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Fünfundzwanzigstes Kapitel. Es tagt

In dem stillen Parterrezimmer des Jagdschlosses, an der Stelle, wo einst das kleine Bett stand, – steht jetzt eine Kiste auf zwei Stühlen und ein hölzernes Kruzifix darauf, mit brennenden Lichtern.

Freyer ist zurückgekehrt. Er hat die Leiche seines Kindes mitgebracht. Er hat es der Gräfin telegraphiert, aber nur einige Zeilen erhalten: »Sie habe schnell verreisen müssen, sie fühle sich so krank in ihrem Gemüt, daß ihr der Arzt zur Zerstreuung einen Ortswechsel angeraten, um Schlimmerem vorzubeugen.«

Eine Kassenanweisung lag dem Brief bei zur Bestreitung der Begräbniskosten und zur Anlage eines Kapitals für Josepha, von dem sie behaglich leben könne für den Fall, daß sie sich zur Ruhe setzen möchte, »als Anerkennung für treugeleistete Dienste«. – Josepha versteht wohl, daß dies eine Entlassung in milder Form bedeute. Aber die fürstliche Summe, die ihr Dank sein soll, macht nichts gut, von der furchtbaren Bitterkeit in ihrem Gemüt und der Härte dieses verblümten Abschieds.

Der Morgen graut. Josepha ist bis zur Unkenntlichkeit verändert und krank. Trotzdem hat sie mit Freyer Nachtwache bei dem Totenschrein gehalten. – Jetzt überliest sie noch einmal den Brief, der am Abend gekommen. »Sie traut sich nicht, mich offen fortzuschicken, und will mich mit Geld abfinden, daß ich gutwillig gehe. Geld und immer Geld!« so kocht es in ihr auf. »Das Kind hab' ich hergeben müssen und nun soll ich auch dich noch verlieren, mein Letztes auf der Welt –?« sagt sie zu Freyer, der stumm neben dem Sarg seines Kindes sitzt. Und sie zerreißt die Anweisung und wirft sie hin: »Da hast du den Fetzen. Wenn das Kind begraben ist, weiß ich, wohin ich gehe.«

»Josepha, du gehst nicht von hier fort, solange ich hier bin. Noch dazu jetzt, wo du krank bist! Ich habe ihr lange genug den Knecht gemacht. Hier aber ist die Grenze, bis zu der ich mich ihren Launen füge. Das kann sie nicht verlangen, daß ich auch dich noch hergebe, die Verwandte, die einzige Seele in meiner grenzenlosen Einsamkeit. Und wenn sie es verlangte, so würde ich es nicht tun – denn in Gottes Namen – wenn ich auch noch so niedrig geboren bin, ich bin ja doch immer ihr Mann, – soll ich denn gar kein Recht haben? Du bleibst bei mir, das verlange ich und kann es um so mehr, als mein Gehalt ausreicht, dich zu ernähren. Du brauchst also keinen Lohn von ihr mehr anzunehmen.«

»Ja, sage ihr das, sage, ich wolle nichts, nichts, als bei dir und beim Grabe meines Engels bleiben!« Sie kann vor Weinen nicht weitersprechen. Nach einer Weile setzt sie mit matter Stimme hinzu: »Lang wird's ja so nicht mehr gehen, daß ich ihr zur Last falle, das wirst du sehen!«

»O, Josepha, gib dich so trüben Ahnungen nicht hin, du bist jung, du wirst dich wieder erholen!« tröstet Freyer, aber sein Auge ruht traurig, besorgt auf ihr.

