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Der Hausmarschall, von der Last mehrerer ihm bereits ertheilten Aufträge niedergedrückt, verbeugte sich tief, und wollte das Kabinet verlassen, aber der Fürst rief: »Noch eins! – Kennen Sie dieß Gesicht?« und reichte ihm ein Miniaturgemälde, was auf dem Schreibtische unter Papieren verborgen gelegen hatte, und dem Gefragten lächelte ein mildes Engelsköpfchen entgegen.
»Was meinen Sie dazu?« sagte der Fürst, sich an des Mannes lebhaftem Entzücken im Stillen ergötzend.
»Das ist ein wahres Marienbild,« entgegnete der Marschall, denn ein solcher Zauber, eine solche himmlische Lieblichkeit durfte unter den Sterblichen der wirklichen Welt schwerlich gefunden werden.«
»Doch, doch,« erwiederte der Fürst mit sichtbarem Antheil. »Es ist – ich sage Ihnen etwas, was hier noch Niemand weiß, und Zagern, Sie werden mein Vertrauen zu ehren wissen – es ist« – er zögerte, das Wort auszusprechen, als möchte er das Geheimniß nicht gern preis geben, und müsse es doch, wenn er zum Zweck wolle – »es ist hoffentlich meine künftige Schwiegertochter!«
Zagern hob das Auge auf zu seinem Herrn, als traue er seinem Ohre nicht. Mit einem entfernten Hofe, auf dessen Kreise er früher seine Frau geheirathet hatte, stand er seit Kurzem in den allergeheimsten Unterhandlungen, die auf die Verbindung des Prinzen Ewald mit Prinzessin Rebekka, der Tochter jenes hohen Hauses, führen sollten. Goldene Dosen mit Brillanten, Ehrenauszeichnungen, Orden, Standeserhebungen, und was die Hauptsache war, ein bleibender Einfluß bei der künftigen Landesmutter, der ja durch seine Vermittelungen die Hand des liebenswürdigen Prinzen zu Theil geworden war, – alles lag im Hintergrunde dieses fein angelegten Planes, und alle diese glänzenden Aussichten waren vernichtet, wenn die Holdin, deren Bildniß er eben in der Hand hatte, ihm in den Weg trat.
Wie ein Flammenblitz durchzuckte des Fürsten vertrauliches Wort das Innerste des Hofmannes, und ein Glück war's, daß jener mit behaglichem Wohlgefallen auf dem Bilde verweilte, und sein Blick nicht auf den Hausmarschall fiel, sonst hätte ihm das krampfhafte Zusammenkneipen in den Mundwinkeln des Überraschten, der verhaltene Athem in der hohlen Brust des heimlichen Lauschers das Unheil verrathen müssen, was in dem überraschten Manne brütete. Doch diese Betroffenheit währte kaum einige Sekunden; der Hausmarschall sammelte sich mit Gewalt, lispelte ein »Charmant« über das andere, fand in dem Gesichtchen die höchste Anmuth, den klarsten Verstand, den lebendigsten Geist, den edelsten Stolz, und bemerkte zu seinem Schrecken, daß er bei dieser erheuchelten Analyse des Fürsten Meinung und Ansichten in Worte übersetzte, denn dieser nickte zu jeder dieser Äußerungen höchst beifällig, meinte, daß, je länger er das Bild ansehe, dasselbe immer mehr anziehe; daß er es schon den ganzen Morgen mit stiller Freude betrachtet, daß er es immer mit neuem Vergnügen wieder zur Hand nehme, und frug, ob der Hausmarschall sich der Züge dieses höchst interessanten Gesichts nicht entsinne. »Doch,« fiel er sich selbst ins Wort, »damals war die Prinzessin noch ein halbes Kind; es ist ja über sieben Jahre her, daß Sie auf dem Jagdschlosse des Vaters in Habichtswalde waren.«
»Prinzessin Aloyse?« rief der Hausmarschall, sie jetzt wieder erkennend – ja, ja – sehr getroffen – so mag – so muß sie jetzt aussehen – dieß große Auge – das Grübchen in der Wange – dieser kleine Rosenmund – es ist – wo habe ich meine Augen denn gehabt – es ist, als sähe ich sie jetzt vor mir. –
»Adelsheim hat es mir besorgt,« versetzte der Fürst. »Es weiß selbst dort kein Mensch, daß ich das Bild habe; es darf dieß vor der Hand auch kein Mensch wissen; die Prinzessin hat sich für ihren Vater malen lassen; Adelsheim hat durch die dritte, vierte Hand von dem Maler eine Kopie sich zu verschaffen gewußt, und nach dem, was Adelsheim mir über die Prinzessin berichtet, finde ich die Beschreibung vollkommen bestätigt, die mein Bruder von ihr machte, als er sie vorigen Sommer im Bade kennen gelernt hatte. Sie kennen die Mißhelligkeiten, die zwischen uns früher obgewaltet haben; um so unerwarteter, und ich kann nicht läugnen, um so angenehmer ist mir Adelsheims Versicherung, daß man, wenn Ewald gefalle, gegen die Verbindung beider Kinder jenseits nichts einzuwenden, daß man sie zu wünschen scheine. Ich, meines Theils, gestehe gern, daß ich mit Vergnügen die Hand biete, unsere Familienbande enger zusammen zu ziehen, denn unserer beider Unterthanen Vortheil gewinnt offenbar dadurch, und überdieß sind noch mehrere nicht unwichtige Rücksichten, die mich für diesen Plan geneigt machen. Die Hauptsache ist jetzt nur, sich zu vergewissern, ob Ewald in die Idee, sich zu vermählen, überhaupt eingehe, und ob Prinzessin Aloyse, so weit er sie durch das Bild und durch das kennen lernen kann, was mein Bruder und Adelsheim über sie schreiben, und was Sie von ihr wissen, ihm in einem so wohlgefälligen Lichte erscheint, daß er sich zu einem bestimmten Schritte entschließen kann. Vorschreiben will und werde ich ihm hierin nie; indessen ist er ein zu guter Sohn, als daß die Wünsche seines Vaters bei ihm ohne Gewicht bleiben sollten. Könnte er hin, und sie von Angesicht zu Angesicht