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Zweites Kapitel. Alt-Ammergau

Endlich nach einer langen Irrfahrt und häufigen Erkundigungen ist das Ziel erreicht. Der triefende, entsetzlich geschüttelte Wagen hält mit zwei Rädern in einem Graben, der von Regenwasser gefüllt den Weg bis zum Hause überschwemmt. – Der Reisemarschall und die Dienerin scheinen den Weg auch verfehlt zu haben, denn der zweite Wagen ist noch nicht da. Aus der niederen Haustür eilen dienstbeflissen Leute heraus, unsicher flackernde, dünne Kerzen mit der Hand schützend. Die Gräfin erschrickt – was für Gesichter! Ein alter Mann mit einer entsetzlich konfiszierten Physiognomie, langem grauem Haar und einem spitzen Judenbart, scharfgeschnittener gebogener Nase und lebhaft blitzenden Augen. Desgleichen zwei ältliche Frauengestalten, eine kleine rundliche mit etwas vorstehenden Augen und schwarzem krausem Haar und eine große hagere, ebenfalls unheimlich aussehende Person mit wirrem kohlschwarzem Haar, starkgebogener Nase und glitzernden schwarzen Augen.

In dem unheimlichen Schatten, welchen die wehenden Lichter noch auf die scharf markierten Gesichter warfen, sieht die ganze Gesellschaft allerdings zum Erschrecken einer Zigeunerbande ähnlich!

»Mein Gott, so sehen die Ammergauer aus!« flüstert die Gräfin enttäuscht.

»Sind wir hier recht bei dem Schnitzer Groß?« fragt der Prinz.

»Zu dienen,« ist die Antwort: »Bildhauer Groß! Haben Sie bei uns bestellt?«

»Man hat von Tegernsee aus um Wohnung an Sie geschrieben. Reichsgräfin von Wildenau, Erlaucht!« erklärt der Prinz.

»Ach ja – jawohl! Alles in Ordnung! Die Herrschaften logieren bei uns, für Wagen und Dienerschaft besorgte ich Unterkommen in der alten Post. Hab' die Ehr', einen recht guten Abend zu wünschen!« sagt der Alte wie zum Hohn auf die Schrecken dieser Fahrt. »Es tut mir nur leid, daß Sie so schlechtes Wetter getroffen haben. Wir haben aber auch heuer alleweil Regen!«

Der Prinz steigt aus – das Wasser spritzt hoch an ihm hinauf.

»O Sephi, hol doch schnell ein Brett, die Frau Gräfin können ja nicht aussteigen!« ruft der Alte mit lebhaftem Schmerz über die der Frau Gräfin bevorstehenden Leiden. Sephi, das lange hagere der beiden weiblichen Individuen, schleppt flink ein Brett aus dem Garten herbei, während ein einäugiger Hund, hierüber aufgebracht, ein wütendes Gebell anschlägt.

Das Brett wird angelegt, geht aber sogleich unter in der Flut und die Gräfin muß wohl oder übel durch das Wasser waten. Beim Aussteigen hat sie ein Gefühl, als stieße sie mit der Stirn an die Kante des weit überhängenden Hausdaches – so nieder ist die Baracke. Uralte, nachgedunkelte Freskomalereien dehnen und recken sich fratzenhaft in dem unruhigen Schein der Lichter. Der Gräfin wird es immer unheimlicher.

»Soll ich Sie hinübertragen?« fragt der Prinz.

» Je vous en prie!« sagt sie abweisend und strafend, während ihr kleiner Fuß in der Lache Grund sucht. Eiskalt läuft ihr das Wasser in die feinen Stiefel bis zum Knöchel. Sie war so voll Erwartung und in so poetischer Stimmung und jetzt schlägt ihr die nackte Wirklichkeit mit schmutziger kalter Faust ins Gesicht! Ein Schauer von Frost überrieselt sie, während sie schweigend durch das Wasser schreitet.

»Treten Sie nur hier ein, Ihre Zimmer sind gerichtet!« sagt der Alte tröstend. »Zimmer!« das nennen die Ammergauer Zimmer!

Sie treten an einer, von Miriaden Fliegen geschwärzten, Küche vorbei in einen Raum, der sonst die Schnitzerwerkstatt, jetzt als drawing-room benutzt wird. Auf einem alten zerrissenen Sofa schlafen zwei Kinder, in den Ecken liegen für die Nacht gerüstete Strohsäcke, denn die Leute vom Haus finden es selbstverständlich, daß sie in der Passionszeit keine Betten haben. Eine rauchende Petroleumlampe hängt von der dunkeln verwitterten Holzdecke herab und verbreitet mehr Qualm als Sicht. Das »Zimmer« ist so nieder, daß die Gräfin kaum glaubt aufrecht stehen zu können und zum Ueberfluß hat sich die Decke auch noch gesenkt; das Gebälk, vom Alter nach abwärts gebogen, droht in der bangen qualmigen Atmosphäre jeden Augenblick herabzustürzen.

Ein erstickendes Gefühl befällt die Eintretende. Sie ist zum Tode erschöpft, durchfroren, nervös-unleidlich bis zu Tränen. Die weißen Zähne klirren ihr aneinander. Frost und Unbehagen schütteln sie. Der Hausherr öffnet eine niedere Tür zu einem Verschlage, in dem zwei Betten, ein Tisch, ein uralter dunkler Schrank und zwei Stühle stehen.

