Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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VI.

Die Uebung auf dem Exerzierfelde währte heute länger, als Waldenberg erwartet hatte. Sonne und Staub waren noch lästiger, als des vergangenen Tages.

Beschmutzt und müde kam er nach Hause zurück. Kaum daß er sich zum ergiebigen Frühstück Zeit nehmen konnte, mußte er schon wieder zu Pferde. Zum Diner war er ausgebeten.

Der warme, strahlende Maientag ging schon der Dämmerung entgegen, als ihm endlich eine stille Stunde gegönnt war, die er schweigend in seiner Stube verbringen wollte.

Die Beine behaglich ausgespreizt, das Koller aufgeknöpft, die türkische Pfeife unterm Schnurrbart, saß er behaglich auf seinem breitesten Stuhl und dachte, wie er glaubte, an nichts.

Da klopft es derb an die Thüre. »Was, noch immer keine Ruhe?« murmelt der Ulan in den 106 Rauch seiner Pfeife und auf sein »Herein!« erscheint Bolle verdrießlichen Angesichts in der Thüre.

»Mich muß bedünken,« beginnt Dieser, ohne die Aufforderung des Rittmeisters zu befolgen und sich einen Stuhl zu nehmen, »mich will bedünken, verehrter Herr Baron, daß die Tage unserer gemüthlichen Häuslichkeit gezählt sind.«

Was Teufel, wie meint er das! dachte sich Waldenberg, aber in Gelassenheit lächelnd sprach er: »Wollen Sie mir diese Wohnung aufkündigen, lieber Bolle?«

»Ach, wo denken Sie hin!« sagte Dieser und ließ auf den so unnachahmlich gespitzten Lippen sein lieblichstes Tenoristenlächeln zerschmelzen, daß sein ganzes Antlitz davon glänzte. »Sie, ich, der gute Orlando und das kleine Hausmütterchen – wir sind Alle so schön zusammengewöhnt, wir passen so gut zu einander, Keiner stört, Keiner verdrießt und Jeder versteht den Andern. Ich denke an keine Veränderung, von mir aus könnte und sollte es in Ewigkeit so bleiben . . .«

»Auch ich,« sagte der Rittmeister, während Bolle sich, seitwärts blickend, auf die Lippen biß. »Auch ich bin sehr mit unserer Häuslichkeit zufrieden. Ich sagte mir erst heute früh, daß wir alle Drei lustige Menschen sind und es daheim sehr behaglich zugeht . . .« 107

»Nicht wahr?« unterbrach ihn der Tenorist.

»Ich bin vollkommen zufrieden hier und denke an keine Veränderung, wenn nicht Sie . . .«

»Ich?!« rief Bolle. »Ja, wenn ich Eigenthümer dieses Hauses wäre! Aber ich bin nur der Miether, wie Sie wissen. Nun haben sich in dem Vierteljahrhundert, daß ich hier wohne, die Eigenthümer auch nicht einen Deut um die ganze Baracke gekümmert. Es war ihnen nicht einmal in den Sinn gefallen, den antediluvianischen, allerdings für jetzige Zeiten bescheidenen Zins zu erhöhen. Ich zahlte mein Sümmchen alle Halbjahr dem Administrator, kriegte meine Quittung und hauste wie ein Freiherr auf seinem Schloß. Ich hatte den Eigenthümer noch nicht einmal gesehen und mich kaum darum gekümmert, ob es eine Manns- oder Weibsperson sei.«

»Nun?!«

»Nun denken Sie sich mein Erstaunen, als heute ein Wagen vorfährt, eine umfangreiche, schwarzgekleidete Dame aussteigt und nach mir fragt. Wie kommt der Glanz in meine niedere Hütte? denke ich mir. Da gibt sie sich auch schon als die Herrin dieser Steine, Balken und Bretter zu erkennen.

