Prometheus vorstellen, wie er die Grundrisse für Michel Angelo's Arbeit entwarf. Es schien, als könne das Genie mit einigen Hammerschlägen vollenden, was der Riese begonnen. An manchen Stellen war der Fels wie das Schild eines Sarazenen damascirt oder wie eine florentinische Vase niellirt. Man sah Felder, die korinthischer Bronze glichen und Arabesken, wie sie die Pforten der Moscheen zieren; geheimnißvolle und unleserliche Runenschrift zeigte sich an andern Steinflächen. Pflanzen mit feinem, rankigem Gezweig spannten ein Netz von Filigran über die goldschimmernden Moosflechten der Mauer. Die Grotte entfaltete die Pracht einer Alhambra. Wilde Formlosigkeit und die Kunst der Goldschmiede begegneten sich hier in der erhabenen und mißgestalteten Architektur des Zufalls.
Prächtiger Meerschimmel bekleidete die Kanten des Granits mit Sammet, und großblühende Lianen bildeten mit einem Geschick, als besäßen sie Verstand, an den steilen Felswänden Festons. Seltsam gestaltete Sträuße von Mauerglaskraut blickten hin und wieder anmuthig hervor. Die Grotte hatte alle ihr zu Gebot stehende Koketterie entfaltet. Das fremdartige paradiesische Licht, welches durch das Wasser drang und ein Gemisch aus Meeresdämmerung und Himmelsonnenglanz war, vergrößerte und erweiterte die Umrisse aller Gegenstände auf eine übernatürliche Weise. Sie erschienen unter diesem Irisschleier in dem Farbenspiel der Linsengläser, welche übermäßig konvex geschliffen sind. Im Wasser gaukelten Farbenbilder der Sonne und man glaubte in diesem durchsichtigen aurorafarbigen Element ertrunkene Regenbogenbruchstücke sich winden zu sehen. An manchen Punkten gewahrte man im Schooß des Wassers eine Art Mondschein. Alle Pracht schien sich dort verschmolzen zu haben, um ein namenloses Gemisch aus blendendem Glanz und Nachtdunkel zu erzeugen. Es gab nichts Beängstigenderes und Rätselhafteres als die Pracht dieser Grotte. Es waltete ein Alles beherrschender Zauber darin.
Die märchenhafte Pflanzenwelt und die ungeschlachte Felsbildung vereinigten sich in harmonischer Weise.
Es war ein glückliches Bündniß, das diese fremdartigen Dinge miteinander geschlossen hatten.
Die Pflanzen klammerten sich an den Fels, als wollten sie ihn ritzen.
Das wilde Gestein und die farbenlosen Blumen liebten einander mit tiefer Zärtlichkeit. Die Capitäler und Ligaturen der massiven Pfeiler bestanden aus zarten Guirlanden, die bis in die kleinsten Blätter hinein ängstlich zitterten – wie Elfenhände, welche die Füße von Ungeheuern streicheln. Der Fels stützte und hielt die Pflanze und die Pflanze umklammerte den Fels mit einer widernatürlichen Grazie.
In der Verbindung dieser geheimnißvollen Ungeheuerlichkeiten lag etwas unbeschreiblich großartig Schönes. Nicht weniger erhaben, als die Werke des Genies, sind die Werke der Natur in sich vollendet und wirken unwiderstehlich. Ihr unerwartetes Hervortreten zwingt den Geist gebieterisch zur Anerkennung; man fühlt, daß sie im Voraus berechnen, die dem Menschen gezogenen Grenzen überschreiten und sie wirken niemals ergreifender, als wenn sie plötzlich in köstlichen Gebilden aus grausigen Schlacken hervortreten.
Diese unbekannte Grotte war, wenn ein solcher Ausdruck gestattet ist, ein plötzlich auftauchendes Gestirn. Man fühlte bei ihrem Anblick ein Erstaunen, wie es nicht stärker gedacht werden kann.
Es war ein geheimnißvolles Licht, was diese Höhle erfüllte.
Man wußte nicht, welche Bewandtniß es damit hatte.
Es war eine wirkliche Erscheinung, die dennoch unmöglich Wahrheit sein konnte. Man sah die Helle, fühlte sie, war von ihr umfangen; hätte man nur an sie glauben können!