»So,« sagt er zufrieden, die Fremden so gut beherbergt zu wissen, »das ist Ihr Zimmer! Nun ruhen Sie sich aus und wenn Sie etwas wünschen, so rufen Sie nur, dann kommt gleich eine von meinen Töchtern und bedient Sie.«

»Ja, aber bester Mann, wo logiere denn ich?« fragt der Prinz.

»Ja so – gehören Sie nicht zusammen? Ja, dann müssen die Frau Gräfin eben mit einer anderen Dame zusammen schlafen und der Herr hier oben!«

Er zeigt nach einer kleinen Treppe in der Ecke, wo man nach der Sitte alter Bauernhäuser von einem Zimmer durch eine Falltür direkt in ein darüber gelegenes hinaufsteigt.

»Aber ich bitte Sie, da kann ich doch nicht wohnen, das würde ja die Dame inkommodieren,« sagt der Prinz. »Haben Sie denn weiter keine Zimmer?«

»Ja, gewiß, aber die sind für morgen bestellt!« sagt Andreas Groß, während die zwei Schwestern in Ehrfurcht erstarrt ratlos dabeistehen.

»So geben Sie mir die Zimmer und schicken Sie die anderen Leute fort.«

»O das geht nicht, lieber Herr. Sie hören doch, daß sie versprochen sind.«

»Mein Gott, ich zahle Ihnen das Doppelte, das Zehnfache –«

»Aber, lieber Herr, wenn Sie mir das Zwanzigfache bezahlten – ich könnte es nicht tun, ich darf doch mein Wort nicht brechen!« sagt der Alte mit sanfter Bestimmtheit.

»Aha,« denkt der Prinz, »der will mich schrauben – nun erst recht nicht! Gräfin, Sie gestatten, daß ich mich auf eine Viertelstunde verabschiede, um mir eine andere Wohnung zu suchen!«

» Je vous prie au nom de Dieu, cherchez aussi pour moi – il vaudrait mieux passer la nuit en voiture que de loger ici!« klagt die Gräfin.

» Oui, c'est affreux! Voyons, il ne sera pas difficile d'attraper quelque chose de plus convenable! Adieu!«

» Ne me laissez pas trop longtemps seule avec ces brigands. Retournez vite, cher ami, j'ai peur!«

» Vraiment –?« lächelt der Prinz und ein Strahl süßer Empfindung blitzt im Forteilen aus seinen Augen.

Indessen ist das kleine Mädchen, das auf dem Sofa schlief, wach geworden und auch herbeigekommen.

Die Gräfin bittet die Leute, sich zu entfernen, um endlich auszuruhen. Diese ziehen sich bescheiden zurück. Als sie aber die Tür schließen will, ist weder Schloß noch Riegel daran, nur ein Drahthäkchen, welches in ein lottriges Ringchen eingehängt wird.

»Ich bitte Sie,« sagt die Gräfin entsetzt, »da kann man ja nicht einmal schließen!«

»O Sie brauchen sich nicht zu fürchten,« tröstet der Alte, »wir schlafen ja neben Ihnen!« Das ist's aber eben, was die Gräfin fürchtet, neben diesen unheimlichen Gesichtern wohnen und nicht schließen können!

Sie hängt den jämmerlichen Draht ein und setzt sich auf eines der Betten, welche keine Matratzen, – nur Roste haben. Sie legt die Hand über das Gesicht und läßt ihren unmutigen Tränen freien Lauf. Sie sitzt immer noch in Hut und Mantel, die sie nicht abzulegen wagt, in dem dunkeln Gefühl, von Gefahren umringt zu sein und jeden Augenblick entfliehen zu müssen! In solcher Lage ist man doch sicherer, wenn man Hut und Mantel anhat. Schlimmsten Falls will sie die Nacht über so aufsitzen bleiben. Zu Bett zu gehen, wäre in einem Hause, wo die Decke einbrechen kann und solche verdächtige Gestalten herumschleichen, doch zu riskant! Neben dem Bett, auf dem die Gräfin sitzt, ist eine Tür, die sie in all diesen Schrecken nicht bemerkt hat. Aber jetzt ist ihr, als höre sie durch diese Tür ein Schaben, wie wenn Eisen durchgefeilt wird. Dann wieder dumpfe Schläge, ein eigentümliches Röcheln. Grauenhafte unerklärliche Töne. – Jetzt tut es einen Schlag wider die Tür, die kaum besser als die andere verriegelt ist – und noch einen.

»Hier ist die Hölle los!« jammert die Gräfin und springt auf. Ihre kalten, nassen Füße sind wie gelähmt, die Sinne drohen ihr zu schwinden. Und kein Mensch bei ihr in dieser trostlosen Lage. Wo bleibt das Gefolge? Vielleicht sind sie in die Irre gelockt, ermordet und ausgeraubt worden – und dazu tobt das Unwetter mit voller Wut fort.

Erneuter Versuch von außen, die Tür zu sprengen – ein paar schmetternde Stöße bringen sie schon zum Weichen. Die Gräfin hat wie im Traum die Werkstatt erreicht und ruft nun fast ohnmächtig die unheimlichen Gestalten da draußen – ein Schrecknis gegen das andere – zu Hilfe. Mit bleichen Lippen berichtet sie, daß eingebrochen wird – oder daß ein Wahnsinniger, oder einer, der verfolgt wird, herein wolle.

