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Gott hat dich lieb.

(Vortrag zum Schwesternfest.)

Ob dich der Trübsal Nacht umzogen,
Ob du in bittern Schmerzen weinst,
Scheinst du um alles Glück betrogen,
Ob du dich ganz verlassen meinst;
Und liegt sogar dein Heim zertrümmert,
Wenn dir kein Herz noch eigen blieb,
Ob sich kein Mensch um dich noch kümmert –
Gott hat dich lieb.

Gott sieht dich, wo dein Fuss auch schreitet,
Und weiss am besten, was dir frommt;
So folge froh, wie er dich leitet,
Wie mancher rauhe Pfad auch kommt.
Und kannst du ihn auch nicht verstehen,
Warum er je dir Leid verschrieb,
Es musste sein, was dir geschehen –
Gott hat dich lieb.

Gott hat dich lieb – diese Worte enthalten eine Botschaft des Friedens und des Trostes für alle Menschenherzen. Wo sie empfunden und verstanden werden, kehrt ein lichtstrahlender Engel des Friedens ein in alle düsteren Stätten der Schmerzen und des Jammers. Wie der Morgensonne strahlendes Licht alle Tiefen hell macht, so werden auch hell in dem Himmelsglanze jener Worte die tiefsten Abgründe des Kummers und der Verzweiflung. Neue Lebensfreude zieht ein in das gequälte Herz und neuer Muth, neue Kraft zu dulden und zu ringen, empor zu ringen aus aller Finsterniss der Erde zu dem Lichte eines neuen Lebens.

Gott hat dich lieb – nur solche Menschenherzen empfinden den unendlichen Trost dieser Worte, welche ihren Gott gefunden haben. Aber die Anerkennung einer in der Natur wirkenden Kraft kann den Segen solchen Gottesbewusstseins uns nicht bringen. Nur wenn wir Gott so gefunden haben, dass wir in ihm den gütigen Vater erkennen, welcher in liebreicher Fürsorge unsere Geschicke lenkt, nur dann ist uns unser Glaube an ihn ein Quell nie versiegenden Trostes. Wir wissen, er ist die Weisheit – er ermisst viel mehr, als uns erkennbar ist. Und wir wissen ferner, er ist die Liebe, er kann nur Gutes, nur Liebreiches mit uns im Sinne haben.

Es würden nicht so viel Weltschmerz und Verzweiflung in der Welt sein, wenn nicht so viele Menschen ihren Gott verloren hätten. Das Bewusstsein, ein Spielball des Zufalls oder grimmiger, geheimnissvoller Mächte zu sein, ist allerdings nicht zu ertragen. Wie ein verlassenes, ohnmächtiges Wesen mitten in all dem kreisenden Jammer, in dem Banne unheimlicher finsterer Gewalten zu stehen, dafür ist keine Lebensfreude stark genug, dazu reicht unsere Kraft nicht aus. Auch der zeitweilig Glücklichste steht in diesem unerträglichen Banne. Ein in finsterer Nacht, in Sturm und Unwetter irrendes krankes und verlassenes Kind, ohne bestimmte Richtung des Weges, ohne Ziel – das ist das Bild Derer, welche Gott und ihre Heimath verloren haben. Dagegen ein Kind, welches des Vaters sichere Hand durch Nacht und an allen Tiefen vorüber zur Heimath führt – das sind Diejenigen, welche einen Vater und die Heimath im Himmel erkannten.

Wir glauben Alle an Gott, wir haben in ihm den allweisen und liebreichen Vater gefunden. Wenn wir das immer beherzigen, dann kann kein Geschick des Erdenlebens uns jemals überwältigen. Dann werden wir in Gottvertrauen Alles überwinden. Dann stellen wir Gott Alles freudig und getrost anheim.

Es sind viele Menschen, die wohl Gott danken und preisen mögen, wenn es ihnen wohl ergeht, die sogar in frommem Sinne das Alles gerne als ein Geschenk Gottes ansehen wollen, was ihnen im Leben an Freude und Glück «geschieht. Aber wenn bittere Stunden kommen, dann meinen sie von Gott verlassen zu sein. Kann denn der Schmerz aus anderer Hand kommen, als die Freude? Oder könnten wir uns Mächte denken, welchen Gott nicht überlegen wäre? Welch eine traurige Gottesvorstellung wäre das. Dann könnten wir in Gott keinen Trost finden. Dann hätten wir überhaupt keinen Gott.

Der die Freude giebt, giebt auch den Schmerz. Und er weiss warum. Unser schwaches Erkenntnissvermögen reicht nicht aus, seiner Weisheit zu folgen. Wir sind zu kurzsichtig und einseitig, um Alles, was uns widerfährt, auf seine volle Bedeutung prüfen zu können. Wir haften nur an dem Einzelnen, wir können den Zusammenhang des Ganzen nicht sogleich überblicken. Und doch haben wir es wohl Alle schon erfahren in unserem Leben, dass ein grosses Unglück, welches uns betroffen, uns die Grundlage neuen und grösseren Glückes wurde; wie manches schwere Leid ist uns der Anfang neuer Freude geworden.

