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Fromme Lüge

(1906.)

Wieder einmal war in dem befreundeten Kreise älterer Herren das Gespräch bei den Frauen angelangt und u. A. halb humoristisch, halb ernsthaft die Frage erörtert worden, ob seit Erschaffung der Welt dem Männergeschlecht mehr Heil oder Unheil vom Weibe gekommen sei. Zuletzt, als eine Pause eintrat, blickten Alle wie in stillem Einverständniß auf den Senior der Gesellschaft, einen fünfundsechzigjährigen Arzt, der sich an der Debatte nicht betheiligt, sondern stumm seine Cigarre rauchend nur hin und wieder durch ein sarkastisches Lächeln seinen Antheil an dem Gespräch kundgethan hatte.

Meine verehrten Herren, sagte er jetzt, verzeihen Sie mir, wenn ich mir erlaube, diese ganze Unterhaltung für einen Streit um des Kaisers Bart zu halten, so wenig zu entscheiden, wie das Problem, ob es die beste oder die schlechteste Welt sei, in der wir leben, oder ob das Christenthum mehr Heil oder Unheil in die Welt gebracht habe. Denn keine Statistik giebt hierüber Aufschluß. Jeder beantwortet die Frage nach seinem Temperament und seinen persönlichen Erfahrungen. Was mich betrifft, so werden Sie mir zutrauen, daß ich in Betreff der Frauen in meiner langen Praxis ein ziemlich reiches Material gesammelt habe, theils durch Beobachtung, theils sozusagen im ärztlichen Beichtstuhl. Ein Arzt ist ja eine Art Beichtvater, und die lieben Frauen, auch wenn sie noch so gute Protestantinnen sind, fühlen doch alle hin und wieder das Bedürfniß, ihr vieles Weh und Ach nicht bloß in sanitärer Hinsicht einem verstehenden Leibes- und Seelsorger zu enthüllen, oft rückhaltloser, als der intimsten Freundin. Nun, wenn ich an die Hunderte schöner und häßlicher Seelen denke, die sich einer solchen Gewissensentladung gegen mich nicht gescheut haben, und der anderen, deren Seelenzustand ich nur nach den Symptomen diagnosticieren konnte, muß ich gestehen, daß ich immer noch zu keinem anderen Ergebniß gekommen bin, als zu dem Sprüchlein:

Man kann nicht schlimm genug von den Schlimmen,
Nicht gut genug von den Guten denken, da

der Charakter des Weibes eben das Reich unbegrenzter Möglichkeiten ist. Vielleicht ist mein Vorrath an documents humains oder féminins nicht maßgebend, da ich mit den ganz Schlimmen nicht oft zu thun gehabt habe, vielmehr in der Regel mit den Mittleren zwischen Gut und Böse, die leicht Compromisse mit ihrem Gewissen schließen und es übrigens ernst meinen mit der Bitte »Führe uns nicht in Versuchung!« Im Allgemeinen aber scheint mir, daß wir geneigt sind, es mit den Sünden der Weiber schwerer zu nehmen, als mit unseren eigenen; und zwar aus dem schmeichelhaften Grunde, weil wir eine übertriebene Vorstellung von dem sogenannten Ewigweiblichen haben. Wir legen den Maaßstab der Engelhaftigkeit an das schwächere Geschlecht und sind sofort sittlich entrüstet, wenn wir auch sie bei gewissen Menschlichkeiten betreffen, die wir uns selbst nicht als Teufeleien anrechnen. Dagegen, wenn wir einer der ganz Guten begegnen, die ihr Pflichtgefühl bis zum Heroismus steigert, sind wir geneigt, dies für selbstverständlich zu halten, statt in der Bilanz des allgemeinen Urtheils einen solchen Fall zu Gunsten unserer Frauenverehrung doppelt in Rechnung zu stellen.

Ich will Ihnen, wenn Sie erlauben, einen solchen Fall erzählen, nachdem wir heute so viel von Frauen gehört haben, die ihrem Geschlecht Schande machten. Die Geschichte liegt über zwanzig Jahre zurück. Die Betheiligten sind alle schon aus dem Leben geschieden, so daß ich das Beichtgeheimniß nicht verletze, zumal wenn Sie mir gestatten, die Namen nicht zu nennen.

Ich lebte damals noch in N. und hatte, obwohl ich nicht zu den älteren Ärzten zählte, doch schon dank einiger glücklichen Kuren eine ansehnliche Praxis. So wurde ich auch in eines der reichsten Häuser gerufen, wo die Frau meiner Hülfe bedurfte, da sie, nachdem sie zum zweiten Mal ein todtes Kind geboren hatte, an allerlei schweren Nachwehen litt.

Der Mann besaß eine große Fabrik, die er zu einer hohen Blüte gebracht hatte, obwohl er von Hause aus ganz andere Neigungen und Anlagen in sich trug, wissenschaftliche und künstlerische. Der Tod seines Vaters hatte ihn genöthigt, all dem zu entsagen und sich der praktischen Thätigkeit zu widmen. In seinen Mußestunden aber kehrte er zu dem zurück, was er, der Noth gehorchend, aufgegeben hatte, las alles, was in den Bereich seiner alten Studien fiel, und wenn er als kunstwissenschaftlicher Forscher sich nicht hervorthun konnte, sammelte er doch Kunstwerke aller Art und machte sein Haus zum Mittelpunkt der gebildetsten und feinsinnigsten Gesellschaft der ganzen Stadt.

Er war auch äußerlich von der Natur aufs Mütterlichste ausgestattet, mit seinen vierzig Jahren noch von jugendlicher Kraft und Anmuth, in allen Leibesübungen ein Meister. Dazu von einer sich immer gleichbleibenden Milde und Güte gegen seine Arbeiter und im geselligen Verkehr, zumal mit den Damen, förmlich bezaubernd, ohne daß er die Grenze freundschaftlicher Huldigung je überschritt. Kein Hauch von Eitelkeit, dafür gewöhnlich eine Art von Zerstreutheit, die man mit seiner Sorge für das große Geschäft erklärte, und zuweilen ein schwermüthiger Zug um seine schön geschnittenen Augen, zu dem ein so vom Glück Begünstigter keinen Grund zu haben schien.

In meinem langen Leben ist mir kaum ein Mann begegnet, der dem Ideal edelster Männlichkeit so voll entsprochen hätte.

Und nun war es merkwürdig, daß alles, was die bewundernden Frauen von ihm sagten, die Männer seiner Frau nachrühmten, vielmehr, daß Alle darin einstimmten, ein vollkommener einander ebenbürtiges Ehepaar sei nicht zu denken.

