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Nichts als ein leises inneres Unbehagen, das ich kaum Ahnung nennen dürfte, trübte mir diese glänzenden Tage. Aber auf einmal änderte sich alles, wie auch in der Natur zuweilen nach Tagen vom blauesten Himmel eines Morgens, ohne daß man ein Vorzeichen beobachtete, die Landschaft weithin grau und lichtlos ist. Galeide lachte nicht mehr, ihre Augen glänzten nicht mehr vor innerer Glückseligkeit, sie tanzte nicht mehr, obgleich kein sichtbarer Grund für ein verwandeltes Betragen vorlag. Es war auch nicht, daß sie sich an der Lust erschöpft hätte und nun ausruhte in einem Winterschlafe der Alltäglichkeit. Sondern es mußte von irgend woher ein Schatten oder Reif auf ihre Seele gefallen sein; und das war es auch, wie ich nun bald erfahren sollte.
Ich war eines Abends noch zu später Stunde im Garten auf und ab gegangen, als meiner Meinung nach alle übrigen im Hause sich bereits zur Ruhe begeben hatten. Da ich aber bemerkte, daß in Galeidens Zimmer Licht war, klopfte ich noch an ihre Tür, um ihr, ehe ich selbst zu Bett ging, gute Nacht zu sagen. Sie ging, als ich eintrat, in dem ziemlich großen Raume rastlos auf und nieder, wie wenn ein böser Dämon hinter ihr wäre, dessen geahnte Nähe sie stets weiter scheuchte, wenn sie etwa stehen bleiben wollte. Sie ließ sich durch mein Eintreten nicht stören, und der Eindruck war umso seltsamer, als sie weiche Schuhe trug, auf denen sie lautlos hin und her glitt, die sie vielleicht angezogen hatte, um niemand zu stören, oder wahrscheinlicher, weil sie sich schon zum Zubettgehen gerichtet hatte, denn ihre Haare hingen aufgelöst herunter. Ich wartete nun, daß sie mir ihr unbegreifliches Benehmen erklärte, was sie auch plötzlich ganz von selbst tat, indem sie, an einem Ende des Zimmers stehen bleibend und mich mit entsetztem Blick ansehend, zu mir sagte: »Ich bin froh, daß du gekommen bist, Ludolf, denn ich kann es nicht länger ertragen. Ich muß jetzt alles sagen, sonst entsteht ein Unglück. Ich kann nicht mehr.« Nach dieser Einleitung war ich auf nichts Geringes gefaßt, und mein Herz begann ängstlich zu klopfen; sonderbar war es, daß ich durch das, was nun kam, sowohl aufs äußerste überrascht war, wie ich auch behaupten kann, daß ich nichts als dieses erwartet hatte. »Weißt du,« sagte sie, »wie ich mich zum Scherz in Gaspard verlieben wollte? Nun liebe ich ihn im Ernste.« Aber gleich nachdem sie es gesagt hatte, widerrief sie es wieder und sagte: »Nein, ich liebe ihn gar nicht. Du weißt ja, daß ich Ezard liebe und nie, nie, nie einen anderen lieben kann. Ich schwöre dir, daß ich Ezard liebe, daß ich nicht anders für ihn fühle, als ich stets gefühlt habe, seit ich ihn liebe. Es ist etwas anderes; Gaspard hat es mir angetan. Ich weiß nicht wie, noch wie das überhaupt möglich sein sollte, aber so ist es, er hat mich behext und bezaubert, anders kann es nicht sein. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen.« Sie war nun nah zu mir hingekommen und setzte sich mir gegenüber auf einen Sessel, indem sie mir inständig in die Augen sah; ich hatte sie noch nie vorher so hilflos rührend gesehen. Mir war nicht anders zu Mute, als sei ein furchtbarer Wetterstrahl aus der Hand des Schicksals herabgefallen; denn obgleich ich mir die Tatsache, daß Galeide den Kasper lieben sollte, nicht erklären konnte, sah ich doch die Verwüstung, die sie bereits angerichtet hatte, klar mit den Augen vor mir. Ich versuchte jedoch mich zusammenzuraffen und verriet nichts von meinem Schrecken, sondern fing mit