Sie schüttelt das Haupt. »Das Kind war noch viel jünger und mußte sterben. Das hat das Heimweh nach der Mutter umgebracht und mich bringt das Heimweh nach dem Kind um. Ich fühl's, ich hab' Tag und Nacht Fieber und der Husten läßt mich keine Stunde mehr schlafen.«

»Aber so erlaub' mir doch, daß ich den Arzt kommen lasse – so kann es ja nicht fortgehen mit dir.«

»O, ich bitte dich, zu was so ein unnützes Aufsehen machen – daß mich wieder ein Mensch mehr nach dem Kind ausfragt und ich auf Kohlen und Nadeln stehe, was ich daherlügen soll. Du weißt, das ist mir immer das ärgste, denn lügen hab' ich all mein Lebtag nicht gekonnt. Laß mir meine Ruhe, mit hilft kein Arzt mehr.«

Es läutet an der Hausglocke. Josepha öffnet. Der Schreiner bringt einen kleinen Sarg, mit dem die Kiste vertauscht werden soll, die den bleiernen Einsatz enthält. Josepha sieht in ihrem schwarzen Kleid, mit ihrem abgezehrten Gesicht recht aus wie eine Mutter, die das eigene Kind betrauert. Es wird nichts gesprochen während des armseligen Vorgangs. Josepha und Freyer heben miteinander den Metallsarg aus dem Kasten und stellen ihn in den einfachen Eichensarg. Der Schreiner wird bezahlt und geht. Freyer eilt hinaus und schüttelt den Schnee von ein paar Tannenzweigen, die Bahre damit zu schmücken. Etliche Eiszapfen, die noch daran hängen geblieben, tauen auf im warmen Zimmer und ihre Tropfen fallen auf den Sarg, – die Tränen des Waldes! Der letzte Sproß des fürstlichen Blutes der Prankenberg liegt da unter bereiften Tannenreisern, und ein Bauer ist's, der ihn als Sohn beweint, eine Magd, die ihn zur ewigen Ruhe bettet! – Das ist die unblutige Revolution, die sich jeweils in den verknöcherten Traditionen der Stände vollzieht und dem beleidigten Gedanken des allgemeinen Menschenrechts auf Augenblicke liebende Genugtuung schafft.

Die beiden Leidtragenden sind still und gefaßt. Es ist, als ahnten sie, daß dieser Moment eine Bedeutung in sich trage, die sie weit über den persönlichen Schmerz hinaushöbe.

Eine Stunde später kommt der Pfarrer, – ein paar Knechte und Mägde bilden das Trauergeleit. Unweit des Jagdschlosses, im Wald, ist eine alte, baufällige Kapelle. Dahinein hat Frau Gräfin erlaubt, daß man das Kind begrabe, weil es doch nach dem Friedhof mehrere Stunden weit zu gehen wäre. »Es ist viel Ehre für das uneheliche Kind der Josepha, in einer gräflichen Kapelle beigesetzt zu werden!« denken die Leute bei sich. »Wenn das der alte, hochmütige Graf Wildenau wüßte, er drehte sich im Grabe herum. Nun, es wird wohl auch seinen Haken haben!« Der Sarg wird nach dem üblichen Brauch aufgehoben und hinausgetragen. Stumm, mit tränenlosen, starren Augen und rotglühenden Wangen folgt ihm Josepha, von Freyer gestützt. Noch vermag sie es, durch den Schnee zu waten und in der frostigen Kapelle, an der frisch gegrabenen Gruft auf kalten Steinplatten zu stehen. – Dann aber, als sie heimkommt, ist das Maß ihrer Kraft erschöpft. Die röchelnde Lunge ringt nach Atem, die durchfrorenen Füße sind nicht zu erwärmen, das in Todesangst arbeitende Herz treibt alles Blut nach dem Kopf, der in Fieberhitze glüht, während sich ihr die Gedanken verwirren. – Die furchtbare Erkältung hat das Zerstörungswerk, das der Schmerz an dem zarten Körper begonnen, vollendet. Freyer sieht es mit namenloser Wehmut.