»O, das macht nichts,« sagte der Alte mit einem, wie es der Bedrängten erscheint, teuflischen Lachen, geht geradeswegs hinein, macht unter einem Schreckensschrei der Gräfin die fragliche Tür auf und – herein streckt sich ein Kopf! – Ein liebes, dummes, großes Gesicht glotzt mit verwunderten Augen in die Helle und pustet aus weiten, rosenroten Nüstern die fremde Umgebung an. Ein Brauner – ein gutmütiger Fuhrmannsgaul ist Wand an Wand der Schlafkamerad der Reichsgräfin von Wildenau!

»Sehen Sie, das ist der Uebeltäter, es ist ein Luftkopper, daher die schrecklichen Töne, die Sie gehört haben.«

Die Geängstigte betrachtet das gute dumme Pferdegesicht wie eine himmlische Erscheinung, – aber wie erleichtert sie sich auch fühlt, in dem Bewußtsein dieser Nachbarschaft, und wie sehr sie auch Pferde liebt, so möchte sie sie doch nicht gerade im Bett haben, und da die Tür von dem breiten Elefantenhuf des biederen Tieres bereits halb eingetreten ist, liegt die Vermutung nahe, daß der Braune heute nacht, von dem Geruch des aromatischen Seegrases in den Bettrosten angelockt, das Lager der Gräfin als eine Krippe betrachten möchte, und sie etwas unsanft unter einer schnüffelnden Pferdenase erwachen werde.

»O, das wollen wir gleich haben!« beruhigt der alte Andreas. »Wir legen ihn an, daß er nicht mehr loskommt, und morgen früh um Vier spannt ihn der Fuhrmann schon wieder ein, dann haben Sie Ruhe!«

»Nachdem man die ganze Nacht kein Auge zugetan hat!« murmelt die Gräfin und folgt dem Alten, um zu sehen, ob er auch das Pferd sicher anlege. Es ist richtig, das Zimmer, welches mit dem ihren durch eine Tür ohne Schwelle und Schloß verbunden, – ist ein Stall! Ein paar Hühner fliegen erschreckt aus dem Stroh auf – auch das noch! »Wenn der Gaul aus dem Stall ist, werden die Hühner anfangen zu krähen! Welch eine Nacht wird das auf die heutige Strapaze!« Der Alte lächelt wieder mit einer beleidigenden Ueberlegenheit und sagt:

»Ja, dafür ist man auf dem Lande!«

»Nein, hier bleibe ich nicht – lieber übernachte ich im Wagen! Wie ist es möglich, daß Menschen hier einen Tag existieren können?« denkt die Gräfin bei sich.

»Befehlen denn Frau Gräfin nichts zu essen? Soll vielleicht meine Tochter einen Schmarren machen?«

»Einen Schmarren! In dieser Küche, mit diesen Fliegen.« – Der Gräfin wird es übel. »Nein, ich danke!« und wenn sie verhungern müßte – hier könnte sie nie einen Bissen essen.

Der Braune ist endlich angebunden und fährt in Ermangelung anderer Beschäftigung fort, auf das intensivste an seiner Krippe zu beißen und Luft zu fangen. Ein entsetzlich nervenerregendes Geräusch für die Nachbarin dadrin im »Nebenzimmer«! – Jetzt – o Hilfe, Rettung – jetzt rasselt der andere Wagen vor das Haus: die Kammerjungfer und der Reisemarschall!

»Herein, nur schnell herein!« ruft ihnen die Gräfin durchs Fenster zu. »Alles aufgepackt lassen – ich bleibe nicht hier!«

Die Jungfer und der Reisemarschall kommen mit sehr erhitzten Gesichtern herein.

»Wo, in aller Welt, bleiben Sie denn so lange?« herrscht die Gräfin sie an, froh, endlich ihre üble Laune an jemand auslassen zu können.

»Der Kutscher – hat den Weg – verfehlt –« stottert verlegen der Reisemarschall und streift verstohlen das glühende Gesicht der Jungfer. – Die Gräfin überschaut mit einem Blick die Situation. Jetzt ist sie wieder sie selbst. – Furcht und Zagen, die ganze nervöse Schwäche verschwindet vor dem Gefühl der beleidigten Gebieterin, die man eine Stunde lang warten zu lassen wagte und dann mit Gesichtern vor sie hintritt, auf denen der unerlaubte Grund der Verzögerung nur zu deutlich geschrieben steht.

