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Wie er nun aber kam, kam er doch überraschend. Es war das Ärgste, das was mir graut, erlebt zu haben. Galeide wollte fort, und es traf sich, daß ihr auch eine gute Gelegenheit dazu geboten wurde. In Genf nämlich, wo sie wohlwollende Freunde hatte, bot man ihr einen Platz als Violinistin im Orchester an, der ihr zunächst, wenn auch keine rühmliche, doch eine ehrenhafte Unterkunft wäre. Es blieb ihr in dieser Stellung Zeit, sich noch weiter zu vervollkommnen, so daß sie eine höhere Laufbahn, für die sie nach allgemeinem Urteil geschaffen war, deshalb keineswegs aufzugeben brauchte. Sie sagte sogleich zu, da sie die Stadt Genf und ihre Bewohner liebgewonnen hatte und die Ruhmbegierde, die etwa in ihr war, mit starker Geduld zu verbinden wußte, anderseits weil es ihr den Vorwand gab, den sie suchte, den Urgroßvater und die Heimat überhaupt zu verlassen. Der Urgroßvater fügte sich auch schneller hinein, als wir gedacht hatten, machte aber zur Bedingung, daß Galeide nicht eher ginge, als es zum Antritt der Stelle, der auf Ostern gewünscht wurde, nötig sei. Das wurde so festgesetzt. Sogleich aber bemächtigte sich Ezards und Galeidens wieder das Gefühl, als sei diese Frist ein Gnadengeschenk, das ausgekostet werden müsse, wie ein zum Tode Verurteilter die letzte Nacht durchjubelt, in der der Henker ihm alle Wünsche erfüllen muß.
Eines Tages rief mich Lucile durch einen Brief zu sich. Ich begab mich mit den unbehaglichsten Vorgefühlen zu ihr, die sich auch als berechtigt erwiesen; denn sie empfing mich im Zustande großer Erregung und teilte mir mit, daß Ezard sie von seinen Beziehungen zu Galeide in Kenntnis gesetzt und sie gebeten habe, auf eine Scheidung von ihm einzugehen. Ich fühlte mich fast erleichtert, daß Ezard nun das Netz von Trug und Verrat zerrissen hatte, zumal, da ich das Zutrauen in ihn setzte, er würde einen solchen Schritt auch zu Ende führen können, ohne daß sein Ansehen und das unserer Familie überhaupt darunter litte. Ich mußte aber sogleich sehen, daß keine Hoffnung war, Lucile würde die Hand zu einer gütlichen Lösung bieten. Sie habe, sagte sie, Ezards Spiel schon viel länger durchschaut, als er geahnt und gewollt hätte (was sie wohl nur sagte, um nicht als eine trübselige, betrogene Frau dazustehen). Er habe gearbeitet, gespart und sich gequält, um genug Geld zu erwerben, womit er sich von ihr loskaufen könnte. Inzwischen habe er sie hingehalten und sie über die Wirklichkeit zu täuschen gesucht, damit es nicht eher zu einer Auseinandersetzung käme, als bis er sich unter Wahrung der äußeren Ehre (dadurch nämlich, daß er ihr so viel Glück wie Reichtum verschaffen könne, als Entgelt gäbe) von ihr trennen könnte. Nun sei dieser Zeitpunkt gekommen. Aber er habe sich in ihr verrechnet. Sie sei nicht so geartet, sich zu opfern, damit zwei verräterische Herzen ein unverdientes Glück einheimsten. Sie habe aufgehört Ezard, wie überhaupt jeden Mann, zu achten, er sei für sie nichts. Aber ihren Kindern wolle sie den Vater erhalten, Überhaupt sei es gegen ihre Grundsätze, zur Auflösung einer Ehe, die von Gott eingesetzt und heilig sei, die Hand zu bieten. Die Fessel sei für sie so qualvoll wie für ihn, aber sie werde sie tragen, weil sie es vor Gott geschworen habe.
