Annie Hruschka
Der Feind aus dem Dunkel
Annie Hruschka

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XVII.

Als beide ihr wartendes Auto erreicht hatten, sagte der Major ärgerlich: »Nun erklären Sie mir um's Himmels willen, warum wir so viel Zeit bei der alten Person verlieren mußten? Es war doch gleich nach den ersten Erklärungen zu sehen, daß für unsere Zwecke hier nichts zu erfahren war . . ., was mich eigentlich freut! Denn das ist nun immerhin erwiesen, daß meine Tochter nicht hier gewesen sein kann, da Alwingens schon seit zwei Monaten abwesend sind.«

»Halten Sie aus diesem Umstand den Beweis wirklich für erbracht?« sagte Silas, sich neben seinem Begleiter im Auto zurechtsetzend und das Zeichen zum Losfahren gebend.

Der Major fuhr auf.

»Na, erlauben Sie! . . . Ich kann wirklich nicht verstehen, wie Sie noch daran zweifeln könnten?! Es ist doch klar. . . .«

»Klar ist nur, daß Ihre Tochter nicht bei Alwingens gewesen sein kann, da diese seit September verreist sind. Aber sie kann doch ganz gut bei Fosters gewesen sein!«

»Bei wildfremden Leuten?«

»Sie vergessen den Zettel, den Sie selbst gefunden haben. Darin wurde Frau Holzmann doch von einem heimlichen Freund in die Villa Lotos eingeladen. Warum könnte dieser ›Freund‹ nicht Dr. Foster sein und dieser der Mörder? Alles, was wir soeben gehört und gesehen haben, bestätigt doch nur diese naheliegende Annahme!«

Der Major sah seinen Begleiter an, als zweifle er an dessen Verstand. Aber Silas schüttelte lächelnd den Kopf.

»Nein, nein, ich bin nicht übergeschnappt, Herr Major! Aber sagen Sie – ist Ihnen selbst denn gar nichts aufgefallen während unseres Besuches in der Villa Lotos?«

»Mir? Nein! Was sollte mir denn aufgefallen sein?«

»Denken Sie einmal nach: Als wir uns der Villa näherten, sahen wir da nicht zwei erleuchtete Fenster, aus denen trotz herabgelassener Vorhänge heller Lichtschein fiel?«

»Allerdings, aber daran ist doch nichts Auffallendes.«

»Daran nicht. Aber wir sahen, daß im Fenster rechts das Licht erlosch, als wir den Türklopfer in Bewegung setzten. Später erfuhren wir, daß das Fenster rechts zu der Studierstube Dr. Fosters gehört, der aber das Haus, wie man uns sagte, bereits mehrere Stunden früher verlassen habe.«

»Ja, es ist wahr . . ., jetzt, wo Sie es sagen, fällt es mir auf.«

»Und das andere – das Fenster links? Sie hatten doch auch den Eindruck, daß der daraus fallende Schein auf ein dahinter liegendes, sehr hellerleuchtetes Zimmer schließen ließ?«

»Unbedingt! Es müssen nach meiner Schätzung 5–6 elektrische Lichter angedreht gewesen sein.«

»So vermutete ich auch. Aber dann, als man uns in dasselbe Gemach eintreten ließ, brannte eine einzige Lampe unter einem dichten Seidenschirm. Halten Sie es für möglich, daß dieses später den Raum füllende Dämmerlicht draußen einen hellen Schein verbreiten konnte?«

»Ganz ausgeschlossen! Man muß vor unserem Eintritt mehrere Lichter ausgedreht und das einzige noch helle durch den Schirm abgeblendet haben!«

»So ist es bestimmt geschehen. Nur daß man sonst gerade das Umgekehrte tut. Man liest, schreibt oder arbeitet, wenn man allein ist, bei einem Licht, erhellt aber den Raum, wenn man Besuch bekommt. In unserem Fall aber hat man gerade das Gegenteil getan: Man verdunkelte den Raum, ehe man uns empfing!«

»Aber warum das?«

»Ich kann es mir nur auf eine Art erklären: Man wollte es uns unmöglich machen, diese Mrs. Foster genauer sehen und beobachten zu können, und daraus ergibt sich als logischer Schluß, daß sie etwas zu verbergen hat!«