Sie richtet sich hoch auf, sie ist ganz Herrin in dem Augenblick: »Herr Reisemarschall – Sie sind entlassen – kein Wort weiter!«

»Dann bitte ich Ew. Durchlaucht auch um meine Entlassung,« sagt die erregte Kammerjungfer, sich selbst verratend. Ein verächtlicher Blick aus dem Auge der Gräfin trifft die Schuldige, aber ohne sich zu besinnen, sagt sie ruhig:

»Gewährt! Lassen Sie sich beide vom Rentmeister die Löhne ausbezahlen. Adieu!«

Die beiden Gerichteten verlassen bleich und stumm das Zimmer. Das hatten sie nicht erwartet, aber sie kennen den Charakter ihrer Gebieterin und wissen, daß hier kein Wort weiter gestattet wäre – und kein Bitten und Flehen etwas helfen würde. Auch der Gräfin ist nicht wohl zu Mute. – Da steht sie nun – ohne Kammerjungfer! Zum erstenmal in ihrem Leben soll sie sich selbst bedienen, auspacken – die großen Koffer und Taschen! »Mein Himmel, wie wird das gehen,« und sie ist so müde und erkältet – und sie weiß nicht einmal, in welcher der vielen Taschen trockene Schuhe und Strümpfe zu finden wären! Soll sie alles herausreißen, jetzt, wo sie es doch wieder einpacken müßte? Denn jetzt muß sie unter allen Umständen in ein anderes Haus, zu zivilisierten Menschen, wo sie eine Bedienung hat und nicht so verlassen ist! O, wäre sie nur nicht in dieses Ammergau gereist – das ist ja ein schrecklicher Ort! Das Heil der Welt möchte man ja nicht mit einem solchen Abend erkaufen! Es ist eine furchtbare Situation in dieser Umgebung – ohne Kammerjungfer!

Und wie das Kleine auch die größte Frau immer klein findet, weil dies Nervensache und nicht Charaktersache ist, so setzt sich die ihrer Dienerschaft gegenüber eben noch so imponierende Frau wieder auf die dürftige Bettstatt und weint wie ein Kind.

Da klopft es leise an die Tür zur Werkstatt. Die Gräfin öffnet und die kleine dicke von den beiden Schwestern tritt schüchtern ein.

»Erlaucht Frau Gräfin, entschuldigen, wir haben erfahren, daß Frau Gräfin die Fräulein Kammerjungfer und den andern Herrn entlassen haben, und da wollt' ich fragen, ob ich oder meine Schwester nichts helfen könnten? Vielleicht ein wenig auspacken?«

»Ich danke Ihnen – ich wünsche nicht, hier zu übernachten, und hoffe, mein Begleiter wird mir Nachricht bringen, daß er etwas für mich gefunden hat. Ich werde Sie entschädigen, wie Sie es verlangen, aber ich kann hier unmöglich bleiben! Fragen Sie Ihren Vater, was er fordert, ich will Ihnen geben, was Sie nur wollen – aber lassen Sie mich fort.«

Der Alte wird gerufen.

»Ja, Frau Gräfin, da können Sie ganz ruhig sein, wenn es Ihnen bei uns nicht gefällt, da genieren Sie sich nur nicht! Sie brauchen auch gar keine Entschädigung zu zahlen – nur müssen Sie bald dazutun, sonst bekommen Sie keine andere Wohnung mehr, es geht heuer streng mit den Wohnungen.«

»Ja, aber Sie müssen in jedem Fall von mir eine Entschädigung nehmen, sagen Sie doch nur, was darf ich Ihnen anbieten?«

»Nichts, Frau Gräfin! Was nicht genossen ist, lassen wir uns auch nicht bezahlen!« sagt der Alte mit einer so imponierenden Bestimmtheit, daß die Gräfin ihn erstaunt anblickt.

»In Ammergau macht man aus dem Vermieten kein Geschäft, Frau Gräfin, das tun nur die fremden Spekulanten, die hier um diese Zeit einen Schnitt machen wollen und, Gott sei's geklagt, Ammergau in den Ruf der Blutsaugerei bringen! Wir echten Ammergauer tun's jeder für die Sache, damit möglichst viele Gäste das Spiel sehen können, und sind froh, wenn wir unsere Kosten herausschlagen! Mehr braucht's nicht.«

Die Gräfin sieht auf einmal das konfiszierte Gesicht in einem ganz anderen Licht! Es muß die schlechte Beleuchtung vorhin gewesen sein. Jetzt findet sie auf einmal, daß es ein durchgeistigter und bedeutender Kopf ist. Ja, das gefurchte Gesicht, umwallt von den grauen Haaren, mit den klaren, durchdringenden Augen, hat etwas patriarchalisch Rührendes und Würdevolles. Es kommt ihr auf einmal zur Erkenntnis, daß diese Leute die Masken, die ihre Rollen fordern, von Natur an sich tragen müssen, da nicht geschminkt werden darf, und sich so unwillkürlich der Charakter der Rolle den Zügen aufprägt. Wie man ja auch bei den Schauspielern im Leben sogleich den Charakterspieler und den Liebhaber auseinander kennt.

»Sie spielen mit?« fragt sie jetzt mit Interesse.

»Ich spiele den Dathan, den jüdischen Oberhändler,« sagte er stolz. »Ich spiele jetzt schon seit sechzig Jahren mit. Denn als Bub von drei Jahren habe ich in den lebenden Bildern der Eva auf dem Schoß gesessen!«

Die Gräfin kann ein Lächeln nicht unterdrücken, und auch der Alte wird von einer edlen Heiterkeit verklärt.

Das kleine Mädchen, die Tochter der runden, dicken Schwester, schaut durch die Türspalte und hängt mit leuchtenden Augen an der schönen Frau.

»Wem gehört die Kleine?« fragt die Gräfin, das Kind mit seinen weichen Locken und den glänzenden Augen betrachtend.

