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Allmählich stellte sich doch wieder ein recht gutes, vertrauensvolles Verhältnis zwischen Ezard und Galeide her, welches zum Unterschiede gegen früher nur der stürmischen Leidenschaft entbehrte; denn Ezard unterdrückte sie, mehr aus Zartheit als aus Stolz, und Galeide empfand sie nicht mehr, oder, wie es mir zuweilen scheinen wollte, wagte nicht mehr sie zu empfinden, wenn sie davon überkommen wurde. Aber die unveränderliche, überzeugte Zuneigung und die grenzenlose Verehrung, mit der sie zueinander aufblickten, war, wenn nicht ebenso hinreißend, doch reichlich so wohltuend, und erfüllte vor allen Dingen mit der Zuversicht, es handle sich hier doch um etwas Dauerndes, Unzerstörbares. Galeide machte von sich aus den Vorschlag, daß die Heirat früher stattfände, als ursprünglich beabsichtigt gewesen war. Auf kirchliche Trauung sollte unter den obwaltenden Umständen verzichtet werden, und der Urgroßvater sollte nicht eher etwas davon erfahren, als bis alles fertig und abgeschlossen sei.
Ezard schien sich an dieser Aussicht zu verjüngen und zu kräftigen. Es entging ihm durchaus nicht, daß Galeide bei diesem Vorschlage weniger von eigener Sehnsucht bewogen gewesen war, als daß sie seinem Wunsche zuvorkommen wollte, besonders aber hoffte, daß sich das alte Verhältnis am ehesten wieder ganz in der alten Weise herstellen würde, wenn sie erst Mann und Frau wären. Und das war auch seine Zuversicht; er war fest überzeugt, daß seine Liebe alles Fremde und Kranke vertilgen und auslöschen könnte, wenn er Galeiden erst ganz für sich hätte. Er drängte seine Gefühle nicht mehr zurück, die erlöschte Leidenschaft flammte freudig auf und durchleuchtete ihn ganz, so daß er an glühender Schönheit wieder sich selbst glich, wie er früher gewesen war, wenn er frevelnd aber beseligt die Blüten seines Glückes vom Abgrunde her wegriß. Das hatte auch auf Galeiden Einfluß; denn obwohl sie die zarte Größe, mit der er sein Gefühl entsagend zurückhielt, verstanden und bewundert hatte, bedurft hatte sie vielleicht einer wilderen, rücksichtsloseren Art, die sie wie ein Sturm mitgerissen hätte, ohne zu fragen, ob es ihr gefällig sei. Mit der Hoffnung kam ihm die Lust und die Kraft dazu wieder. Er fing sogar an, häufig von Gaspard zu sprechen, sagte, er würde ihn gerne wiedersehen und sei niemals böse auf ihn gewesen, denn das sei ja natürlich, daß jeder, der Galeiden kenne, sie liebe; Gaspard habe ihm damals, als Junge, gut gefallen, und es sei möglich, daß er sogar Galeide zu besitzen mehr verdiene als er selbst, wenn ihm nicht die Übermacht seiner Liebe das größte Anrecht auf sie gäbe. Er sagte, daß er sich wirklich überlegt habe, ob er auf Galeiden verzichten solle, damit sie ihrer Phantasie, Laune, Liebe oder was es sei, folgen könnte; denn sie hätte vielleicht doch glücklich werden können, soviel Kraft, Ursprünglichkeit und Gesundheit sei in ihrer Natur. (Die Gesundheit ist des Teufels! dachte ich.) Aber soviel er mit sich gerungen habe, er habe es nicht über sich gewinnen können; er sei doch noch zu jung, um zu leben und sie zu sehen, wenn sie nicht sein wäre, und der Gedanke, daß ein anderer ihr das sei, was er ihr einst gewesen, würde ihm nicht nur das Leben, sondern auch das Sterben unmöglich machen; außer wenn er sie mit sich hinunter in die Erde nehmen könnte, und das würde er denn auch wohl tun.
Galeide sah ihn mit ihrem allerglücklichsten und unschuldigsten Gesicht an und sagte: »Ja, ja, das müßtest du tun! Wenn ich einen andern liebte, dann müßtest du mich töten, damit ich mir nicht selbst zum Abscheu würde und unserer Liebe nichts zu Leide geschähe. Aber es wäre zu schrecklich, wenn ich einen andern lieben müßte.« Es überlief sie ein Schauer bei diesen Worten, woran Ezard aber in seiner wundervollen Sicherheit gar keinen Anstoß nahm, sondern er zog sie an sich und sagte lustig: »Ja, dann töte ich dich, und du tötest mich. Aber dahin lasse ich es nicht kommen. Ich will dir schon zeigen, wen du zu lieben hast: mich, mich, mich bis ans Ende deiner Tage!« - »Ja dich, dich, dich bis ans Ende meiner Tage!« wiederholte Galeide strahlend, und nun standen sie wieder einmal zusammen wie zwei, die nicht der Zufall, sondern die wählende Hand der allweisen Natur einander an die Seite gestellt hat unzertrennlich.
