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Frau von Santalatona hatte im Laufe der Zeiten wohl erkennen müssen, daß, was sie der Tochter an den Augen absah, denn doch nicht immer den Wünschen ihres Herzens genau entsprach. Ja, so sehr es sie schmerzte, sie konnte sich nicht verhehlen, daß es oft nur ihrer voreilig geäußerten Zustimmung bedurfte, um dem launischen Mädchen einen schon ausgesprochenen Wunsch zu verleiden.
Die gute Dame war begreiflicherweise noch immer sehr weit davon entfernt, den wahren Zusammenhang dieser Erscheinungen zu verstehen. Aber da sie sah, daß Manches, was sie nur allzu gut meinte, nicht im gleichen Sinn von ihrer Tochter aufgenommen wurde, so gewöhnte sie sich daran, das Nesthäkchen Leonilla nur eben für ein schwierig zu behandelndes Ding zu betrachten, für einen eigenartigen Charakter, dem man seinen eigenen Willen nicht durch aufdringliche Hülfe stören dürfe. War ihr ein Fund lieber als ein Geschenk, jenun, so legte sie ihr eben 236 die Geschenke so in den Weg, daß sie darüber stolpern mußte. Wenn sie sie dann als Fund aufnahm, so freute das die allzu gute Mutter noch mehr. Sie hatte ja alsdann nicht nur das richtige Geschenk errathen, sondern auch die richtige Art, wie das empfindliche Töchterchen beschenkt werden wollte.
Nach dieser Methode war sie auch bei dem wichtigsten Geschenke vorgegangen, welches sie ihrer Tochter machen zu müssen meinte. Sie wollte ihrer Tochter den Mann schenken, welchen diese im Stillen liebte. Aber Leonilla sollte nicht ahnen, daß auch ihr eheliches Glück ein Geschenk der Mutter war. Sie sollte glauben, dieß selbst zu finden, wie so Vieles, was Jene nur ihr auf den Weg gelegt.
Daher die Sorgfalt Theodora's, ihre Unterredung mit Waldemar von Waldenberg geheim zu halten. Daher ihre steigende Angst, je näher die Stunde rückte, in der sie den Rittmeister erwarten sollte. Daher die List, die erste beste Gelegenheit zu ergreifen, um von dem braven Manne nicht zum Freundlichsten zu reden.
Leonilla merkte seit einigen Tagen am Tischgespräch und allerhand ungewohnten Besuchen, daß ihre Mama das Haus an der Gartenstraße zu verkaufen oder umzubauen beabsichtige.
»Warum das, Mama?« fragte sie einige Stunden 237 nachdem die eine der rothen Rosen in die rechten Hände gelangt war.
Frau von Santalatona erzählte nun allerhand von den für solchen Verkauf so günstigen Zeitverhältnissen, von dem Entgang des Gewinnes, der aus dem unbenützten Grundstücke zu ziehen wäre, und noch sonst von Diesem und Jenem.
Leonilla glaubte kein Wort von alledem. Erst als die Mutter auf die Bewohner des Hauses zu sprechen kam, spitzte sie die Ohren.
Da hörte sie wenig Erfreuliches. Die Leute waren gar nicht nach dem Geschmack der Frau von Santalatona. Komödianten und Musikanten, wüstes, demagogisches Volk, das die Nacht zum Tage machte. Haarsträubende Geschichten von Orlando's Trunksucht und Bolle's brutaler Stärke kamen zum Vorschein; ein ewiges Singen und Lärmen; wenn der Eine schlief, johlte der Andere gegen die Sterne, und schnarchte Dieser, hämmerte Jener aus Leibeskräften vom frühesten Morgen an als sein eigener Tischler, Klempner oder Schuster.
»Es wohnen doch auch noch andere und artige Leute dort,« sagte Leonilla, nicht wenig auf Mütterchens Antwort gespannt.