sehen, und sie persönlich kennen lernen, und eine Zeitlang dort verweilen; so würde er sich bald sagen können, ob Prinzessin Aloyse den Erwartungen entspreche, die er sich von seiner künftigen Gemahlin, ich mir von meiner Schwiegertochter, und das Land sich von seiner dereinstigen Gebieterin zu machen berechtigt sey; allein das geht ja nicht – das geht ja nicht. Unter welchem Vorwande sollte Ewald hin? Wir möchten ersinnen, was wir wollten, und das Ersonnene so viel verbreiten, als wir könnten; das liebe Publikum dort und hier würde sich bald unsere eigentliche Absicht zusammensetzen, und keine acht Tage gängen in das Land, so spürten die lauernden Zeitungsschreiber die zarten Fäden aus, die den Prinzen hingezogen, und halb Europa wüßte davon in einem halben Monate mehr, als wir vielleicht selbst. Wenn die Verbindung zu Stande kommt, hat das Aussprengen solcher vorlauten Gerüchte am Ende nichts zu sagen; wie aber, wenn sich unsere Pläne zerschlagen, wenn die Kinder einander nicht gefallen? dann ist entweder Ewald oder Prinzessin Aloyse, oder eins wie das andere dem Gespötte der Welt preis gegeben; man erfindet die allerabentheuerlichsten Geschichten, und je toller sie lauten, desto mehr Eingang finden sie im Publikum, und, was mir das Empfindlichste wäre, Prinzessin Aloyse und ihre Eltern könnten vielleicht gar den Argwohn schöpfen, die gewiß nicht ausbleibende Zeitungsnachrichten wären absichtlich verbreitet, von uns selbst verbreitet, um jeden Rücktritt zu erschweren, und die Prinzessin zu bestimmen, ihre Hand meinem Sohne lieber, wenn auch ohne Liebe, zu geben, als sich zum Gegenstande aller möglichen Vermuthungen in den Zirkeln aller Hof- und gesellschaftlichen Kreise machen zu lassen. – Wie Adelsheim jetzt, und früher mein Bruder schreiben, scheint Prinzessin Aloyse meinem Sohne nicht abhold zu seyn. Rantaus haben im vorigen Sommer, im Bade, die Gräfin Stockheim aber bei ihrer Durchreise in diesem Frühjahre dort Gutes von ihm gesprochen; auch mag die Prinzessin oder der Hof anderwärts Nachrichten über ihn eingezogen haben, die zu seinem Vortheile gelautet, denn man hat eine Menge kleiner Züge von ihm gewußt, die ihm dort, wie hier, den Beifall der Bessern erworben, und so darf ich, da Ewald sich eines empfehlenden Äussern und einer gesunden frischen Kräftigkeit erfreut, wohl voraussetzen, daß sein persönliches Auftreten dort die gute Meinung, die ihm vorausgegangen, rechtfertigen, und auf den Entschluß der Prinzessin von dem erwünschtesten Erfolge seyn werden. Nur bleibt die Hauptsache übrig, den Prinzen selbst dahin zu vermögen, daß er sich, nach Einsicht des Bildes und der Papiere von Adelsheim und meinem Bruder, und nach Anhörung dessen, was Sie ihm über die Prinzessin Aloyse mündlich mittheilen werden, mit sich selbst berathe, ob er unsern Absichten geneigt sey, und sich zu der Reise entschließen könne; der Hof befindet sich gegenwärtig wieder in Habichtswalde, und wird dort den ganzen Sommer zubringen. Wenn also Ewald seinen Entschluß gefaßt hat, so würde er je eher, je lieber seinen Weg dahin antreten können. Spreche ich mit ihm selbst darüber, so sind zwei Fälle möglich; er erfüllt meinen Wunsch, und dann habe ich nicht die gewisse Überzeugung, ob er aus eigenem Gefühl, oder nicht vielmehr aus bloßem kindlichen Gehorsam handelt; und das Letztere soll er in dieser wichtigen, bloß sein Herz betreffenden Angelegenheiten nicht; weist er aber die ganze Sache mit oder ohne Grund ab, so hat sich der Vater gegen den Sohn ein Blöße gegeben, und etwas der Art darf in unserm Verhältniß nicht wohl statt finden; darum habe ich es vorziehen müssen, durch einen Dritten auf ihn zu wirken, und dieser Dritte sollen Sie seyn. Sie kennen die Prinzessin persönlich; Sie können ihn also von allem, was er zu wissen wünscht, am besten in Kenntniß setzen; von Ihrer Gewandheit und von Ihrer Diskretion darf ich erwarten, daß Sie dem Prinzen überall die richtigen Gesichtspunkte aufstellen werden, aus denen er seinen Schritt zu betrachten hat, und zu ihrem Attachement versehe ich mich der pünktlichsten und umsichtigsten Ausführung meines Auftrages, wofür ich mich, bei glücklichem Erfolg Ihnen meine Dankbarkeit werkthätig zu bezeugen, im voraus gern verpflichte. »In Angelegenheiten der Art,« fuhr der Fürst nach einigem Besinnen fort, »haben die Frauen in der Regel immer eine wirksame Stimme. Ich habe daher nichts dagegen, wenn Sie Ihrer Frau hievon die nöthige Mittheilung machen, um, falls der Prinz bei Ihrer ersten Einleitung ausbeugende Schritte nehmen sollte, ihn durch ein verständiges Wort aus Frauenmunde wieder auf den Weg zu führen, der ihn und uns zum Ziele bringt; doch weiter, das bedinge ich mir ausdrücklich aus, darf von der ganzen Sache Niemand wissen, darauf verlasse ich mich.«
Der Hausmarschall heuchelte in den ehrfurchtsvollsten Ausdrücken seinen submissesten Dank für das schmeichelhafte Vertrauen, was in diesem Auftrage liege, versprach dessen gewissenhafteste und behutsamste Ausführung, bat um die Erlaubniß, über den Erfolg seiner zu nehmenden Maaßregeln seiner Zeit zu berichten, und eilte, im Gedränge zwischen seinen halb schon zu Wasser gewordenen heimlichen Plänen und dem ihm jetzt ertheilten Befehle, mehr todt als lebendig nach Hause.
