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Erster Teil
Der Weg zu Friedrich Wilhelm

 

»O Du, die aus dem Kampf empörter Zeit,
Die einz'ge Siegerin, hervorgegangen;
Was für ein Wort, Dein würdig, sag' ich Dir?«

Heinrich von Kleist an die Königin Luise.

 

I. Kapitel.

»Großmämme, Großmämme, ob man schon die Türme von Frankfurt sehen kann?« Luises blonder Lockenschopf wehte an der alten Dame vorbei, ein schmaler Nacken bog sich aus dem Fenster der Reisekutsche. Auch die kleine, zierliche Ika litt es nicht mehr auf ihrem Sitz. »Großmämme, ich glaube, ich rieche schon den Main. Oder Veilchen. Ja, ganz gewiß, Veilchen. Dürfen wir nicht ein wenig aussteigen? Wir sind wie eingerostete Mumien vom ewigen Fahren.«

Die statiöse Großmama zog hochgestellte Brauen noch höher. »Aussteigen? Mitten auf der Landstraße?«

Luise rief vom Fenster her: »Aber da ist doch eine Wiese, Großmama. Erlauben Sie uns nur auf fünf Minuten ein wenig Bewegung. Dann sind wir wieder artig.«

Wenn Luises schöne Stimme bat, ihre dunkle, immer wieder überraschende Stimme, vielleicht das einzige Geheimnis an diesem hellen, lichten Wesen, konnte die alte Fürstin selten nein sagen.

Sie gewährte mit einer Handbewegung. Ikas kleine Fäuste hämmerten gegen die Scheibe nach dem Kutschbock. Der schwerfällige Wagen stand. Der Lakai dienerte heran, riß den Schlag auf.

»Hochfürstliche Durchlaucht geruhen zu befehlen?«

»Die Prinzessinnen wollen sich einen Augenblick auf der Wiese ergehen. Sag' Er der Kammerfrau, daß wir frische Mouchoirs brauchen.«

Luise und Ika sprangen in die Freiheit.

»Die Luis'« war mit schnellen Schritten über der Straßenböschung und zog die jüngere, zierlichere Schwester an der Hand nach sich, als sei sie noch ein Kind, das geführt und behütet werden muß.

»Ika, ich verzweifle, wenn ich nicht ein bißchen tanzen kann.« Die kleine Ika sah bedenklich auf ihre dünnen Schuhchen. »Laß nur, Ika, bei mir ist sowieso wieder eine Naht entzwei, und die armselige Luis' muß auf den Abend Schuhflickerin sein. Komm, mein Ikamädchen.«

Und Luise, Herzogin zu Mecklenburg, Prinzessin ohne Land, faßte die Schwester um zärtliche Schultern, sah lächelnd in das aparte, grazile Gesicht und flüsterte:

»Mach' die Augen zu. Denk', ich bin der liebenswürdigste Prinz der Welt und bitte um die Ehre des ersten Walzers auf der Prärie.«

»Bist närrisch, Luis', aber süß bist du auch. Höre, sollen wir in Mänteln tanzen?«

Ja so! Diese Ungetüme aus Pelz mit Watteeinlagen.

»Nein, wie die Katzen tanzen wir nicht.« Luisens Mantel flog auf den Rain. Der von Ika stürmte nach. Eine Melodie flatterte auf im Klang rätselhaft bezaubernder Worte: »Unsere Katz' hat sieben Junge.« »En avant, teuerste Prinzeß. Du Engel von einer Ika, flieg, flieg.«

Und sie schritten, sie tanzten, sie wirbelten beschwingten Laufs über die Märzenwiese. Lust überflog Luises Gesicht. Wind fing sich in blonden Locken. Rascher Atem ließ noch kindlich runde Wangen erglühen.

Ein Weidenbaum, schon grün überhaucht, winkte fern gegen den blassen Frühlingshimmel.