Unser Geschick ist nicht auf unseren Erdenweg allein beschränkt. Es steht in Zusammenhang mit einem zukünftigen Leben. Für dieses zukünftige Leben will Gott uns auch erziehen. Wie manches Leid, welches er uns schickt, ist nur eine Mahnung, dass wir unser Glück nicht suchen sollen und nicht suchen können in dem vergänglichen Getriebe der Welt. Wie mancher Kummer, von dem wir heimgesucht wurden, war nur ein liebreicher Ruf des allgütigen Vaters, zurück zu kehren mit unserem Sinnen zu ihm. Wir folgen seinem Rufe nicht immer sogleich. Unsere sinnliche Natur will uns zu oft überwältigen. Wie manchmal müssen wir als schwache irrende Menschen in die Finsterniss der Trübsal geführt werden, damit wir wieder das Licht suchen, welches alle Finsterniss hell macht. Wie manches auf dem weichenden Gerolle der Erde von uns aufgerichtete Gebäude des Glückes muss zusammenstürzen, damit wir bauen lernen auf dem Fundamente, welches nicht wanken kann.

Gott hat dich lieb – wenn im wahren Glauben dieses Bewusstsein uns erfüllt, dann werden wir in den schwersten Fügungen still und getrost sein. Was Gott uns sendet, ist das Beste für uns. Er hat uns wohl die geistige Kraft verliehen, an dem Bau unserer Glückseligkeit selbst zu schaffen. Aber wenn alle unsere Arbeit vergeblich war, dann müssen wir denken, dass wir nicht recht gebaut hatten, dass seine Weisheit uns anders leiten wollte. Er hat uns das tiefe Gemüth gegeben, dass wir darin Frieden und Seligkeit finden sollen. Aber wenn wir das nicht erreichen, was nach unserer Meinung uns Frieden und Seligkeit gebracht hätte, dann müssen wir vertrauen, dass seine Weisheit unserer Meinung entgegen gewesen ist. Es ist nicht alles zu unserem Heile, was wir dafür halten.

Wenn du eine Wunde in deinem Herzen hast, weil dein liebebedürftiges Gemüth nicht das Ziel seiner Wünsche erreichte oder wenn du getäuscht wurdest in deiner Liebe, wenn Bande, die dir so theuer gewesen, zerrissen sind und du nun an deiner Wunde am liebsten verbluten möchtest – sei stark und getrost im Glauben. Gott hat dich lieb. Er weiss am besten, was zu deinem Glücke dient. Es musste sein, was dir geschehen ist. Gott sieht weiter als du.

Wenn Gottes Rathschluss von Allem, was du liebtest, das Liebste dir durch den Tod entriss – verzage nicht und wanke nicht in deinem Glauben. Gott hat dich lieb. Gott hatte auch Diejenigen lieb, welche nach deiner Meinung zu früh hier scheiden mussten. Wenn er von dieser Erde sie genommen, so hat er es aus Liebe so gefügt. Und manchmal zieht er Menschen, welche uns am liebsten sind, zu sich in eine neue Welt empor, damit wir sie nun suchend, ihnen folgend mit unserem Lieben, unser Herz um so mehr empor richten sollen in die Ewigkeit.

Einst werden wir erkennen, wie weise Gott uns geführt hat und wie liebreich er uns gewesen ist.

»Einst werd' ich das im Licht erkennen,
Was ich im Anfang dunkel sah,
Das wunderbar und herrlich nennen,
Was unerforschlich mir geschah;
Einst sieht mein Geist mit Preis und Dank
Die Schickung im Zusammenhang

Gott hat dich lieb. O dass ich hinausrufen könnte dieses Wort in alles Bangen und Zagen, in allen Schmerz und alle Verzweiflung auf Erden. O dass ich alle Menschenherzen öffnen könnte für diese selige Botschaft, dass alle sie aufnehmen möchten als den einzigen, aber niemals versiegenden Trost auf der Wanderung durch dieses Leben. Dann würden keine kranken Herzen mehr sein und alle Thränen würden gestillt. Dann würde das dunkle Thal der Erde ein sonniger Garten Gottes werden.

Gott hat dich lieb. Geliebte Schwestern und Brüder – in dem Glauben an dieses Wort finden wir die Kraft, den schweren Kampf des Erdenlebens durchzukämpfen, in allem wechselnden Loose der Zeit aufrecht zu wandeln. Nur in diesem Worte können wir die Freudigkeit des Lebens gewinnen.