So schön, wie ihr Mann, war die Frau nun freilich nicht. Niemand, der ihr auf der Straße begegnete, blieb stehen, um ihr nachzusehen. Wer aber nur zehn Minuten mit ihr gesprochen hatte, war von der Anmuth ihres Lächelns, dem gütigen Blick ihrer Augen und dem Klang der Stimme so gefesselt, daß er nicht daran dachte, in den Zügen ihres Gesichts irgend eine Linie zu finden, die nicht dem strengen Canon weiblicher Schönheit entsprach.

Ihr Haar war früh ergraut, sie war zwei Jahre älter als ihr Gatte. Aber sie erschien dennoch jugendlicher durch eine stille Feuerkraft ihrer Natur, die immer bereit war, hervorzubrechen, wenn ein sittliches oder Menschheitsinteresse in Frage kam, wie sie auch die Seele aller Veranstaltungen und Einrichtungen zum Wohle der mehreren tausend Arbeiter ihres Mannes war. Die sehr ausgebreitete geistige Bildung, die sie im Hause ihrer Eltern genossen hatte, suchte sie eher zu verbergen, als damit zu glänzen, und besaß in hohem Grade die Kunst, zuzuhören und kluge Männer beredt zu machen. Wurde aber einmal eine Saite in ihr berührt, die ihr tiefstes weibliches und humanes Empfinden aufregte, ein Mensch, den sie achtete, ungerecht beurtheilt, engherzig philisterhafte Vorurtheile vertheidigt, so konnte sie ihrer Entrüstung so flammende Worte leihen, daß jeder Widerspruch verstummte und man sie wie eine vom Geist ergriffene Priesterin oder Seherin anstarrte.

Niemals aber trat ihre tiefste Seele ihr leuchtender in die Augen, als wenn auf ihren Mann die Rede kam. Es war nicht zu viel gesagt, daß sie ihn vergötterte, und sie machte auch kein Hehl daraus, daß er ihr als die Krone der Schöpfung erschien. Als ich so vertraut mit ihr geworden war, um mir einen Scherz mit ihr erlauben zu können, und ihr einmal sagte, wenn sie ihren Mann einen Mord begehen sähe, würde sie das für eine sehr löbliche Handlung halten, lachte sie erst und versetzte dann ganz ernst: ich würde mich allerdings wundern, daß er zu einem so blutigen Mittel gegriffen hätte, dann aber mir sagen, er hat gewiß seine Gründe dafür und jedes Schwurgericht muß ihn freisprechen.

Ob er in völlig gleichem Maaße die enthusiastische Liebe seiner Frau erwiderte, war mir nicht ganz gewiß. Auch seine Augen waren von einem warmen Glanz erleuchtet, wenn sie den ihren begegneten, und daß er ihren vollen Werth erkannte, sah Jeder, der sie in ihrer Häuslichkeit beobachten konnte. Doch da in jedem Liebesbunde Einer der Gebende, der Andere der Empfangende ist, konnte ich nicht im Zweifel sein, wie hier die Rollen vertheilt waren. Ja die schon erwähnte Melancholie, die an dem trefflichen Mann zuweilen zu bemerken war, ließ mich glauben, daß er doch wohl noch unerfüllte Wünsche im Herzen trug, während die Frau im Besitz dieses Mannes den Gipfel menschlicher Glückseligkeit erreicht zu haben schien.

Als ich einmal von dieser Beobachtung gegen meine Patientin etwas erwähnte, wurde sie sehr ernst. Ja, sagte sie, das ist die einzige Wolke an unserem hellen Firmament. Wir haben keine Kinder. Ich selbst, obwohl ich mir Mutterglück leidenschaftlich wünschte, als ich heirathete, habe mich in das Versagte gefunden, da ich durch den Besitz dieses Mannes so überschwänglich reich geworden bin, daß ich es vermessen fände, mich nicht vollauf damit zu begnügen und mein Herz unausgefüllt zu fühlen. Aber er – er läßt es mich nie empfinden, großherzig wie er ist, obwohl ich weiß, daß er es schmerzlich entbehrt. Sie brauchen ihn nur zu sehen, wenn er sich mit Kindern unserer Freunde und Bekannten einläßt. Er ist selbst im Grunde seines Herzens ein Kind, wie alle genialen Menschen. Er gäbe die Hälfte seines Lebens darum, wenn er ein junges Leben von seinem Fleisch und Blut auf seinem Schooße wiegen, einen Sohn zu seinem Nachfolger erziehen könnte, oder, wenn der Knabe dem Vater, der ja zum Geschäftsmann nicht geboren war, nachartete, ihm den freien Weg ins Leben öffnen dürfte. Und nun hat er eine Frau, die – –

Sagen Sie, lieber Doctor, ist es auch Ihre Ansicht, daß es mir für immer versagt sein soll, meinem geliebten Mann dies sein höchstes Glück zu gewähren?

Ich war, wie gesagt, erst nach der zweiten unglücklichen Entbindung ins Haus gekommen und hatte, wie der Fall lag, mir nur von meinem Collegen berichten lassen, der als Specialist Bescheid wußte, nachdem er zum zweiten Male der Frau in ihrer schweren Stunde beigestanden. Er war überzeugt, daß sie es nicht überleben würde, wenn sie sich der Gefahr zum dritten Mal aussetzte, und hatte dies auch dem Gatten vorgestellt. Seitdem waren vier Jahre vergangen, neun Jahre hatte ihre Ehe bestanden.

Ich wagte natürlich kein entscheidendes Urtheil abzugeben, bezog mich aber auf die Diagnose meines Collegen, dessen Einsicht und Erfahrung ich respectieren müsse. Zum ersten Mal sah ich die verehrte Frau in eine düstere Schwermuth versinken. Sie hatte offenbar noch eine Hoffnung genährt, die sie durch ein Wort von mir bestätigt zu sehen gewünscht und geglaubt hatte. Ich gab mir alle Mühe, sie zu beruhigen. Nein, sagte sie, es ist umsonst. Kein Glück auf Erden soll vollkommen sein. Aber gerade, wo so unermeßlich viel beschert ist, empfindet man das Fehlende desto schärfer. Ich darf nicht daran denken, wenn ich ihm und mir das noch erhalten soll, was wir besitzen.

Sie kam dann nicht mehr darauf zurück und schien sich nach und nach sogar mit ihrem Schicksal ausgesöhnt zu haben. Wenigstens zeigte sie ihrem Mann und der Gesellschaft, die sich in ihrem Hause einfand, das heiterste Gesicht, und nur ich bemerkte, wie in unbewachten Augenblicken zuweilen ein Schatten ihre Stirn überflog und ein verstohlener Seufzer sich ihrer Brust entrang, der darauf deutete, daß sie doch eine Aufgabe zu lösen hatte, die ihr nicht immer leicht wurde.

