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Langholm verließ London am nächsten Morgen mit dem Zehnuhr-Schnellzug von der Station King's Cross aus. Nur vier Nächte und nicht ganz vier Tage hatte er in der Stadt zugebracht, und doch schien es ihm, als seien es Wochen gewesen, denn noch nie in seinem Leben hatte er binnen so kurzer Zeit so viel durchgemacht und so wenig geschlafen. Auch ausgeführt hatte er viel; allein nur Augenblicke höchster geistiger Aufregung lassen die Stunden übermäßig ausgefüllt erscheinen. Langholm aber sollte, ehe diese denkwürdige Woche zu Ende ging, noch einmal eine ganze Tonleiter von Empfindungen durchleben. Diese Woche – obgleich sie erst angefangen und dieser Anfang verhältnismäßig arm an Ereignissen und Überraschungen war – hatte in der Tat für ihn mehr psychologische Erfahrungen gebracht, als sie sich sonst oft kaum in einem ganzen Leben ansammeln.
Langholm hatte verschiedene illustrierte Zeitschriften und literarische Blätter für die Reise gekauft, allein es war ihm unmöglich, seine Gedanken auf irgend einen besonderen Punkt zu konzentrieren. Zu seinem Glück kam endlich der Schlaf über ihn, als er, in der kühlen Ecke des Harmonikazuges sitzend, ihn am wenigsten erwartete. Er erwachte auch gerade noch rechtzeitig zum Lunch, der, bevor der Zug in York hielt, wo Langholm umsteigen mußte, eingenommen wurde. So sehr dieser lange Schlaf aber auch sein übermüdetes Gehirn erfrischt hatte, so war Langholm doch noch immer nicht zu einer ruhigen Überlegung fähig, ja, er vermochte nicht einmal, die Ereignisse der letzten Tage zu ordnen, da sie noch zu sehr auf ihn einstürmten. Er war zu erregt und die augenblickliche Lage der Dinge war zu unsicher, als daß er kühlen Blutes seine Schlüsse hätte ziehen können. Dazu kam noch die strenge Selbstdisziplin, das Imzaumehalten seiner Einbildungskraft, worin er noch keineswegs erlahmt war. Einmal nur in jenen trüben Stunden, wo die Nacht dem Tage zu weichen beginnt, war er vorübergehend zu einem klaren Urteil fähig gewesen und hatte dann auch sofort seine momentane Erleuchtung zu Papier gebracht. Diese Notizen gingen freilich alle nur von einem einzigen Gesichtspunkt aus, und als Langholm wenige Stationen vor Schluß seiner Reise sein Taschenbuch herauszog, las er folgende Aufzeichnungen:
Provisorische Anklagepunkte gegen N. N.
1. Befand sich während der Nacht des Mordes in einem Hotel ungefähr eine Meile von dem Hause entfernt, wo der Mord begangen worden ist. Dies kann bewiesen werden.
2. Verließ das Hotel kurz nach seinem Eintreffen gegen Mitternacht. Es wird angenommen, daß die Rückkehr zwischen zwei und drei Uhr erfolgt ist. Er wäre somit gerade zu der Zeit, wo nach Aussage der vom Gericht zugezogenen Ärzte das Verbrechen begangen wurde, abwesend gewesen. Die genaue Dauer der Abwesenheit vom Hotel könnte übrigens nachgewiesen werden.
3. Kannte M. in Australien. M. aber erfuhr seine Anwesenheit in England erst zwei Tage vor seiner Ermordung. Er schrieb sofort einen Brief an N. N., nach dessen Empfang dieser in die Hauptstadt kam. Ankunft an dem Ort der Tat, wie schon oben erwähnt, ungefähr zur Zeit der Begehung des Verbrechens. All dies ist den Tatsachen entsprechend, kann wahrscheinlich auch rechtsgültig bewiesen werden.
4. Ausspruch von M.s Geschäftsfreund: »So fragte ich ihn, wie es denn komme, daß ein Mann, den er so lange nicht mehr gesehen habe, ihm plötzlich seine Schulden bezahlen wolle. M. aber lachte nur und beteuerte, daß er ihn schon so weit bringen werde.« C. könnte gezwungen werden, diese Aussagen vor Gericht zu bestätigen, auch diejenige, daß M. zugestanden hat, er habe einen »Millionär« schriftlich um Geld gebeten.
