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Der Kirchhof zu Mölln im Lauenburgischen.
Till Eulenspiegels Grab.
Merkur (an Tills Grabe) |
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Hervor! Du Siebenschläfer, du! Wach auf aus deiner langen Ruh! – Da steh ich fast schon eine Stund Und schreie mir die Kehle wund; Der Schalksknecht aber liegt und schnarcht. Das heiß ich mir bequem gesargt! Fünfhundert Jahre, sollt ich meinen, Sind Ruh genug den faulsten Beinen. Zu Lauenburg gilt zwar der Spruch: Ein braver Mann schläft nie genug. – He Holla! Hörst du gar nicht, Till, Daß jemand mit dir sprechen will? |
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Till (schaut aus dem Grabe) |
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Herr Jemand, schon die ganze Zeit Vernehm' ich, wie ihr lärmt und schreit. |
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Merkur | |
Ei schön! Du schweigst und hörst mich an! Freund Till, du bist ein Grobian! |
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Till | |
Herr Jemand, seid mir doch nur klug! Auf euch wart ich schon lang genug; Nun ließ auch ich euch warten oben. Wer hätt am meisten Grund zu toben? |
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Merkur | |
Ich seh, du hast den Witz, den alten, Im Grab dir leidlich frisch erhalten. |
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Till (vollends hervorsteigend) |
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Ha ha! Herr Jemand, wird's euch klar, Warum ich so harthörig war? Daß dieser Leib und dieser Kopf Und Fuß und Hand und Bart und Schopf Till Eulenspiegel angehören, Jetzt könnt ihr's vor Gericht beschwören. Ihr habt den Till vor euch, den rechten, Den alten unverfälschten echten. Nun aber sagt mir, wer ihr seid! |
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Merkur | |
Was, kennst du mich nicht an dem Kleid! | |
Till | |
An Kleidern tragt ihr nicht zu schwer; Jedoch die Moden ändern sehr. Ein luft'ger Vogel schreitet ihr Einher mit eurer Flügelzier; Doch jedenfalls hat diese Tracht Ein Schuldenmacher ausgedacht; Denn, wer euch borgt, der ist geprellt. Man sieht, ihr zahlt mit Fersengeld. |
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Merkur | |
Ich bin Merkur, der Götterbot'. | |
Till | |
Der Diebsbeschützer in der Not? | |
Merkur | |
Davon ist nicht die Rede hier. | |
Till | |
Nun sprecht, was führt euch her zu mir? | |
Merkur | |
Sieh dort versammelt rings herum Viel Volks! Man nennt es Publikum. Das ist zusammen hier gelaufen, Sich im Theater auszuschnaufen Von all dem Rennen, all der Hast, Von Tages Müh und Sorgenlast. Nun will es Sitte und gute Zucht, Daß, wer ein fremdes Haus besucht, Bevor er eintritt, mit Manier Erst klopfet an die Stubentür. Bei solchem alten guten Brauch Will bleiben heut der Dichter auch; Und da er selbst nicht kommen kann, So glaubt er, daß in dir den Mann, Den rechten, er gefunden hat Zu klopfen hier an seiner statt. Um kurz und bündig mich zu fassen, Er will durch mich dich bitten lassen: Zu seinem Spiel sollst ohne Zagen Einleitend den Prolog du sagen! |
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Till | |
Was? Wie? Meint ihr, ich sei verschroben? Ich soll euch einen Garten loben, Und weiß nicht, was darinnen wächst; Ich soll euch predigen ohne Text, Soll machen ohne Wild den Jäger Und ohne Trupp den Trommelschläger! Der Herr Poet laß mich in Ruh! Ich spiel nicht gerne blinde Kuh. |
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Merkur | |