Alle diese Dinge entsprachen zwar ganz ihrer Art; ich sah aber doch noch etwas anderes dahinter, was auch völlig ihrer Natur gemäß war, nämlich, daß sie von Ezard nicht lassen wollte, weil sie ihn trotz allem so heiß wie je oder noch mehr liebte, und daß sie alle anderen Gründe, weswegen sie ihn nicht freigeben wollte, mir vorschob, um nicht sich, geschweige den anderen, das erniedrigende Geständnis dieser Schwäche (denn dafür sah sie es an) machen zu müssen. Gerade das aber überzeugte mich, daß Ezards Sache hoffnungslos war; denn Gründe hätte man allenfalls widerlegen oder doch beschwichtigen können, aber gegen den blinden Willen, ihn einfach zu haben und zu behalten, ließ sich nichts ausrichten, wenn nicht durch ein Wunder sie selbst davon befreit wurde. Ich versuchte aber doch, mich mit ihr über die Angelegenheit auszusprechen, wobei ich zwar Ezard und Galeiden nicht entschuldigte, aber doch insofern ihre Partei ergriff, als ich sagte, es sei nun einmal so und ließe sich nicht ändern, und es sei doch immer besser, wenn zwei glücklich, als wenn drei unglücklich würden; übrigens könne man mit Sicherheit voraussetzen, daß auch sie selbst sich zufriedener als vorher fühlen würde, wenn sie eine so qualvolle und unwürdige Stellung, wie ihre jetzige sei, freiwillig aufgegeben habe. Aber wie ich ihr so zuredete, regte sie sich immer mehr auf an dem Gefühle, ich wollte ihr Ezard entreißen, und fing an ihre Gründe und Grundsätze mit ihrer Liebe durcheinanderzuwerfen, sagte auch nun, daß sie Ezard vor Galeiden beschützen müsse, die ihn doch nur unglücklich machen würde, indem ihr alle echt weiblichen Tugenden abgingen, auf die Ezard gerade großes Gewicht lege, und was dergleichen mehr war. In höchster Erregung rief sie zuletzt aus, Ezard möge anstellen, was er wolle, sie werde ihn niemals freigeben, ausgenommen vielleicht, indem sie ihn für immer verließe, das heißt den Tod suchte; wenn er und Galeide es dann wagen wollten, sich über ihre Leiche weg bei den schuldigen Händen zu fassen, möchten sie es tun; die Strafe würde nicht ausbleiben. Mir wurde bange, denn ich traute ihr wohl zu, daß sie allen ihren Grundsätzen zuwider Hand an sich legte, wie etwa ein trotzendes Kind, das von den Eltern allzuhart bestraft ist, sich krank stellt, damit sie einen Schrecken davon hätten. Dabei empfand ich ihre Verlassenheit und ihr Unglück wohl lebhaft, aber mehr mit dem Verstande als mit dem Herzen, so daß ich, so gern ich ihr auch gerecht geworden wäre, mehr ihr Gegner als ihr Freund scheinen mochte; im Grunde war ich keines von beiden.
Galeide, der ich alles dies und meine Meinungen und Befürchtungen mitteilte, schien von uns allen noch am meisten Liebe für Lucile zu haben, vielleicht auch deshalb, weil sie sie so in der Erinnerung hatte, wie sie gewesen war, ehe die bösen Erfahrungen ihre Seele verbittert und ihre Züge verschärft hatten. Übrigens sah Lucile keineswegs gealtert oder unschön aus, vielmehr hatte ihr die Zierlichkeit des Wuchses etwas Kindliches gelassen, wozu ihre großen, sehr feurigen Augen einen reizvollen Gegensatz bildeten. Es fehlte aber an ihr die Harmonie, die ein Fertiges und Ganzes an sich hat; die hatte Galeide, und daher konnte sie solche Ruhe und Zufriedenheit einflößen, als sei nichts mehr zu wünschen auf der Welt, ausgenommen der eine Wunsch, immer in ihrer Nähe sein zu dürfen.
