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Mess Lethierry, ein angesehener Mann in St. Sampson, war ein tüchtiger Seemann. Er hatte sich in seinem Leben fleißig auf dem Wasser herumgetummelt und, so zu sagen, von der Pike auf gedient. Er hatte alle Grade der Seemannslaufbahn durchgemacht. Vom Schiffsjungen war er zum Segelaufhisser, vom Segelaufhisser zum Steuerbootsmann, vom Steuerbootsmann zum Hochbootsmann, vom Hochbootsmann zum Zeugmeister, vom Zeugmeister zum Obersteuermann, vom Obersteuermann zum Capitain avancirt. Jetzt war er ein Rheder. Das war ein Mann, der seinen See-Katechismus im Kopfe hatte. Bei Strandungen war er auf dem Platze. In Sturm und Wetter sah man ihn am Meeresufer. Er beobachtete die Wolken, den Wind, das Meer, die Schiffe; er hatte das Auge überall. Was ist das Schwarze da hinten? Es ist ein strandendes Schiff. Es ist ein Sardellenboot aus Weymouth – ein Kutter aus Aurigny – die Yacht eines Lord – es ist ein Franzose – ein Engländer – ein Armer – ein Reicher – es ist der Teufel – einerlei! Er sprang in's Boot, rief ein paar tüchtige Leute zusammen; waren sie nicht rasch genug zur Hand, so ging er allein und that alles Notwendige selber. Er löste das Bindseil, ergriff das Ruder, und hinaus ging es in die offene See. Bergauf, bergab tanzte das Schifflein zu der Musik des Sturmes und der Begleitung der zischenden brausenden Wogen, trotzend der Gefahr. Man sah ihn aufrecht stehen in seinem Boot, den tapferen Helden des Meeres, vom Sturm gepeitscht, von Blitzen umzuckt, triefend von Himmels- und Meerwasser, das Gesicht eines Löwen mit einer Mähne von Schaum. Er wagte für Menschen, Schiffe und Güter tausend und aber tausend Mal sein Leben, denn das war seine Lust. Es war seine Lust, dem Sturm seinen Raub abzujagen. War er aber Abends nach Hause zurückgekehrt so – strickte er Strümpfe.
Dieses Leben führte er fünfzig Jahre, vom zehnten bis zum sechszigsten, so lange er jung war. Als er sechszig Jahre zählte, war er nicht mehr wie ehemals im Stande, den Ambos der Schmiede zu Varclin, welcher dreihundert Pfund wog, mit einem Arme zu heben. Der Rheumatismus hatte ihn gefangen genommen; er mußte dem Meere entsagen. Nun war für ihn der Uebergang aus dem Zeitalter der Herren in das der Patriarchen gekommen; er war nun nichts weiter als ein guter alter Herr.
Mit dem Rheumatismus war auch der Wohlstand bei ihm eingekehrt. Diese beiden Früchte der Arbeit halten gute Kameradschaft miteinander, sie kommen meistens zusammen. Wenn man reich wird, wird man gelähmt. Das ist der Lohn eines Lebens.
Man sagt sich: jetzt wollen wir uns des Lebens freuen.
Auf Inseln wie Guernesey giebt es zweierlei Menschen, solche, welche ihren Acker bauen, und solche, die die Erde umreisen. Das sind die beiden Arbeiter-Arten, welche diese Inseln hervorbringen: Land- und Meer-Arbeiter. Mess Lethierry war Einer von den Letzteren. Doch war ihm auch das Land nicht fremd: er kannte Land und Meer, mit Beiden war er vertraut. Ein Leben voll harter Arbeit lag hinter ihm. Er war auf dem Continent gewesen und hatte lange Zeit in Rochefort und auch später in Cette als Schiffszimmermann gearbeitet. Wir sprachen eben von der Reise um die Welt. Dazu gehört auch Frankreich, welches er als Schiffszimmermanns-Geselle in allen Richtungen durchwanderte. Dann hatte er in der Franche-Comté in den Salinen gearbeitet und überhaupt das Leben eines Abenteurers geführt. In Frankreich lernte er lesen, denken und wollen. »Prüfet Alles und behaltet das Beste,« war sein Wahlspruch, und er hatte Alles geprüft, Alles gesehen, Alles versucht, Alles gethan, und überall die Probe der Redlichkeit bestanden. Er war ein geborener Seemann; das Wasser gehörte ihm. Die Fische sind meine Gäste, sagte er. Sein ganzes Leben, zwei, höchstens drei Jahre abgerechnet, hatte er dem Ocean geweiht: in's Wasser geworfen, wie er sich ausdrückte. Er hatte alle großen Meere befahren, das Atlantische, wie das Stille Meer; doch gab er dem Canal den Vorzug. Von ihm sagte er mit begeisterter Liebe: »Das nenn' ich ungestüm!« An seinen Ufern war er geboren, dort wollte er auch sterben.