War es Tageslicht, das durch die Wasserscheibe des Meeres drang? Und die zitternde Flüssigkeit auf dem dunkeln Grund der Höhle, war sie Wasser? Diese Wölbungen, diese Brückenbogen, konnten sie nicht etwa Himmelswolken sein, welche die Gestalt einer Grotte nachahmten? Welch Gestein hatte man unter seinen Füßen? Und würden sie zusammenfallen und in Rauch aufgehen? Was war dieser Schmuck von Muschelwerk, den man undeutlich hervorschimmern sah? Wie weit entfernt lag diese Stätte von der Erde, von den Wohnungen der Sterblichen? Welches Entzücken mischte sich unter die Todesschauer, die sich an diesem Ort der Seele bemächtigten? Eine unbeschreibliche, fast heilige Erregung, dem zarten Schwanken der Pflanzen auf dem Grund des Wassers vergleichbar!
An dem einen äußersten Ende der Grotte, die eine längliche Form hatte, befand sich unter einem riesigen Schwibbogen von merkwürdig regelmäßiger Bildung eine kaum erkenntliche Wölbung – eine Art Höhle in der Höhle, ein Tabernakel im Allerheiligsten. Eine grünliche, durchsichtige Decke verhüllte sie wie der Vorhang eines Tempels und hinter demselben, oberhalb des Wasserspiegels, sah man einen viereckigen Stein, der fast die Gestalt eines Altars hatte. Die Fluth umgab ihn von allen Seiten. Es schien, als sei eben eine Göttin von ihm herabgestiegen. Man konnte sich nicht des Gedankens erwehren, daß auf dem Altar dieses Tempels eine ewig sinnende Gottheit in himmlischer Nacktheit throne, ein überirdisches Wesen, das der Eintritt eines Menschen entweichen machte. Es war schwer sich jene feierliche Grotte ohne eine Erscheinung vorzustellen. Die Phantasie erschuf sie unfreiwillig und ohne Mühe. Ein keusches Licht umzitterte die nur halb und halb erkennbaren Schultern, Morgenroth badete die Stirne, und das Oval des olympischen Antlitzes, die Wölbung des geheimnißvollen Busens, die züchtigen Arme, das entfesselte Haar und die Hüften, deren Form sich in dem heiligen Dämmerlicht mit einem unbeschreiblichen, seltsam bleichen Ton absetzte: eine Nymphe mit jungfräulichem Blick, eine dem Meer entsteigende Venus, eine Eva, die dem Chaos entschwebt – man mußte hier von ihnen träumen. Es war kaum glaublich, daß auf jenem Altar kein überirdisches Wesen throne. Man sah im Geist von der schweigenden Anbetung der Grotte umgeben, eine Amphitrite, eine Tethys, oder eine Diana, die zur Liebe erwachte, das Ideal einer Schönheit, die von der Sonne geboren, dem Schatten süße Blicke zuwarf. Sie war es, die der Grotte entflohen, diese Helle darin zurückgelassen hatte, einen duftigen Schimmer, den Athem ihres Sternenleibes. Man sah die blendende Gestalt nicht mehr; sie, die nur geschaffen war um von unsterblichen Augen geschaut zu werden, entzog sich den irdischen Blicken, doch man spürte ihre Nähe und fühlte sich von wonnevollem Schauer ergriffen.
Die Göttin zeigte sich nicht, aber ihr Wesen war zurückgeblieben.
Gilliatt, der eine Art Seher war, träumte und fühlte sich von unbestimmten Eindrücken ergriffen.
Plötzlich bemerkte er in dem durchsichtigen, köstlichen Wasser, das flüssigem Edelstein glich, einige Fuß tief unter der Oberfläche, ganz in seiner Nähe ein unbeschreibliches Etwas, einen Fetzen, der sich in den Wogen bewegte.
Er schaukelte nicht im Wasser, sondern schwamm, hatte ein Ziel und eilte schnell nach irgend einer Stelle.
Dieser Lumpen glich einer Narrenkappe mit Zipfeln, welche plätscherten und mit einem Staub bedeckt zu sein schienen, der die Nässe ausschloß.
Der Gegenstand war nicht nur garstig, sondern unfläthig.
Er hatte etwas Chimärisches, er mußte ein lebendiges Wesen, wenn nicht gar eine Erscheinung sein.
Wie es schien, steuerte er nach der düstern Seite der Grotte und verlor sich dort.
Das trübe Wasser wurde über ihm finster.