Es war ein gesellschaftlich sehr lebhaft und glänzender Winter, und ich konnte mich nicht immer der Frohne entziehen, daran teilzunehmen. Doch kam ich gewöhnlich erst spät und stahl mich früh wieder weg. So auch eines Abends, nach einem mühevollen Tagewerk, da mir die verehrte Frau zur Pflicht gemacht hatte, bei einem häuslichen Concert nicht zu fehlen, woran sich für das junge Volk eine kleine Tanzerei anschließen sollte. Von dieser entbinden Sie mich wohl, scherzte ich, es sei denn, Sie versprächen mir den ersten Walzer.

Nein, sagte sie, zu tanzen brauchen Sie nicht, aber Sie müssen sich einer Dame vorstellen lassen, die zum ersten Mal in unserm Hause erscheint, wie sie auch erst vor kurzem zum Besuch einer Freundin in die Stadt gekommen ist.

Sie nannte mir den Namen und fügte hinzu, es sei eine junge Wittwe, die vor drei Jahren ihren Mann verloren habe nach einer kurzen unglücklichen Ehe, da der Gatte, ein Diplomat in glänzender Stellung, schon krank gewesen sei, als er das Fräulein heimführte.

Ich gehorchte natürlich und bereute es nicht. Die junge Frau, die ich kennen lernte und sogar zu Tisch führte, machte mir den angenehmsten Eindruck. Sie hatte ein reizendes Gesicht und die anmuthigste, noch fast mädchenhafte Gestalt, und daß sie im Gespräch eher zurückhaltend war und mehr ihre großen Augen als den schönen, etwas blassen Mund sprechen ließ, stand ihr sehr liebenswürdig, als einer Fremden in diesem Kreise, in dem sie sich erst orientieren mußte.

Die Hausfrau behandelte sie mit besonderer Freundlichkeit, der Hausherr, der sonst auf Bällen nur die Wand decorierte, ließ sich sogar herbei, mit ihr zu tanzen. Ich hörte aus einer Gruppe von Damen, die sich darüber wunderten, eine sagen, die Fremde sei eine Jugendbekannte des Hausherrn, dem beim Wiedersehen auch die Erinnerung an frühere Tanzabende wieder erwacht sein werde.

In der That sah es hübsch aus, wie die Beiden sich bei den Klängen des Flügels über das Parquet bewegten. Der sonst so ernste und zerstreute Mann schien von der ungewohnten gymnastischen Übung an Leib und Seele ermuntert und förmlich verjüngt zu sein.

Als ich am anderen Vormittag kam, mich zu erkundigen, wie die Hausfrau nach dem gelungenen »Zauberfest« geschlafen habe, fand ich sie in ihrem Boudoir auf dem kleinen Kanapee sitzend, die Hände, was man an ihr nicht gewohnt war, müßig in den Schooß gelegt. Bei meinem Eintritt fuhr sie wie aus einem Traum auf und nickte mir mit einem Lächeln zu, das etwas mühsam erschien.

Sie fragte sogleich, wie ich mich gestern Abend unterhalten und wie mir meine Tischnachbarin gefallen habe.

Ich sagte alles gute Beste von ihr, wie ich es der Wahrheit schuldig war, und sie nickte zustimmend.

Sie haben ganz Recht, sie ist ein ungewöhnlich anziehendes Wesen, und man kann begreifen, daß sie als junges Mädchen meinen Mann erobern mußte.

Ihren Mann?

Gewiß. Sie waren sogar schon im Stillen verlobt. Ihre Mutter aber trat dazwischen, es hieß, weil die Tochter als Katholikin keinen Protestanten heirathen sollte, nach einer anderen Version, weil die Mutter sich selbst in den Freier verliebt hatte und ihrem Kinde diesen Mann nicht gönnte. Genug, sie mußten einander entsagen. Damals war mein Mann erst achtundzwanzig Jahre, zehn Jahre älter als seine Braut. Er trug die Wunde lange mit sich herum, und als er drei Jahre später sich um mich bewarb, ahnte ich nichts davon. Wer weiß, ich hätte mir damals vielleicht nicht den Muth gefaßt, das Bild dieser Jugendliebe aus seinem Herzen zu verdrängen.

Das arme Mädchen blieb ebenfalls drei Jahre unvermählt, bis sie auf Drängen ihrer Eltern sich zu der Ehe mit dem ihrer so wenig werthen Manne entschloß. Der Meine scheint erst durch die Gewißheit, daß jede Hoffnung für immer verschwunden sei, sich selbst in ein neues Band gefügt zu haben.

Nein, lieber Doctor, es war kein bloßer dépit amoureux. Er hatte mich wirklich sehr liebgewonnen, er glaubte, wenn nach jener ersten Flamme ihn eine Frau noch glücklich machen könne, würde ich es sein. Und ich denke, seine Hoffnung ist nicht getäuscht worden. Aber freilich, der Zauber einer ersten Liebe, zumal wenn er so wenig auf einer bloßen Illusion beruht, wie in diesem Falle, ist übermächtig, und Sie müssen gestehen, mit diesem entzückenden jungen Geschöpf kann eine alte Frau mit grauen Haaren den Vergleich nicht aushalten.

Sie dürfen mich nicht einer kleinlichen, gehässigen Eifersucht zeihen. Wie käme ich dazu? Seines Herzens bin ich ja sicher. Wenn seine Sinne mir untreu werden, kann ich's ihnen verdenken? Ich thue ja nichts, sie an mich zu ketten, könnte ja auch nichts thun. Und wär's nicht unnatürlich, wenn er, da das in jungen Jahren geliebte Gesicht wieder auftaucht, gewaltsam sich gegen den alten Zauber wehrte? On revient toujours – das ist ein altes Naturgesetz. Nein, Doctor, wenn ich ihn glücklich sehe durch dies unverhoffte Begegnen, wäre ich ja nicht werth, ihn zu besitzen, wollte ich's ihm durch Neid und Eifersucht verkümmern. Ich fürchte nur auf die Länge – sie beide sind zu jung, um ohne Wunsch zu sein – und dann, wenn ich sehe, daß sie zu kämpfen haben – aber denken wir einstweilen noch nicht daran. Ein so reicher Mensch wie er – warum soll er nicht zu allem, was er besitzt, auch das noch bekommen, ohne daß er das Gleichgewicht darüber verliert? Und übrigens wird der Besuch der Jugendfreundin nur wenige Wochen dauern.