In diesen Tagen spielte Galeide in einem Wohltätigkeitskonzerte, wozu sie sich, da sie nun auch wieder tätiger war, sehr gründlich vorbereitet hatte; der ungeteilte Erfolg, den sie errang, war wohl verdient. Das Konzert fand in der Kirche statt, ein Umstand, der alles theatralische Wesen, Aufputz, lauten Beifall verbot. Indessen so kindlich sich meine Schwester an Kundgebungen der Anerkennung erfreute, konnte sie ihrer doch völlig entraten in den Augenblicken, wo ihre Seele ganz der Kunst hingegeben war, die sie ausübte. Sie wußte nichts davon, wie hingegeben die Zuhörerschaft ihrem Spiele lauschte; dazu hingen alle Augen mit Wohlgefallen an den sanft sich einschmeichelnden Linien ihrer liebenswürdigen Erscheinung. Ezard, der Urgroßvater und ich waren in der Kirche; es fiel mir auf, daß man uns mit auserlesener Achtung grüßte und Platz machte, und es erfüllte mich mit Genugtuung, daß wir es wieder dahin gebracht hatten. War das auch vor allen Dingen Ezard zuzuschreiben, so hatte doch auch Galeide Anteil daran, die ehemals den Tadel und die Schmähsucht derselben Leute auf sich gezogen hatte, deren Herzen sie jetzt mit ihrer süßen Kunst bewegte.
Bald nachher bekam Galeide eine ehrenvolle Aufforderung, in der Hauptstadt unseres Reiches zu spielen, was für sie mit der Aussicht auf Weiterkommen und steigende Erfolge verbunden war; denn die Anerkennung feuerte sie auch wieder an, sich ihrer immer würdiger zu machen. Ezard drängte dazu, daß sie die Künstlerlaufbahn fest ins Auge faßte, da er durchaus nicht wollte, daß die Ehe zu einer Fessel für ihren Genius würde, den niemand inniger bewunderte als er. Auch durfte er das wohl wagen, weil sie keinen übermäßigen Hang für ein rauschendes Weltleben hatte, sondern stets froh war, wenn sie sich wieder an den heimatlichen Herd schmiegen durfte. So freute er sich ihres feurigen Ehrgeizes als eines Zeichens zurückkehrender Zufriedenheit und Kraft, was er in der Tat war. Der Urgroßvater überließ sich den überschwenglichsten Träumen und beschäftigte sich mit der Ausmalung von Galeidens Zukunft in einer Weise, die man bei seinem hohen Alter als ein Übergehen ins Kindische aufzufassen geneigt sein konnte. Immerhin konnte er noch oft jene bestechende, geistreiche Liebenswürdigkeit entfalten, mit der er alle Menschen für sich einnahm; er war noch so regsam wie je und las mit ungeschwächtem Eifer die neuesten Erscheinungen auf schöngeistigem Gebiete. Aber hie und da erschien er mir alt, alt. Häufig konnte er sich auf das Gestrige nicht besinnen, während die entfernte Vergangenheit ihm beständig gegenwärtig war. Es kam mehr und mehr vor, daß er uns mit den vorangegangenen Geschlechtern verwechselte, mich für meinen Vater ansah und Galeiden für unsere Mutter, oder von den Toten als von Lebendigen sprach. Das Blinde und durchaus Unvernünftige in seiner Liebe für Galeiden (und auch für mich) reizte mich oft zum Widerspruch; aber hernach machte ich mir stets meine Unduldsamkeit zum Vorwurf. Denn die kindliche Zähigkeit, mit der er in seinem Alter noch der Erde und allen ihren Schwächen und Vorurteilen angehörte, forderte doch, selbst wenn sie die Ursache von Unbequemlichkeiten für uns wurde, zur Bewunderung seiner unerschöpflichen Kraft auf. Und für was sonst hatte er sie im Grunde verwendet als für das Glück seiner Kindeskinder, die sein eigensinniges Herz sich ausgewählt hatte, nämlich für meins und vor allem Galeidens. Es war kein Wunder, daß er nun triumphierte. Denn wir glaubten alle, jeder auf seine Weise, es erreicht zu haben, das Glück.