»Ich weiß, wen Du meinst. Der lange Rittmeister, der jeden Morgen hier aus und ein trampelt, als ob er im Hause wohnte oder sonst ein Recht, 238 hier herumzureiten, hätte. Ich werde nicht böse darum sein, wenn auch dieser Mißbrauch einmal unterbleibt. Habe auch von dem alten Junggesellen nicht viel Gutes gehört.«
»Gewiß auch nichts Schlechtes!« warf Leonilla ein. Der verhaltene Zorn röthete ihr die Wangen.
Theodora zuckte die Achseln, als wär' ihr das Eine so gleichgültig wie das Andere, wenn es sich auf jenen Mann bezog. »Habe nicht viel darnach gefragt, liebes Kind.
›Nichts ist heilig für einen Ulan,‹
singt das Volk. Und was mich betrifft, mir genügt's, daß er ein Reiteroffizier ist, um keine Freude an ihm zu finden. Mir haben diese Herren wenig Glück gebracht.«
»Ach so!« sagte Leonilla unwillkürlich und dachte dazu: Mama spielt auf den armen todten Mann an, den Carlotta geliebt hat. Sie sah das Bild wieder vor Augen, aber auch die Kehrseite des Kärtchens mit der Schwester warnender Schrift.
Sie verschränkte die Arme unter dem Busen, ließ den Kopf auf die Brust hängen und träumte mit finster blickenden Augen so vor sich hin. Es ward ihr immer klarer, daß Mama auch ihr Glück ebenso vereiteln würde, wie das Carlotta's. Und aus was für hinfälligen Gründen! 239
Es traf sich gut, daß eben Besuch sich melden ließ, der die peinliche Unterredung unterbrach. Gleichgültige Menschen, langweilige, schwatzhafte Basen, vor denen Leonilla auf ihr Zimmerchen flüchtete.
Sie stürzte auf ihren Schreibtisch zu und riß das geheime Fach auf. Wieder hielt sie sich das bleiche, dem Tod bewußt entgegensehende Gesicht und die Handschrift der Schwester vor die weitgeöffneten Augen und schwor bei den theuren Schatten, die Worte zu beherzigen, mit denen Carlotta von Jenseits des Grabes zu mahnen schien.
Sie lag noch auf den Knieen, da kam's draußen auf dem Pflaster dahergetrappelt. Ein Stich, der ihr durch's Herz fuhr, schien zu sagen: »Das ist er!«
Sie flog an's Fenster. Sie sah Waldemar vom Fahrdamm abbiegen und gegen das Hausthor reiten. Die Jahre ihres Lebens hätte sie drangeben mögen, hätte sie ihn fragen dürfen: »Geliebter, liebst Du mich?«
Wußte sie das, war alles Andere leichtes Spiel.
Sie mochte den Mann wohl in diesem Sinn eigenthümlich genug betrachtet haben, denn der Reiter hielt still auf seinem Pferde vor ihr. Erst wohl nur, um einen Wagen vorüber rollen zu lassen, der zwischen ihm und dem Thor vorbeifuhr; dann aber offenbar in keiner anderen Absicht, als ihr fragend in's fragende Gesicht zu sehen. 240
»Wahrlich, schön ist das Mädchen und eigenthümlich genug,« dachte der Rittmeister. »Aber willst du auf dieß Gesicht hin dein Lebensglück und deine Freiheit wie auf eine Karte setzen?«
Solch' ein Gedanke, sich für's Leben zu entscheiden, gab auch seinen Blicken einen ernsten Ausdruck, den eine Liebende leicht für den der Liebe halten konnte.
Aber Leonilla war nicht leichtgläubig. Sie fühlte wohl, wie ihr das Herz bis zum Halse schlug. Sie ahnte wohl, daß in dieser Minute sich eine Entscheidung für's Leben vollzog. Aber in welchem Geiste? zu wessen Glück? Stumm blieb das Orakel des Herzens.
