Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mei Bübche

(1907)

Vor Jahren war ich einmal aus irgend einem Anlaß in eine der rasch anwachsenden Vorstädte Münchens gerathen, wo in schmucklosen großen Häusern nur kleine Leute wohnen, Handwerker und Arbeiter aller Art und dürftige Familien, die von der Hand in den Mund leben. In den Schaufenstern der vielen kleinen Läden liegen nur Eßbarkeiten oder geringe Waaren aus, und die Kuchen in den Conditoreien haben ein verdächtiges Aussehen, als seien sie von vornehmeren Ladentischen in diese entlegene Gegend verschlagen, wo sie trotz ihrer mangelnden Frische noch immer geschätzt werden.

Es ging gegen Mittag, doch war die Straße noch leer, da Werkstätten und Schulen ihre Insassen noch nicht entlassen hatten. Nur vor den Schaufenstern eines unansehnlichen Uhrmacherlädchens stand dichtgedrängt ein Häuflein noch nicht schulpflichtiger Kinder, meist barfuß und barhaupt, und starrten durch die blanke Scheibe in die Auslage hinein. Da hing eine Anzahl silberner Taschenuhren an ausgespannten Drähten aufgereiht, etliche billige Stand- und Wanduhren waren auf kleinen Consolen ausgestellt, dazwischen auf einem schwarzsammtenen Brett verschiedene Schmucksachen, Uhrketten, Broschen und Ringe von zweifelhaftem Gold, bescheidene Trödelware, die unmöglich die Schaulust der kleinen Gassenkinder fesseln konnte.

Erst als ich näher hinzutrat, erblickte ich den eigentlichen Gegenstand ihrer Bewunderung.

Es war ein mechanisches Kunstwerkchen, das ganz vorn auf einem mit grünem Tuch verkleideten Sockel stand, eine Windmühle, deren vier Flügel sich ruckmäßig drehten wie vier große Secundenzeiger. Oben unterm Dach des braunen Mühlenhäuschens war die Uhr mit weißem Zifferblatt angebracht, rechts davon stand eine kleine Hütte mit tief herabhängendem Strohdach, und zwischen beiden floß aus einem grauen Felsen ein blanker Quell in Gestalt eines gewundenen Glasstäbchens, das sich beständig drehte und für Kinderaugen den Eindruck fließenden Wassers täuschend hervorbrachte.

Die kleine Mühluhr aber ging nach. Vom nahen Kirchthurm waren schon zwölf Schläge erschollen, die Straße hatte sich belebt, das barfüßige Publikum vor dem Schaufenster war ansehnlich vermehrt worden durch entlassene Schulkinder, da erst ertönte aus dem Uhrmacherladen ein mittäglicher Kuckucksruf, und in demselben Augenblick öffnete sich das Pförtchen der Hütte neben dem Wasserfall, und heraus kam mit etwas stockendem, ruckweisem Gang ein kleiner Esel, der einen weißen Sack auf dem Rücken trug. Hinter ihm hinkte ein mehlbestäubter Knecht, während sich ein Fensterchen unter dem Strohdach öffnete, aus dem das rothe Gesicht des Müllers unter einer weißen Zipfelmütze hervorsah.

Das Eselchen trabte, am Wasserfall vorbei, auf dem schmalen Weg nach der Mühle bis zu der Thür unter der Uhr, die sich alsbald öffnete und Esel und Müllerknecht einließ. Worauf sich das Pförtchen wieder schloß und auch der Müller hinter dem zugeklappten Fenster verschwand.

So kurz das Schauspiel gedauert hatte, so sehr zeigten sich die jungen Zuschauer von der wunderbaren Vorstellung befriedigt. Allerlei Ausrufe und lebhafte Geberden bekundeten ihren Beifall, und sie schienen sich auch jetzt, da die Mühle ohne weitere Künste ihre Flügelchen umschwang, von der Stätte, wo der Zauber gespielt hatte, nur schwer trennen zu können.