»Was sie eigentlich von uns wollte, davon redete sie nicht so recht von der Leber weg. Es sei ihr so 'mal in den Sinn gekommen, auch diesen Theil ihres Grundstücks kennen zu lernen. Aber ich bitte 108 Sie, Baron, was kann die treffliche Matrone dieß bischen Cabuse viel interessiren – wenn sie nicht den lästerlichen Gedanken mit sich bringt, unser Nest dem Erdboden gleich zu machen und an seiner Stätte gleichfalls einen babylonischen Thurm für fünfzig Miethsparteien aufzurichten, wie sie schon auf der anderen Seite des Grundstücks einen stehen hat!«

»Wer weiß, Bolle, vielleicht denkt sie doch nicht daran.«

»Dann ist sie bloß hier herübergerollt, um angesichts des gemüthlichen Häuschens eben auf diesen ungemüthlichen Gedanken zu gerathen. Ich bitte Sie, die unsinnige Bauwuth liegt ja in der Luft. Man schont weder mehr das Lieblingsplätzchen seiner Mutter, noch das Grab des eigenen Vaters, wenn man nur daran Gelegenheit findet, seinen Nächsten recht tüchtig mit einer Bauspekulation über's Ohr zu hauen. Sehen Sie sich doch um in der Stadt: überall wird eingerissen und aufgebaut, und wo die Altvordern ein grünes Rasenfleckchen und ein paar schöne Bäume gepflanzt haben, da läßt es die Nachgeborenen nicht ruhen, bis sie auch diese Oase ausgetilgt und Alles in ihre Häuserwüste einbezogen haben. Es gibt noch so ein paar vergessene Winkelchen in der Stadt, wo man noch so nach alter guter Weise gemüthlich hausen und frei athmen kann. 109 Unser Heim ist so eins. Das sticht den Wüthigen nun auch in die Augen. Es muß auch das ruinirt werden. Verlassen Sie sich darauf.«

»Sie sehen zu schwarz, Bolle, die gute Dame konnte doch auch andere Absichten haben.«

»Auf mich? auf Sie? auf Hunzelsperger? Ich wüßte doch nicht, welche. Wenn sie Ihnen ein Pferd abkaufen oder uns Andere in ihrem Salon Musik machen lassen wollte, dann schickte sie ein Briefchen oder einen Mittelsmann. Was gab's da viel in eigenen Augenschein zu nehmen! Und wie sie sich alle Stuben öffnen ließ und wie sie in alle Winkel guckte und wie sie mich ausfragte – auch nach Ihnen hat sie gefragt, nach Ihren Umständen, Ihren Gewohnheiten, was weiß ich! . . . Nennen Sie's meinethalben ein Vorurtheil. Sie kennen mich zur Genüge. Sie wissen, ich beneide keinen Menschen um sein Glück, um sein Talent, um sein Vermögen. Aber die reichen Leute mag ich nicht . . . Nichts für ungut, ich rede nicht von den Leuten, die ihr Auskommen und noch ein tüchtiges Stück Geld darüber haben, bewahre, ich meine die außerordentlich reichen, die steinreichen, die sündhaft reichen Leute. Auch Diejenigen nehm' ich aus, die mit ihren Millionen der Menschheit und dem gemeinen Wesen so zu Hülfe gekommen sind, daß sie sich einen Platz in der Geschichte verdient haben. Diese wenigen, ach, so 110 jämmerlich wenigen Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Aber den gewöhnlichen Menschen macht der Ueberfluß dumm und meistens auch boshaft, und wenn auch das nicht, so macht er ihn doch unglücklich. Sowie ich das Geld nicht mehr darauf ansehe, meine Bedürfnisse damit zu befriedigen, sondern nur Bedürfnisse mühsam erfinden muß, um nur ein bischen mit dem Mammon aufzuräumen, der mich sonst erdrückt, komm' ich dem Laster schon weiter als auf halbem Weg entgegen. Wer nicht arbeitet – soll auch nicht essen, sagt die Schrift. Und das ist das Richtige, denn es ist das Natürliche, denn wer ißt, ohne zu arbeiten, der ißt sich krank. Wer keine nützlichen Gedanken hegt, von dem behaupte ich noch nicht, daß er sich gleich schlechte Gedanken mache, aber er macht sich unnütze, und es hängt nicht von ihm, sondern vom Zufall, vom nächsten Besten, von Wind und Wetter ab, ob diese unnützen Gedanken den anderen Menschen zum Schaden oder zum Nutzen gereichen. So glaube ich auch nicht, daß unsere Hauseigenthümerin mit dem festen Vorsatz, Uebel anzurichten, in unsere Wirthschaft die dicke Nase gesteckt hat. Aber was soll ich mir von einem Menschenkinde Gutes versprechen, welches, um vom Vorderhause, das es bewohnt, zu uns in's Hinterhaus zu kommen, nicht einfach durch die zwei oder drei Höfe herübergeht, sondern sich zwei Pferde vor den Wagen 111 spannen und dann eine Straße nach rechts, zwei in die Quere und zwei nach links kutschiren läßt, um dann endlich auf der anderen Seite ihres Grundstücks anzukommen. Nur beileibe nicht zu Fuße gehen und wie gemeine Menschen sein Futter verarbeiten! Nur durch fremde Hülfe sich bewegen! Das kann nobel sein, aber gesund ist es nicht und natürlich ist es auch nicht. Und wer sich so unnatürlich und ungesund geberdet, der hat mein Zutrauen in nichts.«