»Jetzt muß aber ein Arzt her!« sagt er sanft. »Komm, Josepha, starre nicht immer auf die leere Stelle hin, wo die Leiche lag. Komm, ich bringe dich in mein Zimmer und lege dich auf mein Bett, wo dich nicht alles an das Kind erinnert.«

»Nein, da will ich bleiben,« sagt sie mit der, Kranken, die den Tod nicht fürchten, eigenen Grausamkeit gegen sich selbst: »Gerade da!« Sie klammert sich an das unbequeme Sofa, auf dem sie sitzt, als fürchte sie weggetragen zu werden.

Freyer räumt in aller Eile die Stühle weg, die noch vom Sarg dastanden, das Kruzifix und die Kerzen.

»Ja, lösche sie aus, du brauchst sie ja doch bald wieder für mich!« nickt Josepha.

»Du guter Mensch! Möchte dir's doch noch einmal so gehen, wie du's verdienst. Wahrlich, du hättst es besser verdient. O, was sie an mir getan, davon will ich gar nicht reden, aber was sie an dem Kind und dir getan, das kann nichts mehr gutmachen – nichts!« Ein Hustenanfall raubt ihr die Luft. Aber es ist, als übernähmen die Augen das Wort, für das sie den Atem nicht mehr hat, und ein fiebernder Rachestrahl leuchtet darin auf, vor dem es Freyer fast graut.

»Josepha,« spricht er milde, aber fest. »Opfere Gott deinen Haß und sei barmherzig. Wenn du mich lieb hast, so mußt du auch der vergeben, die ich liebe und der ich vergebe!«

»Nie!« keucht Josepha mit Anstrengung. »Joseph – ach, die Brustschmerzen, – ich glaube, es ist eine Lungenentzündung.«

»Mein Gott, – und keinen Menschen, den ich nach dem Arzt schicken könnte. Die Knechte sind alle im Holz. – O, so hilflos zu sein! Ich bitte dich, geh zu Bett, da ist keine Minute zu verlieren, ich muß selbst den Arzt holen. Ich schicke dir die Hausdirn herein. Halte dich gut – ich mache, so schnell ich kann!«

Und er eilt fort, den Schmerz um sein Kind vergessend, über der Angst um die letzte Gefährtin seines verarmten Lebens.

Die Magd kommt herein und fragt, ob sie etwas helfen kann, aber Josepha braucht nichts. Die besorgte Dirn will sie zu Bett bringen, aber Josepha behauptet, im Liegen nicht atmen zu können. Endlich läßt sie sich überreden, ein wenig Nahrung zu sich zu nehmen. Das tut ihr gut, die Schwäche läßt nach und die Atmung wird etwas leichter. Die Dirn legt Holz im Ofen nach und geht wieder an ihre Arbeit in der Küche. Josepha brütet still vor sich hin. Ihr ist der Tod Erlösung, – aber Freyer, was wird aus ihm, wenn er auch sie noch verliert? Das allein erschwert ihr das Sterben. Das feuchte Holz im Ofen siedet und singt, wie heulende, streitende Weiberstimmen. Das ist die »Feuerhex«, die's immer ankündigt, wenn man etwas Böses inne wird. – Josepha schüttelt den Kopf: Was kann's denn noch Böseres geben, als was ihr und ihrem armen Vetter schon zugestoßen ist? Die Feuerhex klagt und zetert fort und fort, aber Josepha versteht sie nicht. Vor dem Fenster, auf einer alten Fichte, schreien ein paar Raben so plötzlich auf, daß Josepha erschrocken zusammenfährt.

Ach, es ist doch recht einsam hier oben! Wie wird das sein, wenn Freyer ganz allein in dem Hause wohnt und monatelang vergebens auf das herzlose Weib wartet, das weder an den Gatten noch an ihr Kind denkt? Sie hat sich ja nicht um das lebende gekümmert, wie wird sie je das kleine Grab aufsuchen, in dem das tote ruht?

Da tönt lautes Pochen an der Haustür durch die Stille.

Josepha horcht, das kann doch nicht schon der Arzt sein?

