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(1905.)
Ich war erst seit einigen Jahren in München angesiedelt, als ich den Besuch eines jungen Mannes empfing, in dem ich auf den ersten Blick den Russen erkannte, noch ehe er mir gesagt, daß er Iwan Kalugin heiße.
Eine schmächtige Figur von mittlerer Größe, in einem abgetragenen schwarzen Anzug, doch vom elegantesten Schnitt, tadellose Wäsche, in der Hand ein schwarzes Studentenmützchen. Das Gesicht von schlicht herabfallenden dunklen Haaren eingefaßt, vorstehende Backenknochen, niedere Stirn, unter der zwei kleine, lebhafte Augen blitzten, eine stumpfe Nase mit breiten Flügeln, der ausgesprochene Typus des Baschkiren oder Kalmücken. Die häßlichen Züge aber gewannen einen anziehenden Ausdruck, sobald der Fremde zu sprechen anfing. Der ziemlich große, weich geschwellte Mund ließ dann zwei Reihen prachtvoller Zähne sehen, so weiß, wie das Gebiß eines jungen Neufundländers; ein eigenthümlich feines, geistreiches Lächeln belebte das knochige, glattrasierte Gesicht, während über den Augen, selbst wenn er lachte, beständig ein Hauch von Trübsinn schwebte.
Sein Alter schätzte ich nicht über einundzwanzig. Ich erfuhr später, daß er schon vier Jahre älter war.
Mit einer weichen, etwas singenden Stimme stellte er sich mir vor und bat wegen der Störung um Entschuldigung. Er sei bereits seit einigen Monaten in München, habe aber erst kürzlich etwas von meinen Sachen kennen gelernt und den Wunsch gefaßt, einige meiner Novellen aus den beiden ersten Bänden ins Russische zu übersetzen. Er stehe mit Petersburger Zeitungen in Verbindung und hoffe, sie dort anzubringen.
Das Honorar freilich – er zuckte ein wenig mit den Schultern – wenn ich an die Überlassung des Übersetzungsrechts zu hohe Bedingungen knüpfte – die Zeitungen bezahlten solche Arbeiten selten nach ihrem Werth, doch denke er, obwohl mein Name in Rußland noch ziemlich unbekannt sei – wenn ich daher damit einverstanden wäre, daß er das Honorar mit mir theile –
Ich versicherte ihn, daß ich ihm den materiellen Gewinn aus seiner Arbeit, so lange sie nur im Feuilleton erscheine, ungeschmälert überlassen würde. Sollte eine spätere Buchausgabe unverhofften Erfolg haben, würden wir uns über meinen Autorenantheil unschwer verständigen. Der Vortheil, in Rußland durch ihn eingeführt zu werden, sei mir werthvoller, als eine Handvoll Rubel.
Er hörte das mit sichtbarer Befriedigung. Um mir eine Bürgschaft zu geben, daß ich ihm die Sorge für meinen künftigen Ruhm in seiner Heimath getrost anvertrauen dürfe, erzählte er mir nun, daß er selbst ein angehender Dichter sei, bis jetzt nur ein Lyriker. Aber die Wirkung, die Turgenjeff's Tagebuch eines Jägers auf ihn gemacht, sei so stark gewesen, daß er nicht ruhen werde, bis auch er sich in Schilderungen aus dem russischen Leben versucht hätte.
Ich hatte die gleiche Verehrung für den großen russischen Novellisten und vor kurzem im Literaturblatt des deutschen Kunstblatts über ihn geschrieben, was dem jungen Collegen bekannt geworden war.
Leider sei er nicht in derselben Lage, wie Turgenjeff, als Gutsbesitzer seine Volksstudien zu machen. Er sei der Sohn eines kleinen Beamten im Gouvernement Twer – den Namen seiner Geburtsstadt habe ich vergessen – und sein Vater habe es nur mit Mühe erschwungen, ihn auf die Universität nach St. Petersburg zu schicken. Dort habe er sich kümmerlich mit Stundengeben durchgebracht, bis er einen reichen jungen Mann aus einem gräflichen Hause zum Freunde gewonnen. Nicht nur die gleiche Liebe zur Literatur, auch der glühende Haß gegen die freiheit- und culturmörderische absolute Regierung habe sie immer inniger verbunden. Die Gedichte, die er damals verfaßt, hätten vorzugsweise politischen, stark revolutionären Inhalt gehabt. Zum Liebessänger, sagte er mit einem eigenthümlich melancholischen Lächeln, hat mich, wie Sie wohl sehen, Stiefmütterchen Natur nicht gerade günstig ausgestattet, und mich in bitterer Resignation oder hoffnungslosen Anklagen gegen spröde Schönen zu ergehen, verbot mir mein Stolz. Mein Freund aber begeisterte sich dermaßen für meine patriotische Lyrik, daß er in mich drang, seine generöse Hülfe anzunehmen, um im Ausland ein paar Jahre meiner freieren Ausbildung zu leben, mein Talent reifen zu lassen und auf diese Weise, wenn ich meine Verse wie Brandraketen in das Dornengestrüpp würfe, womit die Tyrannei die fruchtbare Entwicklung Rußlands erstickte, an der endlichen Befreiung mitzuwirken.
So habe er vor vier Jahren St. Petersburg verlassen, und gleichsam als Pfand, daß er diese Hoffnungen nicht täuschen werde, seine poetischen Hefte dem großmüthigen Freunde in Verwahrung gegeben. Daß er die Unterstützung eines Anderen angenommen, habe ihn nie gedrückt. Dieser Andere sei ja sein brüderlicher Freund gewesen, und er habe es stets als eine falsche Scham betrachtet, daß ein Mensch von einem andern, den er achte und liebe, jeden anderen Dienst unbedenklich sich leisten lasse, bis auf das seelenloseste, unpersönlichste Geschenk des Geldes.
Zunächst sei er nach Berlin gegangen, dann südwärts, habe sich mehrere Jahre lang in Würzburg aufgehalten, zuletzt in Paris. Doch obwohl er seine Zeit nicht verloren habe und auf seine Art fleißig gewesen sei, in seiner Dichtung sei ein Stillstand eingetreten. Theils weil er fern von dem Anblick der trostlosen heimischen Zustände nicht mehr so heftig zu Protesten gegen die Machthaber und lyrischen Schmerzensschreien aufgeregt worden sei, mehr aber noch, weil ihm andere Aufgaben ans Herz gewachsen seien.
Zunächst das Studium der Grundlagen, politischen und wirthschaftlichen, auf denen jedes geordnete Staatswesen sich aufbauen müsse. Daneben sei eine Liebhaberei zu den Naturwissenschaften in ihm herangewachsen, die schon in seiner Knabenzeit in ihm gekeimt habe, überhaupt, sagte er, ich erkannte, daß jeder Mensch durch seine Naturanlage und äußeren Verhältnisse vor die Wahl gestellt sei, wofür er sich entscheiden wolle, vielmehr wofür er sich, wenn er kein Thor sei, zu entscheiden hätte: ob er die Welt genießen, oder die Welt erkennen wolle.
Ein armer Teufel, wie ich, dazu so häßlich, daß ein wohlgeschaffenes Weib sich bei seinem Anblick bekreuzigt, muß sich eingestehen, daß es Wahnsinn wäre, sich durch sinnliche Freuden über die Leere oder Mühsal des Lebens hinwegtäuschen zu wollen. Wenn unsereins nicht auf jeden Lebensgenuß verzichten will, muß er ihn vom Geist erwarten, sich bemühen, in die Geheimnisse des Natur- und Menschenlebens einzudringen, um durch die Befriedigung des Räthsellösens sich für versagtes anderes Amüsement zu entschädigen. Ich bin von Natur mit einer starken Sinnlichkeit begabt. Aber Sie mögen mir glauben, ich hab' es in dieser nothgedrungenen Lebenskunst schon ziemlich weit gebracht, und in meinen besten Stunden gelingt es auch meiner immer wieder auftauchenden Dichtereitelkeit, mir damit zu schmeicheln, daß die Gunst der Muse einen armen Sterblichen mehr beselige, als die Umarmungen aller Houris des Paradieses.
