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»... Des Heil'gen Stromes Well'n ...«

Frühmorgens, wenn in den Kasernen der englischen Garnison die Reveille geblasen wird, geht die Sonne auf über dem flachen, rechten Ufer des Ganges – hier aber, am linken, hoch gebauten, steigen über viele Treppen der heiligen Stadt Benares die Scharen der Frommen zum Strom hinab, um in ihm zu baden.

Vor Dasasamedh-Ghat, der Stelle, an der Brahma dem Strome sein Zehn-Pferde-Opfer dargebracht hat, wartet das Boot, das uns gangesaufwärts die vielen Badeplätze entlang führen wird, bis zum Chauki-Ghat mit dem Feigenbaum, unter dem, auf hohem Säulenbau, der aus dem Wasser emporragt, unter großen gelben Bastschirmen in sich versunkene Mönche und Pilger, gelbgewandet, aschebestreut sitzen – sodann gangesabwärts, den Ruderern des schweren Bootes willkommen, bis zu den spitz und hoch in die Luft stechenden Minarettnadeln der Aurengzeb-Moschee, einem kecken, aufreizenden Bau, der über Pantschganga-Ghat, dem heiligsten Badeplatze, zur Demütigung der Hindus erbaut worden ist – von eben demselben üblen Burschen Aurengzeb, der, aus Mumtaz i Mahals Flanken geboren, seinen Vater einsperren ließ, ein gewaltsamer Eroberer wurde, Herrscher über das gewaltige Mogulenreich, das nach seinem Tod bald auseinanderfiel. –

Pantschganga-Ghat ist die Stelle, durch fünf riesige, aus der Stadt herabführende Treppenfolgen bezeichnet, wo sich der Hindusage nach unterirdisch fünf Ströme im Ganges begegnen.

Alle Ghats, das heißt Badestellen, haben ihre Legenden. Über die abschüssigen Stufen der in weitem Bogen an den heiligen Strom hingebauten Stadt steigen, in bunten Gewändern, am kühlen, golddurchwirkten Morgen unzählige Menschen, Pilger und Einheimische, Heilige und Sünder, Greise, Witwen, Kinder in das noch dunkle Wasser hinab, nur die Sonne aus den Fluten heraus zu begrüßen, das Leben eines Tages zu weihen. An einen Ghat jedoch, von dem immerfort Rauch sich erhebt, steigen Pilger nicht mehr hinunter, sondern werden, in Tücher gehüllt, unter Gesängen und Geschrei getragen: das ist der Verbrennungs-Ghat der Glücklichen, die ihre irdische Pilgerfahrt in der heiligen Stadt beenden durften. Ihre Leichen werden, ehe sie, auf den Scheiterhaufen gelegt, lodern, glimmen und in Asche zerfahren, hier noch einmal bis an die tote Brust in die Fluten des Ganges getaucht, worauf sie das höchste Wesen stracks zu sich in den Himmel emporzieht, an der Meinen, zierlichen Haarsträhne, dem Mementomori-Zöpfchen, das jedem gläubigen Hindu am Hinterkopf baumelt. Glücklich, glücklich der Hindu, den der Tod in Benares ereilt. Stracks gelangt er in den begehrten Himmel, dem jeder vom Tage seiner Geburt an entgegenlebt. –

Wenn in den Kasernen der englischen Garnison dann mit Schießübungen begonnen wird, sind die Hindu mit Baden fertig und haben, im gelben Wasser stehend oder auf den Steinplattformen der Ghats regungslos sitzend, mit der Anbetung der Sonne, des Stromes, der vielgestaltigen, bedeutenden Gottheit begonnen.

Prunkend in majestätischem Leuchten steigt die Sonne über dem Ganges empor. Der Strom führt in seinen schlammig-gelben Gewässern Silberwellen, Goldsträhnen, Blumen, Kränze und Gewinde bunter Tempelblüten mit sich. Zwischen den braunen Leibern der Badenden, der Untertauchenden, der mit über den Kopf emporgereckten gefalteten Händen aus den Fluten Auftauchenden schwimmen und treiben die frischen Blumen den Strom hinab.