»Bis dorthin, Ika, flieg, flieg.«

»Wie schade, Luis', daß du nicht Madame de Vestris werden kannst.«

»Ja, ja, mein Ikamädchen, oder gar die Barberina. Damit es was zu lachen gäbe am Rhein und am Main und im Reich –«

Sie wirbelten weiter. Die Wiese war kein Parkett. Sie war auch kein »Play-Ground«, wie ihn die Prinzessinnen aus Herrenhausen kannten. Nein, zu ihren Füßen dehnte sich eine ganz gewöhnliche und höchst alltägliche Weidefläche. Da gibt es jähe Vertiefungen, und wenn die Schneeschmelze kaum vorüber ist, ab und zu ein kleines Wassertümpelchen, aus dem es wie eine Quelle in den Schuh springt.

»Luis', was für Wege führst du mich?«

Der Weidenbaum war erreicht und mit ihm der Blick über eine andere Ebene hin. Fern, im Unbekannten, verblauten Hügel. Und über ihnen schwebten weiße Frühlingswölkchen auf.

»Wir müssen um den Baum tanzen, Ika. Oh, wenn doch jemand die Flöte spielte!«

Und Luise breitete die Arme aus, dem blauen Land, dem Frühlingshimmel zu, um dann wieder die Schwester zu umfassen: ach tanzen, tanzen, wie war das doch so süß.

»Du, höre, Großmama wird zornig, wenn wir zu lang bleiben –«

»Tournez, tournez.«

Und Luise löste ihre Gestalt von der zärtlich-zierlichen der Schwester, hielt aber eine Hand fest, schickte sich an zu weit ausgreifendem Lauf.

So stürmten sie, getragen von der unnennbaren Lust der Bewegung, der Jugend und dem unbewußten Gefühl des Lebens, unschuldig-selig zurück über den Wiesenplan. Und erreichten die geduldige Kutsche.

Prinzessin Georg von Hessen-Darmstadt, die Großmämme, saß pompös und statiös auf ihrem Platz, winkte dem Lakaien und befahl:

»Hol' Er die Manteaux der gnädigen Prinzessinnen.« Und befahl weiter: »Wickelt euch gut ein, ein Schnupfen ist entbehrlich. Und nun rasch, wir wollen zu rechter Zeit am Nachmittag in Frankfurt sein.«

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Es war eine kluge Großmutter. Sie tadelte nicht, sie spöttelte auch nicht.

Eh bien, die Tränen der Enkelinnen, so reichlich vergossen beim jähen Abschied von der heißgeliebten Schwester Charlotte in Hildburghausen, so leidenschaftlich noch die letzte Nacht in die Kissen einer Herberge geschluchzt, waren ausgeweint.

Quirlköpfe. Kinder. Zu Tode betrübt – himmelhochjauchzend.

Nun saßen sie wieder brav installiert der sozusagen geräumigen Großmutter auf dem Rücksitz gegenüber. Süße Dinger. Goldige Mädchers. Wie gut, daß nur in der Oper auf Wiesen immer Hirten sind, die gleich aussehen, wie aus dem Paradies entsprungen. Sonst hätten die Enkelinnen sie sicher zum Tanz befohlen!

Der feine Mund der alten Dame, dessen Winkel sich hoben und dann in einer Falte wieder senkten, lächelte leise. – Kinderche, Kinderche. Man hat gegen Enkelinnen nicht mehr die Strenge, wie gegen die Töchter einst.

»Hier sind frische Mouchoirs«, sagte die Großmutter gelassen zu Luise, die sich mit einem zerknüllten und nicht mehr das Auge blendenden Tränentüchlein das erhitzte Gesicht zu kühlen versuchte.

»Nicht wahr, Großmama, in Frankfurt dürfen wir wieder die alte Rätin Goethe besuchen! Ach, bei ihr war es immer so fein. Und ihr Brunnen im Hof, der ist zu schön.«

»Die Eierkuchen verschweigst du, Luis'«, sagte Ika und schürzte ein wenig hochmütig die launenvollen Lippen. Die alte Prinzessin sah gleichmütig vor sich hin.

»Es wird dazu nicht Zeit sein. Ich will auf den Abend noch nach Darmstadt herüberfahren. Es ist, wie ihr doch wohl begriffen habt, eine unumgängliche Einladung ins Hauptquartier. Wird quittiert mit einer Anstandsvisite. Und jetzt bitte ich: Silence! Damit es euch leichter fällt, schlaft ein wenig. Denn in Frankfurt müssen wir gute Repräsentation machen.«

Die jungen Herzoginnen nickten gehorsam. Sie beobachteten noch ein wenig, ob die liebe Großmutter wohl ihre gebieterischen Augen, unter denen es sich bauschte wie von innen gewehrten Tränen, schließen würde, und es sich ergäbe, daß, man ganz leise doch seinen kleinen Schwatz miteinander machen könne und ein wenig Kuchen aus der Schachtel holen. Aber die Großmutter saß geräumig, hoch aufgerichtet in all ihrer Fülle, völlig wachsam da.

