Annie Hruschka
Der Feind aus dem Dunkel
Annie Hruschka

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XXVIII.

Am selben Tag, da Hartwig in seine einsame Junggesellenwohnung zurückkehrte, saß Professor Königshofen mit dem Major von Marchstätten in dessen Arbeitszimmer.

Dort sah es heute recht unwirtlich aus. Die Vorhänge waren abgenommen, die Teppiche aufgerollt, die Polstermöbel mit Leinenkappen überzogen.

»Es ist hübsch, daß Sie noch einmal gekommen sind, lieber Professor,« sagte der Major, seinem Gast Platz anbietend, »und es ist schade, daß Sie sich nicht überreden ließen, Weihnachten mit uns am Gardasee zu feiern. Es wäre so schön gewesen!«

»Das sicher!«

»Konnten Sie es denn gar nicht möglich machen?«

»Können? O ja, gekonnt hätte ich es schon . . . meine Kollegen benützen die Weihnachtsferien fast alle zu einem Ausflug nach dem Süden. . . .«

»Aber dann . . . lieber Professor, Sie wissen ja gar nicht, welche Freude Sie uns machen würden durch Ihr Mitkommen! Wo Sie uns allen so lieb und teuer geworden sind wie ein Bruder und wir Ihnen so unendlich viel Dank schuldig sind. . . .«

»Bitte, Herr Major, sprechen Sie doch nie mehr davon! Sie wissen sehr gut, wie gerne ich mein bißchen Können in den Dienst der guten Sache stellte und wie glücklich es mich macht, ein Wesen wie Frau Lydia von den dunklen Schatten befreit zu haben, die ihr Leben verdunkelten! Ich schäme mich, Ihren Dank dafür anzunehmen, und würde es geradezu als peinlich empfinden, wenn Sie mich auch noch bezahlen würden. Ich habe mir daher erlaubt, noch einmal zu kommen und Ihnen das so überreich bemessene Honorar zurückzubringen . . . nein, bitte, sagen Sie kein Wort dagegen . . . ich kann . . . ich will es nicht nehmen!«

Er war über und über rot geworden bei diesen hastig und verlegen herausgesprudelten Worten. Wortlos starrte der Major ihn an.

»Aber, Herr Professor . . .?« stammelte er dann verwirrt. »Ich verstehe wirklich nicht . . . wollen Sie mir nicht erklären . . .

Königshofen blickte dem älteren Mann ernst und fest in die Augen.

»Muß ich das wirklich erst? Sollten Sie nicht längst gefühlt haben, Herr Major, was mir Ihre Tochter geworden ist in diesen letzten Monaten?«

»Herr Professor?«

»Ja,« nickte dieser, »so steht es um mich! Aber noch ist die Zeit nicht da, wo ich das Glück fragen darf, ob es zu mir kommen will? Im Herbst . . . wenn Sie wiederkehren . . . vielleicht. . . .«

Er vermochte nicht weiter zu sprechen. Ein krampfhafter Händedruck noch, für einen Augenblick tauchten zwei Augenpaare leuchtend ineinander, dann ging der Professor stumm aus dem Zimmer.

Auch drüben in Lydias Zimmer ruhten leuchtende Augen auf einem Strauß blasser Rosen, von blauen Vergißmeinnichten umgeben.

Es war der Abschiedsgruß Königshofens, und Lydia ahnte wohl, daß er etwas sagen wollte, das Lippen nicht aussprechen durften. Noch nicht. . . .


Im Hause Eltz duftete es nach Tannen und Weihnachtskuchen. Der Oberst hatte eben seine Geschenke für Serena unter dem Baum verteilt, betrachtete diesen noch einmal mit lächelnder Miene und verließ dann das Zimmer, das er hinter sich abschloß, den Schlüssel in die Tasche steckend.

Es war gerade Mittag, und der Oberst ging nach dem Zimmer seiner Tochter, um sie zum Essen zu holen.

Er traf sie zum Ausgehen angezogen, ein mittelgroßes Paket im Arm.

»O – du willst ausgehen? Und ich wollte dich eben zu Tisch führen. . . .«

Serenas Gesichtchen rötete sich und sie wandte hastig den Kopf, damit der Vater nicht sehen sollte, daß sie geweint hatte.