Der Reiter grüßte mit der Hand am Helm und ritt dahin.
Warum hätte er das schöne Bild nicht grüßen sollen, was sich so fromm betrachten ließ! Das Mädchen zitterte, als stünd' es barfuß im Schnee. Es wagte nicht zu danken mit dem Haupt, es fürchtete, schon heute früh zu weit gegangen zu sein. Nur die Lippen bebten, aber der Reiter sah es nicht mehr. Schon hörte sie den Hufschlag seines Rosses innerhalb des Thores verhallen.
Sie stand so da und horchte. Sie wußte lange nicht mehr, worauf. Und noch immer stand sie da, das Bildchen des seligen Herrn von Stock in der 241 Hand, am offenen Fenster wie eine Bildsäule. Sie schien der Gegenwart entrückt. Ein zeitloses Denken war in ihr. Und doch wußte sie nachher nicht zu sagen, woran sie eigentlich gedacht hatte.
Sie zuckte zusammen wie eine angerufene Nachtwandlerin, als eine Zofe bei ihr eintrat, sie im Auftrage der Mutter nach dem Salon zu bitten. Es waren feine Herrschaften zu Besuch gekommen, auf die man Rücksicht nehmen mußte, liebe Leute, welche Leonilla seit Jahr und Tag nicht gesehen, bedeutende Leute, welche großen Einfluß bei Hof und in der Gesellschaft hatten: der frühere Minister ***, ein entfernter Verwandter ihres Vaters, und seine stattliche Frau, die geistreiche Sidonie, die älteste Freundin der Mutter.
An jedem anderen Tag hätte Leonilla nichts Eiligeres zu thun gehabt, als in den Salon zu fliegen und sich zu Füßen der schlauen Dame zu setzen, welche die schönsten Geschichten aus der ganzen Stadt zu erzählen und den Trübsinnigsten zu erheitern wußte. Heute war in der nächsten Minute die ganze Botschaft vergessen.
Leonilla hatte wohl das geheime Fach ihres Schreibtisches verschlossen, sie war auch vor den Spiegel getreten in der guten Absicht, nachzusehen, ob ihre Haare nicht verschoben und ihr Kleidchen in guter Ordnung sei. 242
Aber als sie sich wirklich im Spiegel sah, stellte sie ihm eine ganz andere Frage. Sie betrachtete den Wiederschein ihres Wesens mit ängstlicher Neugierde, wie nie zuvor. »Kann man denn Liebe für dich fühlen, wenn man dich nur von Außen kennt?«
Der Spiegel gab keine Antwort. Sie sah nur, wie das Bild ihr gegenüber mit beiden Händen wie eine Verzweifelnde nach den Haaren fuhr. Sie erschrak vor sich selbst und begann sich selbst zu trösten. Sagte ihr doch der Spiegel, daß sie schön war, und ihr Herz, daß sie Liebe für so viel Liebe verdiente. Sie dachte an Waldemar's Augen und alles Glück erschien ihr erreichbar. Ihr Geist begann zu schwärmen. Sie dachte sich Wunder und Abenteuer aus. Sie warf sich in einen Lehnstuhl, ließ die Arme über die Seitenlehnen herabsinken und lächelte und träumte.
»Gäb's denn kein Zeichen dafür, daß er mich liebte?
»Ah, wenn er jetzt käme und fiele mit der Thür' in's Haus, und fragte derb und deutsch: ›Mädel, willst Du mich?‹
»Ach, er kann ja nicht kommen! . . .
»Alle Himmel, was ist das?!«
Leonilla glaubte nicht anders, als der Blitz hätte vor ihr eingeschlagen und die betäubten Ohren gellten ihr noch nach. Aber nein, es hatte wirklich draußen geklingelt und so derb und deutsch, wie Keiner die Schelle zieht, der dieselbe kennt, Keiner, der sie schon 243 öfter gezogen hat. Die machen's alle sanfter. Das ist kein gewohnter Besuch.
