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Allerlei Bedenken

Als Julia in den nächsten Tagen Herrn Maß von dem großen Vorhaben Mitteilung machte, konnte man an seiner betrübten Miene etwas wie enttäuschte Hoffnung wahrnehmen. Doch als Julia ihn fragte: »Freuen Sie sich denn nicht mit mir, daß mein Haus bewohnt wird, daß Jugend und frisches Leben einkehrt?« da streckte er seine Hand aus: »Ja, ich freue mich, freue mich für Sie und für Frau Anna.«

Da fiel es Julia ein, daß sie vor kurzer Zeit geäußert habe, seine Mutter könne vielleicht im Rosenhaus Wohnung finden. Über allen Erlebnissen war ihr das ganz aus dem Sinn gekommen, nun konnte sie sich die Enttäuschung, die auf seinem Gesicht zu lesen war, deuten. Es tat ihr so leid und sie sprach ihr herzliches Bedauern darüber aus, daß dieser Plan nun hinfällig werden mußte.

»Meine Mutter ahnt nichts davon, und ich sehe vollständig ein, daß es unter diesen Umständen unmöglich ist.«

»Wir wollen abwarten, wie sich alles einrichtet«, sagte Julia gedankenvoll.

Sie hätte, wär's möglich gewesen, das Haus bis auf die letzte Kammer vollgepfropft.

Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug. Ehe man sich's versah, war der Frühling wieder da, und als eines Tages Julia im Garten war und eben einen Strauß Schneeglöckchen gepflückt hatte, sah sie vor der Gartenpforte eine schwarzgekleidete Dame stehen. Im ersten Augenblick hielt sie sie für eine Fremde. Es kam oft vor, daß Leute stehenblieben und bewundernd das alte, mit Rosen bewachsene Haus ansahen.

Aber nun öffnete sie das eiserne Tor und kam langsam näher. Es war nicht der leichte, elastische Gang ihrer Anna, und doch war sie es. Als sie die Schwester im Garten gewahrte, winkte sie ihr zu. Julia lief, so schnell es ihre Jahre erlaubten, der Schwester entgegen.

Nach der Begrüßung beredeten sie das Nötigste im kleinen Eckzimmer, in dem sie so oft miteinander gesessen hatten. Anna sagte, daß sie nur einen Tag Zeit habe, sie könne die Kinder nicht lange allein lassen; aber sie habe kommen müssen, um über alles noch einmal mit ihr zu sprechen.

»Erinnerst du dich, daß du mir vor meiner Heirat sagtest: ›Du hast dir etwas Schönes eingebrockt‹. Nun muß ich dir die Worte zurückgeben, denn du hast dir, nach meiner Meinung, etwas Schönes eingebrockt.«

»Erinnere mich doch nicht an meine garstigen Worte, die ich im Unmut geredet habe. Laß uns lieber beraten, wie wir die Zimmer am zweckmäßigsten verteilen«, sagte Julia, und fügte dann hinzu, wie sie sich schon manches überlegt habe.

Der große Saal links würde von allem Gerumpel befreit werden. Da hinein kämen die einfachen Möbel und der große Arbeitstisch, an dem Julia zuerst die Kinder hatte sitzen lassen. Das sollte der Kinder Reich werden. Oben sollte Anna zwei Zimmer nach vorn heraus bekommen, ein gutes Zimmer für sich, wo sie ihre Bücher, ihren Schreibtisch, kurz alles, was ihr lieb und wert sei, hineinstellte, ein Zimmer, in das sie sich jederzeit, wenn sie wünschte, zurückziehen könnte. Anna sollte sich von den vorderen Zimmern aussuchen, welchen sie den Vorzug gebe, es stehe ihr alles zur Verfügung.

Hanna und Erika sollten auch ein eigenes Zimmer haben. Es macht den jungen Mädchen Freude, sich selbst ihre Kostbarkeiten, ihre kleinen Andenken, ihre Bücher vor den Augen der jüngeren Geschwister in Sicherheit bringen zu können. »Ich bin mir noch nicht klar«, überlegte Julia, »ob wir die jungen Mädchen oben oder unten lassen. Oben wohnt nur der Student, es ist wohl passender, sie bleiben unten«, fügte sie bedacht hinzu.