Sie wurde wieder heiter, und ich ließ mich von ihrer Zuversicht anstecken, da ich es überhaupt für etwas Undenkbares hielt, daß man neben dieser Frau noch für andere schwärmen könne.

*

So vergingen ein paar Wochen, in denen mir die Sache ziemlich aus dem Sinne kam. Nur einmal begegnete ich dem Ehepaar und der jungen Frau in einem anderen Hause. Diesmal beobachtete ich scharf den Mann in seinem Betragen gegen die Jugendgeliebte. Ich konnte nicht das Geringste wahrnehmen, was den Verdacht einer unter der Asche wieder aufglimmenden Leidenschaft bestätigt hätte. Er war gegen sie höflich und ritterlich, wie gegen alle Damen, suchte sich ihr aber nicht mehr als anderen zu nähern und setzte sich, als wieder ein wenig getanzt wurde, zu den Herren ins Rauchzimmer.

Ich war also nicht wenig erstaunt, als ich etwa drei Wochen später zu der Frau gerufen wurde und sie sehr leidend traf. Sie habe sechs Nächte hinter einander keinen Schlaf gefunden, ich müsse ihr dazu verhelfen, oder sie werde verrückt.

Da sie sich, nachdem sie jenes zweite Mißgeschick überstanden und sich meinen Rathschlägen gefügt hatte, der gleichmäßigsten Gesundheit erfreute, begriff ich sofort, daß der Grund ihrer nervösen Erschütterung in der Seele zu suchen sei. Und sie dachte auch nicht daran, mich darüber zu täuschen.

Beklagen Sie mich! sagte sie. Ich bin leider nicht die tapfere Frau, als die ich mich Ihnen bei unserem letzten Gespräch dargestellt habe. Auch jetzt freilich ist's etwas Anderes als gemeine Eifersucht, was mir die Ruhe raubt: die Erkenntniß, daß ein Schicksal über mich hereinbricht, das unabwendbar ist, das Niemand verschuldet hat und das doch drei Menschen unglücklich machen wird, wenn nicht alle drei guten Willen und klaren Sinn behalten. Ich habe die Augen offen gehabt und erkannt, was die Beiden sich vielleicht selbst noch nicht eingestehen, daß sie für einander bestimmt sind und elend werden, wenn sie, wie die zwei Königskinder, getrennt bleiben sollen. Ihn kenne ich ja so genau wie mein eigenes Herz und sehe ihn kämpfen unter großen Schmerzen, da sein altes Gefühl für mich es ihm zur Pflicht macht, der neuen Gewalt nicht zu weichen. Auch sie, die eine reine und feine Natur ist, ergiebt sich nicht wehrlos in das plötzlich über sie Hereingebrochene. Aber so rechtschaffen sie sich betragen, sie leiden dabei, und ich bin die Ursache dieser Leiden.

Ich würde meinem Manne vorschlagen, meiner Gesundheit wegen, die eine Luftveränderung nöthig mache, zu reisen, seinen Bruder oder einen ihm sehr nahe stehenden Geschäftsfreund zu besuchen, was er längst vorhatte. Aber in dieser Jahreszeit – und es wäre auch feige und zugleich dumm, denn was könnte es helfen? Er nähme die Wunde mit, und wenn wir zurückkehrten, wär's das alte Lied, vielleicht nur noch gesteigert durch die Entbehrung. Und wie käme ich mir vor, daß ich mein theures mir vor Gott und Menschen gehörendes Gut in Sicherheit bringen wollte vor Händen, die danach griffen und die ein älteres Recht darauf haben könnten!

Lieber Doctor, fuhr sie fort, helfen Sie mir zu einem zehnstündigen traumlosen Schlaf, damit ich meinen Kopf, der in Stücke zu gehen droht, wieder befestigen kann und dann einen klaren gesunden Entschluß fassen, so viel Herzblut es mich auch kosten möchte.

Ich gab ihr alle guten Worte, die mir kommen wollten, sie hörte sie wie abwesenden Geistes an und sagte nur: Wir wollen sehen, morgen. Wenn Ihr Pulver seine Schuldigkeit thut, werde ich auch die meine thun.

*

Als ich sie am nächsten Vormittag wieder besuchte, fand ich sie blaß und ernst, aber ihre Augen flackerten nicht mehr, und ihr Puls war normal.

Ich danke Ihnen sehr, lieber Doctor, sagte sie mit einem herzlichen Druck ihrer kalten Hand. Sie haben mich wieder zu mir selbst gebracht. Ich habe geschlafen wie ein Todter. Nun aber, wie bei einem Menschen, der wieder auferstanden ist, sind meine Augen ganz hell und können auch ins Trübe blicken, ohne überzugehen. Lassen Sie mir nur noch ein wenig Zeit, alles ganz wie es am besten ist einzurichten. Ich kann jetzt noch nicht darüber reden. Vielleicht ist morgen schon alles in Ordnung.

So entließ sie mich.

Ich hatte aber ein schweres Herz. Bei dem heroischen Charakter dieser Frau war ihr das herbste Mittel zuzutrauen, aus der tragischen Collision herauszukommen. Und doch brachte ich's nicht über die Lippen, darauf hinzudeuten und ihr vorzustellen, wie sie an sich, ihrem Manne, all ihren Freunden sich versündigen würde, wenn sie das Äußerste thäte, um ihrem Mann die Freiheit wiederzugeben. Ich wußte, sie würde jedenfalls von niemand anders auf eine Warnung hören, als von ihrem eigenen Herzen.

So trieb es mich am nächsten Tage schon früh wieder zu ihr, und ein Stein fiel mir vom Herzen, als der Diener mir sagte, die gnädige Frau lasse mich bitten, einzutreten.

Sie saß auf ihrem gewohnten Platz und streckte mir mit einem schwachen Lächeln die Hand entgegen. Es ist vollbracht! sagte sie mit einer sanften, fast schüchternen Stimme, wie wenn sie fürchtete, wegen dessen, was sie gethan, gescholten zu werden. Sie wissen zuviel, lieber Doctor, um nicht alles zu wissen. Und überdies, Ihre Freundeshülfe ist uns nöthig, wenigstens vielleicht in der Zukunft.

Und nun erzählte sie mir, ohne daß die Bewegung sie übermannte, denn ihre Augen blieben trocken, was sich am gestrigen Tage ereignet hatte.