Er lächelte wieder sein schwermüthiges, selbstironisches Lächeln. Dann wurde er plötzlich wieder sehr ernst.
Selbst diesen mageren Pflichttheil hat mir das Schicksal nicht gönnen wollen.
Vor einem Vierteljahr erfuhr ich, daß mein Freund, dem ich es bisher verdankt hatte, nicht tagelöhnern zu müssen, sich in eine Verbindung zu hochverrätherischen Zwecken eingelassen und so schwer compromittiert habe, daß es allen Bemühungen seiner hocharistokratischen Familie nicht gelungen sei, die Strafe der Verschickung von ihm abzuwenden. Auch meine Gedichte, die man in seinem Besitze fand, hatten in den Augen der Polizei seine Schuld verschärft, und ich wäre der gleichen Verdammniß zum Opfer gefallen, wenn ich erreichbar gewesen wäre.
Ich las dies in einer Zeitung. Seitdem, da ich meine Adresse keinem anderen Bekannten, selbst nicht meinen Eltern gegeben hatte, ist keine weitere Nachricht über das Unglück zu mir gelangt. Die vierteljährliche Apanage ist natürlich gleichfalls ausgeblieben.
So bin denn wieder vis-à-vis du rien. Vorläufig zwar reicht das, was ich habe, noch eine Weile aus, wenn ich mich der strictesten Ökonomie befleißige. Was werden soll, wenn der letzte Groschen ausgegeben ist, wissen die Götter. Nur daß ich mich für keine Arbeit zu gut halte, steht fest, und wenn ich mehr so angenehme Beschäftigung finde, wie die Übersetzung Ihrer Novellen, will ich nicht klagen. Sie haben ein Sprichwort: Gott verläßt einen Deutschen nicht. Vielleicht läßt Gott sich einmal bewegen, diese seine Gnade auch auf einen armen Russen auszudehnen, obwohl wir seine Liebe bisher nur daran erkannt haben, daß er uns züchtigte.
*
Er zog seine Uhr heraus und stand dann hastig auf.
Verzeihen Sie, sagte er, ich habe Sie schon zu lange belästigt und muß mich jetzt rasch empfehlen, wenn ich nicht zu der Vorlesung des Herrn Professor von Siebold zu spät kommen soll. Er liest über Parthenogenesis, was mich im höchsten Grade interessiert. Und welch lieber alter Herr ist der große Gelehrte! Also haben Sie Dank für Ihre freundliche Aufnahme.
Nein, versetzte er, als ich ihn nach seiner Wohnung fragte, Sie dürfen sich nicht zu mir bemühen. Das möblierte Zimmer, das ich nur wegen seiner Billigkeit gemiethet habe, ist so elend, daß ich mich vor jedem anständigen Besucher schämen müßte. Ich lasse mich schon wieder bei Ihnen sehen, wenn Sie erlauben.
Damit ging er, nachdem er mir noch versprochen hatte, sich einmal Abends zum Thee bei uns einzufinden, damit ich ihn meiner Frau vorstellen könne.
Eine Woche lang ließ er auf sich warten. Als er dann kam, war er in sehr heiterer Stimmung.
Er habe einen intimen Freund zufällig wieder angetroffen, einen jungen Arzt, dessen Bekanntschaft er in Würzburg gemacht, als er im Anatomiesaal hospitierte; ein ernster, strebsamer Mensch, dem er viel wissenschaftliche Anregung und Belehrung verdanke. Seit seiner Abreise nach Paris habe er seine Spur verloren und nicht einmal erfahren, daß der Freund sich inzwischen in München niedergelassen und geheirathet habe. In dessen Hause hoffe er nun eine Art Heimath zu finden, wessen er sehr bedürftig sei.
Das Gleiche könne ich ihm von dem meinen versprechen, wenn ihm in unserem jungen Hausstand wohl werde, sagt' ich und führte ihn zu meiner Frau, die ich schon auf seine Bekanntschaft neugierig gemacht. Sie hatte bei seinem ersten Anblick etwas zu überwinden, was sich aber rasch verlor, da er sich mit einer feinen, ritterlichen Manier gegen sie betrug und von ihrer Vaterstadt Berlin allerlei Gutes sagte. Als dann das Mädchen unseren Jungen hereintrug zum Gutenachtsagen und das Kind sich vor dem seltsamen Fremden durchaus nicht scheute, vielmehr sich von ihm im Zimmer herumtragen ließ, wobei sein neuer »Onkel« ihm allerlei russische Liedchen vorpfiff, hatte der Gast vollends das Herz der jungen Mutter gewonnen, und wir saßen in heiterem Gespräch bis weit in die Nacht hinein beisammen.
An unserm frugalen Abendessen theilzunehmen, lehnte er ab. Er habe schon gegessen, eh' er zu uns gekommen. Nur ein paar Tassen Thee und einen Zwieback nahm er dankend an. Da er es auch später immer so hielt und nicht zu bewegen war, eine Einladung zu Tisch anzunehmen, hatte ich ihn im Verdacht, daß er zu stolz sei, um sich in fremden Häusern füttern zu lassen, wo er sich als ein Almosenempfänger vorgekommen wäre.
Diese Vermuthung wurde mir bestätigt, als ich ihn eines Abends im Siebold'schen Hause traf.
Auch hier ließ er beim Abendessen alle Speisen an sich vorübergehen, trank nur ein Glas Wein und aß etwas von den Früchten. Als die Hausfrau ihn freundlich nöthigte, beschönigte er seine Enthaltsamkeit mit einer alten Gewohnheit, zu der ihn die Rücksicht auf seine Gesundheit gebracht habe.
Er nahm auch sonst an der Gesellschaft nur als ein Zuschauer theil, sprach nur, wenn er angeredet wurde, immer mit seinem feinen, schwermüthigen Lächeln, doch ließ er sich mit dem Hausherrn in ein längeres Gespräch ein über den Stand der Physiologie in Rußland und versank dann wieder in sein aufhorchendes Schweigen.
Die Damen erklärten ihn trotzdem für einen sehr interessanten Menschen, und seine Häßlichkeit schien ihm bei dem schönen Geschlecht nicht zu schaden. Eine junge, etwas muthwillige besonders hatte es darauf abgesehen, dem stummen Sonderling die Zunge zu lösen. Er werde gewiß an Heimweh leiden, sagte sie mit der Miene aufrichtiger Theilnahme.
Er merkte die Absicht und antwortete ernsthaft: O gewiß, gnädige Frau, so sehr wie eine aus der Hölle entsprungene arme Seele nach der Gesellschaft der anderen armen Teufel zurückverlangt.
Kann die Heimath einem jemals eine Hölle sein?
Oder sagen wir, um nicht zu übertreiben, das Fegefeuer. Wenn Sie Rußland kennten, würden Sie es nicht bezweifeln.
Das ist sehr schmeichelhaft für unser München, versetzte die junge Frau schlagfertig. Aus dem Fegefeuer kommt man doch gleich in das Paradies.
Doch erst nach dem Tode. So lange man sich noch lebendig unter der Sonne herumtreibt, trifft der Vergleich nicht ganz zu. München ist eine schöne Stadt. Doch zu einem paradiesischen Aufenthalt fehlt ihm noch manches. Wer zum Beispiel genöthigt ist, in den hiesigen kleinen Restaurants und Bierhäusern seine Nahrung zu suchen, findet die landesübliche Kost, die berühmten Nationalgerichte der Knödel, Nudeln, Schmarren und wasserblonden Braten, alles andere als paradiesisch. Und da unser Magen der nächste Nachbar des Herzens ist, regt sich bei mir jeden Mittag auch in diesem in der That so etwas wie Heimweh nach den Piroggen, der Kohlsuppe, den kleinen Pilzen und saftigen Gurken, die im Fegefeuer aufgetischt werden.