Anna lächelte. »Laß dich das nicht anfechten, Schwester, tue die Mädchen dahin, wo es dir am besten paßt. Wir wollen Herrn Maß nicht vertreiben; ich denke auch, meine Mädel werden dir alle Ehre machen.«

»Er ißt ja nun auch täglich bei uns«, fuhr Julia fort, der plötzlich allerlei Gedanken aufzusteigen schienen.

»Warum auch nicht!« meinte Anna. »Das tut doch den Mädchen nichts.«

»Meinst du? Aber es essen am Dienstag vier bis fünf junge Leute bei mir!«

»Macht gar nichts, Julia. Da stellst du die Mädchen an, daß sie dir helfen. – Doch, war da nicht jemand, ich meinte doch, ein Türenschließen zu hören.«

Julia horchte. »Du irrst, es ist niemand da.«

»Es ist jemand im Zimmer gewesen, ich habe es deutlich gehört.« Julia meinte, sie habe sich getäuscht, und überlegte weiter mit der Schwester, bis alles Nötige besprochen war. Anna konnte nicht genug danken, daß Julia ihr den größten Teil des Hauses überlassen wollte, während Julia immer behauptete, es geschähe ihr ein großer Gefallen, wenn Anna mit ihren Kindern bei ihr einzöge.

Am andern Morgen reiste Anna wieder ab.

 

In den nächsten Tagen ging Herr Maß so bedrückt einher, daß es jedem auffallen mußte. Ika meinte, er sei gewiß krank von dem vielen Arbeiten. »Die Bücher liegen haufenweise herum, und die vielen Kollegien machten ihm den Kopf wirr.«

Julia aber sorgte sich, ob nicht etwas anderes ihn bedrücke. Und die Aufklärung kam schon am nächsten Tag.

Die Abendandacht war vorüber und Ika vom Schauplatz verschwunden, Herr Maß aber, der dann auch gewöhnlich auf sein Zimmer ging, zögerte heute offensichtlich damit.

Julia, die glaubte, er wolle ihr noch etwas vorspielen, zeigte auf den Flügel und sagte: »Suchen Sie sich nur etwas aus den Noten heraus, es ist mir alles recht.«

Er schüttelte den Kopf, trat vor Julia hin, rieb sich verlegen die Hände, räusperte sich einige Male und begann mit stockender Stimme:

»Fräulein Julia, ich muß Ihnen etwas bekennen. Ich war gestern im Vorzimmer, um ein Notenheft zu suchen. Es wurde gerade von mir gesprochen. Ich hörte etwas, ohne daß ich horchte. Ich – fürchte, ich werde stören, wenn Frau Amtsrichter mit den Kindern kommt, ist es Ihnen nicht – lieber – wenn – ich das Haus verlasse?«

»Dummes Zeug«, fuhr es Julia heraus, »Sie bleiben, wo Sie sind, sehen Sie denn nicht, daß wir Platz genug haben.«

»Ja, aber am Mittagstisch möchte meine Gegenwart nicht angenehm sein?«

»Schmeckt Ihnen das Essen nicht mehr bei mir?«

»Nur zu gut, aber verstehen Sie mich, Fräulein Julia, – die – die jungen Mädchen –«

»Sie haben gehört, was Sie nicht hören sollten. Ich hatte allerdings kleine Bedenken, aber, bester Herr Maß, wir kennen uns seit einem Jahr, nein, noch länger, ich weiß, daß ich mich auf sie verlassen kann. Sie sind ein Mann, der alles vermeiden wird –«

»Sie dürfen überzeugt sein, Fräulein Julia, daß ich mich soviel als möglich zurückhalten werde. Sie werden keinen Grund haben, unzufrieden mit mir zu sein.«

»Jedenfalls sind Sie weiterhin mein Gast. Wenn für so viele gekocht wird, bleibt für Sie auch noch ein Teil. Also darüber sind wir im klaren. Es ist gut, daß Sie Vertrauen haben und mir sagen, was Sie bedrückt. Ich habe auch zu Ihnen festes Vertrauen.«


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