5. Wohnte Mrs. M.s Prozeß von Anfang bis zu Ende bei, machte hierauf ihre Bekanntschaft und hielt um ihre Hand an, ohne Näheres über ihren Charakter oder ihr Vorleben zu wissen.
Mögliche Motive.
N. N.s Wesen geheimnisvoll, sein früheres Leben für jedermann in Dunkel gehüllt. Er leugnet hartnäckig seinen Aufenthalt in Australien.
M. sagte, er habe ihn dort gekannt und er werde ihn schon so weit bringen, daß er ihm seine Schulden bezahle.
Erpressung nicht unvereinbar mit M.s Charakter.
Es wäre nicht das erste Mal, daß ein Mann verdientermaßen wegen versuchter Erpressung umgebracht wurde.
Mögliche Beweggründe zur Heirat.
Das Bestreben, die Schuld wieder gutzumachen.
Als Langholm diese Aufzeichnungen wieder und wieder las, und zwar mit jener gewissen Überraschung, wie er sie bei einem gelegentlichen Blick in seine früheren Werke empfand, beglückwünschte er sich über die offenbaren Lichtblicke, die doch einigermaßen Ordnung in das Chaos seiner Gedanken gebracht hatten. So kunterbunt es auch jetzt noch immer dort aussah, so lieferte diese sachgemäße Zusammenstellung von Eindrücken, Entdeckungen und Mutmaßungen doch den Beweis gewissenhafter und wiederholter Erwägung. Langholm fand, während er im Eisenbahnzuge saß, auch nicht einen Punkt, den er hätte zu ändern oder zu streichen brauchen, anderseits war er sich aber auch wohl bewußt, auf wie schwachen Füßen seine Annahmen trotz allem in diesem Augenblick noch immer standen. Dabei gedachte er der in Scotland Yard gemachten Bemerkung des Detektivs: »Wenn Sie jemand (also einen einstigen Australier) finden, der einen Revolver besitzt, wie diesen hier, und beweisen können, daß der Betreffende sich während der Nacht des Mordes in Chelsea aufgehalten hat, und irgend ein Grund vorliegt, der ihn zu dem Verbrechen veranlaßt haben könnte, so werden wir Ihnen für dessen Namen und Adresse dankbar sein.« Den Australier, dessen Aufenthalt in Chelsea während der betreffenden Nacht nachgewiesen werden konnte, hatte Langholm gefunden, auf eine Entdeckung der Pistole aber durfte er freilich kaum hoffen, und auch der Grund für die Anwesenheit des Australiers in jenem Stadtviertel war eine bloße Vermutung.
Und doch klammerten sich an die steile Mauer, die Langholm gegen die Angriffe seiner Phantasie in seinem Geiste errichtet hatte und die er doch so krampfhaft von allen Vorurteilen und Voreingenommenheiten zu säubern bestrebt war, allerlei kleine Umstände und noch kleinere Einzelheiten an, die einen andern Menschen kaum beeinflußt, und die von einem Gerichtshof auch keineswegs als Beweis gegolten hätten. Für Langholm selbst aber waren sie schwerwiegender, als alle in seinem Notizbuch mit so großer Genauigkeit aufgeführten Punkte.
Da war vor allem Rahels vergeblicher Aufruf an ihren Gatten: »Finde den wahren Schuldigen, wenn du willst, daß die Leute an meine Unschuld glauben!« Wie kam es, daß eine so natürliche Bitte ohne Erfolg an einen Gatten gerichtet werden konnte, der doch schon bewiesen hatte, daß ihm die Ehre seiner Frau nicht gleichgültig war, und der die Mittel besaß, den besten, geriebensten Detektiv der Welt anzustellen? Langholm konnte sich nur einen einzigen Grund denken: im Interesse des Gatten lag es nicht, etwas zu entdecken, sondern möglichst viel zu verbergen.
Langholm erinnerte sich ferner der verwundert aufgerissenen Augen, mit denen Steel seine Frau, ehe er ihr antwortete, angesehen hatte, doch in seiner Einbildung übertrieb er unwillkürlich die Verlegenheit jenes Mannes. Steels Lippen hatten sich tatsächlich fest aufeinander gepreßt, Langholm aber war es vorgekommen, als hätten sie vorher auch noch gezittert.