*

Ich war selbst von dem zierlichen Anblick so angethan, daß ich erst jetzt den Herrn des Ladens bemerkte, der auf die Schwelle getreten war und, wie ein Schauspieler, der nach seiner großen Scene herausgerufen wird, sich an dem Enthusiasmus seines kleinen Publikums weidete.

Ein hübscher junger Mann, der die Dreißig noch nicht erreicht haben konnte, schlank und wohlgewachsen, mit einem offenen, lustigen Gesicht, über das ein blonder Haarschopf hereinfiel. Er war sauber, aber werktagsmäßig gekleidet, der Hitze wegen ohne Halstuch, die Füße in gestickten Pantoffeln. Für die Kundschaft, auf die er in diesem Armeleutviertel rechnen konnte, nahm er sich noch elegant genug aus.

Als ich ihn begrüßte und fragte, ob er das künstliche Uhrwerk selbst verfertigt habe, bat er mich höflich, bei ihm einzutreten. Er könne mir noch mehr solcher automatischer »Späßcher« zeigen, die ein Onkel von ihm gemacht habe, von dem er zwar den Laden, doch nicht die Kunst geerbt habe. Nun freu' es ihn aber, daß sich die Kinder daran freuten. Er lasse die Uhr absichtlich zehn Minuten nachgehen, damit die Schulkinder rechtzeitig dazukämen, wenn der Esel heraustrabe.

Aus seiner Sprache erkannte ich, daß er ein Pfälzer war, was er bestätigte. Er sei aus Neustadt an der Hardt und vor fünf Jahren nach München übergesiedelt, um die Erbschaft des Oheims anzutreten. Viel sei's nicht gewesen, außer dem Vorrath an Uhren und Spielwerken, habe ihm auch nicht erlaubt, in einer besseren Gegend einen Laden zu miethen, aber es reiche doch gerade, dreimal am Tag satt zu werden, und auch schlechtere Zeiten könnten seinem Humor nichts anhaben; ich wisse ja: Fröhlich Palz, Gott erhalt's!

Im Laden, wo ein magerer, halbwüchsiger Bursch am Arbeitstisch saß und, die Lupe in die Augenhöhle geklemmt, trübsinnig an einem Rädchen feilte, zeigte mir der junge Meister noch ein paar andere kunstreiche Arbeiten des Oheims, kleine Standuhren mit Spielwerken, das ansehnlichste darunter eine Bergschlucht, in der vor einer Felshöhle ein Einsiedler hockte, der beim Stundenschlag sich erhob und ein Glöckchen läutete, wozu eine Eule die schwarzen Flügelchen schüttelte.

Was mich am meisten an »dene Sächelcher« freut, sagte der Neffe, ist, daß die Kinder Spaß dran haben. Sie müssen wissen, über Kindsköpf' geht mir nichts. Mein größt Pläsir ist, zu sehen, wie die kleine Leut sich an mein Schaufenster drängen, wie die Fliegen an den Honigtopf, wie da die Gesichtcher lachen, die Äugelcher glänzen und die Bäckelcher roth werden vor Vergnügen. Das kommt, ich hab' ein Brüderchen gehabt, ein goldig Bübche, vier Jahr jünger als ich. Dem seine Kindsfrau, Spielkamerad, Hottegäulche und was sonst noch alles bin ich gewesen, seit es auf der Welt war, und wie's dann, siebenjährig, an den Masern gestorben ist, hab' ich gemeint, ich müss' ihm nachsterben, damit's drüben nicht verlassen und allein wär'. Ich hab' wohl auch noch ein Schwesterchen gehabt, aus dem aber, obwohl's auch ein braves und schönes Kind war, hab' ich mir nicht viel gemacht. Die Mädcher, wisse Se – nu, sie sind ja wohl auch zu allerlei nutz auf der Welt, aber sie interessiere mich nit, Sie haben als nur zwei Sachen im Kopf, ihren Putz und ihre Liebschaften. Aber so e Bübche – was steckt da alles in dem kleine Kopp! Da sieht's aus wie in einem künstlichen Uhrgehäus, kein Mensch sieht ihm an, was an feinen Federn und Rädern drin verborgen ist. Ich hab' nur immer so geschaut, was mei Mäxche für Einfäll' gehabt hat mit seine sieben Jahr. Und wenn ich so die Bübcher an meinem Schaufenster seh' und hör' sie lachen, wenn die Komödie angeht, muß ich als denken, was mein Mäxche für Augen gemacht haben würd', und dann wird mir blümerant zu Muth.