Von der Sonne geblendet, fasziniert, hypnotisiert – geblendet nicht minder vom inneren Licht, steigen die Andächtigen in das seichte Uferwasser des Stromes hinunter, das sich wenige Schritte weit von den Treppenstufen zu gefährlich reißenden Wirbeln verschlingt.

Die verschiedenen Uferstellen, an denen gebadet wird, haben besondere Bedeutung, sind aus bestimmten Gegenden eintreffenden Pilgern vorbehalten, verschiedenen Gottheiten geweiht. Nicht weit vom Zehn-Pferde-Ghat ist Manikarnika-Ghat gelegen, so genannt nach dem Ohrring, den Schiwa hier in den kleinen Teich oberhalb des Ufers geworfen hat. Die Fußspur des Gottes bewahrt den Stein. Dieser Ghat ist heute, am Neumondstage, besonders belebt. Die Badenden haben ihre Gewänder unter den Bastschirmen der Priester gelassen oder in den Strom mitgenommen, um sie vom Wasser heiligen zu lassen. –

An einer besonderen Stelle baden die Witwen. Sie stehen im Wasser, angetan mit ihren armen, dürftigen Tüchern, die um ihre traurigen, abgemagerten Körper klatschen. Sie haben die Augen geschlossen, die Hände gefaltet, sie müssen die Schuld ihres Lebens vor der Geburt büßen: hätten sie in einer früheren Existenz nicht fremde Ehen gestört, Gott hätte sie in dieser nicht Witwen werden lassen. Diese armen Frauen tragen ihr Haar ganz kurz geschoren, man sieht neben alten ganz, ganz junge, Kindwitwen; 1924 zählte man: 2 500 000 Ehefrauen unter 10 Jahren, 112 000 Witwen unter 10 Jahren. das Los dieser ist besonders trostlos; sie sehnen sich nach dem Flammentod an der Seite ihres toten Gatten, der ihrem leidzerwühlten, elenden Dasein wenigstens ein rasches Ende bereitet hätte.

Die fremden Usurpatoren haben den Sutties, von denen rote Gedenksteine und Kapellen am Ufer Kunde geben, wohl ein Ende gemacht, der Barbarei der Kinderehen, der furchtbaren Lage der Witwe in Indien aber haben sie keinen Riegel vorgeschoben!

Langsam streuen die armen Frauen aus kupfernen Schalen Blüten, Blüten in die Fluten vor sich hinaus, neigen den Kopf hinter den betend vorausgestreckten Händen, ihre Lippen bewegen sich leise, ihre Augen sind zu, blind ist ihre Seele ...

Das Bad der Männer vollzieht sich heiterer im kraftgebenden Element. Manche wagen sich weit hinaus in den Strom; kräftig vorwärts stoßend, zerteilen sie die heilige Flut.

Ein Blinder tastet sich an langem Bambusstab hinaus, mit emporgewandtem, lächelndem Antlitz singt er laut, daweil sein Körper immer tiefer im Wasser versinkt. Hier säubern Brahminen, an der Schnur um ihren Leib erkennbar, ihre Gewänder, wringen sie aus, bearbeiten sie mit Klöppeln, ziehen trocknend die Schnur durch die Finger.

Erstarrt und aufrecht, geblendet von der Sonne, den Wasserfluten standhaltend, stehen hier und dort Verzückte, Gebete murmelnd, ganz nahe vor den Rudern unseres vorbeistreichenden Bootes.

Nach dem Gebet waschen sich welche mit Seife aus Kokosfett – Seife aus animalischen Substanzen ist verpönt, das Tier ist ja heilig! Auch sieht man hier und dort Männer und Frauen, die sich über und über mit Gangesschlamm bestrichen haben, die kleine Holzstäbe in den Schlamm stecken, um sich dann damit die Zähne zu putzen.

Wie im Teich der Goldlilien im Tempel von Madura tauchen die Frommen zehnmal, hundertmal unter, kommen immer wieder mit einem neuen Namen des höchsten Wesens auf den Lippen, in der gurgelnden Kehle an die Oberfläche. Erst der hohe Mittag verdrängt die Andächtigen aus dem Wasser – oder auch die Sorge um den leiblichen Tag jagt sie in die Stadt zu ihren Geschäften zurück, nachdem sie für vierundzwanzig Stunden die Heiligung ihres Körpers und ihrer Seele vollzogen haben.