Sie hatte bald, nachdem ich sie verlassen, ihren Mann in seinem Zimmer aufgesucht. Sie fand ihn an seinem Schreibtisch, da er um diese Stunde sonst im Comptoir zu sein pflegte. Er hatte an einem Brief geschrieben, den er bei ihrem Eintritt rasch in die Mappe zurückschob.

Ich bemerkte es wohl, sagte sie; wir hatten sonst nie ein Geheimniß vor einander. Ich wußte, an wen er geschrieben hatte, that aber nicht dergleichen. Es war ja nun alles eins. Sein Gesicht war bleich, er grüßte mich aber mit seinem alten liebevollen Lächeln, nur ein wenig schmerzlich.

Ich setzte mich auf den Lehnstuhl neben dem Schreibtisch, meinem gewöhnlichen Platz, wenn ich etwas Intimes mit ihm zu besprechen hatte. Dann fing ich gleich an, obwohl ich mühsam athmete, und sagte ihm alles. Daß ich wohl wahrgenommen hätte, wie es um ihn stehe, wie er sich redlich bemüht habe, gegen das Wiedererwachen der alten Liebe anzukämpfen, um meinetwillen, und wie er in dieser Zeit seine zarten Rücksichten gegen mich, sein Bemühen, mir jeden Wunsch an den Augen abzulesen, verdoppelt habe. Doch sei es ihm nicht gelungen, mir zu verbergen, daß die Andere mir den Platz in seinem Herzen streitig mache und ältere Rechte in Anspruch nehme. Ob ich darin irre, oder ob es wirklich so sei?

Er hatte mich mit gesenktem Haupt angehört. Dann sagte er: es ist so. Wenn ich es bestreiten wollte, würde ich die erste Lüge sagen, seitdem du meine Frau geworden bist.

Nun, wenn es so ist, versetzte ich, so darf es nicht so bleiben. Ich kann mich nicht darein ergeben, dich mit einer Anderen zu theilen. Eine von uns muß zurücktreten, und da ich weiß, daß du nie mehr glücklich sein würdest, wenn ich dich zum Verzichten auf dies wieder aufgewachte übermächtige Gefühl nöthigen wollte, so muß ich gehen. Oder weißt du eine andere Lösung?

Doch wohl, sagte er scheinbar ruhig. Wenn du lesen willst, was ich eben geschrieben habe –

Er zog das Blatt wieder aus der Mappe und reichte es mir. Es war wirklich ein Brief an sie, doch nicht, wie ich geargwöhnt hatte, ein leidenschaftliches Bekenntniß seiner Liebe. Daß er so für sie wieder zu fühlen begonnen hatte und sicher war, sie erwidere es, setzte er nur voraus, als etwas, worüber sie Beide sich klar geworden. Doch werde sie einsehen, daß sie Beide sich nicht tiefer in dies Irrsal verstricken dürften. Er habe eine Frau, deren Glück und Frieden ihm höher stehe, als jeder eigene Wunsch. Wie sehr diese Frau jedes Opfer werth sei, habe sie selbst erkennen müssen. So bitte er sie, durch ihre rasche Entfernung ihm seine Pflicht zu erleichtern; er habe ihr das schriftlich sagen müssen, da er Aug' in Auge ihr gegenüber vielleicht nicht die nöthige Kraft dazu gehabt hätte. Und somit würden sie sich nie wiedersehen, um ohne Vorwurf ferner an einander denken zu können.

Sie können sich vorstellen, lieber Doctor, in welcher Erschütterung ich dies Bekenntniß las. Ich gab ihm das Blatt zurück, es blieb eine Weile still zwischen uns, dann sagte ich: Wenn ich dich je geliebt habe, thue ich's heute nur noch mehr. Aber da ich fühle, daß du mir theurer bist, als das, was du mein Glück und meinen Frieden nennst, so bestehe ich nun erst recht darauf, dich frei zu geben. Wir haben keine Kinder. Das erleichtert den schweren Entschluß, uns zu trennen. Du bist aber noch jung genug, ein neues Lebensglück dir gründen zu können mit einem Weibe, das deiner werth ist und dir Kinder schenken wird, die du von mir nicht zu hoffen hast.

Er schwieg wieder ein wenig, dann sah er mich innig an und sagte: Du bist die gütigste, edelste Seele von der Welt, aber auch eine große Thörin. Wir sollen uns scheiden lassen? Aber dazu gehören Zwei. Wenn ich nun mich weigere, was willst du machen? Und ich weigere mich. Was die Welt dazu sagen würde, wenn wir plötzlich auseinander gingen, ist das Letzte, woran ich denke. Aber zum Lohn für die unendliche Liebe und Treue, die ich von dir erfahren habe, dich einsam im Leben stehen zu sehen – wie brächte ich das übers Herz, von meinem Gewissen zu schweigen? Und dann, der Richter, bei dem wir unseren Willen vorbrächten, wird nach Gründen fragen. Sollen wir gegenseitige Abneigung vorschützen? Er würde dazu lachen, da es allbekannt ist, wie innig und einig wir bisher gelebt haben. Oder willst du durch bösliche Verlassung den ostensiblen Grund dazu geben und die Schuld auf dich nehmen? Oder sie mir zuschieben, indem du mich einer Verletzung der ehelichen Treue anklagtest, die kaum in Gedanken bestand und durch diesen Brief widerlegt wird?

Nein, liebes Herz, es ist da kein Ausweg, als daß wir alle unsere Gefühle bezwingen und es der Zeit überlassen, den Aufruhr, der unser friedliches Leben verstört hat, zu beruhigen. Ich werde den Brief absenden, und alles wird wieder gut werden.

Während er sprach, überkam auch mich wieder die Hoffnung, das Alles sei möglich. Dann aber stellte sich mir das Bild unserer Zukunft, wenn ich eingewilligt hätte, so lebhaft vor Augen, daß ich diese schmeichelnde Illusion entschlossen von mir wies und mich in meinem Entschluß bestärkte.

Liebster, sagt' ich, gieb es auf, das Unmögliche mir als möglich darzustellen. Du hast Recht in allem, was du von der Lösung der unhaltbaren Situation durch eine gerichtliche Scheidung sagst. Das hindert aber nicht, daß ich dennoch zurücktrete und dich frei gebe. Wir sind Niemand über unsere sittlichen Handlungen Rechenschaft schuldig, als Gott und unserem Gewissen. Wenn wir im Stillen thun, was wir vor der Welt nicht ohne Verdacht und Mißverständniß thun können, weil die fremden Augen nicht in unser Inneres zu blicken vermögen, so ist das unsere Sache. Von heute an werde ich aufhören, dich als meinen Gatten zu betrachten, auch wenn ich äußerlich neben dir fortlebe. Du aber sollst mich ansehen, als ob ich gestorben wäre und dir als Wittwer das Recht zustände, ein neues Herzensbündniß zu schließen. Ich bin überzeugt, auch deine junge Freundin wird, wenn sie das erste Erschrecken vor dieser ungewöhnlichen Lösung überwunden hat, sich dir nicht versagen. Ihre Liebe zu dir ist zu alt und zu tief gewurzelt, um nicht alle Bedenken zu überwinden. Wenn aber das eintrifft, was ich hoffe und wünsche, daß eurer heimlichen Gewissensehe ein Kind entspringt – das will ich vor der Welt als mein Kind betrachten und ich weiß, daß Gott mir die Kraft geben wird, weil es dein Kind ist, es wie ein eigenes zu lieben.