»Es ist meine Enkelin, das Kind meiner Tochter Anna. Der Vater war ein Fremder, er ist durchgegangen und ließ die Frau und zwei Kinder im Elend zurück. Da nahm ich sie alle drei wieder zu mir.«

Die Gräfin blickt auf die hagere, abgezehrte Gestalt des Alten und auf die wohlgenährte von Mutter und Kind.

»Und wer ernährt sie?«

»O – wir helfen uns so durch,« sagt der Alte, bescheiden ablenkend. »Wir arbeiten alle zusammen. Und mein Sohn, der Zeichenlehrer, der tut auch viel für uns, ohne den könnten wir freilich nicht durchkommen,« er unterbricht sich erschrocken, als könne es der Betreffende gehört haben. »Aber man darf's nicht sagen – wenn er das wüßte, er wäre außer sich!«

»Sie scheinen Ihren Sohn ein wenig zu fürchten?« fragt die Gräfin.

»Ja, o ja – er ist streng, sehr streng und stolz, aber gut!«

Und in den Augen des alten Mannes leuchtet es auf in Liebe und Stolz.

»Wo ist er denn, dieser Sohn?« fragt die Gräfin gespannt.

»Ach, wissen Sie, der läßt sich nie vor Fremden sehen, wenn er nicht muß!«

»Spielt er auch mit?«

»Nein, er stellt die lebenden Bilder, und das ist eine Aufgabe, wie ein Feldherr, denn er muß da zwei- bis dreihundert Menschen kommandieren, und er hält sie zusammen und sie parieren ihm wie einem General!«

»Das muß ja ein sehr interessanter Mensch sein!«

In diesem Augenblick ertönt der Tritt des Prinzen in der Wohnstube.

» Peut on entrer?«

» Oui mon Prince!«

Der Prinz tritt ein, triefend vor Nässe.

» Rien trouvé, excepté une petite chambre pour moi-même dans une chaumière encore plus pauvre que celle-ci! Toutes les grandes maisons remplies jusqu'au grenier. C'est le diable qui nous a entrainé chez ces maudits paysans!«

» Ne dites pas cela!« spricht die Gräfin ernst. » Ils sont des saints!«

Da sagt das kleine Mädchen leise etwas zu seiner Mutter.

»Wenn es die Herrschaften nicht übelnehmen wollten, mein Kind versteht etwas Französisch und sagt mir eben, Sie hätten kein Logis für die Dame gefunden,« sagt die Mutter schüchtern, »ich weiß eines in einem sehr hübschen Hause nicht weit von hier. Ich will doch schnell hinüberspringen und sehen, ob es noch zu haben ist. Wenn Sie das bekämen – da ist es viel schöner als bei uns.« Und sie eilt nach der Tür.

»Halt, Frau,« ruft der Prinz, »Sie können nicht hinaus, es ist ein wahrer Wolkenbruch, und ein zweites Gewitter zieht soeben herauf.«

»Ja, bleiben Sie,« ruft die Gräfin, »warten Sie das Wetter ab.«

»Ja, nein, – bei Wohnungen kommt es hier auf die Minute an, – da darf man keinen Augenblick versäumen.« Und im Nu hat sie ein Tuch übergeworfen und ist zum Haus hinaus. Schon springt sie an dem niederen Fenster vorbei, – ein flammender Blitz erleuchtet das Zimmer und läßt die kleine gebückte Gestalt draußen sich wie eine Silhouette abheben. Ein Donnerschlag folgt rasch.

»Das Gewitter steht gerade über uns,« sagt der Prinz gutmütig besorgt. »Wir hätten die Frau nicht hinauslassen sollen.«

»O, das macht nichts,« lächelt der Alte, »das tut sie gern!«

» Dites-moi quels drôles de gens,« will der Prinz beginnen, aber die Gräfin winkt ihm, da das Kind Französisch versteht. Der Prinz sieht sie mit einem komischen Ausdruck an, als wollte er sagen: »Das sind aber sonderbare ›Briganten‹, die ihren Kindern eine so gute Erziehung geben.« – Die Gräfin geht ans Fenster und blickt unruhig in das tosende Unwetter hinaus. Ein Gefühl inneren Vorwurfs beschleicht sie, daß sie das gute Geschöpf in diesem Aufruhr der Elemente fortließ! – Noch dazu, wo die Leute keine Entschädigung annehmen und also um einen Verdienst kommen, wenn sich eine andere Wohnung findet.

»Es ist ihr Schaden und dafür diese Bereitwilligkeit!«

Die kleine Gesellschaft hat sich jetzt ins Wohnzimmer gezogen. Die Gräfin sitzt auf der Fensterbank, während Blitz um Blitz und Schlag auf Schlag herunterschmettert. Jetzt denkt sie nicht mehr an sich, nur noch an das arme Wesen da draußen. Das kleine Mädchen weint leise um die Mutter, in diesem Wetter! Und schleicht hinaus, unter der Haustür auf sie zu warten. Der Prinz hat sich frierend auf die Ofenbank gesetzt. Als der alte Groß das bemerkt, geht er still hin und heizt ein, »damit der Herr sich trocknen kann«. Bald knistert ein wärmendes Feuer in dem riesigen grünen Kachelofen, dem Hauptträger der gesunkenen Decke.

»Bitte, schreiben Sie mir die Heizung auf,« sagt der Prinz beschämt.