Sein helles Gesicht überflog ein Schatten. Ja, ja, so geht's! sagte er mit einem Seufzer. Haben Sie noch keine eigenen Kinder? fragte ich. Er lachte plötzlich wieder.

Noch nicht einmal eine eigene Frau. Wie sollt' ich auch dazu kommen? Ich kann mich selber nur zur Noth durchbringen, und eine Familie zu ernähren, reicht's noch lange nicht. Freilich, zu einer Frau, auch mit Geld, hätte mir schon manche gute Bekannte verhelfen wollen, meine Wirthin zum Beispiel. Aber die sie mir angetragen hat – die mocht' ich nicht. Ein garstig Schätzche könnt' man mir mit Gold aufwiegen, ich thät' mich bedanken, und was junge und saubere sind, die nix haben, die verziehn die Mäulcher, wenn Einer kommt, bei dem Schmalhans Küchenmeister ist.

Ein Arbeiter trat herein, der eine Uhr zu reparieren gab. Ich verabschiedete mich freundlich von dem jungen Meister und verließ den Laden.

*

Etwa vier Wochen später, an einem Sonntagnachmittag in einer ganz anderen Gegend der Stadt, war ich nicht wenig verwundert, meinem »fröhlichen Pälzer« wieder zu begegnen, doch so verwandelt, daß ich ihn erst erkannte, als er den Hut vor mir abzog, einen glänzenden neuen Cylinder, und mich mit einem geheimnißvoll vertraulichen Lächeln grüßte.

Er trug einen eleganten Sonntagsanzug, der ihm sehr gut stand, und führte eine behäbige ältere Dame mit ritterlicher Würde am Arm, sich zuweilen zu dem Fräulein wendend, das an seiner linken Seite ging. Die Toilette und das ganze Wesen der Mama ließ auf den ersten Blick erkennen, daß sie dem wohlhabenden Bürgerstande angehörte. Auf ihrem breiten, stark gerötheten Gesicht, das ehemals recht hübsch gewesen sein mußte, thronte der Ausdruck einer unerschütterlichen Zufriedenheit mit sich und dem Herrgott – »sie sah gesund und satt und gütig aus«, wie es in einer schalkhaften alten Dichtung heißt – und man sah ihr die Genugthuung an, von einem schmucken jungen Cavalier geführt zu werden. Das Töchterchen war ein richtiges Mutterkind ins Feine und Zierliche übersetzt, sah geschmeichelt zu ihrem Begleiter auf, wenn er das Wort an sie wandte, und hielt ein rothes Sonnenschirmchen über ihren Federhut, so daß ihr rundes Gesicht rosig überhaucht erschien.

Ich war den Dreien langsam nachgegangen und überholte sie, als sie vor einem ansehnlichen Hause still hielten. Mein junger Freund wurde in seinem langwierigen Abschied von den Damen einen Augenblick unterbrochen, da er mich erblickte, blieb dann aber, nachdem wir einen Gruß getauscht, noch vor der Hausthür mit ihnen stehen. Sie schienen noch etwas Wichtiges mit ihm zu verhandeln.

