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An einem kalten Spätherbstabend, da an den Bäumen keine Blätter mehr hingen und man noch an einigen Wiesenrändern sehen konnte, daß es in voriger Nacht gefroren hatte, obwohl kein Schnee gefallen und der Himmel licht und klar war, ging ein Mann zu Fuß von der Station herauf nach Waldenberg.
Er trug ein schlicht bürgerlich Kleid, einen kleinen Filzhut auf dem Kopf und einen großen Stock in der Hand, er hieß Waldemar von Waldenberg und war Major a. D.
Es begegnete ihm Niemand. Die Landschaft, die des Winters harrte, schien wie ausgestorben. Nur der Rauch, der hier und dort aus den Schlöten zerstreuter Höfe gegen Himmel stieg, bewies, daß noch Leben in der Gegend.
Wär' einer der Bewohner vor die Thüre gekommen, um dem rüstigen Wanderer seinen Gruß zu bieten, dessen Ahnen einst auf dieser Straße gutwillig oder mit Gewalt ihren Zoll gefordert hatten, wer weiß, ob ihm ein fröhlicher Gegengruß geworden wäre.
Der einsame Mann ging tief in seinen Gedanken dahin. Er ging dabei so rasch, daß ihm warm wurde, daß er den Rock aufknöpfte und das Taschentuch zog. 325
Und doch war die Sonne schon hinter dem Berge, und an einer Mühle, deren Gang und Rad auf der Nordseite lagen, hingen lange spitze Eiszapfen. Er schlug deren ein paar mit dem Stock herab und ging dann langsamer seines Weges weiter.
Sowie er Waldenberg auf der mäßigen Höhe liegen sah, blieb er vollends stehen und sah dem Wölkchen zu, das über dem höchsten Schornstein gen Himmel zog.
Der Himmel war noch licht und blau und einzelne Strahlen der niedergegangenen Sonne blinkten noch darin. Der Wanderer sah ihnen nach, bis auch sie merklich zu verblassen anfingen. Dann ging er fürbaß, aber nicht so hastig, wie er bis hieher gekommen war. Er wollte nicht bei Tageszeit daheim anlangen. Er wollte nicht empfangen sein. Er wollte nicht einmal gesehen sein. Es war etwas in ihm, als müßte er sich seines Schicksals schämen, obwohl er es nicht verschuldet.
Als er endlich vor's Thor in der äußeren Mauer kam, ging auch die kurze Dämmerung schon in Nacht über. Im Häuschen an der Pforte wohnte Niemand mehr. Der biedere Joseph hatte jetzt Dringenderes zu schaffen, als gute Leute zu bewachen, die nicht an's Entspringen dachten.
Waldemar schritt den Baumgang hinauf. Das welke Laub, das ungefegt in der Allee lag, wie es 326 der Wind auf unregelmäßige Haufen geblasen, raschelte um seine Füße. Sonst war kein Laut zu vernehmen und keine Seele auf Wiese, Garten und Hof.
Nur ein alter Hund kam herangetorkelt und sprang dann mit unbeholfener Zärtlichkeit an ihm hinan. Ein armes, heiseres Thier, das weder mehr beißen noch bellen konnte und sich für's Gnadenbrod täppisch genug, aber auch nicht laut bedankte.
Im Hause zündeten sie jetzt Lichter an.
Waldemar blieb an einen Baum gelehnt stehen und schaute bald nach den Scheiben, bald auf Thor und Garten, manchmal auch nach dem Himmel, der schön langsam seine Lichter ansteckte. Drunten im Thal – das Dorf lag ziemlich ferne – läuteten sie zum Abendsegen. Er konnte nicht vom Fleck. Es ging ihm noch einmal mit aller Gewalt durch die Seele, wie sich in kurzer Zeit sein Leben gewandelt hatte.
Die frohen, derben Werkeltage, da er in der kleinen Gartenstraße, ein wackerer Soldat, gehaust, standen vor seinem Sinn. Seine Zufriedenheit, sein Stolz, sein damaliges Glück machten ihn lächeln – bitter lächeln.
Wie hatte sich doch Alles verändert! Wie und warum!
Ja, warum hatte der Herr von Waldenberg heirathen müssen!
Ohne die Heirath säß' er heute noch so froh zu Roß wie dazumal, und schliefe, wenn er Schlaf hätte, 327 und lachte, bis Schlafenszeit käme, mit guten Gesellen . . .
Vorbei!
Und nun!
Er war vergrämt, verarmt, seinem geliebten Beruf entrissen. Ein Niemand ohne Rang und Amt ging er in's schlichte Häuschen seiner Väter ein. Kaum daß mit Müh' und Alles verschlingenden Opfern die Ehre seines Namens und diese schmalen Wände waren gerettet worden. Er hätte sonst nicht gewußt, wo er sich betten sollte.
Er verstand von der Landwirthschaft nicht viel mehr als jeder Anfänger. Er mußte sich nützlich machen wie ein Knecht, und froh und dankbar sein, wenn ihm sein früherer Verwalter oder sonst ein Sachverständiger so gefällig an die Hand ging, daß er nicht mehr verdarb als gut machte und seines Gütchens möglichen Ertrag nicht verpfuschte.
Es riß ihm das Haupt empor aus seinen Gedanken. Es war wie ein Ton in der Ferne gewesen. Es war ihm gewesen, als hörte er weit drüben hinterm Berg Trompetenschall.
Wahn! Eine alte Wetterfahne knarrte leise auf dem armseligen Dache seiner Väter, als ächzte eine arme Seele. – Und Waldemar mußte sich besinnen, was ihn denn unter dem Dache seiner Väter erwartete!
Wieder seufzte der Wetterhahn. Vielleicht auch der Mann, der unter ihm stand und emporblickte. 328
Ein armes, krankes, zerrüttetes Leben, das er sich erheirathet hatte, das erwartete drinnen im Hause den Herrn von Waldenberg und erwartete seine Pflege, seine Sorgfalt, alle seine guten Gedanken.
Und was konnte er sich sonst noch vom Leben erwarten?
Es fiel ihm nichts mehr ein und er zuckte mit den Achseln, daß die Rinde des Baumes, daran er sich lehnte, knarrte.
Nun kam auch in die oberste Giebelkammer Licht. Er sah nach dem Schimmer empor und sah, daß das Fenster trotz der Nachtluft offen blieb. Und aus dem Fenster drangen jetzt Töne. Erst suchende, hin und wider wühlende Gänge, dann eine feste Melodie, ein bekanntes Vorspiel und endlich eine singende Stimme.
Waldemar kannte die Stimme wohl, und erkannte auch die Singweise und selbst die Worte.
Es klang ihm wunderlich durch die Nacht in's Ohr. Er wußte, daß es nicht verlauten würde, wenn jene singende Seele eine Ahnung davon hätte, der Herr von Waldenberg horchte hier unten auf:
»Nimm die Schätze dieser Erde,
Nimm die Kronen meiner Ahnen,
All' mein Denken, Fühlen, Ahnen,
Leib und Seele nimm dahin!«