gutartigem Spott an, weil sie mir dessen am meisten zu bedürfen schien. Sie ging auch gleich darauf ein und lächelte demütig und hoffnungsvoll wie ein Kranker, der eine bittere Arznei schluckt, von der er Heilung erwartet, und fing an ruhiger und zutraulicher weiter zu sprechen, als sei ein Stein von ihrem Herzen und ein Verschluß von ihrer Lippe genommen, des Inhalts: »Ja, das weiß ich alles. Was ist er neben Ezard? Ich hätte ihn nie beachtet, wenn er es mir nicht angetan hätte mit dem standhaften, geheimnisvollen Blick seiner Augen. Und du mußt sagen, daß sie schön sind, diese Glanzsterne von Augen. Er ist eigensinnig und launisch und herrschsüchtig wie ein rechtes Weib, siehst du, das weiß ich alles, ich bin nicht verblendet. Aber so wie er ist, ist er einzig und unvergleichlich. Und die Hauptsache ist, daß etwas in ihm ist, was mich behext. Ich muß beständig nach ihm hinsehen, wenn er da ist und an ihn denken, wenn er nicht da ist, darauf legte er es ab, und ich möchte es ihm vergällen, aber ich kann nicht.« In der Art erzählte sie weiter, totenblassen Gesichts, mit offenen, träumenden Augen, wie eine Nachtwandlerin, und ich konnte mir nicht verhehlen, daß sie mit Haut und Haaren im Wahnsinn der Liebe befangen war, wenn sie es sich auch selbst abstreiten wollte. Immerhin hielt ich es für nicht anders möglich, als daß es eine Verirrung ihrer Phantasie sei, die vorübergehen müsse, was ich ihr auch sagte. Darüber schien sie hocherfreut zu sein; sie bestätigte meine Meinung und sagte, sie wisse sogar ganz genau, daß es so sei, ja, sie müsse zuweilen hell auflachen, indem sie sich vergegenwärtige, mit was für belustigten Empfindungen sie später an diesen Unglücksfall zurückdenken würde. In diesem Augenblick hörten wir auf der Flöte geblasen einige langgezogene Töne, das Bruchstück eines volkstümlichen Liedes von sehr ausgeprägter Melodie, die etwas ungemein Trauriges und Sehnsüchtiges hatte. Das konnte nur von Gaspard herrühren, denn er spielte die Flöte ohne besondere Kunst zwar, aber mit großer Hingebung und Anmut und erlaubte sich, sie zu allen Tageszeiten zu blasen; er saß jedenfalls mit seinem Instrument am geöffneten Fenster, daß man es so deutlich hörte. Kaum vernahmen wir diese Klänge, als der zuversichtliche Ausdruck aus Galeidens Gesicht verschwand, sie horchte mit ganzer Seele und zog sich dabei wie vor Furcht ganz in sich selbst zusammen. »Hörst du?« sagte sie, »nun weiß er, daß ich noch wach bin, und spielt für mich. Den Tag über würde er mir um die Welt kein liebes Wort sagen, und Nachts nimmt er seine Flöte und singt auf mein Herz ein, daß ich mich gar nicht dagegen wehren kann. Er hat es mir nie gesagt, aber ich weiß, daß jeder Ton für mich ist, und was er bedeutet. Warum tut er das? Warum spricht er nicht wie ein anderer? Dann würde ich ihn auslachen, aber mit seiner Flöte tut er es mir an.«
Ich konnte meinen Ingrimm kaum länger bemeistern und sagte: »Für mich bedeutet auch jeder Ton etwas, nämlich das, daß er ein ungeschliffener, äußerst widerwärtiger Bursche ist, der dir weit mehr Aufmerksamkeit erweisen würde, wenn er sich um Mitternacht aufs Ohr legte und schliefe, anstatt dich mit seinen Stümpereien zu belästigen.« Da inzwischen die Flöte ausgesungen hatte, erheiterte sich Galeide über meine Bemerkung wieder, gab mir völlig recht und sagte, es sei im Grunde an allem nur die Flöte schuld. Es sei ihr nun viel besser, sie würde schlafen und ich möchte es ebenso machen und ihr nicht zürnen, daß sie mich mit dieser törichten Sache in Anspruch genommen hätte.