So suchte sich Ika einen guten Platz zu dem befohlenen Schlaf. An Luises Schulter. Die Schwester lächelte, schlang den Arm um die leichte, zärtliche Gestalt, wie eine kleine Mutter es tut. Und es währte nicht lang, und das eintönige Rollen der Räder brachte den Schlaf.

Die Großmutter aber wachte. Und arbeitete schwer. Denn sie hatte die wichtigsten und schwierigsten Dinge zu denken!

Da war man nun in voller Fahrt auf Frankfurt zu. Die guten Enkel in Hildburghausen hatten der Großmutter Geburtstag mit Glanz und Pracht feiern wollen, und die Großmutter war davongereist. Bestand vielleicht solche entsetzliche Eile, die fünfzehnjährige Friederike und die siebzehnjährige Luise zu versorgen? Mais non! Mais non! Aber wenn alle wichtigen alten Herren und befreundeten Damen der Familie Botschaften und Botschafter schicken, die Mädcher müssen partout in Frankfurt der preußischen Majestät präsentiert werden, da denkt man, die Unterlassung wäre vielleicht doch nicht zu verantworten.

Der König hat zwei Söhne, und die sollen nun heiraten. Wie mögen die Prinzen sein? Ja, wer das wüßte! Große Herren. Sie werden wohl das berlinische Mundwerk besitzen. Aber da ist keine Sorge. Luise und Ika haben ihre Education, und von der Natur sind sie auch nicht vernachlässigt. Besonders bei der Luise ist Herz und Verstand auf dem rechten Fleck. Geld, nun ja, Geld gibt es nicht viel, wenn man einen apanagierten Prinzen zum Vater hat. Aber – die alte Prinzessin richtete sich höher auf und lächelte ein wenig – bei Bethmanns und Melzlers in Frankfurt gehen Prinzen nicht auf die Freite, und wenn man in Paris noch so viel von Gleichheit und Freiheit redet. Gottlob, der König von Preußen hatte sein Hauptquartier zu Frankfurt, und seine Söhne kämpften mit im Kriege gegen die verruchten, verrückt gewordenen Franzosen.

Die alte Prinzessin hob den Mouchoir an ihre Augen. Die Nachricht von dem entsetzlichen Tod Ludwigs XVI. war noch frisch, war noch eine Wunde. An die Königin im Temple zu denken, das konnte einem wohl den Gleichmut rauben, könnte bewirken, daß einem der Tag nicht mehr schmeckte und die Nacht nicht stillte. Ja, es war schön von der preußischen Majestät, gegen das Volk Krieg zu machen, das seine Königin behandelte, wie man es nicht irgendeinem schuldvollen Weib aus dem Volke wünschte. Etwas Ritterliches hat Friedrich Wilhelm des Zweiten Majestät, das müssen ihm seine Feinde lassen. Nur – ja, das ist leider einmal bei den großen Herren so: wenn sie das ganz Bestechende und Bezaubernde besitzen, dann kennen sie keine Grenzen im Lebensgenuß.

In Berlin gab es die Madame Rietz, jetzo anzusprechen als Gräfin Lichtenau. Die Pompadour von Preußen. Es gab noch mehr. Den Schatten der armen Julie von Voß, die Dönhoff – und eine Reihe anderer, deren Namen man nicht mehr behielt. Ihre Majestät die regierende Königin hatte sich mit all den greulichen Chosen abgefunden, und das war ihre Sache. Aber wenn die unschuldigen Kinder, ach, die beiden liebsten Engel, die da so süß und zärtlich schliefen, an diesen Hof kamen, wie sollten sie in solchen Zuständen sich zurechtfinden und ihre moralische Hoheit behaupten? Arme Kleinen! Arme, mutterlose Kinder!