Die Magd hat geöffnet. Schwere Tritte und Männerstimmen im Flur. Ein heulender Hund, der einen Tritt bekommen. Dann reißt die dumme Magd die Stubentür auf und ruft herein: »Jungfer Josepha, es sind zwei Jäger da, die sind so eingeschneit, daß sie ein wenig rasten möchten. Dürfen sie herein? Es ist ja nirgends Feuer!«

Josepha, die sterbenskranke, kann natürlich die frierenden Männer, die Obdach suchen und schon auf der Schwelle stehen, nicht hinausweisen. Sie erhebt sich mühsam vom Sofa und rückt den Fremden Stühle an den Ofen. »Ich bin zwar etwas leidend,« sagt sie in tödlicher Verlegenheit – »aber wenn Sie sich hier ausruhen und wärmen wollen, so bitte ich!«

»O wir sind Ihnen sehr dankbar!« sagt der eine Jäger, ein vornehmer Herr mit rötlichem Schnurrbart und scharfblickenden Augen. »Wenn wir nicht stören, so nehmen wir Ihre Gastfreundlichkeit gern an. Wir sind des Reviers noch unkundig und haben uns verirrt. Wir kommen von drüben über der Grenze und waten nun an die fünf Stunden im Schnee.«

Die Magd hat indessen auf einen Wink Josephas den Herren die Mäntel abgenommen und die Jagdgeräte beiseite gestellt.

»Da sehen Sie mal, das ist unsere Beute,« sagt der andere Jagdgenosse. »Wenn wir Sie einladen dürften, mit uns zu speisen, so möchte ich fast fragen, ob dieses edle ›Dirndl‹ uns den Hasen nicht braten dürfte? Unsere Cousine Gräfin Wildenau wird uns diesen Uebergriff in ihr Revier gewiß verzeihen.«

»Die Herren sind Verwandte der Frau Gräfin?«

»Jawohl, ihre nächsten und treuesten!«

Josepha in ihrer Todesschwäche ist es zu Mute, als zermalme sie die Gegenwart der fremden, kräftigen Gestalten – mit den schweren, stampfenden Jagdstiefeln und den lauten Stimmen. Sie will sich in die Küche flüchten unter dem Vorwand, den Hasen selbst zu braten. Aber da protestieren die Herren heftig.

»Na, das wäre noch schöner, wenn wir Sie aus Ihrem eigenen Zimmer vertrieben und gar, wo Sie leidend sind! Da müssen wir ja augenblicklich das Haus verlassen.«

Der rotbärtige Herr – kein anderer als der Vetter Wildenau – springt vom Stuhl auf und führt Josepha fast mit Gewalt zum Sofa zurück.

»So meine liebe – Frau – oder Fräulein? – Nun erweisen Sie uns die Ehre, Ihr altes Plätzchen wieder einzunehmen, und dulden Sie uns ein Stündchen in Ihrer Nähe, bis der Braten fertig ist, dann speisen Sie mit uns.«

Ein mattes Lächeln umspielt Josephas brennende Lippen. »Ich danke, ich bin zu unwohl, um zu essen. Aber wenn es die Herren nicht anders tun, so will ich im Zimmer bleiben.«

»Sie sind in der Tat sehr unwohl –« sagt der Fremde gutmütig besorgt. »Sie fiebern ja. Ach, mein Gott, wir genieren Sie gewiß sehr. Bitte, jagen Sie uns doch fort, wenn wir Ihnen lästig sind.« Er weiß natürlich ganz genau, daß sie nicht anders kann, als die ungebetenen Gäste bleiben heißen. Sie tut es auch und die Herren beruhigen sich vollkommen dabei.