Der Alte lächelt:

»Daß doch die Herrschaften alles bezahlen wollen! Wir hätten ja für uns auch Feuer gebraucht!« Damit verläßt er das Zimmer. Die hagere Schwester findet es nun auch angemessen, die Herrschaften nicht zu stören und geht hinaus.

»Sagen Sie mir, Gräfin,« beginnt der Prinz, sich behaglich an den warmen Ofen lehnend, »darf ich Ihnen diese wenig genußreiche Atmosphäre mit einer Zigarette parfümieren?«

»Ach gewiß, ich dachte gar nicht mehr daran, daß es überhaupt Zigaretten in der Welt gibt!«

»Scheint mir so,« sagt der Prinz kaltblütig und bietet der Gräfin sein porte-cigarettes an. Sie mag heute nicht rauchen. Der Prinz kehrt wieder auf seine Ofenbank zurück: »Sagen Sie mir, chère amie, nachdem Sie nun alle Schauer dieser romantischen Situation durchgekostet haben – wie wäre es mit einer Tasse Tee?«

»Tee!« sagt die Gräfin und sieht ihn wie aus einem Traum erwachend an, »Tee!«

»Ja, Tee,« persifliert der Prinz; »arme Freundin, Sie müssen ja eine Ewigkeit in der einen Stunde unter diesen ›Wilden‹ durchlebt haben, daß Ihnen schon die Erinnerung an die besten Errungenschaften der Zivilisation verloren gegangen ist.«

»Tee,« sagt die Gräfin, die jetzt erst fühlt, daß sie am Verschmachten ist, »das wäre etwas, aber ich weiß nicht, wo ich ihn habe! Ich schickte ja die Kammerfrau fort.«

»Jawohl, ich traf das entlassene Paar in voller Verzweiflung! Und ich kann mir denken, daß meine angebetete Gräfin Madeleine – das verzogenste und verwöhnteste aller Kinder des Glückes und der großen Welt – sich jetzt nicht zu helfen weiß. Ich bin darüber keineswegs ungehalten, car j'en profite! Ich darf mich nun als liebende Vorsehung bei Ihnen insinuieren – quelle chance pour un adorateur! N'est-ce pas? Gestatten Sie mir daher, Ihnen die Kammerjungfer – soweit tunlich – zu ersetzen! Ich habe Tee bei mir und mein Kammerdiener, den ich gottlob nicht wegzuschicken brauchte, weil er bei dem schuldigen Paar nur als Elefant funktionierte, harrt draußen Ihres Befehls zum Angießen!«

» Que vous êtes bon, mon prince! Aber ich bitte Sie, diese Küche mit den Fliegen.«

»O, das braucht Sie nicht zu beunruhigen. Man sieht, daß Sie noch wenig im Gebirge waren. Ich kenne diese Gebirgsfliegen, sie sind anders als unsere Stadtfliegen, sie besitzen eine eigene Geschicklichkeit, nicht ins Essen zu fallen! Wagen Sie es einmal daraufhin!«

»Ja, aber zuerst müssen wir doch wissen, ob ich die andere Wohnung bekomme!« sagt die Gräfin wieder kleinlaut.

»Teuerste Gräfin, hindert uns denn das, eine Erquickung zu uns zu nehmen? Seien Sie doch nicht so mutlos,« lacht der Prinz.

»Ach, Sie haben gut lachen – ich versichere Sie, die Situation ist tragisch genug –«

»Tragisch genug, um der Mühe zu lohnen, eine gewisse Seelengröße dabei zu entwickeln, nicht aber, um echt weiblich alle Fassung zu verlieren.« Der Prinz schüttelt die Zigarettenspitze aus und geht, um dem Kammerdiener Anweisung wegen des Tees zu geben. Als er wieder eintritt, kommt ihm die Gräfin plötzlich entgegen, streckt ihm die Hand hin und spricht mit einem berückenden Lächeln: »Prinz, Sie sind heute reizend und ich bin unausstehlich! Ich danke Ihnen für die Geduld, die Sie mit mir haben!«

»Madeleine,« sagt der Prinz, seine innere Bewegung unterdrückend, »wenn ich nicht wüßte, welch gutes Herz Sie haben, so würde ich Sie für eine Kirke halten, deren Vergnügen es ist, Menschen verrückt zu machen. Hätte ich nicht einen so nüchternen kalten Verstand, wie Sie immer an mir betonen, so würde ich jetzt das Gefühl, was Sie mir so süß entgegenkommen läßt, für Liebe halten und mir eine Enttäuschung holen! So aber bleibe ich mir ganz klar, daß dies nur die Dankbarkeit eines guten Herzens ist für eine kleine, in unangenehmer Lage geleistete Hilfe, und bin zu stolz, um im Ernst zu tun, was ich vorhin im Scherz sagte: de profiter de l'occasion.«

Die Gräfin zieht bis ins Tiefste erkältet und beschämt die Hand zurück. Da ist er wieder, der trockene, prosaische Alltagsmensch! Hätte er es jetzt verstanden, ihre Stimmung zu nützen, wo er ihr in ihrer hilflosen Lage als Retter in der Not erschienen, wer weiß, was geschehen wäre. Aber das, gerade, war es ja, was er verschmähte – er kennt die Frauen genug, der erfahrene Lebemann, um nicht zu wissen, wie leicht eine Frau in einem Augenblick nervöser Herabstimmung, verzweifelter Verlegenheit und Ratlosigkeit zu gewinnen ist. Aber er, der Roué, der keiner pikanten Situation sonst aus dem Wege geht – ist trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, zu stolz, um die Frau, die er sich zur Lebensgefährtin erkoren, einer solchen Situation verdanken zu wollen. – Die Gräfin fühlt das und ist heimlich froh, daß er sich und sie vor einer Täuschung bewahrte.