Waldenberg mußte lächeln. Der Mann, der jeden Morgen eine Meile weit zu Fuße ging, nur um seine kleine Küche mit etwas Fleisch zu versorgen, ihm konnte nichts verächtlicher erscheinen, als Einer, der sich zu so geringerem Weg einer Equipage bediente. Immerhin konnte er den Gedanken des rüstigen Bolle nicht alle Berechtigung versagen. Er hielt es selbst für das Wahrscheinlichste, daß der Besuch der reichen Dame durch das allgemein grassirende Baufieber und die epidemische Spekulationswuth veranlaßt sei. Er hatte dessen auch kein Hehl, nur meinte er, es ließe sich der Frau vielleicht noch ausreden, sie sei ja, wie er gehört hätte, schon reich genug.

»Reich genug?« rief Bolle erstaunt aus. »An diesem Wort merkt man, daß Sie, verehrter Herr Rittmeister, nicht reich sind. Wer ist denn reich genug? Wissen Sie denn nicht, daß Reichthum und 112 Genügen einander ausschließen? Das ist ja eben das Unsittliche, daß kein Reicher genug hat, sondern immer nach Mehr begehrt, wenn er auch schon nicht weiß, wo er mit dem Vorhandenen hin soll. Reichthum ist ein Trank, der den Durst nicht löscht, sondern immer nur gieriger und unersättlicher macht.«

»Sah denn die Dame gar so gierig aus, daß sie so schlimme Gedanken in Ihnen erregt hat?« scherzte der Rittmeister.

»Sie sah genau so aus,« antwortete der Sänger, »wie Jemand, der sich auch bei der kleinsten Strecke Weges lieber eines Wagens, als seiner Beine bedient, wie Jemand, der ein für alle Mal zu faul ist, zu Fuße zu gehen. Das Gesicht ist gewiß vordem recht schön gewesen; es könnte noch dafür gelten, und die feinen, weichen Züge ließen sogar auf angeborene Herzensgüte schließen; aber das freundliche Gesicht ist so umrahmt, so umpolstert und überwuchert von blühendem Fett, daß alle Züge in einander zu verschwimmen scheinen und selbst die Augen nicht zu ihrer Geltung kommen. Auf doppeltem Kinn treiben etliche Wärzchen ziemlich deutliche, wohlgekräuselte Löckchen; auch ein Schnurrbärtchen mag man ohne Beschwer entdecken – wo man die Gute ansieht, findet man Zeichen oder Sinnbilder zwecklosen Ueberflusses. Der Hals! die Hand! und gar die Arme! runde, schwellende Fettsäckchen von weißlicher Farbe. An 113 der ganzen Person nicht der geringste Ansatz entwickelter Muskulatur!«

»Bolle, Sie schildern ein Ungeheuer!« sagte der Rittmeister.

»Gott bewahre mich davor!« antwortete Jener. »Sie werden die Frau Baronin ja selber sehen und sprechen. Vielleicht gefällt sie Ihnen.«

»Ich glaube nicht, daß ich sie so bald zu sehen eilen werde.«

»Sie? Warum auch das! Die Baronin kommt schon zu Ihnen. Verlassen Sie sich darauf. Sie hat mir's ziemlich verständlich angedeutet.«

»Die Baronin zu mir? Sie träumen, Bolle.«

»Was ist da zu verwundern. Die Reichen haben ja gegen die Armen ein unaustilgbares Mißtrauen. Von mir hat sie wohl nicht Alles ausfragen können, warum es ihrer Spekulation zu wissen der Mühe werth war. In Ihnen sieht sie einen Standesgenossen, und im Standesgenossen vermuthet sie einen Gesinnungsgenossen. Was ist da zu verwundern? Seien Sie überzeugt, Sie erfahren noch vor Nacht, was aus unserem guten Häuschen werden soll . . . Je nun, am Ende kriech' ich mit dem alten Hunzelsperger auch noch anderswo unter. Lieb aber wäre mir's, wenn Sie der guten Frau ihre ungemüthlichen Projekte aus dem Kopf redeten und ihr begreiflich machten, daß sie das Häuschen bestehen und 114 uns in Frieden lasse. Und darum will ich Sie auch hiemit allerhöflichst gebeten haben.«