»Aber meine liebe – Frau – oder Fräulein?« – Josepha antwortet auf diese Frage nie – »tun Sie gar nichts für Ihr Leiden, haben Sie denn keinen Arzt?«

»Nein, wir sind ja hier so abgelegen, da kann man nicht immer einen Doktor haben. – Aber heute erwarte ich ihn.«

»Das ist aber auch eine Aufgabe, in dieser Einöde zu leben. Und wie schlecht Sie sitzen, Sie haben ja nicht mal einen Schemel,« sagt der rote Vetter und legt ihr seinen mächtigen Jagdmuff, nachdem er ihn am Ofen gewärmt, unter die Füße.

Josepha will es verlegen abwehren, aber er läßt es sich nicht nehmen.

»Sie brauchen sich vor uns gar nicht zu genieren, wissen Sie, wir sind so eine Art Krankenpfleger, wir kommandierten ein Sanitätsbataillon im Kriege. Drum verstehen wir schon ein bißchen damit umzugehen. – Sie leiden an Asthma, das Atmen wird Ihnen schwer, da muß man bequem sitzen. So! Und den Jagdmuff meines Vetters nehmen Sie in den Rücken. Jetzt ist's besser, nicht wahr?«

»Aber ich bitte –«

»Na, na, na – keine Widerrede. Sie sollen sich behaglich fühlen in unserer Nähe.«

Josepha ist beschämt. Die Herren sind so gut, so besorgt um sie »arme Person« – es gibt doch noch gute Menschen! – Das verstörte, verwaiste Gemüt empfindet dankbar die ungewohnte Freundlichkeit.

»Aber wissen Sie, ich staune, wie primitiv hier alles ist. Unsere verehrte Cousine hätte Ihnen auch etwas mehr Komfort verschaffen können. Nicht einmal ein Sofakissen, keinen Teppich! – Ich hätte gedacht, sie kümmerte sich mehr um eine so treue« – er schluckt das Wort »Dienerin« höflich hinunter – und verbessert sich: »Stütze!«

Josepha schweigt, aber um ihre Mundwinkel zuckt es bitter, bedeutsam!

Wildenau bemerkt es – » Mécontente!« gleitet es, nur dem Gefährten hörbar, über seine Lippen.

»Sie sind ja schon so lange – wie viele Jahre werden es doch jetzt?«

»Daß ich bei ihr bin?« ergänzt Josepha unbefangen: »Seit dem letzten Passionsspiel. Also werden es nächsten Sommer zehn Jahre!«

»Ah, – richtig – Sie sind ja eine Ammergauerin!« – spricht der Baron mit der Miene eines Eingeweihten, den sein Gedächtnis nur einen Augenblick im Stich gelassen hat. »Sie sind wohl zugleich mit dem Christus zur Gräfin gekommen?«

»Ja.«

»Ist er mit Ihnen verwandt?«

»Ja, mein Vetter!«

»Nicht wahr, er ist noch hier?«

»Ja freilich.«

»Er ist ja – ihr – – was hat er eigentlich für einen Titel?«

»Verwalter.«

»Ist er zu Hause?«

»Nein, er ist in die Stadt gefahren, den Arzt zu holen!«

»O, das tut mir leid! Wir hätten gern seine Bekanntschaft gemacht. Wir haben so viel Schönes von ihm gehört! Ein Mann, für den sich unsere Cousine so interessiert –«

»Also spricht sie doch von ihm?«

»O, – mit ihren Vertrauten – gewiß!« sagt Wildenau doppelsinnig, – Josepha scharf fixierend, über deren Gesicht ein' Freudenschimmer sich verbreitet, bei dem Gedanken, daß die Gräfin gut von Freyer spreche.

»Warum sieht man nur den Herrn nie in der Stadt, er muß ja hier oben leben wie ein Einsiedler?«

»Ja, das weiß Gott!«

»Er sollte hin und wieder meine Cousine in der Stadt besuchen, jedermann würde sich freuen, den Ammergauer Christus kennen zu lernen.«

»Wenn sie es aber doch nicht will –!« sagt Josepha unbedacht.