Und bei den schweren Tritten klingt was mit. Das sind Sporen. Leonilla sprang auf und tastete nach der Thüre. Narrten sie wirklich alle Sinne? Nicht doch! Drüben im Salon rückten sie mit den Stühlen. Der Besuch war ungewohnt. Der Besuch . . .
Eine wahnsinnige Freude kam über das Mädchen und eine wahnsinnige Angst dazu. Jetzt handelt sich's um dein Leben! rief jeder Pulsschlag ihrem Herzen zu. Es war ihr, als zischt' es um sie her in Weißgluthitze. Dein Glück liegt auf dem Amboß! Eine Minute noch und es erkaltet. Der günstige Augenblick kehrt nicht wieder.
Sie lief durch die Zimmerflucht. Sie wußte nicht, wie sie auf die Schwelle des Salons gekommen war.
Mit einem Blick meinte sie die Situation klar genug zu erkennen: Die erste Begrüßung war vorüber. Da saßen der Minister und seine Frau wie unfreiwillige Zuschauer und Richter einer peinlichen Unterredung, durch Freundschaft und Verwandtschaft immerhin dazu berechtigt. Der Rittmeister saß mitten unter ihnen wie Einer, der ein Anliegen vorbringt. Und die Mutter saß vor ihm mit so verdrossener Miene wie nur Jemand, der versagen will, was man von ihm bittet.
Was konnte der stolze Mann von der fremden 244 Frau zu bitten haben, wenn nicht die Hand ihrer Tochter?
Freilich, sowie Leonilla im Salon sichtbar ward, hielten die Sprechenden inne. Der stattliche Reiter erhob sich vom Stuhl und Mutter Theodora hatte nichts Eiligeres zu thun, während sie den »Fremden« der Tochter vorstellte, als diese über den Zweck seines Kommens eines Besseren zu belehren.
Leonilla mußte lächeln. Wie schlimm hatte es die Mutter vor, für wie leichtgläubig und kurzsichtig hielt sie ihr einziges Kind, wenn sie ihr solche Märchen aufband, wie daß ein Reichsfreiherr Hugo Bernhard Waldemar von Waldenberg auf Vehlingshof und Pracht sich von einem Paar dunkler, musikalischer Biedermänner im Auftrag schicken ließe, um wegen einer Wohnung im Hinterhause zu parlamentiren.
Ja, sie mußte lächeln und das verzogene Mädchen hatte deß kein Hehl. Es schlug die Augen verständnißinnig auf gegen den Mann, als wollte es sagen: Lassen wir die gute Mama nur reden; ich weiß recht wohl, wie ich, mein hoher Herr, mit Ihnen dran bin. Sie reichte ihm freundlich die Hand, und ob sie dabei auch über und über erröthete, sie gab der Handreichung einen kleinen, doch merklichen Nachdruck mit den zwei kleinsten Fingern, wie's nur unter alten Bekannten Brauch oder unter Solchen, die sich heimlich etwas ohne Worte anvertrauen wollen. 245
Sie trug eine sanfte Sicherheit zur Schau, die den Geliebten beruhigen sollte, die aber den in der That gelassenen Mann eher beunruhigte. Das Seltsame der Begegnung that's ihm an. Er vergaß, etwas zu sagen, und betrachtete mit gesteigerter Aufmerksamkeit das schlanke, überzarte Wesen, in dem eine selbstbewußte Energie nur auf die erste beste Gelegenheit zu passen schien, sich zu bethätigen.