Alles lachte.
Ich bezweifle nicht, fuhr er rasch fort, daß in den guten Familien vortrefflich gekocht wird. Aber auch sonst, die landschaftlichen Reize in der nächsten Umgebung Münchens halten den Vergleich mit meinen heimischen Gegenden nicht aus und bis zu Ihrem berühmten Starnberger See bin ich noch nicht gekommen.
Und nun begann er, die Wälder, Wiesen und Flußthäler, in denen er aufgewachsen war, zu schildern, so farbig und leuchtend, die herrlichen Frühlings- und Herbststimmungen, die erhabene Stille der weiten Fluren im Winter mit so bezeichnenden Ausdrücken ohne abgebrauchten poetischen Schmuck, doch um so eindrucksvoller, wie nur ein Landschaftsmaler, der in Turgenjeff's Schule gesessen hatte, daß Alle hingerissen an seinen Lippen hingen und, als er endlich schwieg, Niemand die feierliche Stille zu unterbrechen wagte.
Erst jene kluge junge Frau fand endlich wieder ein Wort, das zu seiner Stimmung und der unsrigen paßte.
Ich habe einmal ein russisches Volkslied gehört, »Die Troika fuhr in leisem Trabe«; die Melodie klingt, als ob sie nur aus der Seele eines Volkes entsprungen sein könne, das in solchen Gegenden lebt, unter solchen großen Natureindrücken, ein wenig melancholisch, aber süß und einschmeichelnd, wie ein Schlummerlied.
Sie haben Recht, gnädige Frau, versetzte er. So klingt eben alles, was bei uns gesungen wird, als wolle sich die arme Menschheit in Schlaf singen, um ihre Leiden zu vergessen. Denn das schwere Schicksal, unter dem unser Volk lebt, hängt beständig wie eine dunkle Wetterwolke über allen Gemüthern; aber auch unter einem Gewitterhimmel hört man leise Vogelstimmen in den Gebüschen, die einem nur um so wundersamer das Herz bewegen.
Man drang in ihn, eine Probe von diesem Volksgesang zu geben, wenigstens die Troika zu singen. Gegen meine Erwartung stand er auf und ging an das Klavier, das noch offen stand, da vor dem Abendessen die Hausfrau Mendelssohn'sche Lieder gesungen hatte. Er ließ sich auf dem Klavierstuhl nieder und begann leise zu präludieren. Dann sang er, sich nur mit wenigen Accorden begleitend, das Lied vom Dreispann, vom »rothen Sarafan« und dann noch ein oder zwei andere Lieder, auf Russisch natürlich, dessen weicher, fremder Klang uns alle in eine geheimnißvolle Ferne entrückte. Seine Stimme war ungeübt und etwas belegt, sein Klavierspiel sehr nothdürftig, aber der Ausdruck, mit dem er sang, war um so ergreifender.
Als er aufstand, war wieder eine tiefe Stille, die Augen der liebenswürdigen Hausfrau und einiger Anderen waren feucht geworden, die junge Dame, die ihn herausgefordert hatte, ging zu ihm hin und streckte ihm beide Hände entgegen, die er ergriff und herzlich drückte. Dann verneigte er sich gegen die Gesellschaft, die im Kreise um den Flügel saß, und verließ das Zimmer.
*
Im Siebold'schen Hause begegneten wir ihm nicht wieder. Obwohl er noch öfters dorthin eingeladen wurde, lehnte er doch immer unter den verschiedensten Entschuldigungen ab, die mir nur Vorwände schienen. Der wahre Grund war wohl kein anderer, als daß er es vermied, sich den Menschen wieder zu zeigen, vor denen er sich hatte hinreißen lassen sein scheues, verwundetes Inneres zu enthüllen.
Desto treuer hielt er sich zu meinem Hause. Immer in der gleichen Weise fand er sich wenigstens einen Tag der Woche bei uns ein, und unser Kind und das Hündchen, das wir hatten, begrüßten keinen Besucher mit so lauten Freudentönen, wie ihn.
Er hatte eine der Novellen beendet und theilte mir mit großer Freude mit, daß sie von einer großen Petersburger Zeitung angenommen worden, aber freilich nur karg honoriert worden sei. Von der zweiten, die er sofort in Angriff genommen, versprach er sich schon Besseres. Es komme zunächst nur darauf an, daß das Eis gebrochen sei.
Das neue Jahr war herangekommen, ohne daß sich in dem Verhältniß zu unserem jungen russischen Freunde etwas geändert hätte. Eine volle Vertraulichkeit zwar wollte sich, wenigstens von seiner Seite, nicht einstellen, so viel Beweise unseres guten Willens wir ihm gaben. Der Rassenunterschied schien eine unsichtbare Scheidewand zwischen uns aufzurichten, über die hinüber wir uns wohl die Hände reichen konnten, die aber den letzten Schritt zu einander verwehrte.
Im Lauf des Januar bemerkten wir an dem seltsamen Menschen einen wachsenden Trübsinn, wagten aber nicht, nach dem Grunde zu fragen. Auch kam er selten, erst alle vierzehn Tage; dann blieb er auf einmal ganz weg.
Ich bereute nun, daß ich nicht doch darauf bestanden hatte, seine Wohnung zu erfahren. Er konnte krank sein und es verschmähen, uns davon zu benachrichtigen. Auf der Universität war er nicht zu erfragen, da er nicht inscribiert worden war, sondern nur als Hospitant ein paar Vorlesungen besuchte. Auch unserm alten Siebold war er aus den Augen gekommen.
Schon wollte ich die Hülfe der Polizei anrufen, als der Vermißte eines Nachmittags bei mir eintrat. Ganz in seiner gewöhnlichen Art, als wenn nichts zu erklären wäre, nur etwas bleicher und matter, und es fiel mir auf, daß er es vermied, mir gerade ins Gesicht zu sehen.
Ohne mich mit einer Frage, warum er so lange fern geblieben, zu Worte kommen zu lassen, bat er um Entschuldigung, daß er mich zu ungewohnter Stunde überfalle, er sei aber bei seiner Übersetzerarbeit auf ein paar Stellen gestoßen, deren Sinn ihm nicht ganz klar sei, und müsse mich um eine authentische Interpretation bitten.
Als ich sie ihm gegeben, steckte er das Buch rasch wieder in die Tasche seines alten Sommerpaletots und machte Miene, sich sofort zu empfehlen.
Nein, sagt' ich, so entkommen Sie mir nicht. Sie haben uns durch Ihr langes Wegbleiben Sorge gemacht, und Ihr Aussehen verräth uns, daß Sie allerdings diese Wochen sich nicht wohl befunden haben. Sind wir Ihnen nach unserm langen freundschaftlichen Verkehr nicht so nahe gekommen, daß Sie uns einen Antheil an Ihrem Wohl und Weh gönnten?
Eine tiefe Röthe übergoß plötzlich sein blasses Gesicht. Er stammelte etwas von hitziger Arbeit, in die er sich besinnungslos vertieft habe; – wenn er geahnt hätte, daß er vermißt werde, würde er, da er für die Güte, mit der wir ihn aufgenommen, uns den wärmsten Dank schulde –
Wenn das wahr ist, lieber Freund, unterbrach ich ihn, so beweisen Sie es jetzt und behandeln mich als einen wahren Freund, indem Sie mir offen sagen, was auf Ihrem Gemüthe lastet. Da Sie nicht krank zu sein scheinen – (er schüttelte den Kopf) sind es vielleicht traurige Nachrichten aus der Heimath, die Sie bedrücken – (wieder eine Geberde des Verneinens). Oder ist Ihnen das Geld ausgegangen? Haben Sie Schulden machen müssen? Wenn das der Fall ist, kann ich Sie nur an das erinnern, was Sie mir über Ihre Grundsätze in diesem Punkt gesagt haben, die ich vollkommen richtig finde, daß es eine falsche Scham sei, alles andere von einem Freunde anzunehmen, nur nicht das Seelenloseste, Unpersönlichste, eine Summe Geldes.