*

Sie können denken, meine verehrten Freunde, wie diese Eröffnungen der edlen Frau auf mich wirkten.

Was sie als das Einfachste und Natürlichste hinstellte, schien mir auf den ersten Blick völlig unmöglich und abenteuerlich, und ich hielt mit dieser Meinung auch nicht zurück. Ich stellte ihr vor, daß es undenkbar sei, das Geheimniß zu bewahren, und welch allgemeine Verurtheilung ein so unerhörtes Verhältniß auch von freier denkenden Menschen erfahren würde. Was ihr Mann dazu gesagt habe, fragte ich. – Er habe ähnliche Gegengründe geltend gemacht und den Gedanken weit von sich gewiesen. Sie zweifle aber nicht, ihn endlich dafür zu gewinnen. – Und wenn wirklich ein Kind ans Licht bringt, was so fein gesponnen ist? – Das lassen Sie meine Sorge sein, Doctor, und auch ein wenig die Ihre. Denn ich rechne auf Ihre Hülfe. Ich darf doch? fragte sie, mit einem so rührend flehenden Blick, daß ich in die dargebotene Hand einschlug, ohne zu wissen, was ich versprach.

Ich verließ sie und der Kopf brannte mir von allem, was ich gehört hatte und worüber ich nicht ins Reine kommen konnte. Ich bewunderte den entsagenden Heldenmuth der herrlichen Frau, konnte mich aber der Furcht nicht erwehren, daß sie etwas unternommen habe, was über ihre und jedes Weibes Kraft ging. Wir leben nicht mehr in den Zeiten des Grafen von Gleichen, und ob dessen erste Gattin ihren Mann so vergöttert hat, wie diese, und durch seine zweite Frau so viel verloren, bezweifelte ich.

Indessen – auch wenn ich noch so sicher gewesen wäre, daß die Sache unglücklich enden müsse, ich sah keine Möglichkeit, helfend und abwehrend einzugreifen, und hatte auch keine Befugniß dazu. So blieb ich für mich und wartete mit banger Spannung die weitere Entwickelung ab.

Als ich nach längerer Zeit doch wieder als Hausarzt mich nach dem Befinden meiner Patientin erkundigen wollte, hörte ich, sie habe bald nach meinem letzten Besuch die Stadt verlassen und ihre Landwohnung bezogen, obwohl es noch früh im Jahre war. Sie leide an den Nerven und bedürfe der tiefsten Ruhe.

Dasselbe wiederholte mir auch ihr Mann. Ich glaubte zu bemerken, daß er mich für eingeweiht hielt. Er sprach wenigstens, wie er mir gegenüber noch nie gethan, in tiefer Bewegung von seiner Frau und stellte sie so hoch über alle ihres Geschlechts, als wolle er der Dankbarkeit Luft machen für ein Opfer, das er ihr nie genügend vergelten könne. Ich stimmte lebhaft ein und erlaubte mir zu sagen, sie gehöre zu den heroischen Naturen, die vor keiner Unmöglichkeit zurückschreckten, wenn es das Wohl geliebter Menschen gelte.

Da diese Beiden keine Geheimnisse vor einander hatten, mochte sie auch nicht verschwiegen haben, daß sie mich ins Vertrauen gezogen.

Von der jungen Frau hörte ich, daß sie das gastliche Haus ihrer Freundin verlassen und eine eigene Wohnung bezogen habe.

*

So ging alles einstweilen ohne Aufsehen seinen Gang.

Nach etwa drei Monaten aber erhielt ich ein Billet aus dem Landhaus, wohin sich die Entsagende zurückgezogen hatte. Sie bat mich um meinen Besuch, sie habe mir etwas Wichtiges mitzutheilen.

Der Mann war, wie ich wußte, jeden Sonntag zu ihr hinausgefahren. Ich selbst hatte mich draußen nicht sehen lassen.

Es war ein herrlicher Frühlingstag, als ich hinauskam, der große Garten, der das Haus umgab, stand schon im vollsten Flor. Als ich eintrat, begegnete mir die Herrin nahe beim Gitterthor, wie wenn sie mich ungeduldig erwartet hätte.

Sie trug ein einfaches dunkles Kleid, um das graue, noch immer reiche Haar ein weißes Spitzentuch. Das Gesicht, das mich darunter anblickte, schien mir um ein Jahr gealtert, obwohl sie mich mit einer heiteren Miene begrüßte. Aber ich sah, daß das Lächeln ihr nicht vom Herzen kam.

Ich danke Ihnen, daß Sie gleich gekommen sind, lieber Doctor, sagte sie. Kommen Sie, wir wollen nach meinem Lieblingsplatz am Weiher gehen, wir sind dort ungestört, und die Luft im Hause beklemmt mir den Athem. Sie sollen nachher mein Herz untersuchen, es ist nicht recht in Ordnung, zuweilen denk' ich, es schlägt mich noch todt; es wäre nicht das Schlimmste.

Sie sprach rasch und aufgeregt und ließ mich nicht zu Worte kommen.

Es ist nun Alles, wie ich es gewünscht hatte. Ich hatte freilich noch einen schweren Kampf, erst mit ihm, denn er blieb lange all meinen Vorstellungen und Bitten taub, einen noch schwereren aber mit ihr. Sie ist wirklich ein seltenes Geschöpf, von einer Reinheit und Tiefe der Empfindung, dabei trotz aller schweren Lebenserfahrungen schüchtern und in Vorurtheilen befangen, wie ein Kind, daß ich Mühe hatte, sie zu der Erkenntniß zu bringen, Alles, wie ich es geplant, sei möglich und nöthig. Nöthig zu seinem Glück – das gab endlich den Ausschlag. Denn so bitter es mir war, selbst dazu mitzuwirken, daß sie das annehmen möchte, was ich verlor, es rührte mich doch zu sehen, wie beglückend ihr mein Geschenk erschien, und ein Trost war mir's, daß es in so gute Hände kam. Und endlich half meiner Überredungskunst der Wunsch ihres eigenen Herzens. Wir umarmten uns unter tausend Thränen. Es war wohl die seltsamste Scene, die zwischen zwei Rivalinnen sich je abgespielt hat.