Hier unter dem Sterne des Maurerthums ist die schönste Stätte des Glaubens an den allweisen und allgütigen Vater der Menschen. Eine Hütte Gottes bei den Menschen ist dieses Haus. Darum ist hier Lebenskraft, Lebensmuth und Lebensfreude. Hier reichen wir uns als Kinder, die ihren gemeinsamen Vater gefunden haben, in Liebe die Hand zu einem festen, unauflöslichen Bunde der Kinder Gottes. Gott hat dich lieb – das empfindet und weiss jeder Einzelne von uns. Und weil dieses herrliche Wort jedem Einzelnen gilt, weil wir wissen, dass Gott uns Alle mit gleicher Liebe liebt, darum lieben auch wir uns als Gleichberechtigte und Gleichgeliebte vor Gott. So haben wir hier ein Asyl der Liebe in der uns umgebenden Selbstsucht der Welt, eine Stätte des Friedens in allem Hader des Erdenlebens, eine Insel der Seeligen in der uns umtosenden Brandung des irdischen Getriebes, der Unseligkeit der Kinder der Welt. Wir stehen auch in dem Getriebe der Welt, wir müssen auch in irdischen Interessen ringen und kämpfen, aber die Seligkeit, welche hier an dieser Stätte uns erfüllt, nehmen wir auch mit hinaus ins Leben. Der Frieden, welcher uns hier segnet, bleibt auch in dem Getriebe der Welt unser eigen. Das Licht, welches uns hier die Seele so sonnig hell macht, leuchtet uns auch nach in die finsteren Tiefen, welche unser Fuss durchschreiten muss.

Diese unsere Gemeinschaft ist das Urbild der Gemeinschaft, zu welcher alle Menschen einst gelangen sollen. Unser Bund mit seinem Frieden und seiner Seligkeit ist das Ideal des Reiches Gottes auf Erden. Mehrer dieses Reiches Gottes zu sein, ist des Maurerthums höchstes Ziel.

Und wie hier das Bewusstsein der Liebe Gottes uns vereinigt und zusammenhält, so treibt diese Liebe, welche Gott zu uns hat, uns auch dazu, dass wir ihn lieben. Ihn lieben heisst, dass wir seinem Wesen, welches die Liebe ist, unser Wesen nachzubilden suchen. Gott ist die Liebe. So ist auch die Liebe das Wesen eines in solchem Gottesbewusstsein stehenden Menschen. Es ist nicht die Liebe der Welt, die meist aus Interesse und Selbstsucht nur liebt, die sogar in Hass sich verwandeln kann – es ist die Liebe, welche ohne Gegenliebe und ohne Interesse liebt, welche nicht anders kann, als lieben und segnen. Es ist die Liebe, die auch dem Hasse gegenüber noch Stand hält. Es ist die in der höchsten menschlichen Offenbarung der Erde sichtbar gewordene Liebe, welche die Feinde segnet und für die Mörder noch betet.

So stellen wir uns in den Dienst Gottes, welcher die Liebe ist. So wollen wir Werkzeuge sein seiner Liebe und Barmherzigkeit. Aber wir wollen nicht allein Liebe predigen, wir wollen auch in unserem Leben solche Liebe bethätigen. Unsere menschliche Erscheinung, das Bild des Menschen von Erde, soll sich verklären in Gottes Wesen. So tragen wir hinaus in alle Welt die selige Botschaft: Gott hat dich lieb. So trösten wir die Traurigen und richten empor, die gebeugt sind. So schaffen wir an einer neuen seligen Zeit, wo die ganze Erde ein sonniger Garten Gottes wird und alle Menschenherzen erfüllt sind von dem Frieden Gottes und der Seligkeit eines neuen, das dunkle Loos der Erde überwindenden Lebens.

Geliebte Schwestern – helfen Sie dazu mit. Treten Sie mit ein in diese Gemeinschaft der Kinder Gottes, die sich in seinen Dienst stellen und Werkzeuge sein wollen seiner Liebe. Stellen Sie sich mit uns Hand in Hand in den lichtvollen Glanz unseres Maurersternes, damit sein Licht Sie selbst selig mache und auch durch Sie immer mehr derer selig werden, die noch in Finsterniss und Schatten des Todes trauern. Geben Sie uns Ihr Herz in Vertrauen, uns und dem, in dessen Dienst wir gestellt sind. Bauen Sie mit an seines Reiches Vollendung.

»Jauchzt, ihr Kräfte, freuet euch,
Neues Leben zu beginnen;
Gott und seiner Liebe Reich
Wird in euch nun Raum gewinnen.
Kommt und schwört den Huld'gungseid,
Kommt und schliesst den Bund der Liebe.
Ach, dass Niemand aussen bliebe –
Hier, ja hier ist Seligkeit.«

Br. Friedrich Holtschmidt.


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