 

Hoch sind die Ufer der heiligen Stadt, tief reichen die Abhänge zum Strom hinunter. Riesige Paläste stehen über den Ghats, Herbergen für Pilger aus allen Teilen Indiens, zumeist von den Maharadschas der Provinzen gebaut. Man sieht auf den offenen Altanen, Terrassen und Erkern dieser Paläste nackte Männer turnen, Keulen schwingen, Ringkämpfe, allerlei Körperübungen vollführen. Viele Paläste sind geborsten mit den Umfassungsmauern, den Fundamenten, mitsamt den Kapellen und Türmen, die sich unter ihrem Wall befanden, ins Wasser gesunken, im Ganges versunken. Zur Monsunzeit schwillt der Strom mächtig an, braust stürmisch die Treppen empor, höher zur Stadt und reißt, wenn er zurückweicht, festen Stein, Stockwerke, Hügel, Bäume, Menschen und Tiere mit sich in die donnernde Tiefe.

Aus Höhlen, zwischen den Treppenfluchten, Kanälen, die in die Fundamente der Paläste gebohrt sind, sprudelt es grau hervor, Kaskaden von Abwässern der Stadt; Unrat, tote Katzen stürzen zwischen den Badenden am Fuß der Treppe in den Strom hinunter.

Zwischen den Säulenplattformen, die die Treppen und Ghats voneinander trennen, sind Kapellen errichtet, in denen Ganescha, Hanuman, dem dreieinigen Gott Brahma-Wischnu-Schiwa geopfert wird. Die meisten dieser Kapellen sind dem Urgott Lingam, dem Symbol der Zeugung, geweiht. In hundert Varianten, blutrot bemalt, aus schwarzem, aus weißem Marmor, Eisen, Messing, wiederholt sich Lingam das Ufer entlang über alle Ghats, alle Treppenfluchten, Säulenplattformen. Verborgen unter dem Dach eines kleinen nepalesischen Tempels mit Skulpturen obszöner Geschlechtsakte erhebt sich ein kurzer, grauschwarzer Granitlingam, auf den sich unfruchtbare Frauen mit gespreizten Beinen niederhocken, betend, Blumen zwischen den Fingern zerkrümelnd.

Eine Kapelle unter dem Palast des Maharadscha von Gwalior tönt laut von Glockenschlag und Hörnerschall – dort schwingt ein Sadhu, ein nackter Riese mit langem, dickem, rötlichem Haupt- und Barthaar, sein ganzer Körper ist weiß vor Asche, den Klöppel der ehernen Glocke zu Ehren Lingams, der, mit Blumen und Laub über und über bestreut, sich im Allerheiligsten emporreckt: ein abgeschliffener Säulenstumpf, in das kreisrunde Loch des Altars hineingebohrt.

 

Aus einem hohen, buntbemalten, ganz neuen Haus über dem roten Tempel des Ganesch tönt betäubender Lärm bis an unser Boot herab; Geschrei, Gekreisch, Gesang schriller Frauenstimmen. Seit Wochen sitzen dort oben, in den leeren, eben fertig gewordenen und frischgetünchten Wohnräumen des Hauses, das sie durch den Gesang heiliger Weisen weihen sollen, fromme Weiber, arme Witwen. Der reiche Hausherr, ein Juwelenhändler, wird mit seiner Familie in das Haus einziehen, sobald diese religiösen Trockenwohner ihr gottgefälliges Werk vollbracht haben. Dann wird der Gesang, das Gekreisch aus einem anderen Neubau ertönen ... Viele Hunderte armer Frauen leben von diesem absonderlichen Geschäft.

 

An einem Ghat schwingen auf den Spitzen hoher, dünner, schwankender Bambusstäbe viele kleine Bastkörbe im Morgenwinde hin und her – die Akasdeas. Zu Ehren der Gottheit, die ihnen himmlisches Licht spenden wird, zünden Gläubige in besonderen Nächten kleine Laternen in den Körbchen an.