»Ich bin im Augenblick wieder da, Papa. Nur fünf Minuten . . . bitte, laß mich hinaus, ich bin wirklich gleich wieder da!«

»Wohin willst du denn justament jetzt?«

»Nur bis an die nächste Ecke, Papa. Da stehen immer Dienstmänner. Ich will das Paket an seine Adresse befördern lassen.«

»Hm – wohl ein Weihnachtsgruß an den . . . den Herrn Dingsda? Kannst es wohl gar nicht mehr erwarten?«

»Ja, Papa, es ist für Hartwig bestimmt. Ich erfuhr soeben durch Zufall, daß er bereits in Freiheit ist . . . da wirst du doch begreifen . . . heute ist doch Weihnachten!«

»Na ja . . . aber wenn der Mosjö frei ist und hat sich bisher noch nicht mal bei dir blicken lassen . . .?!«

»Papa! Er wagt doch nicht . . . er weiß ja, wie du von ihm denkst. . . .«

»Bah . . . übrigens gib her. Das kann doch wohl auch der Diener bestellen, ich werde ihn instruieren, und wir können inzwischen ruhig essen. Ich habe schon Wolfshunger!«

»Lieber Papa, willst du nicht doch lieber mir . . .«

»Ah, du mißtraust mir wohl? Denkst, er könnte dein Angebinde nicht erhalten? Na, nun aber erst recht! Ich gebe dir feierlich mein Wort, daß es rechtzeitig in die richtigen Hände gelangt!«

Damit bemächtigte sich der Oberst des Paketes und verschwand.

Eine Minute später setzte man sich zu Tisch, Serena traurig und in Gedanken versunken, der Oberst heiter und witzig.

»Gestern machte ich die Bekanntschaft eines jungen Mannes,« erzählte er Serena aufgeräumt, »der mich wahrhaftig entzückte! So – genau so hätte ich mir dereinst meinen Schwiegersohn gewünscht! Aber natürlich, mit dir ist ja nichts zu machen . . . dir gefiele dein armseliger Ingenieur ja doch wieder besser?«

»Wahrscheinlich!« antwortete Serena zerstreut.

Der Oberst zündete sich mit Behagen eine Upman flor an zur Feier des Tages und schielte dabei seine Tochter von der Seite an.

»Aber geschenkt ist er dir nicht,« fuhr er fort. »Kennenlernen mußt du meinen Idealschwiegersohn doch wenigstens. Man kann ja doch nicht wissen. . . .«

Ein paar tiefe Züge aus der Zigarre.

Dann ganz plötzlich, wie aus der Kanone geschossen: »Ach was, das diplomatische Herumreden liegt mir nicht. Will's lieber gerade heraussagen: Ich hab' ihn eingeladen! Für heute! Damit wir nicht so gottsjämmerlich allein sind am Weihnachtsabend. . . .«

Ein Blick, schwer von schmerzlichem Staunen und Vorwurf, traf ihn.

»Na . . . na . . . mußt mich nicht so ansehen, Kleines! Nun ist's mal geschehen!«

Serena blickte still in ihren Schoß. Tränen saßen ihr in der Kehle. Auch das noch! Einen fremden Menschen am hl. Abend! Als ob dieser nicht ohnehin schon schwer genug sein würde. . . .

Draußen klingelte es.

Der Oberst sprang auf.

»Oho! Sollte das schon . . . um vier habe ich ihm gesagt, jetzt ist's erst drei vorüber.«

Damit eilte er hinaus.

Serena hörte hinter sich eine Türe gehen. Jemand war ins Zimmer getreten, aber sie blickte nicht um. Da sagte eine liebe, langentbehrte, wohlbekannte Stimme: »Serena!?«

Sie fuhr herum. Sie sah und wollte doch nicht glauben, was sie sah- . . .

Aber einen unartikulierten Laut ausstoßend, warf sie sich schluchzend in Hartwig Henters Arme.

»Du . . .! Du . . .! O . . . du!?«

Und hinter Hartwig stand der Oberst mit wunderlich zuckendem Gesicht.

»Mein Weihnachtsgeschenk an dich, Kleine!« sagte er leise. »Und er ist wirklich ein Schwiegersohn nach meinem Herzen!«

Serena brachte kein Wort heraus. Das unerwartete Glück hatte sie stumm gemacht. Sie schlang nur die Arme um die beiden Männer, die ihr die liebsten auf Erden waren, und lachte und weinte zugleich.

Erst nach einer Weile fragte sie den Vater: »Aber woher kennst du denn Hartwig auf einmal so gut?«

»Ich war doch gestern über zwei Stunden bei ihm, dabei sprachen wir uns gründlich aus und ›fanden ein Wohlgefallen aneinander‹, wie man so sagt. Aber nun gratuliere ihm auch rasch – er hat doch den ersten Preis für sein Bahnprojekt erhalten und wird die Bahn auch bauen. Ich aber werde dabei sein, denn er meint, wir drei müßten fortan immer beisammen bleiben, und dazu sag' ich amen!«

 

Ende

 


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