»Und darüber kannst Du außer Athem kommen?« fragte mit verächtlichen Lächeln die Hausmarschallin, als der Mann ihr die Unterredung mit dem Fürsten, und die Besorgniß auseinandergesetzt hatte, nun mit einemmale alle die Vortheile einzubüßen, die sie sich von Ewalds Verbindung mit Prinzessin Rebekka geträumt hatten.
»Daß Ihr Männer doch immer gleich den Kopf verliert! Prinz Ewald heirathet Eure Aloyse nicht, und wenn sie noch tausendmal schöner wäre, als das verwünschte Bild sie Euch da vorlügt. Mit Rebekka feiert er sein Beilager, oder ich will nicht Hausmarschallin mehr seyn. Aber sieh, das hast Du davon, wenn Du deiner Frau nicht folgst. Adelsheim mußte dort durchaus nicht Gesandter werden. Habe ich mir damals nicht den Mund fast abgeredet! Aber hat es denn etwas geholfen? Ließen wir zu der Zeit alle Minen springen, so fiel der superkluge Herr v. Adelsheim durch, und Vetter Dahl bekam die Stelle. Den hatten wir in der Hand, und der hätte sich nicht unterstehen sollen, solche Portraits einzuschicken. Aber da will der feine Herr v. Adelsheim sich bei beiden Höfen liebes Kind machen, und hat ein Gewebe eingefädelt, mit dem er im Trüben zu fischen gedenkt. Doch einen Fischzug Petri soll der saubere Herr Gesandte nicht machen; dafür laß mich sorgen. Ärger, Verdruß, Beschämung, und am Ende Rapel – ich sage dir Rapel – das soll sein Lohn seyn.«
»Aber lieber Engel,« hob der Hausmarschall mit gedämpfter Stimme an, denn die Frau Gemahlin war sehr aufgeregt, und in solchen mißlichen Augenblicken mußte er immer die Worte auf die Goldwage legen, wenn das Quecksilber ihres Wetterglases nicht im Nu auf den Erdbebenpunkt kommen sollte, »bei der gegenwärtigen Lage der Dinge sehe ich doch wirklich nicht ab, was wir zum Bessern unserer früheren Pläne, in Betreff unserer guten Prinzessin Rebekka, jetzt thun könnten.«
»Manche Menschen sehen nie weiter als ihre Nasenspitze reicht,« entgegnete die Ungnädige in bitterm Grolle. »Nun laß doch hören,« setzte sie spöttelnd hinzu, »was Deine Weisheit sich für einen Plan ausgebrütet hat.«
»Da ist nicht viel zu brüten,« erwiederte der Hausmarschall empfindlich, ohne indessen seine Stellung zur Gebieterin zu vergessen. »Der Befehl des Fürsten, mit dem Prinzen zu sprechen, ist unumgänglich da; ich kann dem Vater nicht sagen, daß ich mit dem Prinzen gesprochen, wenn es nicht wahr ist; und spreche ich mit dem Prinzen, und sieht der Pulverkopf das Bild, so jagt er heute Abend noch nach Habichtswalde, und wir und Prinzessin Rebekka –«
»Vortrefflich!« fiel ihm die Gemahlin giftig spottend in's Wort; »wirklich, einen richtiger berechneten Plan gegen unsere Manövres kann es nicht geben. Nein, Lieber, ein recht wakerer Hausmarschall magst du seyn, wenn es darauf ankommt, ein paar Dutzend alter Stühle in deinen fürstlichen Schlössern neu poliren zu lassen, aber das Mittel, den gemächlichen Sorgenstuhl unserer Zukunft uns recht blank und bequem zu fertigen, liegt, wie ich jetzt sehe; außer Deinem Gesichtskreise. Der Fürst hat mir in seinem Operationsplane das zweite Treffen angewiesen, ich soll erst vorrücken, wenn Du vom Prinzen geschlagen bist. Allein ich muß die Schlachtordnung verändern. Laß mir die Avantgarde; ich will, ich stehe Dir dafür, dem Prinzen mit meinem Streifkorps so vorplänkeln, daß er sich in Zeiten zurückziehen und es zu einer Hauptaktion gar nicht kommen lassen soll.«
Der Hausmarschall sah die Frau staunend an, und sein Blick gestand ihr, daß er ihre strategischen Demonstrationen nicht recht verstehe.
Geschmeichelt von dem Gefühl ihres geistigen Übergewichts, fuhr sie, jetzt etwas heiterer werdend, in ihrer taktischen Gleichnißrede fort: »Meine Hülfstruppen greifen den Prinzen im Rücken an; sie treiben ihn mir entgegen; bloß die Sturmglocke ziehe ich an, und er soll mein Gefangener seyn, ohne daß auf meiner Seite ein Schuß fällt; den Vater entwaffne ich, und Prinzessin Aloyse zieht ihre Brücke für immer und ewig auf, und macht ihre Veste, jedem Versuche, sie zu nehmen, selbst unzugänglich. Sieh, lieber Mann, wenn man einmahl einen Plan macht, so muß er vollständig, erschöpfend, und mit leichten Mitteln ausführbar seyn.«
»Ich mag Dich gern so reden hören,« versetzte der Hausmarschall, um der theuern Hälfte seines Lebens etwas Schönes zu sagen, »Du kannst auch dem Verzagtesten Muth machen, und ich fühle allemal in solchen Fällen, wie die Regimenter, die halb schon zur Flucht gewendet, wieder Kehrt machen und in das feindliche Feuer mit Siegesgeschrei gehen, weil ihr Feldherr die Fahne selbst ergriffen und sich an die Spitze der Stürmenden gestellt hat; nur – verzeihe, wenn ich Deinem Ideenfluge nicht so schnell folgen, und nicht gleich alles mit Deinem Blicke übersehen kann; nur will mir nicht recht einleuchtend seyn, wie die, nur Deinem Genie mögliche Lösung unserer sehr schwierigen Aufgabe, mit leichten Mitteln zu bewirken seyn dürfte.«