Galeide und Ezard und ich hatten niemals über diese Verhältnisse, und was zu tun und zu hoffen sei, miteinander gesprochen. Eines Abends fuhren wir in einem Kahn auf dem Flusse, an dem unsere Stadt liegt; es war warm und dunkel, und wir ruderten langsam. Einmal hörten wir ganz auf, so daß das Boot sich nur leise schaukelnd hin und her bewegte, und sahen, jeder seinen Gedanken nachhängend, in die schwarzgrüne Tiefe. Galeide sagte: »Bald werde ich wieder in den blauen See von Genf sehen. Wäre ich nur erst dort, daß es vorüber wäre« (womit sie die Pein des Abschiednehmens meinte). »Diesmal trennen wir uns nicht so lange,« sagte Ezard. »Es ist mir, als wäre unser Glück und unsere Liebe etwas Heiliges, für das ich einzustehen hätte. Unser Stern wird siegen, ich weiß es bestimmt.« Galeide, deren weißes Gesicht ich von meinem Platze aus sehen konnte, erwiderte nichts, sondern schüttelte langsam und traurig den Kopf, lächelte aber zugleich, als gedächte sie doch des Glückes, das sie genossen hatte und das, wenn auch dem Schicksal frevelnd abgerungen, doch Glück gewesen war wie jedes andere. Ich sagte wehmütig: »Wenn ich denke, daß es mir wie gestern scheint, als Galeide und ich zum ersten Male heimlich (denn unser Vater wollte nichts davon hören aus Angst, daß uns etwas zustoßen könnte) auf diesem Flusse ruderten, und daß doch jetzt die schöne Zeit der Hoffnung, die man Jugend nennt, bald völlig hinter mir liegt, so begreife ich nicht, warum man sich mit Sehnen, Streben und Leiden um wirkliche oder vermeintliche Güter quält; denn so oder so geht doch alles vorüber wie ein Traum.« - »Ja,« entgegnete Ezard mit fester Stimme, »allzuschnell geht das Leben hin. Darum sollte man so wenig Zeit wie möglich mit Warten zubringen, sondern sein eigenes Schicksal sein. Man hat nur ein einziges kurzes Leben, darum ist es keine Kleinigkeit, auf welche Art es verläuft. Mein Glück, das ich haben könnte, ist mein Recht. Ich darf es erkämpfen.« Diese Worte mußten uns allen unheimlich geklungen haben, denn keiner von uns sagte noch etwas, sondern wir griffen schweigend nach den Rudern und fuhren ohne anzuhalten nach dem Landungsplatze zurück.
In diesen Tagen hatte man wieder einige Cholerafälle beobachtet, was uns aber diesmal nicht unvorbereitet traf, denn die Ärzte hatten von Anfang an darauf hingewiesen, daß die Seuche sich im Frühling wieder zeigen könnte. Man hatte jetzt genug Erfahrung, um die Fassung nicht so geschwind zu verlieren, jedermann war sogleich wieder an seinem Platze, und auch Ezard nahm seine Tätigkeit in der früheren Weise wieder auf. Man sprach weniger als im vergangenen Jahre davon, und im Grunde hatte niemand persönliche Angst; nun aber ereignete es sich, das Luciles kleines Mädchen heftig erkrankte. Eva und Galeide waren sofort zur Hilfe bereit, Galeide aber wurde, wie es nicht anders zu erwarten war, mit Schärfe zurückgewiesen. Alles entwickelte sich so schnell, wie ich es nicht zu schildern vermag. Lucile war völlig außer sich, sie wollte von niemandem Trost und Zuspruch annehmen. Das Kind von sich zu lassen, weigerte sie sich, so blieb es im Hause, ohne daß ein Arzt zugezogen wurde, was freilich auch nicht nötig war, da Ezard genau von allem unterrichtet war, was man zur Linderung und überhaupt zur Bekämpfung der Krankheit anwenden konnte. Das Kind starb noch an demselben Abend. Eva kam zu uns, da sie es aufgegeben hatte, gegen Luciles leidenschaftlichen Jammer irgend etwas auszurichten. Sie war in nicht geringer Besorgnis, denn die Bedauernswerte weigerte sich, das tote Kind aus den Armen zu lassen und war auch nicht zu bewegen, die allgemein üblichen Vorsichtsmaßregeln zum Schutze der eigenen Gesundheit zu gebrauchen. Ich fragte, meinen Gedanken nachhängend, wo Ezard sei, und was er dabei tue. »Ja, Ezard! Er sollte sie nicht gewähren lassen, er sollte sie zwingen, sich zu beherrschen. Aber ihr wißt ja, wie sie miteinander stehen. Ich kann nichts dazu tun.« Galeide, die bei unserem Gespräch anwesend war, wurde totenbleich, und ich bildete mir ein, ich könnte sehen, wie sie zitterte. Als Eva fort war, fragte ich Galeiden: »Galeide, was denkst du?« Sie sah mich mit einem großen Blick an und sagte: »Ich denke: wenn sie nun krank würde und stürbe! Du weißt doch, daß das für uns Glück und Rettung wäre. Wenn ich also mein Herz gewähren ließe, müßte ich es wünschen. Das ist entsetzlich sich zu sagen.« Mir graute es. Nicht lange darauf schickte Ezard, daß ich kommen solle, da Lucile krank sei und nach mir verlange. Ich sah Galeiden an. »Geh zum Urgroßvater,« sagte ich, so zum Erschrecken sah sie aus. Sie schüttelte den Kopf: »Komm bald wieder,« bat sie tonlos.