Frau von Santalatona redete dabei immerfort. Die Angst, daß ihr Plan nicht mißlingen, ihre List sich nicht verrathen und ihre Tochter endlich glücklich werden möge, dazu das deutliche Bewußtsein, daß ihr in diesem Augenblicke keine Menschenseele zuhörte, ließ sie Worte zusammen reden, bei der weder sie noch die Anderen sich viel Gescheidtes denken konnten. Ein Glück, daß Leonilla zu sehr mit ihren Augen beschäftigt oder zu entrüstet war, um auf die Worte der verwirrten Frau zu horchen, sonst hätte diese ihre wahre Absicht nicht länger geheim halten können.
Allein die beiden alten Leute, unbetheiligte Zuschauer einer Szene, in der Augen und Hände mehr zu sagen hatten als vernünftige Redensarten, rochen doch ein Geheimniß hier im Salon. Und da es guterzogene, wohlwollende Menschen waren, wollten sie ihren Verwandten und Freunden nicht den Spaß verderben, wollten sie nicht zwingen, ihre Karten früher aufzudecken, als bis das Spiel in aller Form 246 und Ordnung an's Ende gebracht sei. Sie sahen sich nun ihrerseits auch verständnißinnig an, schmunzelten ein ganz klein wenig und standen wie von ein und derselben Feder gehoben auf, um sich sehr diskret, sehr höflich und sehr rasch zu empfehlen.
Nur schon über der Schwelle schob Dame Sidonie die Hand unter den Arm der alten Freundin und zwischen zwei Küssen auf die Wange lispelte sie ihr in's Ohr: »Sehr vernünftig arrangirt.«
»Um Gottes willen!« sagte die Baronin, »was meinst Du?«
»Nichts, nichts!« antwortete die Ministerin mit überlegenem Lächeln, derweilen die Excellenz gar gerührt wurde, und mit einem: »Der allmächtige Gott gebe seinen Segen dazu!« sich von der schlaueren Gattin abführen ließ.
Es war wohl nicht bloß die Gemüthsbewegung, welche diese kurze Szene hervorrief, die Frau von Santalatona nöthigte, die beiden jungen Menschen noch einige Minuten im Salon allein zu lassen.
Leonilla, nicht im geringsten um die Meinung Anderer besorgt, nur mit sich und ihrer eigenen vorgefaßten Idee beschäftigt, machte gar keine Miene, die alten Hausfreunde auch mit in's Vorzimmer zu begleiten. Kaum daß Jene mit der Mutter hinter der Thüre verschwunden waren, kehrte sie sich rasch zu Waldenberg um. Sie wollte die Sekunde, die 247 einzige, die ihr vielleicht so bald gegönnt war, nicht ungenutzt entfliehen lassen. Ihr Schicksal stand vor ihr, so dünkte sie's. Sie wollte ihm muthvoll entgegengehen. Hochgehobenen Hauptes, ein schönes, kühnes Lächeln um den Mund und doch den ganzen Ernst der Entscheidung in der Stimme, sagte sie:
»Ein Mann, ein Wort, Herr Baron! Täuschen Sie mich nicht! Ist in der That der Auftrag der Herren Hunzelsperger und Bolle die einzige Ursache Ihres heutigen Besuches bei uns gewesen?«
Waldemar wußte nicht recht, wie sie's meinte. Aber gleichviel! Es ging gegen seinen geraden Sinn, gegen sein Ehrgefühl, dem Mädchen in's Gesicht zu lügen.
Zudem der sichtbare Trotz in diesem gebrechlichen Wesen, der lodernde Wille, der die zierliche Gestalt wie eine Heldin in die Höhe richtete und diesem Kinderauge einen dämonischen Glanz eingab, sie hatten's ihm angethan, das Mädchen war in dieser Minute die gewaltigere von Beiden und er fühlte das, aber es that ihm wohl.
Ohne langes Besinnen verbeugte er sich und sagte: »Nein, mein Fräulein.«
»Dank,« hauchte Leonilla und gab ihm noch einmal die Hand. Aber sowie sie nun seine Berührung nur in den Fingerspitzen fühlte, sank der hohe Muth zusammen, sie konnte die Augen nicht mehr zu dem 248 Manne erheben, dem sie vorhin so kühn entgegengekommen war. Schweigend und die Blicke an den Boden bohrend, duldete sie, bis die Glut, die in ihren Wangen flammte, allgemach verkühlte und verblaßte.