 

Ein Feigenbaum, ein Bô, hier Pippel genannt, wächst, breit und mit herrlichem Laub, hoch oben an der Umfassungsmauer eines Palastes. Eine Prozession hellblau, hellrot, hellgelb gekleideter Frauen, Pilgerinnen aus dem südlichen Madras, kreist unaufhörlich um den Stamm des heiligen Baumes, Gebete singend, mit zarten, andächtigen Stimmen, die wie Vogelgeschrei zu uns auf das Wasser herunter tönen!

 

Die Sadhus, oft zweifelhafte Gesellen, graubemalte Scharlatane, die es auf Bakschisch und nicht auf jenseitige Seligkeit abgesehen haben, sitzen auf Matten, in Häusernischen, murmeln von Rosenkränzen die heiligen Namen ab, haben Schalen mit Reis und Kupfermünzen, ein kleines Messinggefäß fürs heilige Gangeswasser, kleine Laterne, seltsam geformten Knotenstock vor sich hingestellt. Um sie herum Volk. Naht ein Fremder, so grinst ihm das hellgrau bemalte Gesicht des »Heiligen«, mit aschgrauen Wimpern unter dem dicken, gedrehten, pudelartig langen Haar, gierig entgegen. (Einen Sadhu sah ich in Kalkutta, er hatte einen kleinen Schiebkarren, der mit aufrecht hineingepflanzten Nägeln bespickt war, neben sich stehen. Als ich meine Nickelmünze in die Reisschale geworfen hatte, erhob sich der Sadhu von seiner Matte, setzte sich mit seinem hellgrauen Hintern auf die Nägel und blieb so lange sitzen, bis ich den Bakschisch verdoppelt hatte. Dann begab er sich ganz pomadig auf seine Matte zurück, nahm eine kleine Eisenröhre, stopfte sie mit glühendem Holz und fing–ich glaubte schon, jetzt wird er die Nägel erhüben – zu rauchen an. Als er bemerkte, daß wir Umstehenden zu lachen anfingen, legte er seine Zigarre weg, faltete die Hände und fing energisch zu beten an.) Einen anderen Sadhu sah ich, noch in Benares: ein ganz normal entwickelter Männerkopf mit langem schwarzem Haar und Bart saß auf dem nackten, grau bestrichenen Körper eines zwei Jahre alten Kindes. Dieser Heilige, der mit Augenliderblinzeln und Lippenbewegungen fromme Gebete von einem Rosenkranz, der ihm (...) zwischen den winzigen Kinderfingern tief fallen ließ, saß auf einem Holzstühlchen, von Blumen umgeben, mitten auf dem Fahrdamm, der zum Manikarnika-Ghat führte, und hatte einen Manager, der die Bakschischmünzen in Empfang nahm. Er hatte großen Zulauf, war vierzig Jahre alt und kam von der hochberühmten Pilgerstätte Rameschwaram.

Auch einen weiblichen Sadhu bemerkte ich, ein fettes, noch jugendliches Frauenzimmer, das das Gesicht reichlich mit Asche bestrichen hatte, im übrigen aber ganz dezent angezogen war. Auf Almosen reagierte sie wenig. Arme Bauersfrauen hockten vor ihr und flehten ihren Segen auf kranke Kinder nieder. –

Das Volk nimmt diese Fakire nicht ernst. Die wirklichen Sadhus wohnen ja in den Wäldern. Wunderwirkende, wie jene weitbekannten, die einen Zwirnknäuel in die Luft werfen und an ihm in die Höhe klettern, sind von smarten Unternehmern längst nach Amerika hinübergeführt worden und geben in Chikago und Los Angeles Privatstunden. –

 

Khaschi, die Geliebte – dies ist der Hinduname für Benares –, zieht aus allen Teilen Indiens Gelehrte, Weise, Heilige heran, die einen hohen Grad von Vollendung, Verklärtheit erreicht haben, in Betrachtung der Gottheit versunken, in Unbeweglichkeit angesichts des heiligen Stromes die Tage ihres Lebens verbringen.