Ich hatte aber kaum fünfzig Schritte weit meinen Weg fortgesetzt, als ich ihn hastig mir nachkommen hörte.

Er entschuldigte sich, daß er mich vielleicht aufhalte, aber da ich ihm ein so freundliches Interesse gezeigt, möchte er mir doch mittheilen, daß sich seine Verhältnisse inzwischen geändert hätten. Die Damen, die er begleitet, seien seine künftige Schwiegermama und seine Braut, und wenn er meinen Namen gewußt hätte, würde er sich erlaubt haben, mich ihnen vorzustellen.

Sehen Sie, sagt' ich, da haben Sie nun doch früher, als Sie geglaubt haben, Aussicht zu einem eigenen Kinde, und ein »garstig Schätzche« ist die zukünftige Mutter desselben wahrlich nicht. Ich kann Ihnen nur aufrichtig zu Ihrer Wahl gratulieren.

Er schmunzelte und rückte seine seidene Cravatte zurecht.

Ich danke verbindlich, geehrter Herr, aber Sie haben Recht, es ist wirklich ein ganz apartes Glück, je suis né coiffé (er liebte es, französische Ausdrücke einfließen zu lassen). Die Mama ist die Wittwe eines reichen Handschuhfabrikanten, der sich schon vor fünf Jahren vom Geschäft zurückgezogen hat, um zu privatisieren. Mein Rösche ist im theuersten Pensionat erzogen worden, hat alles gelernt, was die jungen Baronessen lernten, Klavier, Französisch, Literatur. Dabei ist sie ein einfach gutherzig Ding geblieben, nur e bische zu fromm, das wird sich aber schon geben. Die Hauptsach ist, sie ist bis über die Ohren in mich verschossen, und wisse Se, wem ich das verdanke?

Wem anders, als Ihrem jungen Gesicht und Ihren munteren Manieren?

Gefehlt, lieber Herr! – meinem Eselche. Vor vierzehn Tagen ist sie an meinem Laden vorbeigekommen, und da das Werk gerade functioniert hat, ist sie stehen geblieben und hat's der Mama gezeigt. Ich bin grad in der Thür gestanden, zum Glück ganz ordentlich beisammen, und da sind wir ins Gespräch gekommen, und die Mama hat gefragt, ob ich selbst das Kunstwerkche gemacht hätt', und natürlich hab' ich ja gesagt und ihnen auch den Einsiedler gezeigt und die anderen. Der Onkel wird sich deßwegen nicht im Grab herumgedreht haben. Na, und wie's weiter gegangen ist, können Sie sich denken.

Und wann soll Hochzeit sein?

Ein paar Monate werden wohl noch drüber hingehn. Es fehlt noch allerlei an der Aussteuer, und Rösche wird auch erst zu Johanni Achtzehn. Daß ich keine großen Brautgeschenke machen kann, wissen sie. Das Mädchen thät' mich aber nehmen, auch wenn ich nur ein Müllerknecht wär', und gegen ihre Freundinnen thut sie groß damit, sie krieg' einen »Künstler« zum Mann. Wenn sie erst meine Frau ist, wird ihr auch der bloße Uhrmacher recht sein.

Wir schüttelten uns die Hände und trennten uns.

*

Vier Jahre waren vergangen, ohne daß ich den glücklichen Bräutigam, der nun längst glücklicher Vater »eigener« Kinder sein mußte, wiedergesehen oder auch nur an ihn gedacht hätte. Da führte mich wieder einmal ein Geschäft in jene Vorstadt, und sein hübsches, fröhliches Gesicht tauchte plötzlich in meiner Erinnerung auf.