Mein Gott, was für Bedenklichkeiten! Wie fremd bist du den neuen Zeiten! Als ob die guten Rezensenten, Was sie bekritteln, stets verständen! Doch um dir's recht bequem zu machen, Nimm diese Maske, die zum Lachen Einst das Athenervolk erregte, Daß Beifallssturm die Luft bewegte! Von diesen kalten Lippen quollen Die Rhythmen einst, die schönen, vollen, In der entzückten Menge Ohr, Wenn ernsten Spruchs eintrat der Chor. Des Witzes reicher Strom entsprang Lebendig schäumend hier, es drang Hervor in ungedämmter Flut Der Laune stolzer Übermut. Nimm! dieser weitgeschlitzte Mund, |
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Till | |
Nun gut! Es komme, was da will! | |
Merkur (reicht ihm eine antike komische Maske) |
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Leb wohl, Improvisator Till! | |
Till (allein; er tritt in das Proszenium) |
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Mein hochverehrtes Publikum, Ich grüße dich! Du weißt, warum Mit frischem Wort ich mich erkühne Hier aufzutreten auf der Bühne. Zwar scheint mir schlecht gewählt die Zeit Zu Mummenschanz und Lustbarkeit. Wenn grün der Wald, der Himmel heiter, Dann wird das Herz uns froh und weiter, Und was in rauhen Wintertagen Wir gern gesehn mit Wohlbehagen, Wir lassen's ruhn im engen Haus; In's Freie strebt der Sinn hinaus. Für mich jedoch und für mein Wort Ist diese Maske sehr am Ort. Ich will mich herzlich gern bequemen, Dies fremde Antlitz anzunehmen; Denn wenn mein Spruch euch nicht beleidigt, So ist die Maske schnell beseitigt; Doch werd ich keines Beifalls froh, Dann bleib ich fein inkognito; Und hätt's der Dichter gut bedacht, So hätt' er's ebenso gemacht. |
(durch die Maske sprechend)
Nicht um Possen zu reißen und nicht zu flüchtiger Kurzweil Gibt der Dichter sein Werk. Ernsteres hatt' er im Sinn. Und was euch tändelnd erscheint, er erfand's mit gefalteter Stirne; Lächelnd verkündet sein Mund, was ihn im Herzen gegrämt. Schaut ihr aus leuchtendem Golde geformt die glänzende Schale, Nimmer gedenkt ihr der Müh, die es im Schachte gewann, Denket der Hände nicht mehr, die emsig aus tiefer Umnachtung Lichtwärts sandten den Schatz, dessen das Aug sich erfreut. – Wertlos scheinet der Witz, wenn tieferen Sinns er ermangelt, Und nur, ein eiteler Geck, selbst sich im Spiegel begafft. Gern auf ländlichem Pfad begegnet der eilende Wandrer Blumen des Feldes, und pflückt auch sich zum Schmucke den Strauß; Aber mit sinnendem Blicke verweilt er, sobald er erkannt hat, Daß in dem duftenden Kelch heilende Kraft sich verbirgt. So auch möge der Scherz als kräftige Blüte gedeihen, Und um der Wahrheit Kern schling er ein zierliches Blatt! |
(Die Maske abnehmend)
Die Narrheit und die Weisheit sind Von Urbeginn Geschwisterkind. Wer ist's, der mir die Grenze nennt, Die Törichtes von Klugem trennt? Wir alle tragen Schellenkappen. Minerva führt dasselbe Wappen In ihrem Staats- und Kammersiegel, Die Eule, wie Till Eulenspiegel. Unnötig war's für solche Sachen, Mit Distichen sich breit zu machen. Doch eins räumt ihr gewißlich ein: Der Dichter muß ein Doktor sein, Weil er die Pillen, die er reicht, Mit Honig sorgsam erst bestreicht. |
(Er nimmt die Maske wieder vor)
Nimmer mit höhnendem Spott in der Wissenschaft Tempel zu treten Hat er gewagt, und mit Scheu ehrt er das Priestergeschlecht, Welches in heiligem Ernst das Palladium deutscher Gesinnung Sorgend bewahrt; doch gern gibt dem Gelächter er preis Jene Afterpropheten, die mißverstehend den Meister Frech in bombastischem Klang bergen den nüchternen Sinn. |
(Ohne Maske)