Der Großmutter jagte ein Gedanke durchs Herz. Wenn man kurzerhand heimwärts nach Darmstadt führe?

Nun war sie es, die jäh den Wunsch hatte, die Kutsche halten zu lassen. Andere Marschorder geben, dieses ganze Gespinst von Zu- und Abreden, was um die Präsentation der Enkelinnen ging, zerreißen? Es würde gute, rechtschaffene Prinzen im Reich genug geben, die den Kindern Hand und Herz und eine passable Stellung in der Welt bieten könnten. Fern von der großen Politik, fern von dem bösen Aufruhr, der jetzt durch Europa ging – ein schönes, stilles Leben wie in der alten guten Zeit.

Die alte Prinzessin bewegte sich im Sitzen gegen ein Kutschfenster hin, um an die Scheibe zu pochen.

Da fiel ihr ein: nein, hatte denn nicht der ehrenfeste Schwiegersohn Karl sie ruhig ziehen lassen zu dieser hastigen Reise? Auch er dachte, wenn ein Vater wissen läßt, daß er für seine Söhne Prinzessinnen sucht, muß der andere Vater nicht gerade Barrikaden um sie bauen oder Dornröschenhecken pflanzen. Der gute Schwiegersohn Karl spielte freilich recht den Modernen, Aufgeklärten, und gab zuweilen sehr kuriose Erklärungen über den Adel, die Fürsten und ihre Vorrechte kund. Nun ja, die Sachen in Paris, die Heilsbotschaft der Revolution, wie manche die Greuel nannten, sah man von verschiedener Seite an. Sie hatte auch ihre Liebhaber, diese Madame la révolution. Die alte Dame mußte ein wenig lächeln. Der gute Karl mit seiner vornehmen Gestalt, dem schmalen Gesicht und dem fröhlich hochmütigen Mund, konnte sich keck eine rote Kokarde anstecken oder eine Jakobinermütze aufsetzen – er war und blieb anzusehen als ein rechter Prinz und Herzog.

Es würde ihm gut anstehen, der Vater einer Königin zu sein.

Wieder flog ein Schatten über die feinen, in etwas Fülle gebetteten Züge der alten Frau. Die Königinnen von Preußen hatten keine Fortune gehabt bisher als Frauen.

Sophie Charlotte, nun ja, die war kalt und zog die Philosophie ihrem Äsop, ihrem schiefschultrigen Friedrich vor. Sophie Dorothee? Lieber Gott, wie mußte sie sich quälen um die Rechte und die Mariagen ihrer Kinder, und was für ein Poltron war ihr Friedrich Wilhelm gewesen, immer zur Hand mit gräßlichen Drohungen oder dem Krückstock.

Elisabeth Christine? Sie war eine Wunderliche geworden, und hatte nie etwas gehabt von Preußens größtem Herrscher, der ihr Mann hieß.

Nein, es schienen keine lichten Sterne für die bisherigen Königinnen Preußens.

Und doch, und doch! Über die alte Dame flog der kalte Schauer elementarer Erregung: sie hatte die Gloire Friedrichs des Einzigen miterlebt, sie hatte dem Abgott des Jahrhunderts ins Auge gesehen.

Roi de Prusse. Erschütternder Begriff durch ihn geworden. Ewig unvergeßliches Wort durch ihn.

Sollte Preußen nicht auch seine große Königin bekommen? Die Augen der alten Frau streiften Luisens schlafendes Gesicht, glitten über die hochgewachsene, schlanke Gestalt. Großmütterlicher Stolz durfte nicht so weit gehen, zu sagen, Luise sei bedeutenden Verstandes. War auch noch kein Charakter, war leicht zum Schwanken geneigt, tanzte noch über die Oberflächen des Lebens.

Aber in ihrem so jugendlichen Herzen, da lag etwas von Güte und Vornehmheit, das einstigen Reichtum und einstige Kraft versprach.

Sollte Preußen nicht einmal seine geliebte, seine holde Königin bekommen?

Königin. Königin ... von Preußen! Eine Welle von Wunsch flutete auf. Und in temperamentvoller Wallung streckte die fürstliche Frau plötzlich die Hände nach der schlafenden Luise aus, sah die rasch Erwachende mit großen, wissenden Augen an und sagte:

»Ihr werdet heute dem König von Preußen begegnen.« Luise hob das weiche Gesicht, lächelte, räkelte sich ein wenig in den Schultern.