Dann habe sie hier draußen in größter Weltabgeschiedenheit gelebt, um sich mit ihrem Schicksal zurecht zu finden. Zudringliche Besuche wies sie ab, unter dem Vorwand eines Nervenleidens. Nur ihre alte Albine hatte sie mitgenommen, eine so vertraute langjährige Dienerin, daß sie sich nicht scheute, sie in das Geheimniß einzuweihen, was auch für die Folge unerläßlich gewesen wäre.

Die treue Alte habe den Kopf geschüttelt und ihrer Herrin Vorwürfe gemacht, den Herrn vollends, wenn er allwöchentlich herauskam, mit stummer, zorniger Miene empfangen und dann immer der Gärtnersfrau seine Bedienung überlassen. Am liebsten hätte sie ihrer angebeteten Frau den Dienst gekündigt, aber das Mitleid und die alte Anhänglichkeit überwogen.

Ich bin mir wie Josephine vorgekommen, sagte die Frau mit einem trüben Lächeln. Auch die wurde ja in Malmaison von Napoleon fleißig besucht, als er schon wieder vermählt war. Aber damals war's nur die Staatsraison, die einen Thronerben verlangte, und sie hatte auch nicht mit freiem Entschluß in die Scheidung gewilligt. Sie glauben nicht, Doctor, welcher Trost es ist, was man leidet, seinem eigenen Willen zu verdanken, dem Bewußtsein dessen, was man höheren Pflichten schuldig ist. Das hält mich aufrecht und schafft mir das bekannte »sanfte Ruhekissen«, von dem mich nur manchmal ein kleiner Herzkrampf aufschreckt. Die Nerven, die bösen Nerven!

Und in den letzten zwei Nächten spuken sie besonders ungeberdig.

Vorgestern, am Sonntag, da ich seinen Besuch wieder erwartete – wir verkehren dann ganz traulich wie intime alte Freunde mit einander, die sich alle Erlebnisse mittheilen und sich in jedem Punkt verstehen – nun, diesmal kam statt seiner ein Brief. Was darin stand, hatte er nicht das Herz gehabt, mir mündlich zu sagen, obwohl es mich weder überraschen noch betrüben konnte: mein Wunsch und meine Hoffnung war auf dem Wege sich zu erfüllen, seine junge Frau sollte Mutter werden.

Sie verstummte ein paar Minuten lang. Ich sah, daß sie sich Gewalt anthun mußte, ihre Bewegung zu bezwingen.

Sie werden das begreifen, Doctor, fuhr sie fort, ich bin noch immer so viel Weib geblieben trotz aller tapferen Vernunft, so viel sein Weib, daß mich bei der Nachricht ein häßlicher neidischer Schmerz durchzuckte. Aber Gott gab mir Kraft, das zu überwinden. Ich konnte schon eine Stunde nach Empfang des Briefes die Antwort schreiben, daß ich ihm herzlich Glück wünsche und nun erst sähe, wie richtig ich gehandelt zu unser aller Besten. Das Weitere, um es glücklich hinauszuführen, solle nun meine Sorge sein.

Und dabei hab' ich auf Sie gerechnet, Doctor.

Ich sah sie rathlos an.

Sie haben mir versprochen und die Hand darauf gegeben, mir zu helfen, wenn es so weit wäre. Nun ist die Zeit gekommen.

Sie begreifen, daß unseres Bleibens hier nicht lange mehr ist. Das Geheimniß ist hier nicht zu bewahren, man mag es anstellen so klug und sorgsam man will. Da hab' ich an Sie gedacht.

Und nun erinnerte sie mich daran, daß ich ihr von einem in Paris lebenden Freunde und Collegen erzählt hatte, der an der Küste der Bretagne ein reizendes Landhaus besaß, wohin er mich einmal eingeladen. Wenn ich es von ihm erlangen könnte, daß er ihr und der jungen Frau das Haus für den Sommer überließ, so daß sie dort, unbekannt und unbeobachtet, das Weitere abwarten könnten, wären sie vor jeder Entdeckung sicher. Nur die alte Albine würde sie mitnehmen und ärztliche Hülfe aus Paris kommen lassen, vor allem aber den Namen tauschen, so daß sie dort den ihrer Nachfolgerin annähme, diese aber unter ihrem Namen ihr Kindchen zur Welt brächte. Wäre sie dann genesen, so könnten sie ruhig zurückkehren, das Kind, das sie als ihres ihrem Manne ins Haus brächte, bei ihr gewartet und gepflegt werden, und die rechte Mutter, die ja schon dadurch vor der Welt ein Anrecht auf diesen Vorzug erworben, daß sie der Frau in die Ferne gefolgt, um ihr Beistand zu leisten, werde ohne Verdacht zu erregen nach Herzenslust täglich kommen und ihr Mutterherz am Anblick des kleinen Wesens erquicken können.

Ich gestehe, daß mir die Sache erst nicht in den Kopf wollte.

Es war nicht das erste Mal, daß mein Beistand angerufen wurde, um die Folgen eines Fehltrittes vor der Welt zu verbergen. Hier aber war's doch viel complicierter. Eine doppelte Lüge war nothwendig, die dann lebenslang fortgesetzt werden mußte. Wenn man sich über die sittliche Seite der Sache beruhigte – wie man alle praktischen Folgen in der Gewalt haben sollte, ließ sich nicht vorhersehen. Vor Allem aber schien mir die Rolle, die die verehrte Frau dabei zu spielen hatte, so schwer, daß sie mein tiefstes Mitgefühl erregte.

Sie schien mir das am Gesicht zu lesen.

Seien Sie meinetwegen unbesorgt, theurer Freund, sagte sie. Ich werde bis zu Ende meine Schuldigkeit thun und für jede Schwierigkeit Rath zu finden wissen. Was mir allein Kummer macht, ist die Lüge, die meiner innersten Natur widerstrebt. Damals, als ich das erste Opfer brachte, hatte ich mir nicht klar vorgestellt, wozu ich mich dadurch verpflichtete, daß eine lange, häßliche Komödie nöthig sein würde, um das, was ich angefangen, durchzuführen. Nun aber kann ich nicht mehr zurück. Der fromme Betrug, wie man es ja zu nennen pflegt, wenn Jemand zu einem guten Zweck gegen die Wahrheit sündigt, wird mir freilich stets das Gewissen bedrücken. Aber nichts, was ein Glück ist, erhält man umsonst, und so theuer der Preis ist, ich werde ihn ohne Murren bezahlen.