Und dann das ganze mißtrauische, geheimnisvolle Wesen des Mannes, sein trotziger Hohn und seine schließliche Herausforderung! Der Gedanke an diese berührte Langholm zwar nicht peinlich, denn sie befreite ihn nicht nur von dem Druck einer unaufrichtigen, heimtückischen Handlungsweise, sondern sie reizte ihn, noch weiter, ja bis zum Äußersten zu schreiten. Sie richtete sein Auge auf die schließliche Entscheidung zwischen ihm selbst und Steel, verschloß es aber vor den endgültigen Möglichkeiten, soweit sie die in Frage stehende Frau betrafen.
So kam Langholm aus dem schwülen London in eine Gegend voll Rauch und Regen, wo brennende Hochöfen durch die trüben Fensterscheiben funkelten und sich eine aus Ruß und Staub gemischte Atmosphäre auf eine der schmutzigsten Städte der Insel niedersenkte. Er schüttelte jedoch rasch den Staub von den Füßen und fuhr auf einer Lokalbahn nach einer kleinen Station, die noch anderthalb Meilen von seinem Landhaus entfernt war. Diese Strecke legte er dann auf schmutzigen Wegen und in jener ganz besonders feuchten Luft zurück, wie sie durch einen Himmel, der sich ausgeregnet hat, und einen Erdboden, der nicht noch mehr Wasser in sich aufnehmen kann, erzeugt wird, um schließlich durch das Hinterpförtchen in seinen triefenden Garten zu gelangen. Hier blieb er stehen, um den köstlichen Erdgeruch einzuatmen, der den ziemlich trübseligen Anblick einigermaßen wieder gutmachen mußte, denn die Rosen waren fast alle fortgeschwemmt. William Allen Richardson klammerte sich zwar hie und da im Schutze des nach Süden gelegenen Vordaches an die Mauer an, aber auch seine Jugendblüte war dahin, und er hätte besser daran getan, mit seinen schönen Schwestern, die auf ihren dünnen Stämmchen dem Unwetter schonungslos preisgegeben waren, unterzugehen. Das triefende Laub hatte eine bläuliche Färbung, während das Stückchen bewaldeter Hügel, das durch den natürlichen Einschnitt in der Rosenhecke zum Vorschein kam, farb- und ausdruckslos dalag, wie der blasse Abdruck einer überexponierten Photographie. Und nun ließen sich hinter Langholm auch Fußtritte auf dem nassen Kies vernehmen.
»Gott sei Dank, daß der Herr zurück ist!« rief jemand in demütigem Tone im Yorkshirer Dialekt, und als Langholm sich umwandte, fiel sein Blick auf die erregten Züge der nebenan wohnenden Frau, die für ihn haushielt.
»Aber meine liebe Frau Brunton, was um des Himmels willen ist denn geschehen? Sie haben mich doch gewiß nicht schon eher erwartet? Ich telegraphierte Ihnen doch heute morgen in aller Frühe, mit welchem Zug ich ankommen würde.«
»O nein, das ist es nicht, ich meine wegen – wegen des armen jungen Herrn –« sagte sie, mit der Schürze die Augen trocknend.