Auch Waldemar fand kein Wort. Er ward nicht müde, dieß zarte Wesen mit dem seitwärts gebogenen Haupte, diese reichen Haare, dieß schlanke Profil, diese Elfengestalt immer genauer zu betrachten. Fürwahr der Mann war zu preisen, den dieses Glück in seine Arme schloß. Das Mädchen war wohl schön zu nennen. Und etwas Seltsames, Außerordentliches, Räthselhaftes war in ihrem ganzen Thun und Lassen, das eine Neugierde in seinem Herzen, eine Unruhe in allen seinen Sinnen anfachte, die sich wie Sehnsucht fühlten. Dabei kam's den Gutmüthigen wie Mitleid an; war er nicht ein zu derber, täppischer Geselle für dieß Mädchen, das aus Duft und Strahlen gewoben schien, konnt' er's wagen, sie mit seiner harten Faust zu fassen? Und nicht nur Mitleid, ein empfindlicher Vorwurf war dabei: dieß schöne Kind war erst seit gestern für ihn auf der Welt, derweilen sie ihr Herz und Glück an ihn gekettet seit Jahr und Tag. Undankbar und roh erschien er so sich selbst, ob er schon keine Schuld trug und auch noch jetzt nicht glaubte, daß er sie liebte, wie eben andere Leute zu lieben pflegen.
War es, daß sie das allzu lange Schweigen 249 ängstigte, daß die verkühlte Wange den Blick des Mannes nicht länger ertragen konnte, war es die Scham, daß ihre Verwirrung allzu deutlich vor dem Manne klar läge, Leonilla überwand sich und suchte nach einem Wort.
Wieder aus lächelndem Mund, aber zaghafter, schwankender als vorhin ging ihre Rede, obschon der Schalk sie ihr eingab: »Kamen Sie vielleicht, um mir die Rose zurückzubringen, die ich heute früh verlor?«
»Gewiß nicht,« versetzte Waldemar. »Ist sie doch nicht verloren und hielt ich sie doch für geschenkt.«
Leonilla antwortete mit keinem Worte, denn jetzt endlich bewegte sich die Thüre, um Frau von Santalatona wieder ihrem Salon zurückzugeben. Aber es war noch Zeit genug, daß ihre Tochter dem Mann sehr ernsthaft in's Gesicht sah und dazu mit dem Haupte nickte, als sollte das bedeuten: Wohl hab' ich Dir die Rose mit Willen geschenkt und – nicht bloß meine Rose, auch mein ganzes vollblühendes, tausendblätteriges Herz!
Da Donna Theodora, ihrem Vorsatz getreu, den ersten Besuch Waldenberg's in aller kühlen Förmlichkeit beenden wollte, machte sie nicht viel Worte mehr, als um den Fremden höflich zu beurlauben. Nur so gelegentlich ließ sie die Aufforderung fallen – 250 man brauchte sie gar nicht ernst aufzunehmen – daß der Sohn einer ihr von alten Zeiten her bekannten, man könnte sagen, vormals befreundeten Familie ihren Salon, auch ohne geschäftliche Wünsche zu vertreten, wiederbesuchen möchte.
Zwischen Mutter und Tochter wurde des überraschenden Besuchs nicht weiter Erwähnung gethan, außer daß die Baronin einmal achselzuckend sagte:
»Die gute Excellenz war heute von einer Seltsamkeit! Ich konnte es Sidonien nicht verhehlen, daß ich keine Freundin von also bei den Haaren herbeigezogenen Scherzen bin.«
Leonilla schwieg dazu und dachte sich ihr Theil. Theodora deßgleichen. 251