Die Augen leuchteten ihr bei diesen Worten, und eine warme Röthe stieg ihr in das blasse Gesicht.

Ich ergriff ihre Hand und küßte sie. Nie war mir eine Frau so verehrungswürdig erschienen, die doch vom geraden Wege so weit abgeirrt war und es nicht beschönigte.

Ich danke Ihnen, sagte sie, daß Sie mich nicht verdammen. Und was ich weiter von Ihnen erwarte, soll Sie möglichst wenig belasten. Das Gerücht, das ich selbst verbreiten werde, eine längst aufgegebene Hoffnung scheine doch noch einmal sich erfüllen zu sollen, wird auch zu Ihnen dringen. Sie brauchen dann nur mit einem bedeutsamen Achselzucken zu antworten und zu sagen, jedenfalls hätten Sie darauf gedrungen, daß ich diesmal fern von jedem anstrengenden Menschenverkehr stärkende Seeluft athme, und das Haus in der Bretagne in Vorschlag gebracht. Das wird Allen einleuchten, und an dem, was weiter geschieht, bleiben Sie völlig unbetheiligt. Wollen Sie darauf eingehen?

Wie hätt' ich es abschlagen können!

*

Ich kann meine lange Erzählung mit wenigen Worten zu Ende bringen.

Der ganze romanhaft künstliche Plan wurde ohne jede Störung durchgeführt, dank der Klugheit und nie versagenden Geistesgegenwart der Frau, die ihn ersonnen. Im Herbst kam die Nachricht, daß sie einem Knaben das Leben gegeben. Der Mann schrieb es mir und bat mich, die Anzeige bei den Bekannten zu besorgen. Er war hingereist, um den Frauen beizustehen, von denen die eben Entbundene dort für seine Gattin galt. Ein paar Monate später, erst gegen Weihnachten, kam das Paar mit dem Kinde zurück. Dessen wahre Mutter hatte noch einen Besuch bei Freunden in einer anderen Stadt gemacht.

Sie blieb auch der Taufe fern, und ich selbst konnte mich trotz der dringenden Einladung, eine Pathenstelle zu übernehmen, nicht dazu entschließen und nahm auch an der Feier nicht theil. Ich brachte es denn doch nicht über mich, in der Komödie mitzuspielen. Die Frau dankte mir's hernach mit einem stummen Händedruck.

Sie litt offenbar schwer unter dem trugvollen Zustand, den sie selbst gewünscht und geschaffen hatte. Wie bitter mußte ihr der Zwang sein, den sie vor der Welt auf sich nahm, die Glückwünsche der Freundinnen, die das ihr so spät zu Theil gewordene Mutterglück nicht genug preisen konnten und in dem Gesicht des kleinen Menschenkindes ihre Züge erkennen wollten. Ich fand darin eine andere Ähnlichkeit. Aber da der liebe kleine Kerl die braunen Augen des Vaters hatte, blieb seine wahre Herkunft – vorläufig wenigstens – verborgen.

Die junge Frau kam denn auch nach einiger Zeit zurück. Jedermann fand es natürlich, daß diese Freundin, die der vermeintlichen Mutter des Kindes den großen Dienst erwiesen, sie in die Bretagne zu begleiten, sich häufig in ihrem Hause sehen ließ und ihre Zärtlichkeit für den lieblichen Kleinen nicht verbarg. Der Mann war noch stiller und ernster als früher, doch nur beflissener, seiner Frau zu zeigen, wie sehr er sie verehrte.

Sie nahm es mit einem müden Lächeln hin.

Lachen hörte man sie nicht mehr.

Als es Frühling wurde, bestand sie darauf, in das Landhaus hinauszuziehen, und verbat sich dort freundlich aber entschieden allzu häufige Besuche. Man fand das natürlich. Seit der Entbindung hatte man bemerkt, daß sie die frühere Kraft und Frische nicht wiedergewonnen, und hoffte, Ruhe und Stille werde sie im Sommer wieder herstellen.

Es traf aber nicht ein. Nur das Kind gedieh prächtig in der reinen Luft des Gartens und war bald so schwer geworden, daß es der jungen Frau überlassen werden mußte, es spazieren zu tragen. Beide Frauen aber lebten scheinbar in schwesterlicher Liebe und Vertraulichkeit neben einander, und Niemand hätte den Schmerz geahnt, der die Altere durchzuckte, wenn sie das Knäbchen die rechte Mutter anlachen sah.

Dann verschlimmerte sich plötzlich der Zustand. Eine Influenza kam hinzu, die damals epidemisch auftrat. Was ich thun konnte, dagegen anzukämpfen und die zarte Lebenskraft zu stärken, erwies sich völlig ohnmächtig, ohne daß irgend ein Organ schuld daran war. Die alte Albine freilich hat mir später den Schlüssel des Räthsels gegeben. Die Frau habe immer weniger Nahrung genommen und all meine belebenden Mittel stillschweigend bei Seite gelegt.

Wenige Tage vor ihrem Ende rief sie mich nahe an ihr Bett und sagte mit halb erloschener Stimme: Ich muß Ihnen noch einmal danken, theurer Freund. Sie haben einen großen Antheil daran, daß ich ruhig sterben kann und um die Zukunft meines geliebten Mannes mir keine Sorge zu machen brauche. Es wäre freilich besser gewesen, Gott hätte mich früher aus dem Leben abgerufen. Es hätte dann keinen Zwiespalt in mir gegeben zwischen dem, was ich für meine Pflicht hielt, und meinem Widerwillen gegen Lug und Trug. Aber wenn ich diesen bisher besiegt habe, für die Zukunft reichte meine Kraft dazu nicht aus. Das erste Mal, als ich von dem unschuldigen Mündchen des lieben Kindes mich Mama nennen hörte, fühlte ich, das sei zu viel für mein Herz. Lüge aus Kindermund – so ahnungslos sie sein mag – es war, als dringe mir ein Gift ins Blut, und ich bin glücklich, daß man an Gift zu sterben pflegt.

Sie schlief dann sanft und heiter ein, nachdem sie ihren Mann und ihre Nachfolgerin umarmt hatte. Die Beiden blieben zwei Jahre getrennt. Dann vermählten sie sich. Man fand es nur natürlich, daß der Wittwer seinem kleinen Sohn die Frau zur Mutter gab, die der Verstorbenen eine so treue Freundin gewesen war.

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