»Allerdings muß man dies glauben, . . . aber, was kann es sein? Eitelkeit? Diese Französinnen sind meist eitel, indes war sie doch schon alt. . . .«

»Gerade das bezweifle ich, ebenso, daß sie Französin oder amerikanische Staatsbürgerin ist!«

»Wie – Sie halten sie nicht für alt? Haben Sie ihr darum Schmeicheleien gesagt?«

»Nicht darum. Sondern weil ich sie erst länger reden hören und ihr dann zu verstehen geben wollte, daß ich nicht so auf den Kopf gefallen bin, wie sie wohl annahm. Aber sie ist sehr gerieben – sie fiel keinen Augenblick aus der Rolle, was auf Übung schließen läßt. Trotzdem bin ich meiner Sache ganz sicher: Augen, Bewegungen und Stimme sind die einer jungen Person, das andere ist geschickte Theatermache, deren Zweck ich noch nicht durchschaue.«

»Und warum glauben Sie, daß sie keine Französin ist?«

»Warum glauben Sie, daß ich just den Namen ›Glasrotter‹ wählte?« fragte Silas mit feinem Lächeln dagegen.

»Nun?«

»Sie erraten es nicht? Dann will ich anders fragen: Glauben Sie, daß eine Französin gleich auf das erstemal gerade diesen Namen nachsprechen kann? Ich nicht! Sie hat es ohne Schwierigkeit mehrmals getan und sogar mit der richtigen deutschen Betonung. Und weil sie dies so leicht konnte und uns erklären ließ, daß sie nicht deutsch könne, so halte ich sie justament gerade für eine Deutsche!«

»Und warum nicht für eine Amerikanerin?«

»Ich kann es nicht genau erklären, habe es mehr im Gefühl. . . . Amerikanerinnen sind nicht so geschmeidig im Wesen, sondern mehr bestimmt und selbstbewußt. Indes glaube ich gern, daß sie drüben war – vielleicht sogar längere Zeit, auch die Negerin spricht dafür.«

»Schade, daß wir den Sohn nicht zu Gesicht bekamen!«

»Ich dachte mir gleich, als sie von ihm zu reden begann, daß er sich keinesfalls blicken lassen werde und sicher schwerwiegende Gründe dafür hat. Man wählt sich nicht umsonst eine so abgelegene Villa und einen Taubstummen als Diener. Natürlich sind die ›wissenschaftlichen Studien‹ nur Schwindel – die hätte der gute Mann doch auch irgendwo in Amerika betreiben können! Noch etwas fiel mir auf, und das war eigentlich ein dummer Schachzug von Mrs. Foster: Daß sie noch nie etwas von Spiritismus gehört haben wollte!«

»Das schien auch mir fast unglaublich! Heute, wo so viel darüber gesprochen und geschrieben wird, ist es ja kaum denkbar, daß ein Mensch noch nie davon gehört hätte!«

»Sicher! Eben weil sie noch nie etwas davon gehört haben will, wird sie um so vertrauter mit der Sache sein. Da sich aber Spiritisten erfahrungsgemäß auch viel mit Hypnose befassen, so wollte Frau Foster die Unwissende spielen. Gerade dadurch aber hat sie mir verraten, daß sie über den wahren Zweck unseres Besuches nicht so unorientiert ist, als sie sich stellte.«

Der Major geriet in große Erregung. »Herr Hempel . . .! Wollen Sie etwa behaupten, daß meine arme Tochter in . . . diesem Hause . . ., daß diese Frau Foster . . . oder ihr Sohn die Hand im Spiel hatten . . ., als man Lydia ihres Willens beraubte und ihr Aufträge gab?«

Er konnte die Worte kaum hervorbringen vor Aufregung. Silas legte beruhigend die Hand auf seinen Arm.