»Lieber guter Mann,« hob die Geschmeichelte mit selbstgefälliger Salbung an, und ihr ganzes Gesicht klärte sich immer mehr auf, »es gibt in der Welt eine große Kunst, und die ist: zur Ausführung seiner Zwecke immer den rechen Mann zu finden. Glaube mir, die Welt – es ist ein großer, aber ein wahrhafter Gedanke, – die Welt würde in der Kultur um mehrere Jahrtausende vorgerückt seyn, wenn die, welche sie regieren, in jener Kunst immer Meister gewesen wären. Wenn ich aber einen zum General mache, der viel besser zum Vesperprediger gepaßt hätte, oder einen zum Minister, der nur zum Kanzleidirektor taugt, so können beide freilich das nicht leisten, was sie sollen; wie mancher Ladendiener würde als Finanzier, wie mancher Schreiber als Geheimer Justizrath, wie mancher Trommelschläger als Feldmarschall Großes, Treffliches wirken! Denke Dir nun, daß Jeder, vom Höchsten bis zum Kleinsten, an seiner Stelle stände, wie schnell, wie zweckmäßig würde alles in einander greifen, mit welcher Raschheit würde alles seiner Vollendung entgegen reifen; auf welcher Höhe würden wir heute stehen, wenn von Anbeginn der Welt diese goldene Regel immer befolgt worden wäre. Sieh, um auf den vorliegenden Fall zurückzukommen, die Fäden liegen in unserer Hand; wir können aus der Geschichte machen, was wir wollen, man muß nur die Menschen als Marionetten zu dirigiren verstehen, und jedem die für ihn passende Rolle geben. Mein Regeldetri-Exempel ist ganz einfach, und so sicher, daß es die Probe vor- und rückwärts bestehen wird.«
»Die Frau v. Walborn wohnt nicht weit von Habichtswalde; es kostet mich nur ein paar Zeilen an sie, so schreibt sie hieher an ihre alte Tante, die Gräfin Mohrenhoven, mit der sie ohnehin fortwähremd in Briefwechsel steht, von der Aloyse eine Menge Betisen; ob sie wahr sind oder nicht, thut gar nichts zur Sache; vorzüglich muß die Prinzessin eine heimliche Liebschaft mit einem unter ihrem Stande, einem Offizier, einem Hofkavalier oder so etwas dergl. haben. Ein solcher Brief in den Händen der Mohrenhoven ist so gut, als wäre er hier an allen Ecken der Stadt angeschlagen; sie sagt nicht, woher sie die Nachricht hat, aber sie bringt sie in zweimal vier und zwanzig Stunden in der ganzen Residenz herum; sie setzt dazu, sie gibt das Gerücht mit einer pikantem Sauce, und da in ihren Zirkeln gewöhnlicher Weise von nichts, als vom Dritten gesprochen wird; so hascht jeder nach der Neuigkeit, vergrößert sie mit verschwenderischer Freigebigkeit, und in drei Tagen ist das Portrait der Prinzessin Aloyse so entstellt, daß sie kein Mensch mehr wieder erkennen soll. Prinz Ewald, der in allen diesen Kreisen verkehrt, hört die Schilderungen fünf-, sechs-, siebenmal, und mit seiner Manier, allen solchen Klatschereien die lächerliche Seite abzugewinnen, ist er mit seinem, auf alle diese ihm zu Ohren kommenden Gerüchte basirten Urtheile bald fertig; er lacht, und unser Spiel ist gewonnen. Bis dahin hast Du kein Wort mit ihm über diese Sache gesprochen, und fragt Dich während der Zeit der Fürst, wie ich stehe, so antwortest Du bloß, daß sich eine schickliche Gelegenheit noch nicht gefunden, das Gespräch mit dem Prinzen auf diesen delikaten Punkt zu bringen, daß Du aber hofftest, bald eine passende Veranlassung dazu zu finden, und dgl. mehr. Nun aber, wenn Prinz Ewald von der Prinzessin weiß, was er wissen soll, dann rückst Du mit der Sprache heraus. Natürlich sprichst Du für die Prinzessin; denn auf jeden Fall verhandelt einmal über kurz oder lang der Vater mit dem Sohne selbst, und dann mußt Du immer den Schein für Dich haben, als sey von Dir zum Besten der Sache gethan worden, was nur irgend möglich gewesen; allein Alles, was Du zu Gunsten der Prinzessin anführst, wiegt bei Ewald nichts, denn er kennt sie aus den ihm von allen Seiten gemachten Schilderungen schon besser, und er lacht Dich und uns alle mit Deinem Antrage weidlich aus. Nun rücke ich der ertheilten Instruktion gemäß, vor; ich stelle nicht in Abrede, daß ich dieß und jenes von der Prinzessin zwar auch gehört, indessen erkläre ich dieß für wahrscheinliche Übertreibungen; ich entschuldige das gute Kind mit verschrobener Erziehung, mit Temperament und dergleichen, und meine am Ende, daß, wenn an ihren heimlichen Liebeleien wirklich etwas Wahres auch seyn sollte, dieß in der Welt nicht der erste und nicht der letzte Fall seiner Art sey; daß man ihrer großen Jugend auch etwas nachsehen müsse; daß sie, die dortigen Umgebungen im Rücken, ihrer frühern kleinen Verirrungen hoffentlich hier bald vergessen werde, und frage ihn zuletzt, ihm das Portrait hinreichend, ob ein solches Gesicht, dem die Natur selbst den Stempel der Anmuth und Liebe aufgedrückt, nicht von ihm Verzeihung verdienen und erhalten würde, selbst wenn hier einmal ähnliche Rezitive vorfallen sollten. Diese Frage, und ich werde sie mit der nöthigen Beitze zu verschärfen nicht ermangeln, – diese Frage wischt in den Augen des Prinzen, wie ich ihn kenne, den ganzen Liebreiz mit einem Striche aus dem Portrait; mit seiner lebendigen Phantasie sieht er die Gefallene schon zu seinen Füßen; der Argwohn krallt ihm das Herz zusammen, ehe in diesem das Wohlgefallen an der Lieblichkeit dieser Züge rechten Platz ergriffen hat; er sieht in der Verbindung mit einem solchen leichtsinnigen, dem Temperamentsdrange erliegenden, und ihm und jedem Dritten zu verführerischen Wesen, nichts als schwarzes Unheil, und setzt nun alles daran, um sich des Vaters wirklichen, und unsern scheinbaren Plänen entgegen zu stemmen.«