Ika, aufgeschreckt und rasch im Bild, plapperte munter: »Wir haben ja schon zwei Kaiser bei der Krönung in Frankfurt gesehen. Und unser Onkel ist der König von Großbritannien und Irland, da werden wir wohl nicht zittern und beben vor dem dicken Herrn aus Potsdam –«

Die Großmutter überhörte die lose Rede. Sie sah unentwegt mit ihren alten, wissenden, geheimnisvollen Augen in die lichten, blauen Luisens.

»Ihr werdet heute dem König von Preußen begegnen.«

 

Die Reisekutsche rollte in die Einfahrt des Gasthofs »Zum weißen Schwanen«. Es war schon hoher Nachmittag geworden, und der augenblickliche Quartiermacher der Prinzessin Georg von Hessen-Darmstadt, Geheimrat Kümmelmann aus Hildburghausen, wartete seit vielen Stunden auf die freudvolle Ankunft.

Er warf sich in frische Begeisterung, stürzte an den Wagenschlag und begann seinen beglückten Wortschwall über die »joyeuse entrée«. Die Großmama begab sich sofort mit ihm in ein Zimmer zur Besprechung.

Ihre statiöse und doch so bewegliche Gestalt entließ einige Mäntel, das Seidenkleid rauschte auf, Handbewegungen von großer Lebhaftigkeit kamen.

»Lieber Kümmelmann, wir reisen sofort nach der Komödie wieder ab. Wenn Seine Majestät die Prinzessinnen gesehen hat, mag er urteilen und weiteres in die Wege leiten.«

Kümmelmann verstand den Umgang mit hohen Damen. Gib ihnen stets recht, ist die beste Verkehrsform. Er neigte also bedauernd seinen wohlgepuderten Kopf.

»Wie hochfürstliche Durchlaucht befehlen. Freilich, freilich, der regierende Bürgermeister hat sich untertänigst erlaubt, auf morgen zum Frühstück einzuladen, der Kammerherr von Wrede gibt einen großen Ball. Die königlichen Hoheiten von Preußen warten voll Spannung darauf –«

Die alte Prinzeß unterbrach ihn. Ihr Fächer wippte wie im Takte eines Militärmarsches auf und ab.

»Wie kann der Bürgermeister ein Frühstück richten lassen, wenn er nicht weiß, ob die Gäste kommen?«

Kümmelmann bog den Rücken und streckte seine Hände wie flache Tafeln aus: »Ja, nicht wahr, hochfürstliche Durchlaucht. Man traute einem regierenden Bürgermeister mehr Verstand zu. Er bittet Königliche Hoheiten zum Frühstück, und dann gibt es keine Tischdamen für sie. Der Mann tut mir leid –«

Die alte Prinzeß warf den Fächer auf einen Tisch.

»Ich brüskiere den Bürgermeister wirklich nicht gern. Aber nun auf Wiedersehen, Kümmelmann.«

Des Geheimrats Rücken fand die Tür. Draußen blieb er aufatmend stehen. Nun bleibt sie. Gottlob, das wäre geschafft.

Eine Kammerfrau litt Peinen. Es gehört dies mit zu der ausgezeichneten Stellung der Kammerfrauen. Das Unmögliche wird gefordert. Das Unerreichbare soll getan werden.

Kann eine Staatsrobe, die, in engem Seehundfellkoffer eingepreßt, Tagereisen machte, beim Herausnehmen glatt wie ein Spiegel sein? Können Schleier gleich sich blähen wie die Lüfte, wenn man sie aus Schachteln nimmt? Eine Kammerfrau soll nicht weniger vermögen als eine Zauberin. Sonst donnert allerhöchste Ungnade auf sie herab. Sie muß Titel hören, gegen die selbst niedrige Geburt sich aufbäumt. Sie soll auf ihre Menschenrechte verzichten, und sich Schaf und Gans nennen lassen, bis die Robe richtig sitzt. In ihren Händen muß die Kraft liegen, daß eine Großmutter einer Braut gleicht und junge Enkelinnen von hochderselben den Schritt wie Göttinnen haben, denen nie ein Schuh platzt.