Er schüttelte mit einem Seufzer den Kopf. Das ist es nicht, sagte er. Ich reiche noch drei bis vier Wochen, dank meinem Honorar. Ist das aufgebraucht, werde ich mich nach einer Stelle umsehen, und wär' es nur als Ausstopfergehülfe in einem zoologischen Cabinet. Geben Sie sich keine Mühe mit mir, verehrter Freund, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Theilnahme, aber – mir ist nicht zu helfen. Überlassen Sie mich meinem Schicksal!
Nein, sagt' ich, da er eine Bewegung nach der Thüre hin machte, damit beruhige ich mich nicht. Auf die Gefahr hin, daß Sie sich meine Zudringlichkeit als eine unberufene Neugier verbitten, da ich es doch wahrhaft herzlich mit Ihnen meine, lass' ich Sie nicht eher über meine Schwelle, als bis Sie mir gebeichtet haben. Am Ende – gestehen Sie – Sie sind ein Dichter und haben ein junges Herz – sollte das alte Wort: cherchez la femme –
Er senkte das Kinn tief auf die Brust und wandte sich ab. Sie haben's errathen, murmelte er. Ein Weib – und was für ein Weib –
Nun, sagt' ich, lieber Freund, da dürfen Sie nicht verzweifeln. Sie haben sich in eine thörichte Vorstellung verrannt, als ob Ihre Liebe stets hoffnungslos sein müsse. Hab' ich doch an jenem Abend, wo Sie Ihre Lieder sangen, gesehen, welche Macht Sie über Weiberherzen haben, wenn Sie nur wollen. Warum sollten Sie in diesem Falle nicht hoffen dürfen –
Hoffen? fiel er mir ins Wort. O, so viel ich will, mehr als ich will und wollen darf. Aber daß ich es nicht darf, daß ich mich selbst verachten müßte, wenn ich mich verleiten ließe, die Hand nach der verbotenen Frucht auszustrecken, die so lose am Zweig hängt, daß ich sie nur mit einem Finger zu berühren brauchte und sie fiele mir in den Schooß –
Ich bin nun doch verpflichtet, Ihnen diesen räthselhaften Widerspruch zu erklären, fuhr er fort, als ich ihn rathlos anstarrte. Erlauben Sie, daß ich mich setze und mir eine Cigarrette anzünde. Ich bin etwas erschöpft, und die Geschichte, wenn ich nur an sie denke, saugt mir alles Mark aus den Gliedern.
Es handelt sich natürlich um eine verheirathete Frau, und zwar, was schlimmer ist, um die Frau meines besten hiesigen Freundes, neben Ihnen. Ich habe Ihnen von dem jungen Arzt erzählt, mit dem ich mich in Würzburg liierte, auch daß ich ihn hier wiederfand, im Beginn einer schönen Praxis. Nun, vor drei Jahren hat er geheirathet, eine junge Frau, in die er sich sterblich verliebte, eine üppige Blondine im Rubens'schen Styl. Ihre Mutter war auch eine Holländerin, starb früh, und der Vater, ein biederer Münchener Bürger, war froh, das Mädchen, dessen Erziehung ihm Noth genug gemacht hatte, beizeiten an den Mann zu bringen.
Mir mißfiel sie Anfangs, auch ihre Schönheit, obwohl sie mich als einen Freund ihres Mannes artig empfing und aufforderte, mich als Hausfreund zu betrachten. Ihr Betragen war Anfangs nicht kokett im gewöhnlichen Sinne, aber gerade, daß sie nur die stille Macht ihrer Reize spielen ließ, höchstens einen verschleierten Blick aus den kleinen schwarzen Augen auf den Mann sandte, den sie zu fangen dachte, ließ sie mir um so verdächtiger und gefährlicher erscheinen.
Für mich freilich fürchtete ich Anfangs nichts. Sie wissen, ich habe mir mit dem weiblichen Geschlecht nicht viel zu schaffen gemacht, aber vielleicht gerade, weil ich meist nur als Beobachter, ohne andere Absichten, ihnen gegenüber stand, haben meine Augen sich geschärft, die Guten von den Schlimmen, die Engel von den Teufelinnen zu unterscheiden.
Traf ich auf eine von der ersteren Sorte und verbrannte mich trotz aller Vorsicht und Philosophie an den reinen Himmelsstrahlen, die aus den Augen eines edlen Weibes leuchten, so begab ich mich eilig auf die Flucht. Vielleicht, sagt' ich mir, ist dieses Geschöpf von solcher Engelsgüte, daß es sich – aus Mitleid – über deine Vogelscheuchenphysiognomie hinwegsetzt, oder gar mich als repoussoir für ihre reizende Erscheinung gern an ihrer Seite haben möchte. Eine von den gemeinen, bloß sinnlichen aber, die es mir nur von der Thierseite angethan hatten, soll mir nicht mehr kommen. Ein einzigmal, in meiner ersten Studentenzeit, habe ich mich weggeworfen, ganz ohne Illusion, nur aus naturwissenschaftlicher Neugier. Experimentum fiat in corpore vili, hatt' ich gedacht. Es war mir übel bekommen, der Ekel ging mir lange nach. Seitdem fühl' ich ihn immer wieder in mir aufsteigen, wenn mir ein Wesen dieser Art begegnet, das nur meine Sinne aufregt, ohne jede Betheiligung meiner edleren Organe.
Und so eine ist die Frau meines Freundes.
Daß sie auch ihn nicht glücklich macht, nachdem der erste Rausch verflogen war, erkannte ich bald, obwohl er selbst sich jeder Andeutung darüber enthielt. Ich hatte aber an glücklichen Ehepaaren erlebt, wie ein Mann, der seine Frau achtet und ehrt, sie anblickt. Mein Freund sah standhaft an der seinigen vorbei.
So wäre denn auch für mich keine Gefahr gewesen, wenn das arge Weib sich's nicht in den Kopf gesetzt hätte, meine Abneigung, die ich wohl nicht sorgfältig genug verbarg, zu besiegen und mich unter ihr Joch zu zwingen.
Wie sie das anstellte, kann ich Ihnen nicht im Einzelnen schildern. Oh, sie ist schlau wie der Satan! Sie hatt' es bald weg, daß ich so eine Art Tugendphilister sei, dem mit den gewöhnlichen Weiberkünsten nicht beizukommen wäre. Einmal, im Gespräch über russische Zustände, hatte ich erwähnt, in einem deutschen Reisewerk, ich glaube von Viktor Hehn, hätte ich gelesen, kein Russe habe ein moralisches Rückgrat, sondern erliege jedem sinnlichen Eindruck. Ich war thöricht genug, zu prahlen, es gebe doch auch Ausnahmen von dieser im allgemeinen unbestreitbaren Regel. Da hatte sie mich mit einem so eigenthümlich tückischen Blick angeblitzt, daß mich ein leichter Schauer überlief und ich das unbedachte Wort gern zurückgenommen hätte.