»Regen Sie sich nicht auf, Herr Major! Von Behauptungen kann gar keine Rede sein, höchstens von Vermutungen oder Möglichkeiten. Da mir bei unserem Besuch in der Villa Lotos eben manches verdächtig erscheint, halte ich die Möglichkeit nicht für ausgeschlossen, daß wir tatsächlich vor die rechte Schmiede kamen.«

»Wenn Ihre Voraussetzungen stimmen . . . und daran zweifle ich nicht mehr . . ., dann wäre also dieser Foster der Mann, dessen Willen meine Tochter unterworfen wurde . . ., der Mann, der Holzmanns Mörder ist!«

»Die Möglichkeit besteht zweifellos, ja sogar die Wahrscheinlichkeit, aber die Gewißheit müssen wir uns erst verschaffen. Möglichkeiten ohne Beweise haben keinen Wert. Ich werde morgen zuerst die von Frau Foster über sich und ihren Sohn gemachten Angaben auf ihre Richtigkeit hin prüfen und dann. . . .«

Er brach ab, denn der Wagen, in dem sie fuhren, verminderte plötzlich seine Schnelligkeit und fuhr ganz langsam. Der Major beugte sich aus dem offenen Wagen, um zu sehen, was es gäbe, und Silas Hempel sah an ihm vorüber gleichfalls hinaus.

Man war an einer sanften Kurve, und ein anderes Auto mit geschlossener Karosserie kam ihnen entgegen, und zwar nicht ganz in der vorgeschriebenen Fahrlinie. Das veranlaßte den Autolenker offenbar zu vorsichtigerem Tempo, da man ja nicht wissen konnte, ob der Lenker des andern Autos etwa betrunken war, da er sich nicht an die Vorschriften hielt.

»Es ist nichts,« sagte der Detektiv, »nur ein anderes Auto. . . .«

Im selben Augenblick fuhren beide Wagen hart aneinander vorüber. Die Scheinwerfer des offenen Autos, in dem der Major mit seinem Begleiter saß, tauchten sekundenlang die Karosserie des andern Autos in blendendes Licht, so daß man jede Einzelheit desselben haarscharf erkennen konnte.

Fast zugleich stieß der Major einen Schrei aus.

»Lydia!«

Dann rief er ohne Besinnen in den Schalltrichter nach dem Führersitz: »Wenden! Dem andern Wagen nach!«

Langsam wendete das Auto und fuhr hinter dem andern drein.

Silas hatte Lydia Holzmann ebenfalls erkannt, und auch ihm war ein Laut der Überraschung entfahren.

Jetzt sahen beide Männer einander wortlos an.

Der Major war leichenblaß, zitterte am ganzen Leib, und sein Atem ging beinahe keuchend vor Aufregung.

Dann fuhr er sich über die Stirn.

»Es war doch Lydia . . .?« stammelte er angstvoll.

»Ja, sie war es . . ., wenn Sie nicht wieder an eine Verwechslung glauben wollen!«

Der Major schüttelte stumm den Kopf. Hempel hatte sich bereits gefaßt.

»Herr Major,« sagte er. »Sie dürfen sich jetzt durchaus nicht zu Torheiten hinreißen lassen, sonst kann alles verdorben sein. Weder Ihre Tochter noch die in der Villa ›Lotos‹ dürfen ahnen, daß wir Frau Holzmann gefolgt sind. Und wir selbst müssen uns darauf beschränken, festzustellen, wohin sie geht.«

Der Major antwortete nicht. Silas schrie in den Schalltrichter: »Lichter aus! Dann nur so weit heranfahren, daß wir sehen, aber nicht gesehen werden können!«

Seine Befehle wurden ausgeführt. Das Auto fuhr ohne Licht, sein Tempo genau dem vorderen Wagen anpassend. Nach einer Weile verlangsamte es die Fahrt und blieb dann stehen.

Hempel und der Major konnten gerade noch deutlich den ein Stück weiter voraus stehenden Wagen erkennen. Er hielt gerade an der Stelle, wo der Zugang zur Villa Lotos abzweigte. Lydia Holzmann, die sie indes nur an den Umrissen erkannten, stieg aus und schritt dem Hauseingang zu. Sie ging langsam, zögernd und schwerfällig, als trüge sie eine Last oder kämpfte gegen einen unsichtbaren Widerstand.

»Wenden!« sprach Silas diesmal gedämpft in den Schalltrichter. »Zur Stadt zurück!«

Und er legte dabei die Hand beruhigend, aber fest auf des Majors Arm, der durchaus nicht mit dieser Anordnung einverstanden war. »Es muß sein! Es ist keine Gefahr für Ihre Tochter dabei, denn sie ist nicht zum erstenmal dort. Aber es wäre zwecklos, ihr in das Haus zu folgen, denn wir würden sie unter keinen Umständen zu Gesicht bekommen. Der Mann würde sie eher töten, als sein Spiel verraten.«

 


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