Annie Hruschka
Der Feind aus dem Dunkel
Annie Hruschka

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Vl.

Hartwig Henter saß in seinem Privatbureau und arbeitete an einem Projekt, das er nächstens dem Landtag vorlegen wollte.

Es handelte sich um den Bau einer Kleinbahn zwischen dem vor ein paar Jahren eröffneten Kurort Waldfried und der Landeshauptstadt einerseits sowie dem Industrieort Radingen anderseits.

Radingen, wo Zucker-, Papier-, Holzstoff- und Maschinenfabriken betrieben wurden, besaß zwar bereits eine Landesbahn aus früherer Zeit, die aber seit dem Umsturz in jugoslawisches Gebiet fiel und so den Absatz der dortigen Erzeugnisse auf das Ausland anwies. Sie dem Inland nutzbar zu machen, wäre daher sehr wichtig gewesen, und Waldfried, eine Gründung des Landes und im Begriff durch warme Quellen Weltruf zu erlangen, die sich als sehr heilkräftig erwiesen hatten, bedurfte gleichfalls dringend einer Bahnverbindung mit der Landeshauptstadt.

Die Notwendigkeit, hier weite Landesstrecken durch neue Verkehrswege zu erschließen, war längst ins Auge gefaßt worden, doch hatte sich bisher kein Projekt als pekuniär durchführbar erwiesen. Nun war es zur freien Ausschreibung gekommen, und Henter, der sich in Gedanken schon lange mit der Sache beschäftigt hatte, arbeitete seit Monaten an einem Projekt, das nun beinahe fertiggestellt vor ihm lag.

Aber so stark es bisher sein ganzes Interesse beschäftigt hatte – denn wenn sein Projekt angenommen wurde, war er ein gemachter Mann – so wenig vermochte er heute seine Gedanken daran festzuhalten.

Draußen war es beinahe finster, und der letzte seiner Angestellten hatte bereits vor einer halben Stunde das Bureau verlassen.

Da schob Hartwig plötzlich stirnrunzelnd die Blätter von sich. Nein, er war heute wirklich nicht mehr imstande zu arbeiten. Immer wieder schweiften die Gedanken ab zu dem kleinen Billett, das heute nachmittag ein Dienstmann gebracht und das seitdem wie ein treuer Talisman wohlverwahrt in seiner Brusttasche ruhte.

Hartwig warf einen Blick auf die Uhr. Erst halb sechs! Wie die Zeit heute schlich! Um sieben erst sollte er im Schloßpark sein!

Er zog das Billett aus der Tasche, um es noch einmal zu lesen.

»Lieber Hartwig!

Es ist unumgänglich nötig, daß ich Dich heute noch spreche. Erwarte Dich um 7 Uhr abends beim Säulentempelchen im Ybbenburger Schloßpark!

Immer Deine

Serena Eltz.«

Er starrte nachdenklich auf die feinen zierlichen Schriftzüge, die ihm so sehr als ein Ausdruck des über alles geliebten Wesens erschienen.

Was mochte sie wollen? Woher nahm sie den Mut, ihm noch einmal zu schreiben und sogar eine Zusammenkunft herbeizuführen, da doch alles längst aus war? Oder nicht?

»Immer Deine Serena . . .

Die paar Zeilen zauberten ihr Bild herauf, machten alles wieder lebendig . . . Die Seligkeit und auch den namenlosen Schmerz der letzten Trennung, den er nie verwinden würde . . .

Hartwig sah Serena Eltz vor sich, wie er sie damals zum erstenmal erblickt hatte. Ein zartes schlankes Mädchen von kaum 18 Jahren. Dunkelbraunes gelocktes Haar umrahmte ein schmales, blasses Gesichtchen, das an Schneeglöckchen erinnerte. Ein kleiner roter Mund, eine feingebogene Nase, eine edelgeformte Stirn und dazwischen zwei dunkle Augen, die ganz Seele waren. Eine Seele, die vornehm, warm und unendlich reich an innern Schönheiten aus diesen Augen leuchtete, die in ihrer strahlenden Innigkeit einen seltsamen Gegensatz zu dem sonst ernsten Ausdruck des Gesichtes bildeten.

An demselben Ballabend war es gewesen, wo auch Gerhard Holzmann die Erwählte seines Herzens gefunden hatte. Und Serena v. Eltz und Lydia v. Marchstätten waren seit den Kindertagen Freundinnen gewesen, wie Gerhard und er . . .