Seit dem Tage, fuhr er mit einem ingrimmigen Tone fort, wobei seine Zähne knirschten, hat sie auf die raffinierteste Art den albernen Idealisten, als der ich ihr erschienen sein mußte, von der Tugendseite zu fassen gesucht, in der Überzeugung, so willig der Geist sei, eine Ausnahme von der Regel darzustellen, so schwach werde natürlich das Fleisch sein. Keine Spur von aggressiver Koketterie, sie selbst ein Musterbild aller Ehrbarkeit und Pflichttreue, nur bemüht, als »mütterliche Freundin« sich meiner anzunehmen. Als ich mich einmal bückte, ihre rosige Hand mit den allerliebsten Grübchen zu küssen, zog sie sie rasch zurück. Nur, wenn ich Abends kam, empfing sie mich mit unverhohlener Wärme und Freude, da ihr Mann von seinem Beruf oft bis in die Nacht in Anspruch genommen, sie nothgedrungen, wie sie sagte, vernachlässigen müsse. Dann saß sie mir gegenüber und bereitete den Thee und sah mir dazwischen mit ihren langen, geheimnißvollen Blicken in die Augen, fragte mich aus nach meinen Tageserlebnissen, meiner Stimmung, meinen Wünschen, dabei ging von ihrer Person ein geheimnißvoller Zauber aus, der mich wie eine unsichtbare Fessel umfing, daß ich zuweilen nur durch eine unbeholfene rasche Flucht unter einem lächerlichen Vorwande mich retten konnte.
Wie mag sie schadenfroh und des endlichen Sieges gewiß hinter mir drein gelacht haben!
*
Er stand hastig auf und schüttelte sich, wie um Arme, die ihn umklammerten, loszuwerden.
Was werden Sie von mir denken! rief er. Ein solcher Schwächling! Sieht sein Verderben mit Augen und kann sich nicht entschließen, ein Ende zu machen. Aber ich werde es, ich versprech' es Ihnen. Ich will fort, so schwer es mir auch aus anderen Gründen wird. Dies München, so viel ich dran auszusetzen hatte, – ich habe mich jetzt hier so eingelebt – Wissenschaft, Kunst, ein paar freundliche Menschen gefunden – sogar die Natur scheint mir nicht mehr so dürftig wie zuerst, wenn sie auch rauh ist. Und jetzt fort müssen, bloß weil ein schlechtes Weib, eine Schlange, ihre Ringe um mich zu schlingen droht – es ist schmachvoll. Nur noch ein paar Tage – bis ich hier alles erledigt, vom alten Siebold die Empfehlungen für Paris, die er mir versprach, erhalten habe – denn anderswo in größerer Nähe darf ich mich nicht niederlassen, der Dämon wär' im Stande, mich von dort zurückzubannen unter sein Joch – und ich will zeigen, daß ich zu den Ausnahmen von Viktor Hehn's Regel gehöre und so viel Rückgrat habe, wie ein Russe und Poet dazu nur irgend aufbringen kann!
Er drückte mir, der ich auf all das nichts Triftiges zu erwidern wußte, wiederholt lebhaft die Hand und wandte sich unter der Thür noch einmal um.
Sagen Sie, bitte, nichts von alledem Ihrer lieben Frau. So klug sie ist und so wenig prüde – auch die Gescheiteste ihres Geschlechts begreift nicht, wie man in einem Athem lieben und hassen kann, Hunger empfinden nach einer Speise, vor der einem ekelt. Ihnen hab' ich mich in meiner ganzen Jammerwürdigkeit zeigen können, Ihnen ist ja schon von Métiers wegen nichts Menschliches fremd. Aber eine Frau muß mich für ein Ungeheuer halten, nicht einmal ihres Mitleids, sondern nur der Verachtung werth. Und ich möchte doch noch einmal mündlich Abschied von ihr nehmen, ihr für alle Güte, die sie dem Fremden erwiesen hat, danken.
Damit verließ er mich, sehr bewegt durch die seltsame Beichte. Als meine Frau bald darauf in mein Zimmer trat, in der Meinung, ihn noch bei mir zu finden, durfte ich ihr nur sagen, wir würden unseren Hausfreund sehr bald verlieren, eine unglückliche Leidenschaft zu einer verheiratheten Frau mache es ihm zur Pflicht, schleunigst abzureisen.
Wir werden ihn sehr vermissen, sagte sie, und noch Jemand. – Sie spielte auf eine junge gute Freundin an, die Kalugin ein paarmal bei uns getroffen und die sich deutlich hatte merken lassen, daß sie an seiner Unterhaltung großen Gefallen und seine Häßlichkeit nur interessant und sogar anziehend fand.
Den ganzen Tag ging mir die traurige Geschichte nicht aus dem Kopf, am nächsten sollte ich eine Illustration dazu erhalten.
Ich mußte am Vormittag in die Stadt und schlug den Weg an den Propyläen vorbei, die noch im Bau waren, über den Königsplatz ein. Es war ein klarer, sonniger Wintertag, der Schnee glänzte in der weiten Runde und auf den Dächern und Treppen der beiden edlen Tempelgebäude, die einander gegenüber liegen. Da sah ich von der Stadt her ein auffallendes Paar langsam herankommen und auf die Glyptothek zugehen, eine Frau in einem hellfarbenen Kleide und sammtener, mit Astrachan verbrämter Jacke, ein Mützchen von demselben Stoff mit dem gleichen Pelz besetzt auf der weißen Stirn, die von röthlich blondem Haar umflogen war. Das volle Gesicht war nicht regelmäßig schön, aber die ruhigen schwarzen Augen und granatrothen Lippen, die halb geöffnet waren und kleine, blitzende Zähne sehen ließen, waren so reizend, daß die etwas stumpfe kleine Nase mit den zitternden Nüstern ganz dazu zu gehören schien. Dabei war es auf den ersten Blick auffallend, daß ein Zug von Kälte und Härte das üppige Gesicht entstellte, und das Lächeln, das es zuweilen überflog, einen fast cynischen Ausdruck hatte. Unwillkürlich sah ich nach den kleinen weißen Ohren unter dem Pelzmützchen, ob sie nicht in die spitze Form von Faunenöhrchen ausliefen.
Wen ich vor mir hätte, wäre mir sofort klar gewesen, auch wenn der, der sie mir geschildert, nicht an ihrer Seite gegangen wäre.
Der Gegensatz seiner schmächtigen Figur in dem abgetragenen Sommerpaletot, die Studentenmütze auf dem Kalmückenkopf, war so auffallend, daß Niemand dem Paar begegnete, ohne stehen zu bleiben und ihm nachzusehen. Die Frau schien das nicht zu beachten oder als den gewohnten Tribut für ihre Schönheit hinzunehmen. Auch ihr Begleiter war offenbar blind dagegen. Er sprach, den Blick in den Schnee gesenkt, leise und unablässig, während die Frau stumm blieb und ihre dunklen Augen gleichgültig umherschweifen ließ. Als ich dicht an ihnen vorbeiging, sah Kalugin auf. Eine tiefe Röthe stieg ihm ins Gesicht, er zog die Mütze und flüsterte seiner Dame ein Wort zu, offenbar meinen Namen. Sie fixierte mich mit einem durchdringenden Blick, sah dann aber wieder weg, und das Paar verschwand bald unter der Säulenhalle der Glyptothek.
Armer Freund! seufzte ich, ihnen nachblickend, es sieht nicht danach aus, als ob du in diesem Kampf so bald Sieger bleiben würdest.
Als ich meiner Frau von der Begegnung erzählte und ihr die Feindin unseres Freundes beschrieb, entsann sie sich, sie hin und wieder im Theater und Concerten getroffen zu haben. Sie nannte mir auch den Namen, an den sich einiger Klatsch heftete. Wenn es die ist, sagte sie, so bedaure ich unseren Freund. Er wäre nicht ihr erstes Opfer.
Doch hatten wir ein zu festes Vertrauen auf seinen Charakter, als daß wir ihn verloren gegeben hätten. Und so erwarteten wir täglich seinen versprochenen Abschiedsbesuch.
Statt dessen kam nach einer Woche der folgende Brief:
»Verehrter Herr und Freund!
Es ist nun entschieden. Morgen mit dem Frühesten schüttle ich den Schnee Münchens von meinen Schuhen und flüchte ins Dunkle. Wenn es einen Muth der Feigheit giebt, so kann ich stolz darauf sein, ihn jetzt zu beweisen.