»So sind die Frauen,« sagt er leise und betrachtet sie fast mitleidig. »Für das Linsengericht einer angenehmen Situation verkaufen sie das Erstgeburtsrecht ihrer heiligsten Gefühle.«

»Prinz, das ist eine ernste, bittere Wahrheit, die ich nicht gewöhnt bin, aus Ihrem Munde zu hören. Aber wie tief auch der Abgrund von Realismus sein mag, aus dem Sie diese Erfahrung geschöpft haben, an mir sollen Sie sie nicht bestätigt finden!«

»Das heißt, Sie wollen mich von nun an durch Kälte strafen – während Sie recht gut wissen, daß es eben der Ernst meiner Empfindungen für Sie ist, der mich so handeln läßt! Gräfin, das wäre eine Rache, die Ihrer nicht würdig ist – eine Frau wie Sie darf nicht zu der kleinlichen Empfindlichkeit gewöhnlicher Fraueneitelkeit herabsinken.«

»Mein Gott, Prinz – Sie haben ja immer recht, und glauben Sie mir, wenn ich mein Herz im Kopf trüge statt in der Brust, das heißt, wenn man mit dem Verstand lieben könnte, so wäre ich längst die Ihre, aber ach, mein Freund, der Weg vom Kopf bis zum Herzen ist so weit!«

Der Prinz zündet sich wieder eine Zigarette an. – Niemand kann sehen, was in ihm vorgeht. » Tant pis pour moi!« sagt er achselzuckend und kalt.

In diesem Augenblick flammt das ganze Zimmer auf und ein Donner kracht herab, als wäre die Decke eingestürzt und hätte alles unter sich begraben. Die Gräfin ist wie betäubt.

»Mutter, Mutter!« tönt draußen ein Schrei. Auf der Straße wird es lebendig. Stimmen werden laut, ein Rufen und Rennen und zwischendurch das Weinen des kleinen Mädchens. – Der Prinz springt ans Fenster, der Gräfin kehrt das Bewußtsein zurück – und welch ein Bewußtsein!

»Da ist jemand vom Blitz getroffen!« Sie eilt hinaus.

Ein lebloser Körper wird hereingetragen und auf die Bank im Hausgang gelegt. Es ist das kleine gute Geschöpf, das ihre Laune hinausgetrieben hat in das Unwetter – vielleicht in den Tod! Still und bleich liegt sie da mit geschlossenen Augen, die Hände sind kalt, die Züge leichenhaft starr und spitz, aber das Herz schlägt noch unter dem durchnäßten Kittel. Die Gräfin läßt vom Prinzen Eau de Cologne und Riechsalz aus ihrer Handtasche bringen; sie greift alles geschickt an, und der Prinz muß ihr helfen die Pulsadern reiben, – während sie mit den scharfen Essenzen Belebungsversuche macht. Inzwischen wird das weinende Kind von der anderen Schwester beschwichtigt. Der alte Groß aber träufelt der Kranken etwas Geistiges aus einer staubigen Flasche ein und spricht ruhig: »Sie müssen sich nicht ängstigen, ich bin so ein halber Doktor, wissen Sie, – es ist nur eine starke Ohnmacht! Der andere ist schlimmer dran.«

»Hat es zwei Personen getroffen?« fragt die Gräfin entsetzt.

»Ja, einen von der Musik, den ersten Violinspieler.«

Der Gräfin zuckt ein Gedanke durch den Kopf und eine Angst befällt sie, als habe sie hier in Ammergau irgend ein teures Leben, für das sie zittern müsse – und sie kennt doch keinen Menschen.

»O bitte, holen Sie mir einen Plaid aus meinem Zimmer,« sagt sie zum Prinzen, und als dieser weg ist, fragt sie rasch: »Sagen Sie, ist der Musiker groß?«

»O ja!«

»Hat er langes schwarzes Haar?«

»Nein, er ist hellblond,« erwidert der Alte.

Die Gräfin schweigt erleichtert, der Prinz kommt zurück. Die Kranke schlägt die Augen auf und ein leises Stöhnen ringt sich aus ihrer Brust.

»Das wird eine schöne Scene geben,« denkt der Prinz. »Aus solch einer Situation läßt sich ja herrlich Kapital schlagen. Meine Freundin wird jede Träne mit einem Goldstück aufwiegen dürfen!«

Nach einer kleinen Weile erkennt die Kranke ihre Umgebung und versucht, die Füße von der Bank zu nehmen. »Aber mein Gott, die Frau Gräfin bemühen sich selber; o ich bitt', Frau Gräfin, gehen Sie doch hinein, hier zieht's ja so!«

»Ja, aber Sie kommen mit!« sagt die Gräfin, »versuchen Sie einmal, ob Sie Ihre Füße gebrauchen können!«

Es geht nicht, die Kranke will einen Schritt machen, die Füße versagen den Dienst.