Hartwig hatte es vom ersten Augenblick an gefühlt: Es war ein Schicksal gewesen für ihn und Gerhard. Nur daß es für Gerhard dann nach langen Kämpfen doch noch zum Glück geführt hatte, während für ihn selbst alles in Nacht und Jammer versank . . .

Herbert v. Eltz, Serenas Vater, war Oberst gewesen, Mitglied einer alten Adelsfamilie, die auch nach dem Zusammenbruch die stolzen Traditionen nicht vergessen konnte, ja die sie in der Republik nur um so höher schätzte.

Außerdem war Oberst v. Eltz sehr reich. Seine inzwischen verstorbene Frau war eine Amerikanerin, die Tochter eines vielfachen Millionärs gewesen, und ihr Vermögen, das in den väterlichen Unternehmungen, die ihr Bruder weiterführte, steckte, vermehrte sich noch von Jahr zu Jahr. Ihr Gatte war von ihr zum alleinigen Erben eingesetzt worden.

Er war ein herrischer Despot, aber sehr rechtlich, klug und von tadellosem Charakter. Frau Olga hatte das immer bewundert und ihn abgöttisch geliebt. Als sie starb, war sie überzeugt gewesen, daß Serena, ihr einziges Kind, das ja auch der Oberst sehr liebte, bei ihm allzeit in bester Hut sein würde.

Und das war auch der Fall gewesen, bis Serena Hartwig Henter kennen und lieben lernte. Von da an entstand ein großer Riß zwischen Vater und Tochter.

Eltz hatte natürlich große Pläne mit seiner einzigen Tochter und feststehende Prinzipien in bezug auf ihre Zukunft. Sie sollte dereinst einen Gatten haben, der von ebenso altem Adel wie die Eltz' war und ihr in der Welt eine hervorragende Stellung verschaffen würde, das stand bei ihm felsenfest.

Über Geld würde er eventuell hinwegsehen, über die beiden andern Bedingungen niemals. Ein einfacher Zivilingenieur, wie Hartwig Henter, kam für den Obersten gar nicht in Frage. Er nahm die Sache anfangs auch gar nicht ernst und lachte oft mit seinem Freund und ehemaligen Regimentskameraden Major v. Marchstätten über die Kindereien ihrer beider Töchter.

Aber bei Marchstättens wurden die Dinge rasch ernster, und nun fand es auch der Oberst für geboten, ernstlich mit seiner Tochter zu sprechen, d. h. er erklärte ihr klipp und klar, der »Flirt« mit diesem Ingenieur müsse nun ein Ende haben, sonst käme sie noch ins Gerede.

Serena blickte ihn erstaunt an aus ihren großen Samtaugen und sagte ruhig, daß ihr Vater im Irrtum sei, wenn er glaube, sie »flirte«. Was sie für Hartwig Henter empfinde, sei eine tiefe, unermeßliche Liebe, und sie sehe in ihm längst ihren zukünftigen Gatten, denn niemals werde sie einem andern Mann angehören als Hartwig.

Der Oberst erschrak heftig, als er merkte, wie weit die Sache schon gediehen war, und erblickte sein Heil nur in größter Strenge. Er verbot Serena jeden weiteren Verkehr mit Henter und sorgte dafür, daß sie keine Gelegenheit mehr dazu fand.

Aber Serena hieß nicht umsonst »Die Ernste«. Sie hatte es noch immer mit allem im Leben sehr ernst genommen, wie sollte sie es nicht mit ihrer Liebe ernst nehmen, da diese ihre ganze Seele erfüllte?

Sie und Hartwig hatten sich erst wenige Tage zuvor ausgesprochen. Nun teilte sie ihm offen alles mit, was zwischen ihr und ihrem Vater gesprochen worden war. Serena war kein so modernes Mädchen, daß sie sich um ihres Vaters Wünsche und Befehle nicht gekümmert hätte. Aber es floß auch Blut aus dem freien Amerika in ihren Adern, und da sie ihren Vater zu gut kannte, um auf einen Umschwung der Gesinnung bei ihm zu hoffen, so sagte sie Hartwig einfach: »Wir müssen uns vorläufig fügen, aber es wird der Tag kommen, wo ich mündig bin, und dann kann niemand mich hindern, deine Frau zu werden! Willst du solange Geduld haben, Hartwig?«

Selbstverständlich war er bereit, auch zehn Jahre zu warten, aber es waren ja nur mehr drei bis zum Tag ihrer Mündigkeit.