Ein klein Geschichtchen will ich hier Erzählen. Ihr erlaubt es mir! Ein Mann, ein Freund vom Sonderbaren, So ging's und geht's zu allen Tagen, |
(Mit der Maske)
Fern auch lag es dem Dichter, den einzelnen hart zu verletzen; Aber der Gattung erklärt gern er den plänkelnden Krieg. Derberen Witzes bedarf das aristophanische Lustspiel; Nur der verleumdende Spott schleicht auf den Zehen einher, Und auf geglättetem Boden, sie nennen's, der guten Gesellschaft, Reicht er mit lächelndem Mund stechende Rosen dem Freund! |
(Wie früher)
Hätt ich dies früher nur gewußt, Ich hätte recht mit voller Lust Den gröbsten Helden in dem Stück Gespielt und, wie ich glaub, mit Glück; Denn all das Bücken, Schmeicheln, Schwänzeln, Das Tellerlecken und Scharwenzeln, Ich könnt es nie zu Dank besorgen. Nun komm ich heut nicht, komm ich morgen! |
(Mit der Maske)
Ja, wie hofften wir fromm, das glücklichste Völkchen der Erde, Als wir den Fortschrittsweg glaubten geebnet vor uns! Alles wurde da reiflich erwogen, demütig erbettelt, Und dann aufs neue bedacht, wieder erbettelt aufs neu'. Das war alles gar schön! doch ist mittlerweilen die Freiheit Theoretisch ergraut, praktisch ein lallendes Kind. Endlos wurde gewälzt sisypheischer Stein der Erörterung. Und was habt ihr erlangt? – |
(Die Maske abreißend)
Wozu die Maske? Sie erschwert Es nur, dem Herzen Luft zu machen. Dies Versmaß ist mir zu gelehrt. Ein deutsches Maß für deutsche Sachen! Ein deutsches Maß, den klaren Wein Der Wahrheit recht hinein zu gießen! Und mag der Trank auch bitter sein, Gesunden Sinn darf's nicht verdrießen. Ihr seid ein Volk von Wiederkäuern, Geduldig wie die Lämmerchen, Gewohnt das alte Lied zu leiern In Kammern und in Kämmerchen! Gut dreißig Jahre sind vergangen, Seit ihr um Freiheit suppliziert; Und neu wird morgen anfangen, Was heute euch zu nichts geführt. Der Beifallssturm wird wieder wehen; Adressenflut von Süd und West, Und will's zuletzt denn gar nicht gehen, Ein höflichst schriftlicher Protest! Dann liegt das Recht verbrieft, besiegelt, Und füllt im Aktenschrank die Bände; Die Kammertür wird zugeriegelt, Und die Komödie hat ein Ende. Entwicklung! Du bequemes Wort, Wenn's nur nicht so verwickelt wäre! Das geht so still und langsam fort, Wie das Lavieren auf dem Meere. O Theorie, du harte Nuß! Du bist unendlich schwer zu fassen; Der goldnen Freiheit Praxis muß Weit leichter sich begreifen lassen. Eins aber habt ihr jüngst erkannt: Wurst wider Wurst! die alte Sitte. Man gibt euch nichts; fest zu die Hand! Nichts geben ist die beste Bitte. Und läßt man euch nach Hause gehen, Kann mir nichts, dir nichts es geschehen. |
(Mit der Maske)
Dennoch ist groß die Zeit und bedeutsam! Der Engel der Menschheit Schwingt sich auf leuchtender Bahn mächtigen Fluges empor. Schlummernde Kräfte erwachen; sie ringen nach voller Entfaltung, Und durch die Wolken des Sturms dringt der belebende Tag. Aber der Schwindel erfaßt auch die Kämpfenden; arge Verblendung Hüllt sie in tiefere Macht; eines vor allem zumeist, Jene Begierde nach Gold und die Sucht nach Genuß, die im Taumel Selbst das Gemeinste ergreift, weil sie den Himmel vergaß. Solches erkannte der Dichter, als muntere Rhythmen sich fügten, Und durch das scherzende Lied klingt ihm der ernstere Ton. |
(Die Maske abnehmend)
Jetzt ist's genug; denn mir wird bang: Zuletzt wird der Prolog zu lang. Dieweil euch nun, so gut es geht, Allhier erlustigt der Poet, Will ich die lieben deutschen Gauen Nach langer Frist einmal beschauen. Wenn gleich dies Spiel damit begann Herauszurufen einen Mann, Ich hoff nicht, daß es damit endet, Daß ihr euch pfeifend heimwärts wendet. |
(ab)