So beruhigend nun auch Galeidens letzte Worte waren, und so unglaublich es mir schien, als solle sie wirklich in einer Verblendung verharren, die Titanias glich, da sie anstatt des Oberon, ihres holdseligen Gemahls, den dickköpfigen Esel umarmte, so war es mir doch schwer ums Herz, und obwohl ich nur mittelbar bei der ganzen Angelegenheit beteiligt war, hatte ich ein Gefühl, als sei mir etwas Schönes und Liebes geraubt worden. Wie mußte es erst Galeiden zu Mute sein! Freilich hatte sie mich schon oft dadurch in Erstaunen gesetzt, daß sie in allen sieben Regenbogenfarben der Freude strahlte, wenn man sie billig schwarz und traurig wie eine Grabzypresse zu finden annehmen durfte, und auch jetzt wieder zeigte sie sich von Zeit zu Zeit so goldig heiter, daß ich nicht wußte, ob ich froh oder ärgerlich darüber sein sollte. Aber bald genug sah ich ein, daß solche Stimmungen nur erkünstelt oder ertrotzt waren, oder aber, daß sie sich auf Augenblicke, je nachdem das Betragen des verwünschten Gaspard mehr oder weniger Eindruck auf sie machte, wirklich einbildete, die Raserei sei nun vorüber. Der Rückfall blieb aber niemals aus. Ich versuchte, um das meinige zu tun, ihr den Gegenstand ihres Wahnsinns nach Möglichkeit zu verleiden. Zu diesem Zwecke setzte ich zunächst seine katholische Gläubigkeit in recht grelles Licht und malte ihr aus, wie er bald diesem, bald jenem Heiligen seine Reverenz machen und sich von einem fetten Beichtvater ausfragen und abkanzeln lassen müsse, und wie ein so albernes Getue ihr mehr und mehr zur Lächerlichkeit und zum Abscheu werden müsse; wie es für eine starke Natur wie die ihrige unleidlich sein werde, an einem Herzen zu hängen, das so und so viele Götter, Dogmen, Päpste und Priester am Bändchen hätten, daß man nie hoffen könnte, es ganz für sich allein zu besitzen. Hierin pflichtete sie mir vollkommen bei, ja, meine Bemerkung schien sie zu erfreuen als eine, die ihr selbst schon im Innern zu schaffen gemacht hatte. »Das ist ganz wahr,« sagte sie, »er hat eine ganze Welt in sich, die mich gar nichts angeht, und die Eifersucht würde mich zu Grunde richten, wenn ich seinem Umgang noch lange ausgesetzt wäre. Ich war einmal mit ihm in der katholischen Kirche, weil ich ihn darum bat, mich mitzunehmen; denn du mußt nicht denken, er hätte jemals einen Versuch gemacht, mich zu seinem Glauben zu bekehren. Als wir da vor einem Muttergottesbilde vorbeikamen, beugte er das Knie, während ich kerzengerade dabei stand; denn obwohl ich mich gern vor der Madonna neigen würde als Gast in einer fremden Kirche, brachte ich es doch in diesem Augenblick nicht über mich, damit er nicht dächte, ich täte es ihm zuliebe. Aber mich packte eine höllische Eifersucht auf das hölzerne Heiligenbild, daß ich es hätte herunterreißen und auf dem steinernen Boden zerschmettern mögen. Aber wie wahnsinnig, wie verflucht man sich selbst erscheint, wenn man etwas Göttliches haßt um die innige Verehrung seines Gläubigen, das kannst du nicht begreifen. So sehr ich übrigens Gaspard im Herzen verwünschte, daß er mir diese Qual bereitete, muß ich doch sagen, daß ich ihn noch nie so einzig begehrenswert gesehen habe, als da in seiner halb trotzigen, halb demütigen Andacht; denn er war nicht sicher, ob ich ihn nicht heimlich auslachte, und doch wette ich, er hätte vor meinen Augen siebenundsiebzig Rosenkränze abgebetet, wenn der Gebrauch es für die Gelegenheit vorgeschrieben hätte.«
Als ich sah, daß die Eifersucht auf Überirdisches sie zwar peinigte, aber doch nicht völlig abschreckte, rückte ich mit einem heikleren Punkte auf und hielt etwa folgende Rede: »Ich begreife, daß Gaspards Sittenstrenge und moralische Sucht gerade dir gefällt, und ich gebe dir sogar zu, daß die herzliche Unschuld, die sein ganzes Gesicht verklärt, wenn er lacht und das Kinderhafte, das dabei aus jedem seiner kleinen breiten Zähne herauszuglänzen scheint, allerliebst ist, zumal wenn man dazu die heißen schwarzen Augen betrachtet, unter deren Aufsicht das alles vor sich geht. Aber bedenke, daß das ein flüchtiger Reiz ist, der mit seiner Jugend zusammenhängt. Ich will dir nicht ausmalen, was aus den niedlichen kleinen Löwen werden kann, wenn sie Blut geleckt haben. Und ich glaube, daß er Glück bei Frauen haben wird. Umso schneller und gründlicher wird der Prozeß sich vollziehen.« Ich bereute aber, daß ich dies gesagt hatte, denn nun malte sich eine wahrhaft erbarmenswürdige Angst auf Galeidens Gesichte. »Das kann alles wahr sein,« sagte sie, »aber hören kann ich es nicht. Wenn er eine andere Frau liebte, das würde mich umbringen. Er darf es nicht, er soll es nicht, oder ich tue ihm ein Leides an. Denke nicht, mich zu heilen, indem du mir solche Sachen sagst. Nun sehe ich erst, wohin es mit mir gekommen ist.« Das hätte ich mir freilich zum voraus sagen können. Was halfen auch alle meine Anstrengungen gegen die Liebeslaunen, mit denen der unerschöpfliche Quälgeist Gaspard ihrer kranken Seele zusetzte? Bald konnten sie sie nicht einmal mehr auf Augenblicke beschwichtigen oder ermutigen.