Die gnädigsten Prinzessinnen standen in Reisemänteln am Fenster und sahen auf die Straße hinunter und lachten und schwatzten.

»Es ischt mein Untergang,« rief die Kammerfrau, »wenn die Durchlauchtigsten nicht in fünf Minuten in Dero Komödienkleidern drinne sin.«

Luise schlug doch das Herz, nun, als man dem Komödienhaus zu wollte.

Eine erste Präsentation ist immer so eine Sache. Man wird etwas gefragt, plappert los, und hinterher fallen einem dann die schönsten Antworten ein, die man hätte geben können. So würde es vermutlich auch heute abend sein. Hélas, nicht zu ändern. Vor dem Komödienhaus drängten sich die Menschen. Schöne Gestalten, fremde Uniformen. Viele Gesichter mit dem Stempel anderer Rasse: die Emigranten aus Paris. Eine Sekunde lang war es Luise bange, wie man durch dieses Gedränge käme, und sie suchte nach Ikas Hand. Doch da tauchte Kümmelmann auf. Man sah ihn im Flackerschein von Windlichtern, wie er übereifrig Befehle flüsterte, die eine Gasse bahnten für die Grand'mère. Und jählings verbeugte sich ein Offizier vor ihr, bot ihr den Arm, lachte über die Schulter zurück auf die jungen Damen: lachte so lustig mit seinen kleinen Augen und dem klugen Mund, wie nur einer lachen konnte: Karl August, der Herzog von Weimar, der Herr Vetter.

Er war da. Nun, dann würde es sicher kein langweiliger Abend!

Sie kamen durch eine Reihe von Windlichtern ins Theaterfoyer. Hier herrschte eine Flut von Helle, alle Kronleuchter strahlten im Glanz von Wachskerzen, an den Wänden waren Metallblenden, glitzernd wie Gold hinter den Lichtern.

Luise sah nun wieder, wie sich vor der Großmutter eine feierliche Gasse bahnte, sah eine Gruppe hoher Offiziere. Die halb lässige Haltung der Herren straffte sich plötzlich, und der größte von ihnen, ein General, der seinen mächtigen Körper mit wahrhaft triumphierender Eleganz bewegte, kam spontan zwei, drei Schritte auf die Großmama zu.

Von seinem blauen Rock leuchtete ein riesiger Ordensstern, über dem vollen, geröteten Gesicht unter der kurzen, stutzerhaften Perücke strahlte ein weiches, fast verführerisches Lächeln. Und Luise wußte: Der König.

Und wußte: Nein, sie war nicht bloß eine Prinzessin ohne Land und ein frohes Kind vom Main und Rhein. –

Sie hatte einen rechten Prinzen zum Vater, einen vornehmen, schönen Vater, und war auf gleich mit allen Fürsten der Welt.

Und so richtete sie sich eine Sekunde lang auf zu ihrer ganzen stolzen Schlankheit, ehe sie in den Hofknicks versank. War schneller als Ika wieder in natürlicher Haltung, dachte über einen Herzschlag: »Kleines Ikamädchen, liegst ja der preußischen Majestät wie ein Opfer zu Füßen.«

»Willkommen in Frankfurt«, sagte Friedrich Wilhelm II. »Willkommen in unserem Hauptquartier, meine gnädigsten Herzoginnen. Werden Sie sich auch unter so viel Soldaten gefallen? Werden Sie nicht Angst haben, wenn manchmal die Kanonen zu hören sind?« Er lächelte Luise an. Er beugte seine ungeheure Gestalt zu einer ritterlichen Geste.

»Töchter Germaniens fürchten sich nicht vor Kriegern, Eure Majestät«, antwortete Luise frisch.

»Süperb, süperb! Und die kleine Durchlauchtigste?«

»Sire, ich verlasse mich immer auf meine Schwester.«

Ikas Stimme flatterte ein wenig ängstlich auf, als wäre sie ein verwirrter Vogelruf. Der König schien entzückt. Die alte Prinzeß änderte in Sekundenschnelle wohlkonservierte Ansichten. Hier stand nicht der Freund der Madame Rietz, hier stand ein ritterlicher Herr mit väterlichem Wohlwollen.