Diese Sanyasins sind an ihren ockerfarbigen Gewändern (ähnlich denen der Buddhapriester) zu erkennen, an ihren langen, dünnen Bambusstöcken, von deren Spitze ein ockerfarbiges Fähnchen weht. Sie rühren kein Geld an. Haben keine Wohnstätte. Führen eine Messingschale mit sich, die sie jeden Tag, den ihnen Gott schenkt, nacheinander vor fünf Türen hinhalten. Fünf, nicht mehr. Aber schon an der ersten wird der Napf mit Reis gefüllt–denn der Schenkende ist besorgt, seine Tür könnte die fünfte sein, und wenn nach der fünften der Napf leer ist, muß der Sanyasin den Tag hungern.

An vielen Stellen der Ghats sieht man diese Menschen, diese Vollendeten, Wunschlosen sitzen. Unter Bastschirmen hocken sie auf Bastteppichen. Sie haben glattgeschorene Köpfe, rasierte Gesichter, Gesichter von oft durchdringender Schönheit, erhabener Ruhe. Mit untergeschlagenen Beinen hocken sie über dem Strom, stumm, man kann nicht sehen, daß sie beten. Wäre ihre Kleidung nicht, ihre Schönheit, der tiefe Schlaf ihres Körpers, in dem die Seele wach ist, verriete sie dem Schauenden dennoch ihr rätselhaftes, unergründliches Wesen.

Einem Sanyasin sah ich eine ganze Stunde zu. Um ihn nicht zu stören, stand ich abseits, von Bakschischjägern umschwärmt. Der Heilige saß allein auf einem hohen Säulenstumpf. Unter seinem Sitz war in Riesenlettern EDDIE POLO zu lesen, ein Kinoplakat.

Die Brahminen haben viele Gebärden, um die Gottheit anzubeten. Es sind unter den am Strome hockenden viele sehr alte, viele auch sind noch sehr jung. Mit reglos der Sonne zugewandtem Gesicht sitzen sie da und murmeln. Die rechte Hand steckt in einem roten, einem Strumpf ähnelnden Beutel, darin sind Körner, jedes einen der heiligen Namen der Gottheit bedeutend, ohne Ende; die Rechte ballt sich um ein Büschel heiligen Grases, Kuß genannt.

Mit über dem Kopf gekreuzten Händen wird die Sonne, mit weit ausgebreiteten Armen Wischnu angebetet. Den heiligen Strom Ganges betet man an, indem man auf einem Bein steht, die Ferse des anderen ans Knie gepreßt, und sich mit der linken Hand die Nase zuhält. Das Gesicht ist dem Stromlauf nach seiner Mündung zugekehrt. Ich sprach gelehrte Hindus in Universitäten, Ämtern und Würden, die verlegen wurden, wenn sie auf Benares zu sprechen kamen. Ich erfuhr, daß sie zuweilen doch nach der heiligen Stadt reisten, um sich in den gelben Fluten zu heiligen, Opfer zu bringen, dem Strom, der, aus Wischnus Haupt entsprungen, in mächtigem Bogen sich hier noch einmal dem Himalaja zukehrt, sich an ihn erinnert, ehe er südwärts, ostwärts dem Brahmaputra zustrebend, in tausendfach zerfasertem Delta das Bengalische Meer erreicht.

 

Gestern sah ich durch die Basarstraßen einen Leichenzug sich bewegen. Laut singende Männer trugen auf ihren Schultern eine Bambusbahre rasch, fast laufend dahin. Auf der Bahre lag, in Purpurtücher gehüllt, der Körper einer Frau. –

Heute liegt dieser Körper am Verbrennungs-Ghat, Pari Jalsai, auf einem hochgeschichteten Holzhaufen und brennt. Die Flammen haben schon das dünne Tuch, das die Füße bedeckte, verbrannt. Die hellen Fußsohlen sind zu sehen. Die großen Zehen sind unnatürlich gedunsen, die Haut halb verkohlt, halb glänzend und geborsten über dem Fleisch.

Oben auf der Höhe über dem Ghat schreien, scherzen, balgen sich schmutzige, in Lumpen gekleidete Menschen, es sind die Parias, die niederste Kaste. Sie verkaufen das Stroh, womit die Scheiterhaufen angezündet werden. Auch eine Stelle, unten an der Treppe, beim Ghat, dürfen sie betreten, dort füllen sie dann, wenn die Leiche mitsamt dem Holz verbrannt ist, Kohle und Asche in Säcke und verkaufen sie in der Stadt. Die Wasserpfeifenraucher bevorzugen diese Kohle für ihren Tabak. Um die Aschensäcke scherzen, schreien, balgen sich die Parias und die Kinder der Parias.