Ich konnte nicht denken, daß ich ihn noch in dem engen alten Lädchen finden würde. Mit dem Gelde des seligen Handschuhfabrikanten würde er gewiß ein Geschäft in einer besuchteren Gegend der Stadt aufgethan haben. Der frühere Laden war freilich noch geöffnet und über der Thür hing die große Uhr mit dem blinden Zifferblatt. Auch die Mühlencoulissen standen im Schaufenster wie sonst, nur etwas verstaubt, und die Flügel rührten sich nicht. Gewiß hatte der Nachfolger das Werk nicht in Gang halten können. Jedenfalls wollte ich mich erkundigen, wo sein Vorgänger geblieben sei.

Doch wie ich die Glasthür öffnete und über die Schwelle trat, erstaunte ich, in der schlanken Gestalt, die sich vom Stuhl erhob, meinen alten Bekannten zu erblicken. Er hatte über eine Zeitung gebückt gesessen, ganz einsam, da auch der Lehrling fehlte, und erst, als er mich wieder erkannte, überflog sein Gesicht, das leicht erröthet war, ein verlegenes Lächeln.

Sie sind's? sagte er, und verneigte sich. Was verschafft mir die Ehr'? Wollen Sie nicht Platz nehmen?

Ich erwiderte, daß ich zufällig in diese Straße gekommen sei und gedacht hätte, mich nach ihm umzusehen, obwohl ich kaum glauben konnte, ihn in dem alten Nest anzutreffen. Wie seine junge Frau sich befinde, und wie viel Kinder sie ihm schon geschenkt habe?

O, sagte er, und die Röthe auf seinem Gesicht wurde noch dunkler, Sie wissen noch nicht, geehrter Herr – ja freilich, seit wir uns zuletzt gesehen haben – der Mensch denkt, und Gott oder der Teufel lenkt – zu einem Kinde bin ich inzwischen gekommen, doch nicht zu einer Frau.

Ich sah ihn rathlos an.

Ja, wie gesagt, fuhr er fort, es kommt manches anders, als man sich's geträumt hat. Stelle Sie sich vor, grad am andern Tag, nachdem ich Ihnen vorgeschwätzt, was für ein großes Loos ich gezogen hätt' – ich steh' allein in meinem Laden, denn der Aloys hatt' einmal wieder blau gemacht – wer tritt bei mir ein und fällt mir, noch eh' ich sagen kann: Was wünschen Sie? um den Hals? Das Lische, meine Schwester, die ich zu der Stund' in Neustadt bei ihrer Arbeit glaubte. Sie hatte ein Putzgeschäft, das sie ganz schön ernährte, weil sie geschickt und fleißig war und ein hübsch Mädche, das jeder gern anschaute. Lische, sag' ich, während sie mich fast erdrosselte, quel bon vent vous amène? Da sind ihre Arme von mir abgefallen, und sie ist auf dem Schemel meines Lehrlings zusammengebrochen.

Ich will Ihnen nicht beschreiben, wie mir zu Muthe gewesen ist, als ich nun alles erfahren hab'. Die alte Geschichte: Verliebt, verloren und verlassen. Das arm dumm Ding, wie sie merkt, daß sie Glück und Ehr' verspielt hat – erst hat sie ins Wasser gehn wollen, dann aber sich besonnen, daß sie noch einen Bruder hat, der sie nicht im Stich lassen wird, ob auch alle Anderen es thun. Und so hat sie den Leuten zu Haus gesagt, ich hätt' ihr geschrieben, daß sie kommen möcht' und mir die Wirthschaft führen, und dann ihre Siebensächelcher zusammengepackt und mit dem Schnellzug nach München.

Denn es war hohe Zeit, wenn sie ihr Unglück noch hat geheim halten wollen.

Ja der Tausend, Lische, sagt' ich, was hast dann du dir vorgestellt, daß ich dich hier brauchen könnt'? Ich bin ja verlobt, und wenn mein Bräutche Wind davon bekäm', daß meine eigne Schwester – und in eine Pension dich zu geben, hab' ich die Mittel nit! –

Da hat sie mich himmelhoch gebeten, sie nur um der Gotts wille bei mir zu behalten, sie woll' mit dem dunkelsten Winkel in meiner Wohnung zufrieden sein und sich still verhalten, wie ein Vögelche im Käfich, daß Niemand was von ihr ahnen sollt'. Nur ihre Zeit woll' sie abwarten und dann wieder verschwinden, am liebsten gleich ganz aus der Welt.