Deutlich entsinne ich mich des Tages, wo ich unter dem übervoll blühenden Fliederbaum an der Pforte unseres Gartens stand und gedankenlos hinausschaute, als der Briefbote vorüberging und mir einige Briefe reichte. Darunter war einer für Galeiden. Ich kannte die Handschrift nicht und betrachtete die etwas kindischen, ordentlichen Buchstaben, ohne mir etwas Besonderes dabei zu denken. Als ich aber den Poststempel ins Auge faßte und sah, daß er den Namen des Ortes trug, in dem Luciles Mutter wohnte, stand es mir sogleich fest, daß er von Gaspard sein müsse, und eine unbehagliche Empfindung überlief mich. Ich schob die Briefe in meine Tasche und ging im Garten auf und ab, indem ich überlegte, ob es nicht richtig gehandelt sein würde, wenn ich das Geschreibsel des Gaspard für mich behielte, vielmehr kurzweg ins Feuer würfe. Meine Natur war nun aber so, daß ich vor einer kleinen, unerlaubten Geschmacklosigkeit, wie etwa nur eine einzige Seite eines nicht an mich gerichteten Briefes zu lesen, oder einen solchen zu unterschlagen, ängstlicher zurückbebte als vor dem Gedanken an eine scheußliche Freveltat. Auch sagte ich mir, daß von Galeidens Ruhe und Glück nicht viel zu halten sei, wenn es durch ein paar Federzüge dieses verwünschten Burschen zu nichte gemacht werden könnte, und daß es insofern sogar besser wäre, es käme gleich an den Tag, was für eine Bewandtnis es eigentlich damit habe. Ich rief also aus dem Garten zu Galeidens Fenster hinauf, daß sie herunterkommen möchte, da der Abend schön sei. Als ich sie die steinerne Treppe hinunterschreiten sah, lächelnd, in ihrer friedlichen, träumerischen Anmut, gereute es mich wieder, daß ich ihr den Brief geben wollte, und ich erschien mir selbst wie ein rechter Übeltäter und feindlicher Zerstörer. Da ich mich nun aber einmal zu nichts anderem entschließen konnte, wollte ich es wenigstens auf die beste Weise angreifen und sagte neckend und mit gutem Humor, nun trete leider der unerwünschte Kasper wieder auf, seine Handschrift sei so täppisch wie er selbst, der Inhalt des Briefes würde vermutlich ebenso sein, sie möchte ihn nur gleich in meiner Gegenwart lesen, damit ich es ihr beweisen könnte, wenn sie es etwa nicht selbst sofort einsähe. Galeide war erst ganz rot und dann ganz weiß geworden, und das Lachen, das sie versuchte, kam nicht ganz frei heraus. Ich glaube, daß sie den Brief gern allein gelesen hätte; dennoch erbrach sie ihn, überflog ihn mit einem Blick und sagte mit erzwungener Unbefangenheit: »Er schreibt, daß er uns in nächster Zeit besuchen will. Das hat gefehlt! Nun, er kommt gerade zu unserer Hochzeit.« Ich gab mir gleichfalls Mühe zu tun, als ob nichts Arges im Spiele sei und sagte: »Nichts da! Ich will deutsch sprechen in meinem eigenen Hause. Wir schreiben ihm ab. Er ist mir ein Dorn im Auge und seine Flöte ein Stachel im Ohre. Außerdem geht dann wieder der Wahnsinn und die Hexerei und Bezauberung an, was ich einmal mit ansehen mußte, aber nicht ein zweites Mal erleben möchte. Er soll da bleiben, wo er gewachsen ist, und wo man mit ihm einmal fertig werden muß.« Galeide lachte hierüber aufrichtig und sagte: »Ja, es wäre das beste ihm abzuschreiben. Aber,« fügte sie gesenkten Hauptes hinzu, »ich glaube, er kommt doch.« Ich dachte, sie schlösse das aus dem Inhalte seines Briefes und erkundigte mich, ob er sich etwa erfrecht habe, eine Art von Anrecht auf sie geltend zu machen. Sie sagte nein, übrigens könne ich den Brief lesen, er sei ganz förmlich gehalten. Allerdings war das Schriftstück ganz trocken, ja kalt abgefaßt, aber es war trotzdem noch etwas anderes darin, was der vermaledeite Kauz auf die seltsamste Weise hineinzubringen gewußt hatte, etwas Unausgesprochenes, Verhaltenes, Verwirrendes, was das Gemüt eines verblendeten Mädchens weit mehr beängstigen mußte, als ein offenes Liebeswort es vermocht hätte. »Er schreibt gerade so vertrackt, wie er ist,« sagte ich ärgerlich, indem ich Galeiden den Brief zurückgab. »Ja,« sagte sie, »man sieht ihn gleich vor sich mit der Feder in der kleinen trotzigen Faust.« Diese Bemerkung war mir unlieb und noch mehr das entzückte Lächeln, das dabei über ihr Gesicht glitt; sie schien das auch zu bemerken, begann schnell von etwas anderem zu sprechen und ging dann ins Haus, ehe ich noch einmal zu Worte kommen konnte.