»Was denn für ein junger Herr, Frau Brunton?«
»Der, mit dem Sie in London zusammengetroffen sind, und den Sie zur Luftveränderung hierher geschickt haben. Schon die Hälfte der Reise wäre zu viel für ihn gewesen! Nun hab' ich ihn die ganze Nacht und den ganzen Tag gepflegt.«
»Ein junger Herr, den ich geschickt haben soll?« Verständnislos schaute Langholm vor sich hin, bis plötzlich ein Ausdruck der Erleuchtung über sein Gesicht huschte. »Wie heißt er denn, Frau Brunton?«
»Das weiß ich nicht. Er behauptete, er sei ein Freund von Ihnen; das war alles, was ich erfuhr, ehe der Anfall kam. Auch jetzt ist er noch viel zu elend, um Rede und Antwort stehen zu können. Und wir wußten ja, daß Sie bald zurückkommen würden.«
»Sieht er nicht aus wie ein Ausländer?«
»Doch, man könnte es glauben.«
»Und sagte er wirklich, ich hätte ihn hierher geschickt?«
»Nun, nicht gerade mit diesen Worten, aber ich glaube, so meinte er es. Die Sache war nämlich so,« fuhr Frau Brunton fort, während sich die beiden auf dem feuchten Kiesweg gegenüberstanden. »Gestern, gerade um diese Zeit, als ich eifrig mit Bügeln beschäftigt war, kommt mein Neffe, der Junge, den Sie schon manchmal mit Briefen nach der Station geschickt haben, und der über die Ferien wieder hier ist, zu mir und sagt: ›Tante, es fragt jemand nach dir.‹ So ging ich denn hinaus, und vor mir stand ein junger Herr, der aussah, als wolle er jeden Augenblick umsinken. Er hatte eine kleine Reisetasche bei sich und war den ganzen Weg von der Station Upthorpe, wahrscheinlich denselben, auf dem Sie eben gekommen sind, zu Fuß gegangen. Gestern aber hatten wir den heißesten Tag des ganzen Sommers, und meiner Lebtag ist mir noch kein Gesicht vorgekommen, das so todesähnlich ausgesehen hätte wie das seinige. Er fand kaum mehr die Kraft, zu fragen, ob Sie hier wohnten, und als ich es bejahte und hinzufügte, daß Sie verreist seien, nickte er nur und sagte, er sei mit Ihnen in London zusammen gewesen und wisse gewiß, daß Sie nichts dagegen hätten, wenn er sich hier ein bißchen ausruhe. So ließ ich ihn denn nicht nur herein, sondern gab ihm auch, da Sie ja niemals etwas verschließen, einen tüchtigen Schluck von Ihrem Whisky.«
»Recht so,« sagte Langholm. »Und dann?«
»Dies schien ihm gut zu tun, denn bald darauf begann er zu sprechen. Er fragte mich über die Herrschaften in der Umgegend aus und ob sie schon lange dort wohnten. Schließlich mußte ich ihm sogar den Weg nach Normanthorpe House beschreiben, nachdem er vorher eine Menge Fragen über Mr. und Mrs. Steel an mich gestellt hatte. Es war gar nicht leicht, über das, was neulich in Normanthorpe zu Tage gekommen ist, zu schweigen, aber es fiel mir ein, was Sie vor Ihrem Weggehen über diese Sache gesagt hatten, und so überließ ich es andern, den jungen Mann aufzuklären.«
»Gut,« sagte Langholm. »Ist er denn auch wirklich nach Normanthorpe gegangen?«
»Auf den Weg hat er sich gemacht, trotz meiner Bitte, sich auszuruhen, während wir versuchen wollten, im Dorf einen Einspänner aufzutreiben. Sein Eigensinn hat ihn aber schließlich fast das Leben gekostet. Noch war er unsern Augen nicht ganz entschwunden, als wir plötzlich sahen, wie er schwankte und das Taschentuch an den Mund hielt, während das Blut zwischen seinen Fingern hindurch auf die Straße tropfte.«
»Eine Hämoptoë!«
»Ja, Herr, das war das Wort, das der Doktor gebrauchte, und er sagte, daß, wenn der junge Herr einen zweiten solchen Anfall bekäme, so sei es aus mit ihm. Sie können sich also denken, was für eine Zeit wir durchgemacht haben. Wenn es ein Freund von Ihnen ist, so soll mich meine Mühe aber nicht reuen. Auf alle Fälle ist der arme Herr – –«
»Er ist in der Tat ein Freund von mir,« unterbrach sie Langholm, »und wir müssen für ihn tun, was in unsern Kräften steht. Ich will mich mit Ihnen in die Pflege teilen, Frau Brunton. Heute nacht sollen Sie nicht wieder um Ihren Schlaf kommen. Haben Sie ihn in mein Zimmer gebracht?«
»Nein, Herr Langholm, Ihr Bett war noch nicht bereit, und da haben wir ihn in unser eigenes gelegt. Und nun hat er alles so nett, sauber und behaglich, als wir es ihm machen konnten. Wenn wir ihn nur durchbringen, den armen jungen Herrn!«
»Gott lohne Ihnen Ihre Güte, Sie sind eine brave Frau!« rief Langholm aus warmem Herzen. »Wenn unsre Hoffnung sich nicht erfüllt, so ist es Gottes Wille und nicht unsre Schuld. Ich möchte den armen Jungen nun aber doch gern sehen.«
»Sie werden von ihm erwartet. Er sagte dem Herrn Doktor, daß er Sie sogleich nach Ihrer Ankunft sprechen müsse, und der Herr Doktor erlaubte es auch. Aber gehört kann er bis jetzt nichts von Ihrer Ankunft haben, denn unser Zimmer liegt auf der andern Seite des Hauses.«
»Trotzdem will ich jetzt gleich zu ihm gehen, und zwar lieber allein, Mrs. Brunton, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Severino lag in einem hochaufgetürmten zweischläfrigen Bett, und seine schwarzen Locken waren auf einem blendend weißen Kopfkissen verstreut, von dem sich das todesblasse Gesicht kaum abhob. Eine durchsichtige Hand kam unter der Decke hervor, um Langholms ausgestreckte Rechte zu erfassen, fiel jedoch kraftlos auf des kranken Mannes Brust zurück.
