Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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XI.

Es war noch in der Nacht, da Fridolin sein Bündel schnürte und das Haus der Waldenberger still verließ.

Das Angesicht auf seines Weibes Lager, die Stirn auf ihrer Hand, lag Waldemar, und so war endlich doch der Schlaf über ihn gekommen. Ein kurzer, aber schwerer, dumpfer Schlaf, wie er sich auf die Unglücklichen senkt, die Alles mit einem Schlage verloren haben.

Er wußte von keinem Traum. Erst nach Stunden stahlen sich Schatten in seine halberwachende Vorstellung. Er stöhnte. Es war ihm, als würde er hoch gehoben, die Stube mit ihm und das Bette, worauf die leblose Gattin lag, die Diele darunter; eine zupackende Hand hielte ihn an der Stirnlocke niedergedrückt auf's Angesicht, und also flögen sie in die Nacht hinaus, in den Sturm, gen Himmel.

Es war nur ein Augenblick vor dem Erwachen. In der nächsten Minute raffte er sich auf. Sah, wo er war. Dämmerung ringsum in der Stube, 267 aber draußen sangen schon die Vögel in hellem Chor der aufsteigenden Sonne zu.

Er stand vom Stuhl auf, öffnete alle Fenster und ließ die Morgenluft breit hereinwehen. Das Angesicht, darauf er gelegen, schmerzte ihn, aber noch empfindlicher das Haar an der Stirne. Warum gerade das? Kam daher wohl der wüste Traum am Morgen? Er dachte nicht weiter darüber nach.

Er kehrte vor das Bette seines Weibes zurück und sah wieder nach dem blassen Angesicht, das reglos in der Morgendämmerung Schimmer vor ihm lag.

Er faltete die Hände vor dem Munde und sprach im tiefen Weh:

»Also bist Du wirklich todt, armes Herz! Und bist im Groll und Gram dahingegangen, unwissend, wie lieb Du mir warst, und doch mich liebend! Habe Dank auch für grollende Liebe! Ach, ach, warum bist Du mir gestorben!«

Er sank wieder in den Stuhl am Bette. Da, wie er wieder das Haupt auf die Brust fallen ließ, blieb sein Blick auf der Hand seiner Frau haften, auf derselben Hand, auf die er schlafend seine Stirne gelegt hatte.

War die Hand denn so gelegen, da er gestern seine Stirne drüber deckte? Nein. Gewiß nicht! . . . Aber er hatte sie wohl selbst so verschoben. Was bewies das? Nichts. Er starrte das Angesicht an, 268 er beugte sich auf die Lippen, auf die Brust . . . Alles still, Alles starr!

Und doch die Hand . . . Sie war flach ausgestreckt gelegen gestern. Nun lagen die Finger fast gekrümmt. Und Jesus, mein Herr! was war das?! Der Anblick trieb Waldemarn das Blut zu Herzen und eiskalt lief es ihm den Nacken hinab. Zwischen dem Zeigefinger und dem Mittelfinger der stillen Frau bebten ein paar braune Haare. Seine Haare!!

Er sprang empor. Er warf sich wieder nieder. Er faßte die Hand in seine Hände. Der Athem versagte sich ihm. Er rang nach Luft und schrie auf: »Leonilla!«

Sein Ruf hallte wieder an den Wänden. Draußen in den Zweigen lärmten die Vögel. Der Körper des Weibes ruhte reglos nach wie vor. Waldemar sah's und sah's immer wieder und trocknete sich den kalten Schweiß von der Stirne.

Wie er so dagelegen, vom schweren Schlafe gefesselt, mocht' er eben selber die armen kalten Finger verschoben und sich die Haare, die paar Stirnhaare, die zwischen die leblosen starren Finger gerathen waren, selber ausgerissen haben.

Ja gewiß! Und doch konnt' er den Blick nicht von den Fingern abwenden. Und je länger und staunender er die ausgerissenen Haare dort betrachtete, desto deutlicher meinte er zu fühlen, wie sich ihm die Haare in der Kopfhaut zu heben schienen. 269

Da schrie der starke Mann noch einmal auf und faltete die Hände. War das wieder Augentäuschung? Narrten ihn die angespannten Nerven, daß er sah, was nicht war, daß er Bewegung sah, wo Alles stille lag?