»Mein Gott,« klagt die Gräfin tief erschüttert, »sie ist gelähmt – und daran bin ich schuld!«

Da faßt die Kranke sanft die Fingerspitzen der Gräfin und zieht sie an die Lippen: »O ich bitt', machen sich doch Frau Gräfin keinen Kummer, das geht schon vorüber, 's ist mir nur leid, daß ich Ihnen jetzt noch einen Schrecken g'macht hab'.« Und sie versucht zu lächeln, und das häßliche Gesicht wird schön in dem Augenblick, und der Ton ihrer Stimme, der sich bemüht, ihr Zittern zu verbergen, ist so rührend, wie sie die Schuldige zu trösten und zu beruhigen sucht, damit diese sich keine Vorwürfe machen solle, daß der Gräfin die Tränen in die Augen treten.

» Quelle discrétion!« sagt jetzt auch der Prinz, von so viel Zartgefühl überrascht.

»Kommen Sie,« befiehlt die Gräfin, »wir müssen sie vor allen Dingen ins warme Zimmer bringen.«

Der Alte und, auf einen Wink des Prinzen, der Kammerdiener tragen die Kranke hinein und legen sie auf die Bank am Ofen. Die Gräfin aber hält ihre eiskalte Hand, während der Patientin die Tränen unaufhaltsam über die Wangen rinnen.

»Fehlt Ihnen etwas?« fragt die Gräfin besorgt.

»Nein, o nein – ich muß nur weinen, weil Frau Gräfin so gut gegen mich sind – es tut mir nichts weh – g'wiß nicht!« Und, wieder lächelt sie, jenes rührende Lächeln, das die anderen trösten will.

»Ja, ja,« bestätigt der Alte, »Sie können ganz unbesorgt sein, bis morgen ist alles vorbei.«

Das Kind legt zärtlich den Kopf an die Brust der Mutter, es ist im Zimmer ein eigener Friede, eine bescheidene Würde liegt über dem Wesen der armen Leute. Auch der Prinz und die Gräfin schweigen gedankenvoll. Da fährt die Kranke auf: »Aber um Gottes willen, beinah vergess' ich die Hauptsach'! Frau Gräfin können das Logis haben. Zwei sehr schöne Zimmer und gute Bedienung – aber Frau Gräfin müssen gleich hinüber, wie das Gewitter vorbei ist, sie hebt's nur eine Stunde auf. Es kommen um zehn Uhr immer noch Leut'!«

»Ich danke Ihnen,« sagt die Gräfin mit einem seltsamen Ausdruck.

»O kein' Ursach! I bin nur froh, daß ich die Zimmer noch kriegt hab', und der Frau Gräfin hab' dienen können!« sagt die Kranke glückselig. »In einer kleinen Weil' ist mir besser, dann führ' ich Ihnen 'nüber.«

»Ich danke Ihnen,« wiederholt die Gräfin ernst, »ich nehme die Zimmer nicht, ich bleibe hier

»Wie, Sie wollten?« fragt der Prinz erstaunt.

»Ja, ich schäme mich, daß ich heute abend so töricht war. Ihr guten Leute, wollt ihr mich behalten, nachdem ich euch so viel Unrecht getan und solches Unheil angestellt habe?« fragt die Gräfin.

»O, Frau Gräfin müssen das ganz machen, wie es Ihnen beliebt! Es freut uns, wenn Sie bei uns bleiben, wir nehmen es Ihnen aber auch gar nicht übel, wenn es Ihnen wo anders angenehmer wäre!« spricht der Alte mit ruhiger Freundlichkeit.

»Also ich bleibe!«

»Das ist brav, Gräfin!« sagt der Prinz. »Sie finden doch immer das Rechte.« Er winkt der hageren Schwester Sephi und flüstert ihr ein paar Worte ins Ohr. Diese verschwindet ins Schlafzimmer der Gräfin, um nach einer Weile mit trockener Chaussüre, die sie aus den Reisetaschen geholt, zurückzukehren. – Der Prinz tritt ans Fenster und kehrt dem Zimmer den Rücken-, » à la guerre comme à la guerre,« sagt er energisch; »ich bitte Euer Erlaucht, sich von dieser Dame die Chaussüre wechseln zu lassen – ich bin nicht nur mir, sondern der Welt schuldig, für Ihre Gesundheit zu sorgen.«

Ohne Widerrede läßt sich die Gräfin die Anordnung des Prinzen gefallen und die kleinen eiskalten Füßchen schlüpfen behaglich in die trockenen Hüllen, die Sephi noch schnell am Ofen gewärmt hat. Jetzt hat sie endlich ein Gefühl, als ob sie unter Menschen sei, und es wird ihr nach und nach wohler. Nachdem Sephi das Zimmer verlassen, schreitet sie stolz auf trockenen Sohlen zum Prinzen ans Fenster und legt den Arm in den seinen: »Kommen Sie, mon prince, lassen Sie uns auf und ab gehen, damit das erstarrte Blut wieder in Bewegung kommt!«

Der Prinz gibt ihr zuvorkommend den Arm und führt sie in der langen Werkstatt auf und nieder. Sie ist sehr reizend in dem Augenblick und der dankbare Ausdruck des sich wieder belebenden Gesichts kleidet sie entzückend.

»Ich muß fort,« denkt er bei sich selbst, »sonst lasse ich mich zu einer Unbesonnenheit hinreißen, die mir bei ihr alles verdürbe!«


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