Als wir drei, der Urgroßvater, sie und ich uns beim Nachtessen zusammenfanden, bedeutete mir Galeide durch einen Blick, nichts von Gaspards Brief zu sagen, worin ich ihr willfahrte, obgleich ich es für ein böses Zeichen ansah. Sie war sehr blaß und aß keinen Bissen; dagegen sprach sie hastiger, als sonst ihre Art war. Sie schien sichtlich erleichtert, als der Urgroßvater sich bald auf sein Zimmer zurückzog, und forderte mich auf, ihr etwas vorzuspielen, worauf wir uns ins Musikzimmer begaben und ich anfing, auswendig zu spielen, ohne daß wir Licht anzündeten. Die hohen Fenster des Saales standen offen, und warme Lüfte, nicht stärker als das Fächeln eines Vogelsittichs, wehten den Duft der zahlreichen, im Garten blühenden Büsche herein. Ich spielte einige volkstümliche alte Weisen, von denen ich mich erinnerte, daß Galeide sie seit unserer Kindheit besonders gern gehört hatte. Darüber hatte ich des unglücklichen Zwischenfalls vom Nachmittage fast vergessen, als plötzlich ein Laut aus Galeidens Kehle, der halb wie Schluchzen halb wie Stöhnen klang, mich bewog, nach ihr hinzusehen. Sie saß in der Fensterbank, welches von jeher ihr Lieblingsplatz gewesen war, hatte den Kopf gegen das Fensterkreuz gestützt und rang die Arme mit so verzweifelter Gebärde, daß die weiten Ärmel davon zurückgefallen waren und sie ganz sehen ließen; ihre außerordentliche Weiße schimmerte marmorhaft durch die Dunkelheit. Ich rief erschrocken ihren Namen und eilte auf sie zu. »Ludolf,« sagte sie, als ich dicht neben ihr stand, »es nützt nichts es zu verbergen, und ich kann es auch nicht. Siehst du, es mag Wahnsinn oder Phantasie oder Krankheit oder was du willst sein, was hilft das, da es dennoch da ist? In dem Augenblicke, als ich Gaspards Handschrift sah, war es mir wieder gerade so, wie es damals war, als ich ihn täglich sah. Ich weiß, daß ich ihm jetzt Leib und Seele schenken würde, wenn er hier vor mir stände. Es ist alles aus. Ich bin verloren.« - »Ich wußte es wohl,« sagte ich außer mir, »ich bemerkte es gleich. O verflucht diese Leroy! Sie sind unser Unsegen gewesen. Wie ist es möglich! Aber ich werde ihm schreiben, dem Unglücksraben, daß er sich nicht einfallen lassen soll, hierher zu kommen!« Da rief Galeide ängstlich: »Nein, nein, was hülfe denn das? Kann ich denn Ezards Frau werden, jetzt, so hoffnungslos verzweifelnd, während ich früher die ewige Seligkeit darum gegeben hätte? Ich möchte ihn noch einmal sehen, und dann laßt mich sterben; etwas anderes weiß ich nicht mehr.« - »Das wäre vielleicht wirklich das beste, wenn er käme,« sagte ich, »wenn auch aus einem anderen Grunde. Denn wenn du ihn siehst, wirst du inne werden, wie deine Phantasie ihn inzwischen ausgeschmückt und verschönert hat. Und wenn du ihn gar neben Ezard siehst, wird dein Herz schon zu Verstande kommen und Edelstein von Kiesel unterscheiden lernen.« Sie wehrte sich nicht gegen den Vergleich, sondern schüttelte nur traurig den Kopf. Nachdem sie eine Weile in den blassen, warmen Garten hinausgestarrt hatte, fuhr sie plötzlich zusammen und sagte hastig halblaut: »Wie oft ging ich da mit Ezard in Sommer- und Winternächten. Da waren wir so unglücklich und doch so glücklich! So unbeschreiblich glücklich. Ich weiß es noch, aber ich kann es nicht mehr fühlen. Damals wußten wir, daß wir große Sünde taten, aber wir fühlten es nicht. Ich schwöre dir, wir fühlten es nie, wie hätten wir es sonst tun können? Und es war alles umsonst!« Sie sprang von ihrem Sitz hinunter und ging im Zimmer hin und her, bald die Hände krampfhaft gegen den Kopf pressend, bald die Arme reckend, als wolle sie aus sich selbst heraus, so daß es wie theatralisches Wesen hätte erscheinen können, wenn es nicht deutlich als bewußtloses Zeichen wahrhafter und berechtigter Verzweiflung wahrzunehmen gewesen wäre. Plötzlich ging sie auf mich zu, und indem sie ihre eiskalte Hand auf meine legte, sagte sie bittend: »Geh und hole Ezard! Hol ihn, bitte! Mir ist so unsäglich bange. Ich halte es nicht aus.« Dies Auskunftsmittel leuchtete mir ein, und ich machte mich sogleich auf, Ezard herbeizuholen, so schwer es mir auch wurde, ihn von allem in Kenntnis zu setzen, was bei uns vorgefallen war.