»Und werden wir die gnädigste Großmama überreden, daß sie uns allen die Freude macht, länger in Frankfurt zu bleiben? Prinzeß Luise, Prinzeß Friederike, wollen Sie unsere Bitten unterstützen?«

»Zuviel Gnade, Majestät.« Weiter fiel Luise nichts ein. Und so tauchte sie in den Hofknicks.

Der König, in munterster Laune, küßte spontan der alten Prinzessin die Hand. »Auf Wiedersehen morgen, teuerste Durchlaucht. Das steht fest: Auf Wiedersehen –«

Der große Augenblick verrauschte.

Begleitet vom Herzog von Weimar ging man hinauf zur Loge. Ika flüsterte der Schwester zu: »Mein Gott, wir sind doch im Herbst vor dem Krieg nach Hildburghausen geflohen. Und nun hast du gesagt, Töchter Germaniens fürchten sich nicht vor dem Krieg?«

Da lachte Luise mit schimmernden Augen. »Wer kann sagen, daß ich mich fürchtete? Ich war sechzehn Jahre und wurde in eine Reisekutsche gesteckt. Das ist alles.«

Die Loge war so vornehm und betonte Zurückhaltung so sehr, daß ein Gitter mit Glasscheiben sie gleich einem Kirchenstand abschloß. Wie die Schneewittchen in einem gläsernen Gehäuse sollten sie hier sitzen?

Höchstselbst schob der Herzog von Weimar die Fensterchen ein wenig hoch. »Ich soll von der alten Goethe grüßen«, sagte er und zwinkerte vertraulich mit den kleinen, geistreichen Augen.

Luise lächelte. Ika fragte rasch: »Durchlauchtigster, wer ist denn alles im Theater?«

»Nun, werde gleich der Cicerone sein.«

Und Karl August stand zwischen den Schwestern an den kleinen Guckfenstern, weisend, berichtend, Namen nennend.

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Ika, geblendet von Uniformen und der Fülle männlich-vornehmer Gestalten, stellte unablässig Fragen. Von welchem Regiment waren die Offiziere mit den himmelblauen Röcken? Und der pfirsichfarbene Frack, welchem Gesandten gehörte er? Und wo in aller Welt hatte man denn laubfroschgrüne Husaren?

Karl August amüsierte sich: »Ist's der ganze Regenbogen, nach dem das Herzchen greifen will?«

Und die Komödie begann.

Sie paßten nicht gut auf. Der Herzog war ungeniert, lachte Luise an, sorglos und zärtlich. Sie wird Fortune machen, dachte er, sie schaut ja jeden an, als wäre sie ein wenig verliebt. Und weiß es doch gar nicht. Es ist der unbewußte Ausdruck ihrer Lebensfreude, der sie so wirken läßt. Es ist das süddeutsche Blut.

Der erste Akt war zu Ende, die Logentür klappte. Luise wandte das Gesicht: Onkel Georg trat ein.

»Ich mache ihm Platz«, sagte Karl August und erhob seine kurze Gestalt im blauen preußischen Rock. »Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!«

Ein paar Minuten später saß der liebste Onkel neben Luise und Ika.

Und plötzlich bog er sein gutes, vertrautes Gesicht zu Luise herüber und sagte sonderbar ernst:

»Der Kronprinz von Preußen ist im Theater.«

Sie war so ahnungslos gewesen. Sie hatte sich nichts Besonderes gedacht bei dieser überstürzten Reise, sie hatte auch die Nachricht, daß sie dem König vorgestellt werden sollten, hingenommen wie irgendeine andere, die ein klein wenig zwangvoll war. Nun sprach plötzlich ihr Instinkt.

Ahnung überflutete sie.

Über ihr Herz floß eine unbegreifliche Welle weher Dunkelheit – und zugleich doch war es ihr, als löse sich der Raum, als sei sie weit fortgeführt aus Mauern, Haus und Stadt, unter einen hellen Himmel und in den Schimmer des Frühlings.

Ihre Lippen öffneten sich leise, vor ihren Augen verschwammen die Lichter, der Uniformglanz, die Gesichter der Menschen. Sie fühlte einen leisen Schwindel, einen sonderbaren Rauschzustand:

Unschuld begriff, daß sie bestimmt ist, einst ein Schicksal zu haben.


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