Lucile lag im Bett; ihre großen Augen richteten sich gleich auf mich, als ich eintrat, sie sah in diesem Augenblick nicht sehr entstellt aus. Sie wollte mir wehren, daß ich nah zu ihr herankäme, aber ich setzte mich trotzdem auf einen Stuhl, der dicht neben ihrem Bett stand, was mich keinerlei Überwindung kostete, denn es kam mir kein Gedanke an Vorsicht oder Gefahr in meiner Erregtheit. Sie winkte Ezard, daß sie mit mir allein sprechen möchte, worauf er das Zimmer verließ. »Ludolf,« sagte sie, »willst du dafür sorgen, daß meine Mutter und mein Bruder nie erfahren, daß ich den katholischen Glauben abgelegt habe?« Ich hatte erwartet, daß sie von weit peinlicheren Dingen mit mir sprechen würde, und indem ich mich erleichtert fühlte, wuchs sogleich (so selbstsüchtig ist der Mensch) meine Zuneigung für sie, und ich sagte so herzlich ich konnte: »Ich will dafür sorgen, daß sie es nicht erfahren. Aber nicht wahr, dich quält es doch nicht, daß du es tatest? Denn du handeltest im guten Glauben, und den wird Gott ansehen, wenn es einen Gott gibt.« Ich sah nun, wie sehr das unglückliche Geschöpf teilnehmende Zärtlichkeit entbehrt haben mußte, denn der innige Ton meiner Worte rührte sie sogleich bis zu Tränen. »Weißt du, Ludolf,« sagte sie schluchzend, »daß mein Kind tot ist? Das einzige Wesen auf Erden, das mich liebte und nötig hatte! Wäre ich zu Hause geblieben, o wäre ich zu Hause geblieben!« Diese einfache Klage schnitt mir ins Herz, und eine große Bangigkeit überkam mich wegen unserer Härte und Lieblosigkeit gegen das fremde Mädchen, die wir vielleicht nie wieder gutmachen konnten. Indem ich mich über sie beugte, um ihr freundlich zuzureden, bemerkte ich an einem krampfhaften Zucken in ihrem Gesichte, daß die Krankheit sie wieder packen zu wollen schien. Voller Schrecken fuhr ich auf, um Ezard herbeizurufen, aber sie hielt mich mit einem flehenden Blick zurück und sagte mühselig unter sichtlichen Qualen: »Wenn ich tot bin, Ludolf, bring mich nach Hause. Ich will nicht in euerer Erde liegen, ich will nach Hause.« Ich nickte, aber da ich sah, daß sie eine stärkere Bestätigung wünschte, sagte ich laut: »Ja Lucile, ich will dich nach Hause bringen, wenn du stirbst, dich und dein kleines Mädchen. Aber du sollst nicht sterben! Ich rufe Ezard.« Ezard kam in demselben Augenblick ins Zimmer und ordnete schnell einiges an, was Lucile helfen oder doch ihren Zustand erleichtern sollte. Mit meiner Fassung war es nun auf einmal vorbei; der Anblick des gräßlichen Leidens kehrte mir das Eingeweide im Leibe um. Dazu kam noch ein seltsamer Einfall: Ezard nämlich stand zufällig am Fußende von Luciles Bette, und da er in dem halbdunkeln Zimmer sehr bleich und groß erschien, kam mir das Märchen von dem Tod in den Sinn, der sich zu Füßen eines Krankenbettes zeigte, wenn er andeuten wollte, daß der Leidende ihm verfallen sei. Diesen Gedanken konnte ich durchaus nicht verscheuchen, und er erhöhte mein Grauen, was man mir wohl ansehen mochte; denn Ezard flüsterte mir zu, ich möchte in ein anderes Zimmer gehen, helfen könne ich doch nicht, und es sei besser für mich. Ich ging, da ich mich völlig unfähig fühlte, es noch länger in diesem Raume auszuhalten, und setzte mich im Nebenzimmer in einen Sessel; ich schlotterte am ganzen Körper, ohne daß ich es zu ändern vermocht hätte. In dem Zustande von Übelkeit, in dem ich mich befand, glaubte ich die Krankheit schon in mir zu fühlen, wodurch mir immer schlechter wurde, so daß ich mich zuletzt entschloß, das Haus zu verlassen und die frische Luft auf mich wirken zu lassen. Es wurde mir, nachdem ich einige Straßen durchlaufen hatte, wirklich etwas besser, und nach etwa einer halben Stunde gewann ich es über mich, in Ezards Haus zurückzukehren.