Da, da! zuckte der Finger nicht? Nein. Er regt sich nicht . . . Ja doch, er hebt sich, ganz sacht, ganz leise, er krümmt sich kaum merklich in der Spitze, wie wenn er auf dem Linnen kratzen wollte . . . Nicht doch! Es war ein Wahn, er liegt ganz stille, er hat sich nicht gerührt . . . Doch, er hat sich gerührt. Die Haare stecken nicht mehr zwischen den Fingern, sie liegen auf dem Laken, unter der Hand. Also müssen sich die Finger geregt haben. Kein Sinnentrug hat das Auge geblendet.

»Leonilla! Leonilla!«

Er wirft sich mit aller Macht auf den Körper des Weibes; er wühlt alle Betten über sie, er deckt über sie, was ihm nur nahe reicht, um die Liegende zu erwärmen; er sucht nach Siegellack, nach Feuerzeug; er reibt die Haut; er drückt die Hände.

Die Hände rühren sich in den seinen, leise, kaum fühlbar, aber sie rühren sich. Waldemar ruft, schreit, weint. Da schlägt Leonilla die Augen auf.

Wirklich die Augen, die großen, schönen, sehenden Augen. Gott der Gnade, du lebst also! Sieh' dein Geschöpf im Staube knieen und beten.

Auch die Lippe zuckt. Und nun will sie sprechen. 270

»Nicht zunageln! . . . Nicht den Deckel schließen! . . . Luft, Luft!« haucht es von der zuckenden Lippe. Und ein Seufzer geht darnach, ein langer Seufzer, wie der einer Erwachenden, einer Genesenden.

»Mein Gott, sie hat gehört, was Joseph gesagt hat,« spricht Waldemar voll Schaudern und Staunen, voll Mitleid und voll Glück und ruft wieder Leonilla bei Namen, und jetzt erst wendet sie das Auge, jetzt erst sieht sie ihn und das Auge bleibt auf seinem Angesicht haften und es füllt sich mit Thränen, die langsam eine nach der andern über die blasse Wange rollen.

Nun kommt Joseph, der den Herrn hat schreien hören. Er sieht und glaubt's nicht, und schreit noch lauter und springt jubelnd aus der Thür, durch's ganze Haus zu jauchzen. Er begegnet dem Tagelöhner, der endlich mit dem Arzt ankommt.

Der hatte sich Zeit gelassen auszuschlafen. Bei ausgemacht verzweifelten Fällen kommt man auch spät noch zu früh. Nun fand er's freilich anders und kriegte alle Hände voll zu thun.

Waldemar wich den ganzen Tag nicht vom Lager seines Weibes; er ließ die liebe Hand nicht los und ward nicht satt, in die schönen Augen zu sehen. O, wie schön ist ein Auge, das neuerdings aufblickt, nachdem es schon einmal die ewige Nacht zu sehen gemeint hat, und wie anders sieht es die Welt!

Der Werth der Güter mißt sich im Verluste. 271

Wohl Dem, der schier Verlorenes noch einmal wiederfindet und bewahrt. Waldemar und Leonilla hatten sich wiedergefunden.

Waldemar wollte viel reden, ihm war das Herz so voll, er wußte nicht aus noch ein, der sonst so ruhige Geselle. Leonilla legte ihm die Hand in's Haar und wehrte seinen Erklärungen. Sie hatte nur Ein Wort und das sagte sie mehr als einmal:

»Ach, wie schön ist das Leben und wie gut, wie gut bist Du!«

»Ich wußte ja, daß Du mir so nicht sterben konntest,« antwortete Waldemar. »Ich wußt' es ja, bei meinem Glauben war kein Verdienst. Nun halt' ich Dich fest! Ein neues Leben!«

Wer beschriebe das höchste Glück, das Glück solcher Auferstehung, das Glück des Wiederfindens nach sicherem Verlust?

Wirf deine Feder hin, armer Dichter! Hier endet sterbliche Kunst. Das höchste Entzücken wie der tiefste Schmerz haben keinen Namen, sie reden nicht und lassen sich nicht schildern.

Komm' du, rosiger Gott der Liebe, mir zu Hülfe und lasse deinen Vorhang niederwallen über den Glücklichen, Waldemar und Leonilla! Sie leben. 272

 


 


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