Ich sollte schon fort sein, aber der Empfehlungsbrief meines edlen alten Gönners von Siebold hat mich noch zwei Tage aufgehalten. Nun aber bin ich mit Allem fertig, nur nicht mit der schnöden Wunde, die noch eine Weile bluten wird, und mit meinem Dank gegen Sie und Ihre liebe Frau. Verzeihen Sie, daß ich ihn nicht mündlich abstatte. Ich mag mich aber nicht in meiner ganzen Armseligkeit als bankerotter Mensch vor Solchen sehen lassen, die ich wahrhaft verehre. Sagen Sie das der gütigen Frau Heyse. Sie wird mich verstehen und mir ihr Wohlwollen bewahren – bis wir uns, vielleicht! unter glücklicherem Sterne einmal wiedersehen.
Am Tage nach unserem Rencontre vor der Glyptothek – das mir insofern lieb war, als Sie nun en connaissance de cause über meinen Fall urtheilen können – habe ich mir ein Herz gefaßt und dem Freunde angekündigt, daß ich abreisen würde. Da er mich zu genau kennt und jeden aus der Luft gegriffenen Vorwand durchschaut haben würde, blieb mir nichts übrig, als geradezu zu gestehen, ich müsse fort, weil ich in seine Frau verliebt sei.
Wenn es nur das ist, versetzte er, so brauchst du nicht die Flucht zu ergreifen. Ich stehe nicht im Wege.
Und als ich ihn verblüfft anstarrte: Ja, sagte er, ich habe nichts dagegen, sie dir abzutreten, ich bin dir sogar dankbar, wenn du sie mir abnimmst. Denn früher oder später muß es doch zur Scheidung kommen, und je früher, je besser. Ich bin nur noch um einen gesetzlich gültigen Grund verlegen, doch einem solchen auch schon auf der Spur.
Und nun schüttete er mir sein ganzes Herz aus, wie er sich von diesem unheilvollen Geschöpf habe bestricken lassen, das seine Sinne zu entflammen gewußt, sein Herz aber kalt gelassen habe – ganz wie es mir geschehen. Er habe gehofft, wenn er sie liebevoll behandle und ihr jeden Wunsch gewähre, das Eis in ihrer Brust aufzuschmelzen und der Nixe mit der Zeit eine Seele zu schaffen. Es sei alles umsonst gewesen. Dabei sei sie von einer ganz eigenen Art von koketter Teufelei besessen. Die gewöhnlichen Weiberjäger, die auch sie umschwärmten, behandle sie mit Hohn und ausgesuchter Kälte, und nicht einmal ihrer Eitelkeit werde durch ihre dreisten oder schlauen Huldigungen geschmeichelt. Aber die scheuen, unversuchten, jugendlich reinen Menschen, die ihren Weg kreuzten, die sich zu unterwerfen und über ihren Tugendstolz zu triumphieren, reize ihren tückischen Ehrgeiz. So sei es ihm selbst ergangen und nun mir. Er habe es von Anfang an gemerkt und hätte mich warnen sollen, wenn mein Umgang ihm nicht so werth gewesen wäre. Jetzt, da er vor die Wahl gestellt sei, sie oder mich zu behalten, schwanke er keinen Augenblick. Ich solle mich nur noch eine Weile gedulden, bis die Luft in seinem Hause wieder rein geworden. Und da sie ihm gottlob kein Kind geschenkt, werde es ihm nicht schwer werden, sich von ihr zu befreien.
Ich sagte ihm, das mache die Gefahr für mich nur dringender. Sie scheine es in der That auf mich abgesehen zu haben und wäre auch, wenn ich schwach gewesen wäre, durch den Gedanken an ihre eheliche Treue, die sie gelobt, nicht zurückgehalten worden, was mir eine Stütze war in allen Versuchungen. Fiele die weg, so stünd' es bedenklicher damit. Auch das sei ein perverser Zug in diesem unseligen Geschöpf, daß meine Häßlichkeit sie gerade zu reizen scheine. Sie erinnere mich an die schöne Königin im Orlando Furioso, die ihrem mit allen Reizen und Tugenden geschmückten Gemahl den häßlichen Zwerg vorgezogen habe. Aber sie solle ihren Zweck nicht erreichen. Meine Abreise sei beschlossen.
Das blieb sie auch, und ich konnte meinem Freunde zum Abschied nur wünschen, daß er die drückende Fessel bald abstreifen und dann einen Ersatz finden möchte, der ihn ein reines häusliches Glück genießen ließe.
Und nun bin ich zu Ende. Leben Sie wohl, werthester Freund! Wenn ich noch einmal eine Stätte finde, die mir Ruhe und einige innere Befriedigung giebt, nicht eine Insel im Meere des ungewissen Lebens, die sich mir, wie dem Seemann Sindbad, aus einem trügerischen grünen Eiland in einen wüsten Kraken verwandelt, werde ich wieder von mir hören lassen. Bis dahin denken Sie mit Nachsicht an Ihren
treuergebenen
Iwan K.
Sollte es zu einer Buchausgabe der Novellen kommen, werde ich meiner Verpflichtung in Betreff des Honorars eingedenk sein.«
*
Wir waren glücklich, daß es nun endlich so weit gekommen war, denn schon hatten wir, da Tag um Tag verstrich, ohne daß er zu dem versprochenen Abschiedsbesuch bei uns eintrat, an der Festigkeit seines Entschlusses gezweifelt.
Doch die Freude, ihn gerettet zu wissen, sollte nicht lange dauern.
Wenige Stunden nach Empfang seines Briefes brachte mir das Mädchen die Meldung, der russische Herr sei draußen und frage, ob ich auf fünf Minuten für ihn zu sprechen sei.
Ich erschrak, da ich ihn schon seit dem Morgen unterwegs nach Paris glaubte. Auch da er wußte, daß ich ungern mich um diese Zeit in der Arbeit stören ließ, mußte ihn eine sehr dringende Veranlassung zu mir geführt haben.
Sein Gesicht, seine ganze Erscheinung, als er ins Zimmer trat, ließen mich auf den ersten Blick erkennen, daß es in der That so war.
Aus dem hageren Gesicht, in dem kein Tropfen Bluts mehr war, blickten die Augen, die unstät in ihren Höhlen hin und her liefen, wie zwei im Erlöschen begriffene Fünkchen. Eine bittere Grimasse war regungslos an den zusammengekrampften Lippen wie festgefroren, das dichte Haar hing ungekämmt um die Schläfen, sein Paletot war schief zugeknöpft.
Als die Thür hinter ihm geschlossen war, sah er sich scheu im Zimmer um. Ohne erst einen Gruß zu sagen, brachte er halblaut hervor: Sind wir sicher, nicht belauscht oder gestört zu werden?
Ich versicherte ihn, meine Frau sei soeben in die Stadt gegangen, und er wisse ja, daß am Vormittag Niemand zu mir gelassen werde.
Er hörte es nur halb. Sein Blick richtete sich auf seinen eigenen Brief, der noch offen auf dem Tische lag. Ja, ja! sagte er, der Mensch denkt und Satan lenkt. Mit guten Vorsätzen ist der Weg zur Hölle gepflastert. Ich – wenn Sie wirklich einem Menschen wie ich noch die Güte erweisen wollen, ihn anzuhören –
Ich gab ihm die besten Worte und bat ihn vor allen Dingen, sich zu setzen, da er in den Knieen zitterte. Er ließ sich dann in das Sopha sinken, schloß aber die Augen und blieb eine Weile stumm.
Ich glaubte wahrhaftig, er werde nach und nach einschlummern, und wandte mich auf den Zehen wieder zu meinem Schreibtisch.