Unterdessen war Lucile gestorben. Mein Erschrecken war so groß, daß Ezard, welcher selbst vollkommen ruhig war, mich stützen mußte. Als ich mich etwas gefaßt hatte und ihn betrachtete, schien mir seine Ruhe etwas unnatürlich Starres zu haben. Ich konnte die Augen nicht von seiner furchtbaren Schönheit abwenden. In seinem Gesicht war niemals, wie auch jetzt nicht, irgend ein Zug von Härte oder gar Grausamkeit gewesen, es schien im Gegenteil immer von echtester Güte durchleuchtet zu sein. Was ich eigentlich dachte, vermag ich nicht zu sagen, auch war ich mir meiner Gedanken nur halb bewußt. Indem ich Lucile so starr daliegend betrachtete, verwirrten sich meine Sinne immer mehr: plötzlich war es, als würde alles still in mir, und aus dieser Stille klang es deutlich, als ob eine fremde Stimme in mir spräche: das ist die dritte; diese Worte wiederholten sich in meinen Ohren immer häufiger und schneller, und es schien zuletzt das ganze Zimmer davon zu dröhnen. Ich sah nach Ezard hin, ob er es vernähme, und ich glaubte in seinem Gesicht zu bemerken, daß er horchte, was freilich nur eine Folge meiner erregten Phantasie war. Das indessen war nicht unmöglich, daß er daran dachte. Es auszusprechen, wäre mir unmöglich gewesen. Soweit ich mich erinnere, haben wir überhaupt während der ganzen Zeit kein Wort miteinander gesprochen.
Als ich mich zum Gehen anschickte, sagte Ezard: »Ich will mit dir, ich muß zu Galeiden.« Unterwegs konnte ich mich der gräßlichen Empfindung nicht mehr erwehren, als brächten wir gute Botschaft nach Haus und eine Hoffnung auf bessere Zeiten. Galeide stand aufrecht im Zimmer, als wir eintraten. »Galeide,« sagte Ezard, während er noch in der Tür stand, mit verhaltener Stimme, »sie ist tot.« Gleich darauf stürzten sie einander in die Arme und brachen beide in Tränen aus. Ezard weinte so heftig, als müsse er mit dem Strome seiner Augen Felsen von seinem Herzen wegwaschen; und wirklich wurden seine Mienen plötzlich heller, und seine Haltung veränderte sich wie die eines Mannes, der eine unerträgliche Last auf einen Gipfel zu schleppen hatte und sie nun abwirft, da er oben angelangt ist. Immerhin waren sie beide ernst, und wohl nicht weil sich das für die Gelegenheit ziemte, sondern weil sie so empfanden. Solange ich in Gesellschaft Ezards und Galeidens war, wurde mir auch leichter zu Mute, und ich vergaß meine schreckhaften Phantasien; aber sowie ich allein war und schlafen wollte, stellten sie sich wieder ein, und meine Erregung steigerte sich, als ich auf den Einfall kam, zu dem Rhythmus meines Herzschlages unablässig die Worte: die dritte, die dritte, die dritte in meinem Innern hersagen zu müssen. Ich sah Ezard vor mir als den Tod aus dem Märchen, bleich und rätselhaft und unerschütterlich. - Ob er in Wirklichkeit an jenem Tage des Todes Geselle gewesen ist? Ich weiß, daß er nicht gemordet hat; aber würde ein gerechter Richter sterben lassen nicht auch morden nennen? Es ist vorbei, und keiner denkt mehr daran. Ezard und Galeide sind Staub wie sie, die um ihretwillen gestorben und verdorben ist; anstatt des Glückes, an dessen warme Brust sie sich gewaltsam werfen wollten, umarmten sie den Tod. Diese seltsame Geschichte will ich auf den folgenden Blättern erzählen.
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