Nachdem er zwei Mal die Erde umkreist hatte, wußte er, was er von ihm zu halten hatte. Er zog sich nach Guernesey zurück, und blieb dort sitzen. Seine Reisen beschränkten sich auf Granville und St. Malo.
Mess Lethierry war ein Guerneseyer, also ein Normanne; das heißt ebensowohl Engländer als Franzose. In ihm und für ihn aber war diese, seine vierfache Heimath unter- und aufgegangen in seiner einen großen Heimath, dem Ocean. Immer und überall in seinem Leben hatte er die Sitten des Fischers der Normandie bewahrt. Das verhinderte ihn indessen nicht, gelegentlich eine alte Scharteke aufzuschlagen, gern ein Buch zu lesen, die Namen aller Dichter und Philosophen zu kennen und alle möglichen Sprachen ein wenig zu radebrechen.
War Gilliatt menschenscheu, so war es Mess Lethierry nicht weniger, doch hatte seine Menschenscheu eine gewisse Eleganz.
In Bezug auf Frauen war er anspruchsvoll. In seiner Jugend, man kann sagen seiner Kindheit, zwischen Matrosen und Schiffsjungen, hatte er einmal den Amtmann von Suffren ausrufen hören: Siehe da! Ein hübsches Mädchen. Schade, daß sie so verteufelt große rothe Hände hat! Das Wort eines Admirals ist in allen Dingen Befehl, und deßhalb hatte auch dieser Ausruf einen großen Eindruck auf das Gemüth des kleinen Schiffsjungen gemacht. Von diesem Augenblicke an wurde Lethierry sehr anspruchsvoll im Punkt der kleinen, weißen Händchen, obgleich die seinen breite, mahagonifarbige Spaten waren. Es waren Keulen an Leichtigkeit, Schmiedezangen an Zartheit, und sie konnten Pflastersteine zermalmen, wenn sie sich zur Faust schlossen.
Mess Lethierry hatte sich nicht verheirathet. Vielleicht fand er nicht, was er suchte, vielleicht hatte er aber gar nicht gesucht. Oder sollte seine Ehelosigkeit das Resultat einer vergeblichen Jagd nach kleinen Händen sein? Die feinen Hände einer Herzogin sucht man vergeblich bei den Fischerinnen von Portbail.
Er soll indessen noch einmal in seinem Leben die Bekanntschaft solcher Hände gemacht haben, und zwar in Rochefort – so erzählen wenigstens die Leute. Dort fand er nämlich sein Ideal in Gestalt einer Grisette, welche nicht allein schön war, sondern auch die allerzierlichsten Hände hatte, die man sehen konnte. Dieses reizende Wesen verleumdete aber und kratzte, so daß es gefährlich war, mit ihr etwas zu thun zu haben.
Obgleich mit Hülfe der Scheere für den Nothgebrauch zu Krallen zugespitzt, waren die Nägel dieser niedlichen Händchen von untadelhafter Sauberkeit; es waren Nägel ohne Furcht und Tadel. Diese reizenden Nägel hatten Lethierry bezaubert; später zwar fürchtete er sich ein wenig davor, und um sein eigener Herr zu bleiben, führte er dies Liebchen nicht zum Traualtar.
In Aurigny lernte er ein anderes Mädchen kennen, welches ihm gefiel. Dies Mal dachte er an's Heirathen; er wollte schon Vorbereitungen treffen, als Jemand zu ihm sagte: Ich mache Euch mein Compliment, Ihr werdet eine gute Frau bekommen: sie ist erprobt.
– Wieso?
– Sie blieben hängen.
– Was?
– Die Kuhfladen.
Der gute Bürger von Aurigny erklärte nun dem erstaunten Lethierry das Räthsel folgendermaßen. Jedes Mädchen, sagte er, das bei uns zu Lande ein Freier als Hausfrau heimführen will, muß sich erst durch den Kuhfladenwurf als künftige gute Wirthschafterin legitimiren. Der Akt der Legitimation aber wird so vollzogen. Das Mädchen muß auf eigentümliche Art einen Kuhfladen an die Wand werfen. Bleibt dieser hängen, so ist es ein gutes Zeichen; er trocknet dann an der Wand, fällt ab, und wird als Brennmaterial benutzt. Man nennt dies Torfmachen. Bei uns heirathen die Männer nur gute Torfmacherinnen. Dieses Talent mußte Lethierry etwas anrüchig erschienen sein, denn von Stunde an kehrte er der Kuhfladen-Torf-Fabrikantin den Rücken. Er war, wie gesagt, sehr anspruchsvoll im Punkte der Zartheit bei dem schönen Geschlecht.
Uebrigens hatte Lethierry im Punkte der Liebe, oder vielmehr der Liebesaffairen, seine eigenen Ansichten.