»Ja, das ist freilich etwas anderes, aber das hat sie mir noch nie gesagt! Warum sollte sie es denn nicht wollen?« murmelt Wildenau mit gut geheucheltem Erstaunen.

»Weil sie sich seiner schämt!«

»Ah!« Wildenau stockt fast der Atem über das, was dies eine Wort enthält. »Aber ich bitte Sie, warum läßt sich Herr Freyer – nicht wahr, so heißt er ja wohl – das gefallen?«

Josepha zuckt die Achseln: »Ja, was will er denn machen?«

Eine Pause entsteht. Josepha bricht ab, als fürchte sie zu viel zu sagen. Die beiden Herren sind sehr nachdenklich geworden.

Endlich nimmt Wildenau das Gespräch wieder auf: »Ich verstehe doch nicht, wie ein Mann, der gewiß überall eine angenehme Stellung fände, sich so abhängig von den Launen einer Dame machen kann. Sie nehmen mir's nicht übel, ich sehe, das Los Ihres Verwandten schmerzt Sie, – ich würde in seiner Lage auf den glänzendsten Gehalt lieber verzichten als –«

»Gehalt?« unterbricht ihn Josepha mit flammenden Augen: »Glauben Sie, daß mein Vetter irgend etwas um des Gehaltes willen täte? O – da kennen Sie ihn schlecht! Wenn ihn die Frau Gräfin so geschildert hat – dann ist's ihre eigene Schande!«

Wildenau horcht hoch auf: »Aber Beste, das hab' ich ja nicht sagen wollen, Sie ließen mich nicht ausreden! – Ich wollte eben hinzufügen, daß ein solcher Beweggrund bei Ihrem Vetter ja nicht zutrifft, daß es also nur eine große Anhänglichkeit sein kann, die ihn an unsere Cousine bindet – eine Treue, die sie ihm, wie es scheint, wenig dankt!«

»Ja, das sag' ich ihm auch immer, – aber er gibt's nicht zu – und wenn's ihm das Herz bricht!«

An Josephas eingefallenen, durchsichtigen Schläfen pochen fieberhaft zwei dunkle, geschlängelte Adern.

»Aber – wie ist Ihnen? Wir stören Sie gewiß!« sagt der Baron.

»O nein! Das macht nichts!« beteuert Josepha höflich.

»Könnten Sie uns denn nicht vielleicht in ein anderes Zimmer führen lassen – die Gräfin kommt ja doch auch immer hier herauf – so müssen doch einige heizbare Zimmer da sein?«

»Ja, aber jetzt ist schon seit Wochen nicht mehr gefeuert worden, die Oefen werden rauchen.«

»Ist die Herrin so lange nicht mehr dagewesen?«

»Ja, sie kommt jetzt fast nie mehr!«

»Da muß Ihnen aber die Zeit recht lang werden und Ihrem Verwandten, – Sie waren doch gewiß sehr an die Besuche der Gräfin gewöhnt?«

»Ja freilich!« sagt Josepha, in Sinnen versunken – »wenn ich denke, wie es war – und wie es jetzt ist.«

Wildenau schaut sich im Zimmer um, dann sagt er leise: »Und das Söhnchen – das ist gestorben!«

Josepha sieht ihn entsetzt an: »Sie wissen's?«

»Ich weiß alles! Meine Cousine hat sein Bild in ihrem Boudoir stehen, ein herrliches Kind!«

In Josephas armem, fieberndem Gehirn wird es immer dunkler. Die kaum versiegten Tränen brechen aufs neue hervor. »Ja, nicht wahr – und so ein Kind sterben zu lassen, ohne sich darum zu kümmern!«

»Es ist unverantwortlich!« bestätigt Wildenau.