Da öffnete er die Augen und sagte: Ich habe Ihnen nicht wieder schreiben wollen. Seine Schande schriftlich zu Protokoll zu geben, widerstrebt einem denn doch. Aber wissen sollten Sie's, schon weil Sie allein mir helfen können.
Und nun, mit offenbarer Mühe und in abgerissenen Sätzen, erzählte er mir, wie Alles gekommen.
Ich hatte gestern Abend meinen Abschiedsbrief an Sie selbst in den Kasten geworfen, so gegen acht Uhr. Es war sehr böses Wetter, Schnee und Regen durcheinander, die Straße voll Schneeschlamm, so daß ich froh war, wieder ins warme Zimmer zu kommen. Es war leer, meine Sachen hatte ich gepackt, nur der kleine Samowar, der mich überall begleitet als ein Stück Heimath, und das andere Theegeräth stand noch auf dem Tisch. Ich wollte erst noch Thee trinken, eh' ich zum letzten Mal schlafen ging in dieser Stadt, aus der mein Schicksal mich hinauspeitschte, so gern ich geblieben wäre. Nicht einmal ein Buch hatte ich herausbehalten, wozu auch? Ich hätte doch nicht verstanden, was ich las, und wollte auch früh zu schlafen versuchen, um den Zug morgen vor Thau und Tage nicht zu versäumen.
Eine stumpfe Gleichgültigkeit hatte sich meiner bemächtigt, der ganze tragische Unsinn meines Daseins stand vor meiner Seele, das alte, ewige Warum? und Wozu? dieser irdischen Komödie, auf der es nur für Narren und Heuchler eine Antwort giebt. Vogue la galère! sagt' ich immer wieder vor mich hin und pfiff nur leise zur Begleitung des siedenden Wassers im Samowar die Melodie der Troika.
Da wurde plötzlich die Klingel zu meiner Wohnung, gezogen, schüchtern, wie wenn ein Bettler anläutet. Ich fuhr vom Stuhle auf und horchte athemlos hinaus. Sofort war mir klar, wer draußen stand. Öffne nicht! raunte mir mein Schutzgeist zu. Du mußt öffnen! befahl eine andere Stimme. Kannst du so feige sein? Was soll dir geschehen? Und wenn es ein Gespenst wäre
Da klingelte es wieder, und ich nahm mich zusammen, schlich durch das kleine Entrée und fragte durch die Thür, wer draußen sei?
Ich bin's.–Nun, ich hatte ja nicht zu fragen gebraucht. Ich schob den Riegel zurück, und sie trat ein.
Verzeihen Sie, flüsterte sie, noch im Dunkeln, ich mußte kommen, aber fürchten Sie nichts, ich gehe gleich wieder.
Als sie dann in das helle Zimmer trat, sah ich, daß sie keinen Schirm hatte und über und über von schmelzenden Schneetropfen überrieselt war. Ohne ein Wort zu sprechen, nahm ich ihr den dunklen Kapuzenmantel von den Schultern und schüttelte ihn aus, daß die Nässe herumsprühte. Sie trug darunter eine leichte Jacke, auf dem Kopf ihr Pelzmützchen. Mein Gott, wie reizend ihr das stand zu dem durch die Kälte glühenden Gesicht. Und dazu die Miene eines verlegenen Schulkindes, das sich fürchtet, gescholten zu werden.
Ich fühlte, ich durfte sie nicht ansehen, deutete also mit abgewandtem Gesicht auf das armselige Ledersopha und sagte: Belieben Sie, Platz zu nehmen. Ich – bin beschäftigt. Darf ich fragen, was Sie zu mir führt?
Sie blieb unbeweglich stehen und athmete tief, als wenn sie von einem Feinde verfolgt in vollem Lauf sich zu mir geflüchtet hätte.
Endlich sagte sie, tonlos, wie wenn sie etwas ganz Gleichgültiges erzählte: Er hat mich aus dem Hause gejagt.
Ich fuhr zusammen und wandte mich unwillkürlich wieder nach ihr um. Sie that mir nun doch leid, so sehr ich sie haßte, aber ihr Gesicht zeigte keine Spur einer Erregung, ich erkannte, daß mein Mitleid an sie verschwendet wäre. Doch es fiel mir auch nicht ein, daß er ja gar nicht das Recht hatte, seine Frau nicht einmal eine Nacht mehr im Hause dulden zu wollen. Wenn sie trotzdem sich in Nacht und Nebel hinausjagen ließ, hatte sie eine Absicht dabei. Sie rechnete darauf, daß ich sie bei mir aufnehmen würde, wenn sie als Schutz- und Obdachlose an meine Thür klopfte. Doch ihren Zweck sollte sie nicht erreichen. Ich blieb auf meiner Hut.
Wie ist es dazu gekommen? fragt' ich nun auch, wie wenn sich's um etwas Alltägliches handelte.
Er hat die Niederträchtigkeit begangen, meinen Schreibtisch zu öffnen, an dem ich einmal aus Versehen den Schlüssel hatte stecken lassen. Da hat er Briefe gefunden aus meiner Mädchenzeit. Ein junger Mensch schrieb sie an mich, der in mich verliebt war, ein Künstler. Meine Eltern wollten nicht, daß ich ihn heirathete, aber da er mich dauerte, wies ich seine Briefe nicht ab und beging sogar die Dummheit, sie aufzubewahren. Aus denen wollte Franz nun den Beweis gewonnen haben, daß ich ihn betrogen hätte, da ich vor unserer Ehe schon die Geliebte eines Anderen gewesen sei. Mit einer so verworfenen Person könne er keine Nacht mehr unter demselben Dache zubringen. Ich müsse Knall und Fall aus dem Hause, an Geld werde er mir's nicht fehlen lassen, alles Weitere werde er durch seinen Rechtsanwalt mir mittheilen.
Erst jetzt setzte sie sich auf den Stuhl an meinem Bette, als übermanne sie die Erinnerung an die heftige Scene, die sie eben erlebt. Sie fuhr dann aber mit ziemlicher Fassung fort, mir noch Anderes zu sagen, wessen ihr Mann sie bezichtigt hatte. Daß sie es darauf abgesehen habe, mich zu verführen, sei eine schändliche Verleumdung. Meine Einsamkeit in der Verbannung aus der Heimath habe sie allerdings gerührt, und sie wäre glücklich gewesen, wenn ihre schwesterliche Theilnahme meine trübe Stimmung ein wenig hätte erheitern können. Wenn sie geahnt hätte, was ihr Mann ihr erst jetzt verrathen, daß sie damit ein wärmeres Gefühl in mir anfachen würde, wäre es ihre Pflicht gewesen, Franz zu bitten, daß er auf den Umgang mit mir verzichten möchte. Aber glauben Sie mir, mein Freund, auch ich war nicht glücklich. Ihre Gesellschaft, Ihre Freundschaft thaten mir wohl, denn ich achtete Sie unendlich, nicht nur wegen ihres Geistes und hohen Strebens, mehr noch wegen der Charakterstärke, mit der Sie Ihr schweres Loos ertrugen. Und daß Sie auch für mich etwas empfanden, machte mich stolz und glücklich, denn die Liebe meines Mannes – sie seufzte tief – die hat sich nur kurz gehalten und ist wie ein Flackerfeuer erloschen. Ich klage ihn nicht darum an. Er kann nichts auf die Dauer lieben, als seine Wissenschaft und seinen Beruf.
Ich hörte das Alles mit an, ohne nur eine Silbe zu erwidern. Der traurig ergebene Klang ihrer Stimme rührte mich gar nicht, ich wußte, daß nicht ein wahres Wort aus ihrem Munde kam, und es empörte mich, daß sie mich für so einfältig hielt, an diese Komödie zu glauben.
Doch mußte ich sie sprechen lassen, statt sie einfach zu bitten, mich nicht länger zu belästigen. Ich war wieder dem Reiz verfallen, der von ihrer Person ausging, und hatte nur so viel Besinnung, mir zuzurufen: Halt fest und laß dich nicht sinken!