»Jetzt spielen wir beim Vater Ewalds Vertreter; wir berichten dem Fürsten, wie abgeneigt sich der Prinz gegen die Parthie geäußert; wir können des Prinzen Gründe nicht mißbilligen, da dessen Nachrichten mit den unserigen nicht ganz im Widerspruche stehen, und da, wenn das, was der Prinz uns über die Prinzessin mitgetheilt, auch zur Hälfte übertrieben seyn sollte, selbst schon diese eine Hälfte vollkommen hinreichend sey, um jeden Gedanken an eine Verbindung aufgeben zu müssen; wir loben dabei des Sohnes kindlichen Sinn und strenge Sittlichkeit und stopfen damit dem Vater den Mund, den nun kann er dem Sohne keine weitere Zumuthungen machen, er muß die Idee aufgeben, von Prinzessin Aloyse ist keine Rede mehr und der gute Herr v. Adelsheim soll nicht wissen, wie er bekehrt ist, denn so viel kannst Du Dir wohl zusammenreimen, daß diesem der Fürst die wahren Gründe, warum man jetzt von der weitern Verfolgung des Verbindungsplanes abstrahire, nimmermehr angeben wird. Adelsheim kann sie also auch nicht widerlegen und so muß kein Mensch, wenn er nicht so vertraut, mit dem Fadenlauf dieses Gespinnstes ist, als wir, das Wie und Warum dieses Rücktrittes recht klar übersehen können. Genug, wenn jeder, der von oder mit Adelsheim dort in das Geheimniß gezogen ward, weiß, daß Prinz Ewald sich mit Prinzessin Aloyse nicht vermählt.«
»Liebe, englische Frau,« hob der Hausmarschall in der höchsten Begeisterung an, »ja, ja, so geht es, so muß es gehen; wie du das Schach gestellt, machst Du Vater und Sohn mit einem Zuge matt; ich könnte Dir stundenlang zuhören, wenn Du sprichst; in Deinen Maschinerien greift ein Triebrad in das andere, die Sache muß gehen wie ein Uhrwerk – und diese Leichtigkeit– es ist, als hättest Du bei Archimedes von Syrakus selber die Mechanik des Flaschenzuges studiert, so spielend hebst Du die größten Hindernisse aus dem Wege; auf der Montgolfiere Deiner sichern, Deiner untrüglichen Berechnungen fliegt man über alle Berge.«
»Halt, halt, mein Freund,« fiel ihm die Marschallin, für seine Huldigungen dankbar, in das Wort – »daß Ihr Männer Euch doch immer mit halben Maasregeln begnügt! Mit dem allen ist ja kaum ein Drittel von dem geschehen, was geschehen muß, ehe wir sagen können, daß unser Werk vollendet sey.«
Der Hausmarschall stutzte; er fühlte seine Geisteskräfte kaum zureichend, das ihm eben auseinandergesetzte eine Drittel der zu spielenden Intrigue zu übersehen, und die Frau sprach gar noch von zweien. Es war ihm im Geheimen bange, daß dies am Ende doch zu viel werden, und das Projekt, so hübsch es auch hier vor ihm, im Entwurfe klinge, unausführbar seyn dürfte; doch hatte er den Muth nicht, seine Besorgniß laut werden zu lassen, sondern lispelte nur mit leisem Zagen vor sich hin, »zwei Drittel.«
»Du hast,« fuhr die Hausmarschallin, sich durch die Auseinandersetzung ihres Planes selbst klar machend, fort, »Du hast gehört, das jener Hof die Verbindung seiner Prinzessin Aloyse mit Ewald wünscht; wir müssen machen, daß er sie nicht wünscht, man muß uns von dort aus, hier unser Spiel erleichtern; Aloyse selbst muß das Wohlwollen, das sie vielleicht schon halb und halb zu Ewald gefaßt hat, aufgeben, sie muß ihn hassen lernen; sind wir soweit, dann mag der Herr v. Adelsheim dort kabaliren und intriguiren so viel er will, er bringt die Verbindung zwischen beiden Höfen nicht zu Stande; er fällt am Ende dort in Ungnade, man wird ihn nicht gern mehr sehen, man wird das von dort aus hieher merken lassen; Herr v. Adelsheim muß rappellirt werden und hat auf immer Aussicht und Gewicht verloren. Vielleicht können wir dann noch Vetter Dahl auf seinen Posten bringen; doch das ist jetzt Nebensache.«
»Ganz vortrefflich;« hob der Hausmarschall etwas ängstlich an, denn ihm stiegen im Stillen die Haare zu Berge über das kecke Wagstück, das die Unbegreifliche in ihrem Kopf hatte und bei dessen halsbrecherischen Ausführung ihm wahrscheinlich auch eine Rolle übertragen werden sollte. »Der Plan ist eines Meisters würdig, nur sehe ich nicht recht ab, wie er zu verwirklichen.«
»Nichts leichter als dieß,« entgegnete die Brütende und lachte über die Ideen, die ihr, da sie den Giftquell ihres teuflischen Egoismus einmal erschlossen, von selbst im reichlichsten Übermaaße zuströmten. »Der Prinz muß sich hier verlieben, in die erste beste, natürlich unter seinem Stande; man macht die Sache tausendmal ärger, als sie ist, man sprengt aus, daß er dieser Leidenschaft sich mit der höchsten Ausschweifung hingebe, daß er mehremale erklärt habe, neben diesem Idol eine Andere nicht lieben zu können; daß er öffentlich geäußert, nur aus Convenienz zu heirathen, wenn er überhaupt je zu dem Schritte sich entschlösse; seine Achtung, seine Freundschaft, sein Wohlwollen, seine Liehe aber habe nur sein Mädchen, und dieses solle und wenn hundert Fürstentöchter kämen, doch immer und ewig, und einzig und allein im Besitze seines Herzens bleiben. Etwas der Art darf die alte Broich nur halb hören – und daß sie es mehr als halb höre, dafür werde ich sorgen – so schreibt sie es den nächsten Posttag mit den erdenklichsten Zusätzen an ihre Kousine, die Frau v. Bouslar, deren Tochter Hofdame bei Aloysens Mutter ist, und erfährt Aloyse nur eine Sylbe von der saubern Verbindung des Prinzen, so zieht sie bei ihren und ihrer Eltern strengern Ansichten, gerade über diesen Punkt ihre Hand zurück, selbst wenn die Sache viel weiter gediehen wäre, als sie es wirklich ist. Dann mag Adelsheim seinen Prinzen zum Herrnhuter, zum Asceten selbst machen, sie glauben ihm nicht, denn sie wissen aus heimlichen und darum ihnen glaubwürdigeren Quellen, daß der Prinz ein Libertin ist, daß seine Verirrung mehr zu bedeuten hat, als eine gewöhnliche, daß sein Herz mit im Spiele ist, und daß Aloyse, wenn der Prinz aus höhern Rücksichten sich wirklich entschließen sollte, ihr seine Hand zu bieten, in ein Verhältniß treten würde, in dem sie nichts als kalte Konvenienz, liebeleeren Hofton und herzlose Etikette zu erwarten habe. Dazu kann und wird sich Aloyse, die sammt ihrem ganzen Hofe in diesem Kapitel schrecklich kleinbürgerlich ist, nie entschließen und darum werden Dir und unserm alten ehrlichen Oberceremonienmeister die Voranstalten zu diesem Beylager keine Sorgen machen.«