Wie hätt' ich hart bleiben können!

Ich hab' eine kleine Wohnung, nicht weit von meinem Laden, zwei Stübcher, eine Kammer und eine kleine Küche. Da hatten bisher gerade nur drei Menschen Platz gehabt, ich selbst, der Lehrling und eine alte Magd, die alles in Ordnung gehalten und gekocht hat, weil ich nicht ins Wirthshaus hab' gehen und mein bische Geld vertrinken wolle. In die Kammer hab' ich nun das Lische gebracht, die Köchin hat sich in der Küche gebettet. So ist alles ganz charmant gegangen.

Meine Wirthsleut' sind gute Menschen, die haben sich vielleicht ihr Theil gedacht, aber nichts gesagt, als ich mein »Cousinche« ihnen vorgestellt hab'. Auch von den anderen Hausnachbarn hat mir keins ein schief Gesicht gemacht, und sie haben auch nicht viel Gelegenheit gehabt, übers Lische die Nase zu rümpfen, denn die hat sich immer in ihrem Stübche gehalten, und nur wenn's dunkel geworden, hab' ich sie e bische an die Luft geführt, daß sie mir nicht krank werden sollt'.

So hab' ich schon gedacht, es würd' alles gut gehen und kein Hahn danach krähen, daß in meiner Junggesellenwohnung eines Tags ein Kind die Wänd' angeschrien hat. Aber ich hatt' die Rechnung ohne den Wirth, will sagen ohne mei Bräutche gemacht.

Die hatt' ich während der ganzen Zeit pünktlich jeden dritten Tag besucht, und Sonntags waren wir spazieren gegangen, die Mama natürlich als Elephant immer mit. Wie nun für das Lische ihre schwere Stund' gekommen war, hatt' ich zu viel mit ihrer Abwartung zu thun, obwohl die alte Frau das meiste gethan hat, so daß ich einmal einen Besuch überschlagen mußte und zur Entschuldigung schrieb, mir sei nicht ganz wohl.

Nun hab' ich Ihnen gesagt, wie verliebt das gute Ding in mich gewesen ist. Sie setzt sich augenblicklich eine Todkrankheit in den Kopf, muß selber nach mir schauen und trifft mich am Bett der armen Wöchnerin, wie ich ihr eben ein Süppche einlöffle.

Wer von uns Dreien erschrockner war, ist nicht zu constatiren. Aber wer sich zuerst faßt, war das Rösche. Ohne die Red' abzuwarten, die ich Unglücksmensch zu meiner Entschuldigung zusammenzulügen gedacht hab', wirft sie mir nur einen vernichtenden Blick zu, schaut nicht einmal auf das rosig Kindche, das im Wiegenkörbche geschlafen hat, und saust wie's Wetter aus der Thür.

Denselbigen Abend hab' ich einen Brief von der Frau Mama bekommen, worin mich die gute Handschuhmacherswittwe nicht mit Handschuhen angefaßt hat. Ich hatt's nicht anders erwartet. Und vertheidigen hab' ich mich ja nicht können. Hätt' ja mein arm Schwesterche verrathen müssen. Aber ich hab' auch nicht daran gedacht, gleich den Verlobungsring zurückzuschicken, obwohl das Ringelche von meinem Bräutche fein eingewickelt in Seidenpapier im Couvert gesteckt hat. Ich hab' gedacht: Kommt Zeit, kommt Rath, la nuit porte conseil.