Eines Tages fand ich sie in einem Zustande, wo sie wirklich einer schönen Wahnsinnigen glich, wilden und wirren Blicks, mit unbändig um die blasse Stirn fliegenden Haaren, daß mein Herz ganz weit wurde vor Mitleiden. Ich setzte mich zu ihr und fragte sie, ob es denn gar so schlimm stehe. Ohne irgendwelche Vorbereitung begann sie: »Ja, wie schrecklich auch die früheren Zeiten waren, und du weißt ja, was ich alles Unerhörtes erlebt habe, es war doch alles nichts, gar nichts. Jetzt erst ist das wahre Verderben gekommen, vor dem keine Rettung ist. Daß es nun von diesem unseligen Kinde, diesem Gaspard hergekommen ist, gilt gleich. Meine Liebe ist hin, die ich für ewig und einzig in meinem Leben hielt! Wie die Sonne vom Himmel gefallen! Wenn ich sie nicht für etwas Heiliges und Ewiges gehalten hätte, hätte ich dann alles das getan, was ich getan habe?« Sie starrte mit ängstlichem Blick ins Leere, wie wenn da die Vergangenheit wäre, von der eine unsichtbare Hand den dichten Flor zöge, die sie bisher verhüllt hätte, und sie sähe sie nun zum ersten Male, als etwas Unnennbares, vertraut und doch erschreckend fremd, ein Medusenhaupt, vor dem die entsetzte Seele versteinert. Als ich ihren Namen nannte, um sie aus jener Welt des Schreckens zurückzurufen, richtete sie die gequälten Augen auf mich und fuhr fort: »Damals war alles so natürlich, ich konnte nicht anders, glaub es mir. Es kam mir auch nie ein Zweifel; ich war unglücklich, aber doch ruhig in mir, ich schlief wie ein Kind, das gar nicht weiß, was gut und böse bedeutet. Auf einmal begreife ich mich nicht mehr. Wenn ich mich selbst betrachte, wie ich früher war, und was ich euch und Lucile angetan habe, so erscheine ich mir wie eine kalte, ruchlose, fluchwürdige Teufelin.« - »Galeide,« sagte ich, »besinne dich doch. Ja, ihr habt sehr großes Unrecht getan, du und Ezard. Aber ich kann dir bestätigen, daß ihr nicht aus böser Gesinnung handeltet. So verwerflich es auch war, denn das weißt du so gut wie ich, und ich kann und will es dir nicht ausreden, ihr tatet, was ihr mußtet, die Leidenschaft war in euch und zwang euch.« - »Ja,« sagte sie mit einem Hohne, der an ihr befremdend war, »aber was war denn nun diese Leidenschaft und dieses Schicksal? Es zeigt sich ja jetzt, daß es nichts als Zufall war! Wenn Gaspard nun schon damals gekommen wäre? Was war denn der Zweck von diesem gewaltigen Aufwand, den das Schicksal mit uns machte? Nun ist alles, alles, alles umsonst. All der Jammer, den wir angerichtet haben! Wir haben niedergerissen, was zwischen uns stand, und nun liegt es im Staube da, daß wir uns die Hände reichen könnten, und Ezard streckt sie aus nach mir, und ich? Ich gebe sie nicht! Ich kann sie ja nicht geben!«
Ich sah wohl ein, daß dies ein unerträgliches Leiden war, und wußte nichts anderes, als es Galeiden zuzugestehen. »Ja,« sagte ich, »das ist furchtbar. Nein, es wäre furchtbar, wenn es so wäre. Es darf und kann aber nicht so sein.« Aber diesmal ließ sich Galeide nicht ermuntern. Sie sagte matt: »Wenn ich nun auch mich selbst wiederfinde, und alles vorbei ist, es kann doch nicht mehr werden, wie es war. Ich habe keine Freude mehr an mir und keine mehr am Leben. Ich mag nicht mehr auf mein Herz hören, weil ich ihm nicht mehr traue.«
Ich versuchte sie zu trösten, indem ich eine Theorie über das Wesen der Liebe vorbrachte, daß nämlich keine Liebe von der anderen wesentlich verschieden sei, sondern daß es jede gleich ehrlich und ewig meine, daß aber die Dauer oder sogenannte Ewigkeit nur etwas zufällig mit ihr Verbundenes sei. Denn Liebe sei nichts als der Wunsch, sich mit einem Wesen zu vereinigen, und logischerweise vergehe der Wunsch mit seiner Erfüllung; von anderen Dingen hänge es ab, ob der Wunsch sich beständig gegen dasselbe Wesen erneuern lasse. Das war begreiflicherweise leerer Schall für Galeide (so gut wie für mich), mochte es auch noch so fein und so richtig sein; denn der Mensch setzt nun einmal seine Seligkeit in seine Leidenschaft und will in ihr etwas für sich und von allen andern Verschiedenes sehen, weil er eben selbst darin ist, und sich selbst muß das Ich für einzig und ewig halten, es mag wollen oder nicht. In diesem besonderen Falle waren aber wirklich die Umstände derart, daß Galeide mit ihrer Liebe zugleich sich selbst verlieren mußte; denn sie hatte ihr äußeres und inneres Leben darauf gebaut, und das mußte zusammenstürzen, wenn der Fels sich als Fata Morgana erwies.