Sie sahen einander von da an nur mehr selten. Wenn ein Zufall sie auf der Straße für Sekunden aneinander vorüber führte, oder sie sich im Theater von ferne sahen; ab und zu auch trafen sie unerwartet bei gesellschaftlichen Veranstaltungen zusammen, wo dann allerdings der Oberst nicht von Serenas Seite wich, wenn er nicht gleich wieder mit ihr verschwinden konnte, sobald der verhaßte Bewerber auf der Bildfläche erschien.

Von solchen Brosamen lebte ihre Liebe lange Zeit und wurde dabei nur tiefer und größer.

Inzwischen war es Lydia gelungen die Einwilligung ihrer Eltern zur Heirat mit Gerhard Holzmann zu erlangen. Auf ihrer Hochzeit trafen sich Serena und Hartwig endlich wieder für längere Zeit. Hartwig war Gerhards Beistand, Serena Lydias Kranzjungfrau. Das Glück dieser Stunden wäre beiden indes nie zuteil geworden, wenn der Oberst nicht gerade um diese Zeit an einer leichten Erkrankung zu Bett gelegen wäre oder geahnt hätte, daß Henter überhaupt an dieser Hochzeit teilnahm, ein Umstand, den die jungen Leute in stillschweigendem Einverständnis ihm gegenüber tot geschwiegen hatten.

Als er es nachträglich erfuhr, war er wütend und hätte sich beinahe mit seinem alten Freund Marchstätten überworfen. Gespannt war das Verhältnis ohnehin schon durch Marchstättens Einwilligung zu Lydias Heirat geworden, die der Oberst ihm nicht verzeihen konnte.

Und da für die Zukunft zu befürchten stand, daß Frau Lydia Serenas Liebe nun erst recht Vorschub gewähren würde, so entschloß sich der Oberst kurzerhand seine Tochter allen weiteren Gefahren einfach zu entrücken, indem er mit ihr auf Reisen ging.

Gleich nach Lydias Hochzeit reiste Herr v. Eltz mit Serena nach Amerika, damit sie die Heimat ihrer Mutter und die dort lebenden Verwandten endlich kennen lerne. Von dort wollte man dann zurück nach Europa, um Paris, London, Berlin und andere große Städte zu besuchen . . .

Zwei Jahre war man so unterwegs, und erst zwei Tage vor Gerhard Holzmanns Tod kehrte der Oberst mit seiner Tochter in sein Palais am Parkring zurück.

In diesen zwei Jahren hatten die Liebenden nichts voneinander gehört; denn Serena hatte beschlossen, ihren Vater nicht durch eine Korrespondenz, die seine Wachsamkeit doch früher oder später entdeckt hätte, zu reizen. Da ihr 21. Geburtstag immer näher rückte und dann die große Schlacht um das Glück geschlagen werden mußte, wollte sie vorher jeden Kleinkrieg vermeiden und sich ganz in kindlicher Liebe ihrem Vater anpassen.

Und sie meinte, daß es Hartwig genügen müsse, was sie ihm beim Abschied auf Lydias Hochzeit gesagt hatte: »Mein Körper geht in die Ferne, aber meine Seele bleibt bei dir, Hartwig! Vergiß nie, daß ich dein bin für Zeit und Ewigkeit und daß uns nichts trennen kann!«

Das Wort, so feierlich wie ein Schwur gesprochen, hatte lange weiter geklungen in Hartwigs Seele – klang immer noch zuweilen, aber nur wie die Glocken einer versunkenen Stadt.

Denn als Monat für Monat verging, als die Monate zu Jahren wurden, und Serena weder zurückkehrte noch auch nur das kleinste Lebenszeichen gab, da schwand in Hartwig Henter allmählich der Glaube an ihre Liebe. Sie hatte ihn vergessen, dem Oberst war es gelungen, sein Bild in ihr zu verlöschen, – es war alles aus. . . .

Der Gedanke setzte sich so fest in ihm, daß er nicht auszurotten war, umsomehr als selbst Lydia Holzmann, mit der er oft von Serena sprach, meinte, dies lange und absolute Schweigen könne nur Vergessen bedeuten.

So hatte Henter sich denn in die Arbeit gestürzt wie ein Rasender, instinktiv fühlend, daß er nur darin auf Stunden Ruhe finden könne.

Und dann wie ein plötzlich im Dunkel aufstrahlendes Meteor dieser Brief heute! So kurz, so klar und selbstverständlich, als wäre nie etwas zwischen sie getreten, als wäre alles noch wie damals vor zwei Jahren . . .

Es war also nicht aus? Oder doch . . .? Wollte sie ihm vielleicht das sagen . . .?

 


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