»Je mehr ich Dir zuhöre,« versetzte der Hausmarschall, »desto mehr muß ich Deiner unbegränzten Umsicht alle Gerechtigkeit widerfahren lassen; nur – verzeih, wenn mir einige Bedenklichkeiten hierbei noch obzuwalten scheinen. – Wenn ein solches Gerücht von einem unerlaubten Verhältniß ausgesprengt werden soll, so muß, scheint mir doch wenigstens ein Schein von einem solchen Verhältnisse da seyn, sonst glaubt um so weniger ein Mensch an derlei bloßes Gerede, als der Prinz bekanntlich gerade von dieser Seite bisher für ein wahres Muster von – wie soll ich sagen, von wirklich Josephscher Keuschheit in der ganzen Stadt gegolten hat!« –
»Schein von einem solchen Verhältnisse!« – fiel ihm die Hausmarschallin ärgerlich ins Wort. »Kind, überlaß das mir! mit dem bloßen Scheine wäre uns freilich nichts geholfen! das Verhältniß muß selbst da seyn.«
»Damit kommen wir nicht durch,« entgegnete der erschrockene Gatte, und wischte sich die Angstperlen von der Stirne, denn die Hand zu solch einem Mißverhältniß zu bieten, den tugendhaften, entweihten Prinzen auf dieses schlüpfrige Glatteis zu führen, schien ihm doch zu bedenklich.
» Wir kommen damit nicht durch,« erwiederte die Hausmarschallin scharf, »aber ich. Der Prinz hat den Weg dazu eigentlich schon halb und halb selbst eingeschlagen; Du hast nicht bemerkt, mit welchem ganz besondern Antheil er jetzt die Oper besucht, seit die Kleine aus Neapel, wie heißt sie denn, die – – Battista Roselli hier ist; Du hast nicht bemerkt, wie er ganz Auge und Ohr ist, wann sie auftritt; wie er jedesmal die schöne Gestalt mit dem funkelnden Blicke des fröhlichsten Entzückens verschlingen möchte; wie er lauscht, wann ihre reine Glockenstimme ertönt, wie er bei ihren Wunder-Kadenzen den Athem an sich hält, wie er allemal der erste im ganzen Hause ist, der ihr seinen Beifall zuklascht, wie sein Bravo das lauteste ist. – Das alles hast Du nicht bemerkt. Er ist auch dem kleinen Schwarzkopf nicht gleichgültig; natürlich! Er, ein sehr hübscher, junger, reicher Prinz und sie, Italienerin – und Sängerin!
Neulich sprach er sie im Konzert. Der Fürst war dabei und der ganze Hof stand um beide und doch konnte das Mädchen das Brennen der Kohlenaugen nicht bändigen; sie verzehrten den armen Prinzen beinahe bei lebendigem Leibe. Beide sprachen gewaltig klug über Musik. Er sagte ihr sehr viel Schönes über den Umfang und die Biegsamkeit ihrer Silberstimme, über ihre reine Intonation, über die Deutlichkeit ihrer Aussprache und über ihren Geschmack, ihre Manier, ihr tiefes Gefühl; da hättest Du sehen sollen, wie sich des Mädchens Wangen rötheten, wie wohl ihr das Lob des Mannes that, in dessen Rede sie den Kenner vernahm; dann sprachen sie über die Guidonische Solmisation; dem Prinzen war das Ur, Re, Mi undeutlich; Crescentinis Solfeggien kamen ihm unüberwindlich schwierig vor; Signora Battista Roselli äußerte lächelnd, daß bei den Fortschritten, die er, wie sie gehört, bereits im Singen gemacht, vielleicht blos Übung fehle; es ward scherzweise von Singestunden gesprochen, die sie ihm geben solle. Dazu kann und wird es nun zwar nicht kommen, aber zusammen singen sollen sie; Oberstallmeisters geben in ihrem Garten draußen zuweilen kleine Konzerte, die Roselli ist schon zweimal dort gewesen; ich veranstalte, daß der Prinz auch hinaus kommt. Die Solfeggien von Nic. Porpora sollen, wie die Roselli meinte, die schwersten der neuern Zeit seyn; die mögen sie beide studiren! Das Übrige wird sich finden, und daß es sich finde und daß es auf die rechte Weise bekannt werde, dafür laß mich sorgen. Solch einer italienischen Sängerin darf man nur einen Fingerzeug geben, so spielt sie ihre Rolle, trotz ihrer berühmten Landsmännin, der Giovanna de Santi, die bekanntlich die beste Improvisatrice ihrer Zeit war; sie spielt sie aus dem Stegreife. Der Prinz gefällt sich in der gelegten Schlinge; Aloyse erhält von allem die nöthigen Nachrichten gehörig ausgemalt, und schämt sich des früheren Traumes von einer Verbindung mit ihm.«
Der Hausmarschall, dem die reizende Roselli selbst so gefiel, daß er die Ausführbarkeit dieses Planes jetzt nicht der geringsten Schwierigkeit mehr unterworfen sah, nickte, den Fall in Gedanken, daß ihm die verführerische Neapolitanerin so in die Arme geführt werde, höchst beifällig, nur konnte er die Besorgniß nicht unterdrücken, daß Prinzessin Rebekka eben so gut, als Aloyse von Ewalds Verirrungen durch einen Dritten in Kenntniß gesetzt werden, und daß sie sich dann vielleicht gleicherweise bestimmen lassen könnte, die Parthie mit dem Prinzen weniger annehmlich zu finden.