Und zunächst hab' ich auch an anderes zu denken gehabt, was mich sehr lustig gemacht hat, nämlich an das Kind, das mir gleich das Herz gestohlen hatte. Sowie es aus dem Gröbsten herausgewesen, ist mir's aufgefallen, wie's meinem todten Brüderchen glich, wie aus dem Spiegel gestohlen. So hab' ich's denn auch Max taufen lassen, wie sein Onkelche geheißen hat, und mir nichts Besseres verlangt, als in meinen Mußestunden seine Kindsfrau zu machen.

Seine Mutter hat lange nicht so viel mit ihm gethan, was ich ihr sehr übel genommen hab'. Ja, als sie sich erst erholt hatte, in der fünften Woch' – sie war noch e bische schmalbackig und blaß, aber schon wieder sehr hübsch – da ist sie damit herausgekommen, sie möcht' wieder nach Neustadt zurück, ihr Geschäft wieder aufnehmen, wenn ich einstweilen für das Mäxche sorgen wollt'.

Das ist mir grad zu Paß gekommen, obwohl ich's nicht begriffen hab', wie sie sich von dem Kind hat trennen können. Hab ihr also das Geld zur Heimreise gegeben und mein goldig Jüngelche behalten.

Indessen hat mir's doch geschienen, als könnt' das mit meiner Brautschaft nicht mit dem Brief der Schwiegermama sein Bewenden haben und ich dastehn ohne Rechtfertigung, wie ein ertappter armer Sünder. Bin also eines Sonntag Nachmittags hin, um die gewohnte Stunde unserer Promenaden, und hab' mich nicht erst anmelden lassen, sondern bin plötzlich vor die Beiden hingetreten und hab' gesagt, ich sei gekommen, ihnen die Aufklärung zu geben, die sie fordern könnten. Daß die junge Frau, die bei mir getroffen worden, meine Schwester gewesen, hätte freilich auf einen Schlag meine Unschuld bezeugt. Aber ich durft' Lische nicht der Verachtung dieser beiden frommen Seelen preisgeben, die auch vielleicht nicht reinen Mund gehalten hätten, und so wär's um ihren Ruf für immer geschehen gewesen. Mit Ihnen ist's was Anderes, Sie werden's nicht herumbringen, aber Frauenzimmer sind immer Plaudertaschen. Nun, ich sag' also, ich wolle ihnen einen feierlichen Eid schwören – und daß ich einen Meineid thun könne, würden sie mir doch nicht zutrauen – die junge Frau sei nie meine Geliebte gewesen, nur eine Jugendgespielin, die in ihrer großen Noth zu Niemand ihre Zuflucht hätte nehmen können, als zu mir, und jetzt auch wieder abgereist sei, um mir nicht weitere Ungelegenheiten zu machen. Ich hoffte, dies ehrliche Geständniß werde genügen, daß die gestrenge Frau Mama mich wieder zu Gnaden annehmen möcht'.

Die Mutter ist noch eine Weile starr und steinern geblieben und hat ungläubige Augen gemacht. Röschen aber hat mir heimlich zugenickt und durch die Thränen gelächelt, die ihr aus den Augen getreten sind. Sie hat dann heimlich der Mutter ins Ohr gewispelt und sie gestreichelt und ihr die Hand geküßt, bis die Alte sich hat erweichen lassen und gesagt, wenn sich's wirklich so verhalte, so hätt' ich nur aus Unverstand und gutem Herzen gehandelt, aber sie woll' ein Aug' zudrücken und alles vergeben und vergessen sein lassen.

Das Rösche hat mir gleich an den Hals fliegen wollen, ich hab' aber die Hand erhoben und gesagt, ganz ernsthaft, ich bedankte mich für den guten Willen der Frau Mama, eh' aber alles in die Reih' käm', müss' ich noch die Erlaubniß bekommen, das Kind des armen jungen Weibes zu behalten, das sie nicht hab' mitnehmen können, ohne bei den Ihrigen zu Haus alles aufkommen zu lassen.