Auch meiner hatte sich bei der Betrachtung dieser Dinge jene Wehmut bemächtigt, die uns immer ergreift, wenn wir etwas Schönes vergehen sehen, und die sich zur Verzweiflung steigern kann, wenn wir das Schöne zugleich für etwas Dauerndes gehalten haben. Das hat freilich jedes Schöne an sich, daß man es für ewig halten möchte, weil es vollkommen in sich erscheint, abgeschlossen und unabhängig vom Äußern und daher unerschütterlich. Wir Menschen aber wissen schon von den irdischen Erscheinungen, daß sie vergehen müssen; müßten wir als Erwachsene und unvorbereitet erfahren, daß aus Sommer Herbst wird, das Leiden würde unerträglich sein. Was anders als dies Bewußtsein von der Flüchtigkeit der Dinge erpreßt uns einen Schauer von Tränen, wenn wir in den Frühlingsmonaten eine Gegend in der Fülle ihrer Blüten prangen sehen oder einen Menschen mit dem rosigen Wappen der Jugend auf der Stirn? Wir vergleichen den Traum von Ewigkeit, den wir ihn träumen sehen, mit der Vergänglichkeit, die die stete Wiederholung des Sterbens uns predigt. Mehr und mehr flieht man zu den Erscheinungen zurück, deren Abschluß die kurzlebenden Menschen selten oder nie erfahren, und an deren Unvergänglichkeit sie noch glauben können.
Das war nun für Galeiden dahin. Was half es ihr, daß die Flamme in Ezards Herzen noch so unentwegt und herrlich loderte wie am ersten Tage? Immerhin dachte sie doch in ihrer Not an ihn wie an eine überirdische Zuflucht. Während ich noch zögerte, ob ich ihr den Vorschlag schleunigst abzureisen machen sollte, kam sie mir mit der Bitte entgegen: »Wir wollen zu Ezard,« sagte sie, »Ezard kann helfen. Wäre er hier gewesen, hätte dies alles nie geschehen können. Und wenn er auch nicht helfen kann, will ich doch bei ihm umkommen.« Ich nahm dies Vertrauen für ein gutes Zeichen und sagte mit Lächeln: »Galeide, daß du nach Ezard verlangst, scheint mir ein Beweis zu sein, daß die Dinge nicht ganz so verzweifelt liegen; denn man sagt, daß man den Gegenstand einer veralteten Neigung zu hassen anfängt, wenn man sich einem neuen zuwendet.« Hierauf entgegnete sie, indem sie mich mit einem leuchtenden Blick ansah: »Nein, so ist es allerdings nicht. Die Wirklichkeit paßt nicht immer in die Theorien und Systeme. Nichts kann uns auseinanderbringen. Erinnerst du dich der Geschichte von Tristan? Der nahm ja ein anderes Weib und lebte glücklich mit ihr. Aber plötzlich war das alles wie nie gewesen, und er verzehrte sich nach Isolden. Es ist mir, als könnte ich hundert Jahre tot liegen und würde doch noch seinen Schritt kennen, wenn er über meinen Grabhügel ginge.«
Also kamen wir überein, daß es das beste wäre, die Genfer Angelegenheit brieflich abzumachen und uns sogleich nach Hause zu begeben; wir setzten demgemäß unsere Abreise auf den folgenden Tag fest.
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