»Vielleicht, vielleicht,« fiel ihm die theure Hälfte seines Lebens ärgerlich ins Wort. »Zehnmal, hundertmal habe ich Dich schon gebeten, nicht eher Deine Meinung über etwas zu äußern, als bis Du das, worüber Du sprechen willst, vollkommen kennst, vollständig übersiehst. Rebekka ist Dir fremd, wie kannst Du sie beurtheilen? wie kannst Du wissen, mit welchem Auge sie dieß und jenes ansieht, wie sie über dieß und jenes denkt? Ich kenne sie, ich kenne den leisesten Gedanken ihrer Seele; sie ist viel zu weltklug, als nicht dergleichen alltägliche Kindereien, die eine thränenfertige Romanenheldin allenfalls unter Wasser setzen können, aus dem rechten Gesichtspunkte zu betrachten; bei den beschränkten Verhältnissen ihres Hauses muß diesem alles daran liegen, die Verbindung mit unserm Hofe zu bewirken; das ist die Hauptsache, auf Nebendinge muß man nicht achten, wenn man zum Zweck will. Übrigens werde ich schon unter der Hand dafür sorgen, daß Rebekkens Mutter, welche zuweilen kleine bigotte Zufälle hat und jugendliche Vergehungen der Art strenger rügt, erfahre, daß das Gerücht von Ewalds Verhältniß zur Roselli blos leeres Geschwätz sey, und um sie darüber ganz zu beschwichtigen, kann die Roselli auch zu seiner Zeit, d. h., wann Aloyse die Idee zur Vermählung mit Ewald ganz aufgegeben, ihren Laufpaß bekommen. Dieß wird Rebekken dann schleunigst gemeldet, und ihr so hingestellt, als sey dieß ein Opfer, das Ewald ihrer Mutter mit Freuden gebracht, so ist diese zugleich mit gewonnen, unser drittes Werk ist damit gethan und, da nun der Vollziehung des Beilagers mit Rebekka nichts mehr im Wege steht, unsere Existenz hier und unser Einfluß auf immer gesichert.«
»Die drei Werke sind gethan, versetzte der Hausmarschall, aber der Hauptschritt scheint mir doch noch etwas im Hintergrunde zu liegen. Bis heute weiß Ewald von Rebekka noch kein Wort, außer daß er sie vielleicht einmal zufällig im genealogischen Kalender gefunden, wie denkst Du denn, ihn für Deine Idee, der Prinzessin Rebekka seine Hand zu bieten, so schnell zu gewinnen?«
»Nun, liegt Dir denn das nicht so klar vor den Augen, als daß zweimal zwei vier ist? Aloyse bricht die Verbindung ab. Dem Prinzen übersetzen wir das in einer traulichen Stunde so, daß sie ihm, auf gut deutsch, einen Korb gegeben. Ehe diese Beschämung in der Welt laut werde, stellen wir ihm vor, ist es dringend nöthig, in möglichster Schnelle eine andere Wahl zu treffen, um dadurch die Sage von dem Korbe, als ein falsches Gerücht zu entkräften, und zugleich die hoffärtige Aloyse auf eine feine Weise fühlen zu lassen, daß es noch mehr Fürstentöchter in Europa gibt, die sich es zur Ehre rechnen, ihre Hand in die unsers Ewalds zu legen. Er wird mit der Idee, Rebekken zu wählen, überrascht; im gekränkten Unmuthe wählt er die erste die beste; der Vater wünscht im Allgemeinen, daß sich Ewald bald vermählen möge; er kann und wird gegen Rebekka nichts einwenden, und das Ende vom Liede ist, daß Du mit mir, weil ich an Rebekkens Hofe bekannt bin, dorthin abgesandt wirst, um die Sache in Gang zu bringen. Hier meine Hand darauf, daß wir in wenigen Monaten zur Brautwerbung abreisen.«
*
Während Herr und Frau v. Zagern jetzt ihre Minen zu graben anfingen und mit unglaublicher Feinheit die Fäden spannen, an denen sie die Puppen ihres eigensüchtigen Marionettenspiels zu dirigiren gedachten, träumte Prinzessin Aloyse, das lieblichste Fürstenkind seiner Zeit, von nichts als von Ewald. Die jüngere Schwester der Frau von Adelsheim, Klorinde von Kulm, unlängst angekommen und von Ewalds Anmuth selbst bezaubert, hatte ihr zufällig von ihm die erste Kunde gegeben. Klorinde hatte noch kurz vor ihrer Abreise auf dem letzten Hofballe mit ihm getanzt; wie er, behauptete sie, tanze Keiner in der ganzen Welt; den Tag darauf war sie mit ihm bei Oberstallmeisters, auf deren herrlicher Villa unfern der Residenz in Gesellschaft gewesen; den ganzen Kreis hatte er durch seinen gutmüthigen Witz, durch seine köstliche Laune, durch seine fröhliche Herzlichkeit belebt. Bei den Spielen im Freien, welche die dort versammelte junge Welt veranstaltete, war er der Behendeste, der Gewandteste gewesen. Als die Abendkühle den Zirkel genöthigt, in die Zimmer zurückzukehren und die Spiegelglätte des Saales einigen den Wunsch zu tanzen abgelockt, war er mit beispielloser Gefälligkeit an das Fortepiano geeilt und hatte fast eine ganze Stunde die einladendsten Walzer und andere Tänze gespielt, und als sie sich später mit kleinen gesellschaftlichen Spielen die Zeit vertrieben, war er die Seele der muntern Unterhaltung gewesen und dann am Morgen ihrer Abreise, als sie draußen vor dem Thore den Exerzierplatz passirte, hatte er vor der Fronte der Gardehusaren gehalten und das blanke schöne Regiment in den Waffen geübt, so muthwillig und ausgelassen er neulich bei Oberstallmeisters gewesen war, so ernst, so besonnen hatte er sich hier benommen; er war nachher, als er ihren Reisewagen auf der Chaußee bemerkt, herangeritten gekommen und hatte ihr recht freundlich viel Glück auf den Weg gewünscht.
Das alles plauderte Klorinde in ihrer ungebundenen Weise lustig hin, ohne sich etwas dabei zu denken und Aloyse hörte mit einer Aufmerksamkeit zu, als hätte Klorinde ihr ein Feenmährchen erzählt.