Das hat aber auch bei meiner Braut dem Faß den Boden ausgeschlagen. Als ich nach langem und hitzigem Hin- und Herschwätzen das Haus verlassen hab', hatt' ich zwar mei Bübche gewonnen, aber meine Braut verloren!

*

Er hatte sich warm gesprochen, trocknete sich mit dem Tuch die Stirn und trat einen Augenblick auf die Straße hinaus.

Dann kam er wieder herein und sagte: Sehe Se, lieber Herr, ich hab's nie bereut, daß ich so gehandelt hab'. Was das Kind mir gewesen, hätt' das Rösche und die blanken Thaler ihrer Mama mir nie sein können. Freilich ist's manchmal hart gewesen, durchzukommen und es dem Kleinen an nichts fehlen zu lassen. Aber auch die alte Frau und selbst der Lehrling haben an dem Mäxche einen Narren gefressen und hätten lieber selbst gehungert, als dem Kind was abgehn lassen. Nu, die schlimmste Zeit ist ja, Gottlob, vorüber. Ein alter College im Badischen, der eine sehr gute Nahrung mit seinem Uhrmachergeschäft in dem reichen, kleinen Städtchen hat, will sich zur Ruh' setzen und mir sein Sach' um einen civilen Preis übergeben. Da kann ich mich e bische bequemer strecke, und das Kind+...

Er war wieder hinausgetreten und spähte die Straße hinunter. Da können Sie ihn sehen, lieber Herr, rief er, und seine Augen leuchteten vor Vaterstolz, eben kommt er! Um die Zeit muß der Aloys ihn abholen, da die Köchin jetzt am Herd zu thun hat, und da zehn sie spazieren, daß er doch in die Luft kommt. Ist er nicht goldig? Alle Leut' schau'n ihm nach, wenn er vorbeigeht.

Ich sah nun auch den Lehrling herankommen, der das etwa vierjährige Knäbchen an der Hand führte. Der Kleine, der munter neben dem langen Burschen hertrippelte, trug einen sommerlichen Matrosenanzug mit übergeschlagenem breiten Kragen und eine seemännische Mütze, auf der in Goldbuchstaben zu lesen war: S. M. S. Meteor.

Als er näher kam, mußte ich dem Pflegevater beistimmen: er war wirklich ein »goldig Bübche«, mit hellen, klugen Augen und Bäckchen wie Milch und Blut. Er mußte mir eine Patschhand geben und auf dem Zifferblatt einer Uhr die Zahlen ablesen, die mit deutschen Ziffern daraufstanden. Brav, Mäxche, sagte der Onkel. Nun sag, wie viel Uhr es ist! Auch das brachte der Kleine mit einiger Mühe heraus. Der Onkel strahlte. Er hob den Kleinen auf, küßte ihn auf das rothe Mäulchen und sagte dann: Allons, marche, citoyen! Als dann die Beiden sich entfernt hatten, wandte er sich wieder zu mir. Sie glauben nicht, wie gescheidt er schon ist, ganz wie mei Brüderche. Es wird 'mal was Großes aus ihm, denken Sie an mich!

Eh' ich mich verabschiedete, konnte ich die Frage nicht zurückhalten: Haben Sie nicht doch im Sinn, eine Frau zu nehmen? Sie finden zehn für eine, die ganz damit zufrieden ist, wenn Sie ihr solch einen kleinen Schatz mit in die Ehe bringen.

Er sah sehr ernst vor sich hin. Eine Frau? Daß ich ein Narr wär', dem Kind eine Stiefmutter zu geben, die's vielleicht schlecht behandelt! Einmal hab' ich, da ich gemeint, ein großes Loos zu ziehen, eine Niete gezogen. Ich verlang' mir nicht, noch einmal in die Lotterie zu setzen. Hab' ich doch auch das größte Loos schon gewonnen: ich hab' ja mei Bübche!

– – – – – –

 


 << zurück weiter >>