In schneeweißem Trauergewand schürt der Gatte der Brennenden, ein junger Mensch, mit einem Bambusstock den Scheiterhaufen. Sein Haar ist, bis auf die kleine Strähne am Hinterkopf, wegrasiert. Nicht weit vom Scheiterhaufen rasiert ein Barbier dem kleinen Sohn der Brennenden das Kopfhaar weg.

Langsam steht der Gatte auf, holt ein irdenes Töpfchen, wickelt einen langen Blumenkranz darum und legt es der Brennenden auf den Kopf, dorthin, wo sich unter dem Tuch der Mund befinden muß. Dann trägt er fünf dünne Scheite herbei und legt sie umständlich an das Kopfende. Eine von den umherstreunenden weißen Kühen kommt heran und frißt die Blumen vom Mund der Brennenden weg. Ihr Maul verfängt sich im Purpurtuch, eine Flamme schlägt unter dem Tuch in die Höhe, brüllend galoppiert das Tier davon. Auf einer Stufe, über dem Verbrennungs-Ghat, betet ein junger Sadhu, grau, von weißen Kühen umgeben. Ein totes Kalb liegt in der Nähe des Scheiterhaufens. Nicht weit davon schabt sich ein Aussätziger mit zertrümmertem Gesicht, abgefaulten Fingern, mit einem Holz seinen blutigen Armstumpf. Um ihn herum Leere.

Die tote Frau brennt jetzt lichterloh. Der Gatte hat sich weit weg, auf eine Stufe gesetzt. Er hat den Bambusstab zwischen den Knien, blickt auf den brennenden Haufen hinüber. Neben ihm andere Leidtragende; der kleine Sohn, in sich gekauert, mit glänzendem Schädel, im Sonnenlicht.

Während unser Boot hält, bringt man von oben aus der Stadt, singend und schreiend, eine neue Leiche herbei. Die Träger lassen den mit blauem Seidentuch zugedeckten Kadaver, der auf die Bahre gebunden ist, bis an die Brust in das Gangeswasser gleiten, wickeln dann die Hülle vom Haupt des Toten, es ist ein alter Mann mit grauem, fettem Gesicht, weißem Bart, Glatze; der Kopf ruht auf der linken Wange, das Gesicht blickt flußabwärts. Die Träger besprengen das tote Gesicht mit Wasser aus dem heiligen Strom, zehnmal, zwanzigmal. Daweil wirft man von den oberen Stufen schon Holzscheite herunter, für den neuen Scheiterhaufen. Bei den Strohbündeln oben schreien und gestikulieren die Parias zu den Parias unten um die Aschensäcke hinunter. Die Sonne brennt bereits glühend auf das Verdeck unseres Bootes, auf dem wir in bequemen Korbsesseln gesessen haben. Es ist Zeit, heimzukehren.

 

Mächtige Ströme sah ich in vielen Ländern, die Donau, den Rhein, den breitrollenden Mississippi, den Nil, den schäumenden Frazer Britisch-Kolumbiens. Keiner ergriff mein Herz wie der kleine Jordan. Keiner aber erschütterte mich tiefer wie dieser hier, der erhabene Strom, Ganges, der heilige Strom eines der alten Völker dieser Erde. Reißend und furchtbar strömt er an der geheimnisvollen Stadt vorbei. Und doch unaufhörlich und wunderbar tönen und klingen mir jene so zarten, so lieblichen Verse Heines, jene Takte Schumannscher Musik im Ohr, zu den schrecklichen, räselhaft fremden Visionen, die das Ufer an mir vorbeigleiten läßt ...

Dieser Glaube der Hindus, brausend und tief, schwer und ungelöster Schauer voll, hat dem Menschengeschlecht eine neue Offenbarung geschenkt, den großen seligen Menschen dieses neuen, unseligen Zeitalters, den Liebenden, Zartesten, den aufs neue wiedergekehrten Avatara Wischnus, wie Rama Krischna, ja, wie Buddha und Jesus, den Erlöser des Volkes aus dem Banne der Finsternis: Mahatma Gandhi. –


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