»O, wenn die Frau Gräfin je wieder davon spricht, dann sagen Sie ihr, die Josepha habe es doch mehr geliebt als sie, die sei ihm nachgestorben, während sie sich ihres Lebens freut, – damit sie sich schämen muß!«

»Das werd' ich ihr sagen! – Schade um das schöne Kind – war es nicht wie ein Christuskind?«

»Ja, das war's – und ich weiß jetzt auch, was Sie für ein Bild meinen. Es war in Jerusalem, als wir den Knaben tauften, da hing eine Kopie, wie sie's nannten, von einem Christuskind in der Kapelle über dem Taufstein. Nachher kaufte die Frau Gräfin das Bild, wegen der Aehnlichkeit mit dem Kleinen.«

»Es gleicht aber doch wohl auch Herrn Freyer?« wirft der Baron leichthin ein.

»Etwas, aber mehr der Mutter!«

Dem Baron Wildenau fängt es an heiß im Zimmer zu werden – er geht einen Augenblick ans Fenster, um Luft zu schöpfen, indes sein Begleiter, entsetzt über alle diese Enthüllungen, den Kopf schüttelt. Er hätte der Getäuschten gern gesagt, daß sie den Tod des Kindes nur von einem Holzer im Wald erfahren, der beim Begräbnis war – aber er durfte seinen Vetter nicht »dementieren«. Nach einer Weile wendet sich Wildenau wieder zu der Kranken. Er sieht, es ist Gefahr im Verzug, denn mit jedem Augenblick kann sich das Fieber zu solcher Höhe steigern, daß sie zu phantasieren beginnt und keine Aussage mehr machen kann. Jetzt oder nie muß die Wahrheit an den Tag! Aber er fühlt, daß Josepha keine gemeine Natur ist, die man mit gewöhnlichen Mitteln zum Verrat an ihrer Herrschaft bringt. Das erheischt Vorsicht und Nachdenken. –

»Ich bin wirklich gerührt über Ihre Treue für meine Cousine. Wohl jedem, der solch eine Seele sein nennen darf! Ich danke Ihnen im Namen meiner Cousine.«

Er reicht ihr die Hand. Sie aber erwidert mit ihrer gewohnten schroffen Ehrlichkeit: »Den Dank verdiene ich nicht, Herr. Denn ich habe hier nicht der Frau Gräfin zulieb ausgehalten, sondern dem armen Kinde und meinem unglücklichen Vetter. Gegen mich ist sie so weit gut gewesen – aber – wenn ich sie heute sähe, würde ich's ihr ins Gesicht sagen: Wie sie an ihrem Kind und an dem Joseph gehandelt hat, das verzeihe ich ihr nicht – mag sie machen, was sie will! Das Kind ist dran zu Grunde gegangen und meinen Vetter wird's auch umbringen. Gottlob, daß ich's nicht mehr erlebe.«

»Ich verstehe Sie vollkommen – o, ich kenne meine Cousine. Und – meine liebe, arme Fräulein Josepha – nicht wahr, jetzt darf ich Fräulein sagen, wo Sie sich nicht mehr für die Mutter des Kindes auszugeben brauchen – von Ihnen war dies eine unerhörte Aufopferung –! Also, mein liebes Fräulein, Sie müssen sich leider auf noch Schlimmeres gefaßt machen, Sie und Ihr Vetter, Sie werden jetzt ganz in Vergessenheit geraten, denn ich kann Ihnen mit Bestimmtheit versichern, daß die Gräfin sich demnächst mit dem Erbprinzen von Metten-Barnheim vermählen wird.«

»Was?« – Josepha schreit laut auf.

Wildenau beobachtet sie aufmerksam.

»Sie ist soeben nach Cannes gereist, wo sich der alte Herzog aufhält, und man erwartet jeden Tag die Proklamation der Verlobung.«

»Das ist nicht möglich – das kann nicht sein!« stöhnt Josepha, an allen Gliedern zitternd.

»Aber ich bitte Sie, warum sollte es denn nicht sein können? Sie ist ja frei – ist Herrin ihrer Hand –« beharrt Wildenau.