»Können Sie mir verzeihen?« flüsterte er mit dumpfer, heiserer Stimme.
»Was gibt es denn zu verzeihen?« sagte Langholm lächelnd. »Sie hatten doch das Recht, hinzugehen, wo Sie wollten. Wir leben in einem freien Land, Severino!«
»Ich bin ja aber doch in Ihr Hotel in London gegangen – hinter Ihrem Rücken.«
»Das war sehr begreiflich, mein guter Junge. Nun kommen Sie und lassen Sie mich Ihnen die Hand drücken, ob Sie nun wollen oder nicht.«
Dabei ergriff der gesunde Mann die Hand des Kranken mit frauenhafter Zartheit, dann setzte er sich ans Bett und schaute prüfend in die tiefeingesunkenen, fieberglühenden Augen. Die Hitze mußte sich indes ins Gehirn gezogen haben, denn des armen Burschen Hände waren eiskalt.
»Sie fragen mich ja gar nicht, warum ich das alles getan habe?« kam es endlich von den bebenden Lippen.
»Vielleicht weiß ich es.«
»Sprechen Sie, dann will ich sagen, ob Sie richtig geraten haben.«
»Sie kamen, weil Sie sie wiedersehen wollten – ihre gütige Freundin – und die meinige,« antwortete Langholm sanft.
»Ja, sehen wollte ich sie noch einmal – ehe ich sterbe.« Und wieder blitzten die fiebrisch glänzenden Augen auf.
»Sie werden nicht sterben,« sagte Langholm in abwehrendem Tone.
»Doch, und zwar bald. Unter Ihren Händen, wie ich fürchte. Und doch habe ich sie noch nicht gesehen!«
»Sie werden sie sehen!« beruhigte ihn Langholm mit liebevoll-ernster Stimme. Ein leichter Druck der abgezehrten Hand dankte ihm, Langholm aber war es plötzlich, als schaue der kranke Jüngling ihm nun auch seinerseits forschend ins Gesicht.
»Ich liebe sie!« rief Severino endlich leise und wie in einer Art Verzückung. »Hören Sie mich? Ich liebe sie! Was kann das jetzt noch schaden?«
»Es würde sie jedenfalls sehr betrüben, wenn Sie es ihr sagten,« entgegnete Langholm.
»Dann brauche ich es ihr ja nicht zu sagen.«
»Nein, wirklich, Sie dürfen es nicht tun.«
»Gut denn. Ich verspreche es Ihnen und mein Wort pflege ich zu halten. Nur, wenn ich mein Wort nicht gegeben habe ...«
»Ja, ja, lassen Sie das jetzt gut sein,« sagte Langholm lächelnd.
»So wollen Sie sie also zu mir herbringen?«
»Zuerst muß ich ihre Einwilligung und die des Doktors haben.«
»Aber Sie wollen Ihr Möglichstes tun, nicht wahr? Bedenken Sie, daß ich nur deshalb die Reise gemacht habe. Mit dem Doktor werde ich schon selbst sprechen.«
»Ja, ich will mein Möglichstes tun,« versicherte Langholm, sich erhebend.
Ein Flüstern folgte ihm bis zur Tür.
»Weil ich sie anbete!« waren die letzten Worte.