Er war ein Anhänger jener gesunden Philosophie, welche stets den breiten Weg zu ihrem Ziele wählt und liebte deßhalb in einer Frau nicht das Geschlecht, sondern er liebte die Frau in ihrem ganzen Geschlecht. Er machte auch kein Hehl daraus, sondern gestand ganz offen, daß ihm der »Unterrock« in seiner Jugend oft gefährlich gewesen sei. Was man damals Unterrock nannte, heißt jetzt Crinoline. Mit diesem Ausdruck bezeichnet man etwas mehr, und etwas weniger als eine Frau.
Die Seeleute des normannischen Inselmeers sind nicht ohne Geist und Kenntnisse. Fast Alle können lesen, und man sieht des Sonntags winzige Schiffsjungen von acht Jahren, ein Buch in der Hand, auf einer Segeltuchrolle sitzen und emsig lesen. Zu allen Zeiten aber waren die normannischen Schiffer aufgeräumte, muntere, witzige Leute. Sie machten gern bei Gelegenheit ihr Späßchen und waren in Wortspielen ganz besonders erfinderisch. Einer von ihnen, ein verwegener Lootse mit Namen Quéripel, sagte zu dem nach Jersey geflüchteten Montgomery, in Beziehung auf dessen unglücklichen Lanzenwurf, der Heinrich II. das Leben kostete: »Ein Tollkopf hat einen Hohlkopf zerbrochen!« Ein Anderer, ein Schiffscapitain zu St. Brelade, Namens Toupeau, machte jenes philosophische Wortspiel, das mit Unrecht dem Bischof Camus zugeschrieben wurde: Nach dem Tode werden die Päpste, des Bannstrahls Schmetterer, zu Schmetterlingen und die Majestäten zu Maden.
Mess Lethierry hatte das Herz auf der Hand; eine breite Hand, ein großes Herz. Sein größter Fehler war jene bewunderungswürdige Eigenschaft: das Vertrauen. Er hatte eine besondere Weise sein Wort zu geben. Wenn er sagte: Ich gebe dem lieben Gott mein Ehrenwort darauf, so konnte ihn selbst der Teufel nicht abhalten, sein heiliges Versprechen zu erfüllen. Er glaubte an den lieben Gott, sonst an nichts. In die Kirche ging er nur, wenn die Höflichkeit ihn gelegentlich dazu veranlaßte. Auf dem offenen Meere war er abergläubisch.
Dennoch machte ihn selbst der heftigste Sturm nicht muthlos. Das kam daher, weil Mess Lethierry den Widerspruch nicht ertragen konnte. Er duldete ihn vom Ocean eben so wenig, wie von einem Anderen. Alles sollte ihm gehorchen. Mochte immerhin das Meer zuweilen sich bäumen, er wußte es stets auf seine Seite zu bringen, denn es war einmal sein Grundsatz, niemals zu weichen. Weder eine aufsteigende Woge, noch ein streitsüchtiger Nachbar konnten ihn von diesem Grundsatz abbringen. Was er einmal gesagt hatte, das war gesagt, und was er sich einmal vorgenommen hatte, das stand fest. Er ließ sich eben so wenig von einer Gegenrede als von einem Sturm beirren. Das Wort: »Nein« existirte für ihn weder auf den Lippen eines Menschen, noch in dem Grollen des Donners. Ja er ging noch weiter: er duldete keinen Widerspruch. Sein Eigensinn im gewöhnlichen Leben und seine Kühnheit auf dem Ocean gaben davon Zeugniß.
Er bereitete sich gern seinen Teller Fleischsuppe selber, wobei er die richtige Dosis Pfeffer und Kräuter auf ein Haar zu treffen wußte, und was er selbst gekocht hatte, schmeckte ihm am besten. Mess Lethierry war linkisch auf dem Lande, doch eigener Art und furchtbar auf dem Meere; er hatte einen Lastträgerrücken, fluchte niemals, und der Zorn war bei ihm eine äußerst seltene Erscheinung; seine Stimme war gewöhnlich schwach und sanft, verstärkte sich aber im Sprachrohr zum Donnerton. Er war ein Bauer, der die Encyklopädie gelesen, ein Guerneseyer, welcher die Revolution gesehen, ein gelehrter Unwissender; er war nicht bigott, aber ein Phantast; er hatte mehr Glauben an die weiße Frau, als an die heilige Jungfrau; seine Kraft war die eines Polyphem, seine Logik die einer Wetterfahne, sein Wille der eines Columbus. Er hatte Etwas von einem Stier und Etwas von einem Kinde. Uebrigens hatte er eine Stumpfnase, kräftige Backen, einen Mund mit kerngesunden und vollständigen Zähnen; ein faltiges, sonnenverbranntes, schon fünfzig Jahre von dem Meerwasser bespültes und von der Windrose wieder getrocknetes Gesicht; eine Stirn, auf der beständig Wetterwolken drohten. Denke Dir zu diesem rauhen harten Seemanns-Gesicht noch ein gutmüthig blickendes Auge hinzu, so hast Du Mess Lethierry wie er leibt und lebt.
Mess Lethierry hatte zwei Neigungen: Durande und Déruchette.