»Nein – das ist sie nicht – sie kann nicht heiraten,« schreit Josepha, in Verzweiflung vom Sofa aufspringend. Sie steht da mit ihren glühenden Wangen und roten Haaren wie eine Flamme, die noch einmal auflodert, bevor sie erlöscht. – »Um Gottes willen – das wäre ja ein Verbrechen!«

»Wer soll sie aber daran hindern?« fragt Wildenau atemlos.

»Ich!« stößt Josepha mit letzter Kraft heraus.

»Sie? – – – Meine Liebe, was können Sie tun?«

»Mehr, als Sie glauben!«

»So sagen Sie mir's, damit wir gemeinschaftlich das Verbrechen hindern können, bevor es zu spät ist!«

»Ja, bei Gott! Ehe ich dem Joseph das antun lasse – werde ich zur Verräterin an ihr.«

»Aber Herr Freyer hat doch kein Recht, zu verlangen, daß die Gräfin nicht mehr heiratet –«

»Kein Recht?« wiederholte sie mit furchtbarem Ernst, »wissen Sie das so gewiß?«

»Er ist eben doch nur der Liebhaber der Gräfin –«

»Der Liebhaber?« schluchzt Josepha in Schmerz und Wut auf: »Joseph, du Braver, Redlicher – das mußt du dir nachsagen lassen –!«

»Das verstehe ich nicht, wenn er nicht ihr Liebhaber ist – was ist er denn dann?«

Da hält sich Josepha nicht mehr: »Ihr Mann ist er – ihr rechtmäßig angetrauter Mann!«

Der Baron taumelt fast zurück vor dieser unerwarteten, unerhörten Enthüllung. Nur mühsam sich beherrschend, faßt er die Hand der Kranken, als wolle er sie halten, daß sie nicht zusammenbreche, bevor er das Letzte aus ihr herausgepreßt – das Letzte, was er wissen muß: »Sagen Sie mir nur noch, wo die Trauung war und vor wem?«

Wie unter dem Blick einer Schlange ergibt sich das Opfer dem stärkeren Willen: »In Prankenberg – ich und der Martin – waren Zeugen –« sie entgleitet seiner Hand, das Bewußtsein verwirrt sich, die Augen werden glasig, ihre Brust ringt im Todeskampf, aber das eine Wort, das sie noch mit Bewußtsein gesprochen – genügt den Wildenaus! – – –

Als einige Stunden später Freyer mit dem Arzt und dem Geistlichen, den er fürsorglich mitgenommen, heimkehrt – findet er Josepha allein auf dem Sofa – der Sprache beraubt, in der Agonie. –

Der Arzt erklärt, nachdem er sie untersucht, eine akute Lungenentzündung, die zu der längst vorhandenen Tuberkulose hinzugetreten und den Verlauf beschleunigt habe. Der Pfarrer gibt ihr die Sterbesakramente und bleibt mit Freyer am Bett, in das man sie gebracht, sitzen. Es ist ein schwerer Todeskampf. Es ist immer, als wolle sie Freyer etwas sagen, und kann es doch nicht herausbringen. Dreimal scheint sie vollendet zu haben und dreimal wacht sie wieder auf, als könne sie nicht sterben, ohne ausgesprochen zu haben, was ihr auf dem Herzen liegt. – Vergebens! Umsonst hält Freyer ihr immer wieder das Ohr an die Lippen – er kann ihr Lallen nicht verstehen. Es ist eine fürchterliche Nacht! Endlich gegen Morgen wird sie ruhig und jetzt kann sie sterben. An ihres Verwandten Brust gelehnt, gibt sie die Sprechversuche auf und atmet langsam aus. Sie hat überwunden und sie weiß jetzt im Tode, daß auch er überwinden wird. Lächelnd neigt sie das Haupt und ihr letzter Blick ist auf ihn gerichtet, Versöhnung liegt in ihren Zügen – die Seele strömt aufwärts – es tagt!


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