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Schluss. Vom Schein zur Wahrheit

Zehn Jahre lang gönnte Gott dem liebenden Weibe den Gatten, es schien, als sei er völlig genesen. Endlich aber naht der Tag, wo er ihn zurückfordert. Zum drittenmal bot ihm die Gemeinde die Christusrolle an. Noch war er schön – ein Mann von achtundvierzig Jahren, aber schlank wie ein Jüngling und in seinem durchgeistigten Ausdruck keusch und hehr – mehr denn je eine Christuserscheinung. Gott reichte ihm die volle Schale der Vollendung seines Geschicks, und es hat sich vollzogen, wie er es ersehnt. Nicht auf dem Krankenbett, nicht erliegend dem langen Elend der langsam zerstörenden Natur, – nein, hoch am Kreuz ist er gestorben, als Sieger über Schmerz und Tod. Gott hat ihn der Gnade gewürdigt, endlich die Aufgabe zu vollbringen, – bis zur letzten Vorstellung hat er diesmal ausgehalten, – da, als sie ihn zum letztenmal vom Kreuz nehmen, mit den fallenden Blättern, unter dem ersten Schnee des Spätherbstes – da erwacht er nicht mehr. Am Kreuz ist das große Herz gebrochen, eingegangen ist er in den Frieden dessen, den er darstellte – vom Schein zur Wahrheit – das Abbild zum Urbild!

Nie ist ein Mensch seligeren Todes gestorben, nie ein schöneres Lächeln der Vollendung auf dem Angesicht eines Toten gelegen.

»Es ist vollbracht! Du hast getan in deiner Weise, was dein Vorbild tat, du hast die heilige Lehre der Liebe mit deinem Tode besiegelt, mein Gatte!« sagt die bleiche Frau, die ihm den letzten Kuß auf die Lippen drückt.

Das Spiel ist Wirklichkeit geworden und Maria Magdalena weint an der Leiche ihres Erlösers. –

Am dritten Tage nach der Kreuzigung, wo einst Christus auferstanden, tragen sie ihn zu Grabe. –

Aber wie der Phönix aus der Asche, so ersteht auch aus der armseligen Gruft für die Büßerin heute der wahre Christus!

»Wann wirst du mir erscheinen im Frühlingsgarten, erlösende Liebe?« fragte sie einst. Jetzt ist sie da, – im herbstlichen Garten, – am Grabe allen Glücks!

Als der Sarg hinuntergelassen ist und die Leidtragenden zu der alternden, gebeugten Witwe hintreten, fragt der Bürgermeister sie: »Wo werden Sie nun leben, gnädige Frau?«

»Wo anders als in Ammergau, hier – wo sein Fuß mir die Gottesspur vorgezeichnet hat? O mein Gethsemane!«

»Aber gnädige Frau,« sagt der Pfarrer: »Wollen Sie sich für immer in das stille Dorf verbannen? Wollen Sie nicht wieder in Ihre Kreise und Ihre Welt der Bildung zurückkehren? Sie haben doch genug gebüßt!«

»Gebüßt? Nein, Hochwürden, gebüßt nicht, denn höchstes Glück ist keine Buße, – die Buße fängt jetzt erst an!« Und sie wendet sich dem Christus zu, der unweit des Grabes an der Kirchenmauer hängt, und breitet ihre Arme nach ihm aus: »Nun hab' ich nichts mehr als dich! Du hast gesiegt – Gedanke des Christentums, deine Macht ist ewig –! – – – – –«

Schwer hängt die Tränenwolke über Ammergau und geht von Zeit zu Zeit in feuchten Schauern nieder.

Es ist Abend. Durch die erleuchteten Fenster des Erdgeschosses eines kleinen Hauses, von Tannen umrauscht, sind zwei Frauen sichtbar: Maria und Magdalena. – Die Büßerin liegt auf den Knieen vor der »Mutter« und diese hat die Hände tröstend und segnend über ihrem Haupte gefaltet.

In den niederen Häusern des Dorfes entzünden sich allmählich die Lichter. Da sitzen sie wieder im zerrissenen Handwerkskittel an der Schnitzbank und arbeiten und entbehren und tragen das Los der Armut und Niedrigkeit, stolz in dem Bewußtsein, daß von zehn zu zehn Jahren der Augenblick wiederkehrt, der ihnen das Joch abnimmt und den Purpur um die Schultern legt, der Augenblick, wo sich das Wunder in ihrer Mitte erneuert, das die Arme siegreich ausbreitet über eine ganze büßende Welt, – der Augenblick, der der kampfesmüden verzagenden Menschheit den Frieden und die Versöhnung bringt – am Kreuz!

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