So machte denn auch ihre Erzählung, wie es mit jenem Künstler und ihr sich zugetragen, nicht den mindesten Eindruck auf mich. Sie lege Werth darauf, daß ich die Wahrheit wisse, wenn ihr Mann sie anklagen würde; auf die Achtung keines anderen Menschen lege sie Werth und sei darauf gefaßt, daß die bösen Zungen in der ganzen Stadt sie verschreien würden. Dann gab sie mir ein recht hübsches Märchen zum Besten, wie der verliebte Thor einen Selbstmordversuch gemacht und auf die Nachricht, daß er zwar gerettet, aber entschlossen sei, den Versuch zu wiederholen, sie zu ihm geeilt sei am späten Abend – ihre alte Magd aber habe sie begleitet – nur um ihm den Schwur abzunehmen, leben zu wollen und sie zu vergessen.
Es klang recht hübsch, aber wie gesagt, ich wußte, daß sie den kleinen Roman nur erfunden hatte, um meine Sympathie zu gewinnen, und so brach ich noch immer nicht mein Schweigen.
Da schien sie das Spiel verloren zu geben und stand auf.
Es ist spät, ich muß eilen, wenn ich für die Nacht noch ein Unterkommen finden will.
Wohin wollen Sie? fragt' ich.
Sie nannte ein Hôtel in der inneren Stadt, wo man sie kenne, da sie dort öfters Fremde besucht habe. Dort werde man ihr Glauben schenken, wenn sie vorgebe, ihr Mann sei verreist, und sie habe vergessen, den Hausschlüssel mitzunehmen, oder sonst ein Märchen.
Erlauben Sie, daß ich Ihnen eine Droschke hole, sagt' ich, oder Sie mit dem Schirm begleite. Sie erkälten sich bei dem schauerlichen Wetter, wenn Sie so fortgehen, wie Sie gekommen sind.
Nein, sagte sie und schüttelte mit einer gutgespielten wehmütigen Geberde den Kopf, mir geschieht nichts, ich soll alles, was es an Bösem und Traurigem giebt, an meinem Herzen erfahren, mein Leib bleibt verschont. Aber wenn Sie mir etwas Freundliches anthun wollen, geben Sie mir eine Tasse Thee. Ich sehe, Sie haben ihn eben fertig. Seit Mittag habe ich nichts zu mir genommen, ich erfuhr meine Verbannung, da wir uns eben zum Nachtessen setzen wollten.
Ich konnte ihr das natürlich nicht abschlagen. Ich goß den Thee in die Tasse und that so viel Zucker dazu, wie sie zu nehmen gewohnt war. Dann reichte ich ihr die Tasse, die sie stehend ausschlürfte. Ich danke Ihnen, hauchte sie, mit einem ihrer Blicke, deren Macht sie kannte, doch seltsam demüthig und wieder wie ein um Verzeihung bittendes Schulkind. Sie hatte den Handschuh von ihrer rechten Hand abgestreift. Als ich sie dann, immer noch stumm, zur Thüre begleitete, sagte sie: Wie oft haben Sie an meinem Tische sich von mir den Thee einschenken lassen! Die gute Zeit soll nun nicht wiederkommen. Aber ich werde diese Zeit nie vergessen, auch nicht, daß ein so edler Mann mir seine Zuneigung schenken konnte. Leben Sie wohl, Iwan!
Sie streckte mir ihre warme Hand entgegen, und da ich sie ergriff und zitternd drückte, neigte sie sich plötzlich zu meiner herab, als ob sie sie küssen wollte. Im nächsten Augenblick hatte ich sie stürmisch umfaßt, und indem ich ihre lebhaft athmende Brust an meiner fühlte, verging mir die Besinnung, und das ganze mühsame Gebäude meines Stolzes, meiner Selbstachtung stürzte unaufhaltsam zusammen.
*
Er blieb noch eine Weile, den Kopf in die Hände gestützt, sitzen, dann stand er schwerfällig auf.
Sie brauchen nichts zu sprechen, werther Freund. Ich weiß, daß Sie sich bemühen, etwas zu finden, was mir möglichst schonend sagt, daß Sie von einem Menschen ohne moralisches Rückgrat von Anfang an nichts Anderes erwartet hätten. Aber glauben Sie mir –
Lieber Freund, fiel ich ihm ins Wort, Sie irren sehr, wenn Sie mich einer pharisäischen Überhebung nur im Geringsten fähig halten. Ich habe ja neulich diese Frau mit Ihnen gesehen. Ich gebe Ihnen die Versicherung, ich bin überzeugt, daß auch ein noch so biederer Germane mit dem schönsten Rückgrat von der Welt dieser Versuchung erlegen wäre, er brauchte nicht einmal Poet zu sein, dem die Natur ein so leicht entzündbares Blut in die Adern geflößt hätte. Jetzt aber – was soll jetzt geschehen? Über mich bitt' ich unumschränkt zu verfügen.
Ich muß natürlich fliehen, sagte er dumpf. Und daß ich es kann, dazu sollen Sie mir helfen. Als sie heut' früh, da eben der Tag graute, von mir ging und ich sie fragte, wohin sie sich flüchten wolle, nannte sie den Namen einer Freundin, die verwittwet sei und ein paar Zimmer vermiethe. Die werde sie bei sich aufnehmen. Ich sah, daß sie gestern Abend gelogen hatte, als sie erklärte, sie habe keine andere Zuflucht, als ein Zimmer im Hôtel. Doch sagt' ich nichts. Ich konnte es nicht erwarten, bis sie sich von mir gelöst hatte, für immer. Ihr letztes Wort, aber schon in der Hausthür, war: Heut Abend um dieselbe Stunde!
Wenn Sie es gut mit mir meinen, retten Sie mich davor, daß ich diese Stunde nicht trotz alledem abwarte. Begleiten Sie mich nach dem Bahnhof, sehen Sie zu, daß ich das Billet nach Paris löse und wirklich in den Zug einsteige. Wenn ich das alles allein thun soll, bin ich nicht sicher, daß ich nicht noch nach dem ersten Pfiff wieder aus dem Coupé springe und meinem Verhängniß in die weißen Arme renne.
Meinen Koffer hab' ich meiner Hausfrau übergeben, nebst der Adresse in Paris, wohin sie ihn nachschicken soll. Ein Täschchen mit dem Nothwendigsten brachte ich hieher mit. Kommen Sie, Bester! Lassen Sie uns keine Zeit verlieren. In einer halben Stunde geht der Kurierzug. Es handelt sich um mein Seelenheil, daß ich ihn nicht versäume.
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Ich that dem Unglücklichen natürlich diesen letzten Dienst. Wir sprachen kein Wort mehr, bis wir den Bahnhof erreichten. Dort sah er sich ängstlich um, als wenn der Dämon ihm auf den Fersen wäre und noch im letzten Augenblick ihn zurückreißen möchte. Erst als der Zug sich in Bewegung setzte, sah ich sein Gesicht mit der Miene eines Erlösten aus dem Fenster blicken und mir nachgrüßen wie ein Mensch, der einem anderen seine Lebensrettung zu danken hat.
Ich habe nie wieder von Iwan Kalugin gehört, auch von keinem meiner russischen Bekannten erfahren, daß ein Dichter dieses Namens in Rußland aufgetaucht sei. Der Frau, vor der er geflohen, begegnete ich bald darauf auf der Straße, neben einem stattlichen jungen Mann, der in seiner ganzen Erscheinung den Künstler erkennen ließ. Ihr Gesicht war so heiter, als wenn nie etwas von Schmerz oder Schuld an ihr Herz gerührt hätte. Kurze Zeit nachher erfuhren wir, daß sie sich von einem adligen Gutsbesitzer auf sein Gut habe entführen lassen. Dann ist auch sie verschollen geblieben.
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