Er erschrak noch viel mehr, als ich erwartet hatte. Alle Lebensfarbe wich von ihm, und ich war auf einmal überzeugt, wie Galeide, daß nun wirklich alles verloren sei. Wir gingen den kurzen Weg bis zu unserem Hause stumm nebeneinander her. Als wir den Musiksaal betraten, der noch dunkel war, wie ich ihn verlassen hatte, raffte sich Galeide vom Teppich auf, wo sie gelegen haben mußte, flog auf Ezard zu und zog ihn in einen Sessel, kniete neben ihm nieder und drängte sich dicht an ihn. Sie sagte nichts, als daß sie mehrmals schnell seinen Namen wiederholte wie eine Beschwörung. Nach einer Weile sagte Ezard: »Galeide, ich kann dich keinem anderen lassen. Ich kann es nicht. Bitte mich nicht darum, ich kann es nicht.« Sie erwiderte: »Das sollst du ja nicht! Ich rief dich ja deshalb, daß du mich nicht verläßt. Halte mich fest! Verlaß mich nicht! Mir ist so bange!« - »O Galeide,« sagte er mit einer Stimme, die schwer von Tränen zu sein schien, »kannst du denn wirklich einen anderen lieben! Es ist ja nicht möglich! Du vergißt deinen Ezard! Es ist nicht möglich.« Nun stöhnte Galeide laut und rief: »Ich weiß nicht, ob es Liebe ist oder was sonst, aber ich kann ihm nichts zuleide tun! O töte mich, Ezard, hilf mir und töte mich!« Er faßte sie bei den Schultern und sah ihr lange ins Gesicht, dann ließ er die Arme sinken und sagte: »Ich Elender, auch das kann ich nicht. Ich kann dich nicht töten!« Galeide drängte sich dichter an ihn und sagte halblaut: »Aber wenn du mich neben ihm sähest, könntest du es dann? Ja, dann könntest du es!« Während er entsetzt schwieg, trat ich auf die beiden zu, denn es graute mir vor dieser Unterhaltung, und sagte: »Ihr denkt stets nur an euch. Bedenkt auch uns. Galeide, du mußt deinen Wahnsinn bezwingen.« - »Ja,« sagte sie demütig, »das müßte ich, aber ich fühle, daß ich nicht kann. Ich kenne mich zu gut; es könnte kommen, daß ich ihn heiratete. Möchtet ihr ein so schmähliches Ende erleben? Sieh, Ezard, und wenn ich einen anderen auch noch so sehr liebte, du bleibst mir immer das Höchste, und du sollst nichts Niedriges durch mich zu leiden haben. Wenn ich stürbe, das könntest du ertragen, und du, Ludolf. Es ist mir weniger um euch, als um den Urgroßvater. Er hätte das nicht mehr erleben sollen.« Wir saßen eine Weile stumm im Dunkeln nebeneinander. Die Mitternacht war vorbei als ich fortging, während die beiden noch im Saale blieben. Viel später hörte ich Galeiden in ihr Zimmer gehen. Ich atmete auf, als ich sie am anderen Morgen wiedersah; denn die ganze Nacht hatte mir eine Angst auf der Brust gelegen, als würde ich sie nicht lebend mehr erblicken.
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