»Ich verspreche Ihnen das von Herzen gern, lieber Freund. Indessen glaub' ich nach wie vor, daß Sie sich täuschen. Ich kenne die Dame gar nicht.«

»Dann lernt sie Sie kennen. Was ist dabei?«

»Ich weiß nicht einmal recht, wie sie heißt.«

»Da haben Sie ihren langen, wohlklingenden Namen,« sagte der Tenorist und zog aus seinem häuslichen Zwilchkittel eine modische Visitenkarte, um sie mit unwilliger Geberde vor Waldenberg auf den Tisch zu werfen. »Sie war so höflich oder so vorsichtig, mir vor ihrem Besuch ihre Karte heraufzuschicken. Und das war gut, denn wäre sie mir nichts dir nichts in unsere Stube getreten, so hätte sie mich in Hemdsärmeln gefunden, wie ich meinen regens chori einseifte, um ihm die Bartstoppeln aus dem Gesichte zu scheeren, und ich ihm dabei die wichtigsten Passagen meiner neuen Rolle vorsang.«

Waldenberg hatte die Karte vom Tische genommen. Auf derselben stand in großen Buchstaben: Madame la baronne Theodora de Santalatona. Nachdenklich wiederholte der Rittmeister die wenigen Worte. Erst jetzt fiel ihm ein, daß er diesen Namen gestern oder vorgestern von seinen Kameraden hatte nennen hören . . . Und der Stallknecht, der sich ihm heute 115 Morgen im Vorderhause genähert, um nach seiner Besuchsstunde zu fragen, war wohl auch im Dienste der Baronin? Sehr wahrscheinlich. Was wollte die Frau von ihm? Er zuckte die Achseln und sagte laut: »Hier herrscht ein Irrthum, die Dame kann von mir nichts wollen.«

»Käme sie dann zu Ihnen, Herr Rittmeister?« erwiederte Bolle. »Wenn sich also reiche und bequeme Leute dergestalt inkommodiren, so wollen sie entweder eine Gefälligkeit erweisen, die sie wichtig genug dünken muß, oder sie wollen eine Gefälligkeit erwiesen haben, die der Mühe werth ist. Da Sie ein aufrechter, unabhängiger Mensch sind, kann von dem ersteren Fall nicht die Rede sein, also wird die Baronin von Ihnen eine Gefälligkeit zu erbitten haben. Und obschon sie's nicht merken lassen wollte, klangen auch manche Worte darnach. So ganz unter der Hand – es sollte wie zufällig aussehen – fragte sie, ob Sie barsch oder hochfahrend von Charakter . . . und ein andermal, ob Sie wirklich gutmüthig und wohlthätig seien. ›Er soll etwas wilde Sitten haben, sagt man,‹ warf sie einmal so hin und dann wunderte sie sich wieder über die Einfachheit Ihrer Wohnung.«

»Hoffentlich haben Sie mich recht schwarz gemalt, dann kommt die Donna nicht wieder,« versetzte der Rittmeister.

Der betrübte Tenorist aber antwortete: »Das 116 wäre mir leid. Denn kommt sie nicht wieder, so hat sie ihre Meinung von der Zukunft dieses Grundstücks schon fertig und statt ihrer kommen die Makler, die Geometer und die Architekten. Auch so hab' ich nicht viel gute Hoffnung mehr. Ich kenne diese Menschengattung. Wer weiß, wie lange wir noch Hausgenossen bleiben. Guten Abend, mein Herr Rittmeister von Waldenberg.«

Er wandte sich zum Gehen. Waldemar geleitete ihn bis an die Thüre und hörte noch, wie er auf dem Flur zu sich selber sagte: »Nein, die alte Gemüthlichkeit geht dahin,« und singend fügte er in seiner Weise die Worte des Halevy'schen Eleazar's hinzu:

»Und ich se-hu-la-be-la-vest stü-herze mi-hit in's Gra-wab!« 117

 


 


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