Dreimal waren die beiden Mädchen die dunkele Schloßgartenallee auf- und abgegangen und immer noch hatte Aloyse über den belobten Ewald etwas zu fragen gehabt; jetzt aber ward Klorinde gerufen, um mit Adelsheim nach Hause zu fahren. Aloyse bedauerte schmerzlich, daß sie so früh schon aufbrach, und bat dringend, doch ja recht bald wieder zu kommen. Die Fürstin Mutter äusserte über die so schnell sich gefundene Freundschaft zwischen den beiden Mädchen ihr beifälliges Befremden und hörte gern, daß Aloyse mit Enthusiasmus von der neuen Bekanntschaft sprach; hatte sie sich doch auch in den Tagen ihrer frühern Jugend so schnell angeschlossen, hatte ihr es damals doch auch gut gethan, wenn sie ein jugendliches Herz gefunden, das sich ihr traulich und offen genähert; überdieß war Frau von Adelsheim selbst ihr ausgezeichneter Liebling und die viel jüngere Schwester Klorinde deren Ebenbild; darum hatte sie auch diese gleich heute am ersten Tage der Bekanntschaft lieb gewonnen und sah es gern, daß Aloyse an diesem frohen sehr fein gebildeten und schuldlosen Mädchen Gefallen finde.
Aber dieses Gefallen finden – der Blick der scharfsinnigen Mutter erreichte nicht die heimliche Tiefe, in der dieses seinen eigentlichen Grund hatte.
War es doch Aloysen selbst nicht einmal klar, daß sie die neue Bekanntschaft blos darum so lieb gewonnen, weil diese ihr das in einem Bilde vor die Seele gestellt, was seit einiger Zeit in ihrer Phantasie halb verhüllt gelegen hatte. Das Fürstenkind hatte sich während Klorindens lebhafter Schilderung des liebenswürdigen Prinzen Ewald in die fürstliche Jungfrau verwandelt. Es war ihr, als hätte sie oft schon von ihm geträumt, als habe Klorinde dem, den ihre geheime Sehnsucht längst geahnt, nur den Namen gegeben; sie verarbeitete nun im Stillen die Materialien, die ihr Klorinde zu dem Gemälde geliefert, und trug mit unsichtbarer Geschäftigkeit so viel und so bunte glänzende Farben auf, daß sie am Ende selbst die Überladung fühlte, das ganze Gebilde mit Gewalt zerstörte und ein neues sich zu schaffen anfing, das in Kurzem gleiches Schicksal hatte. Mit diesen noch halb kindischen Kartenhaus-Bauten hatte sie aber so volle Arbeit, daß die dazu gewidmeten Hauptstunden der ersten Hälfte der Nächte, in denen sie allein und ungestört und unbelauscht war, nicht reichten, sie mußte auch den Tag dazu nehmen, und da konnte es natürlich nicht fehlen, daß die französische Gouvernante, Demoiselle Condillac, der Zeichenlehrer, Herr Professor Villaume, und die Musiklehrerin, Signora Farinelli, gegenseitig sich bald ihre liebe Noth klagten. Die kleinen französischen Ausarbeitungen wimmelten voller Fehler, und gegen die bekanntesten grammatikalischen Regeln, welche Demoiselle Condillac dem Prinzeßchen schon vor sechs Jahren mit tausend Noth und Mühe beigebracht hatte, war fast in jeder Zeile auf das Gröblichste gesündigt. Professor Villaume wollte aus der Haut fahren; welche saubere Arbeiten hatte Aloyse sonst mit Feder, mit der Kreide und mit Tusche geliefert – mit welchem Geiste, mit welcher Kühnheit hatte sie ihre Crocquis entworfen! wie sorgsam vollendet waren ihre ausgeführten Zeichnungen, wie genial ihre Studien, wie kunstgerecht ihre Kartons gewesen! Von dem allen jetzt keine Spur. Ihre neusten Produkte trugen nichts als den Stempel der flüchtigsten Faselei, der unverkennbarsten Eile, der sorglosesten Nachlässigkeit. Doch Beider Jeremiaden erklärte Signora Farinelli gegen ihre Leiden für bloße Kleinigkeiten. Von Musik-Übungen außer den Stunden sey jetzt, meinte sie, gar keine Rede mehr und in den Lektionsstunden selbst wäre sie jedesmal in Gefahr, sich die Schwindsucht direkte an den Hals zu ärgern; Harfe, Guitarre, Fortepiano, alles scheine jetzt die Prinzessin anzuwidern; sie hätte keinen Takt, sie greife alle Töne falsch, und spiele ohne Gefühl und Verstand, und nun vollends das Singen! »die gefälligsten Sachen der besten Meister,« fuhr die schwer Geärgerte fort, »habe ich ihr ausgesucht, daß sie doch nur Eine mit Liebe sänge! heute sind ihr die Parthieen zu schwer, morgen zu trocken, heute zu einfach, morgen zu überladen; nein, das Unterrichten ist schon an sich ein saurer Bissen Brod, aber einer Schülerin, die nichts lernen will, Stunden geben zu müssen, eine wahre Höllenpein. Bei andern sieht man seinen Mann an; da hilft, wenn die Geduld ausreißt, einmal ein böser Blick, ein hartes Wort, und wenn es Mädchen sind, die vom Singen künftig leben wollen, auch mitunter ein honetter Ribbenstoß, ein christlicher Puff oder dergl. – aber hier, man soll ja ein eiskaltes Blut haben wie ein Kerbthier, man soll ja immer in der gebührenden Fassung bleiben, und die Dehors nie außer Augen setzen; zuweilen aber – nein zuweilen ist das doch fast unmöglich, z. B. – sie hatte wieder einmal geklagt, daß ich ihr zu schwierige Sachen zumuthe, also lege ich ihr vorgestern einige leichte Dinger von Gretry, Della Maria, und Boyeldieu hin. »Mit ihren Franzosen,« sagte sie verdrießlich und schob sie alle auf die Seite, ohne sie nur des Ansehens zu würdigen; ich behielt die gehörige Ruhe äußerlich, aber inwendig kochte es. Gestern bringe ich ihr ganz allerliebste leichte Singesachen von Galuppi, Sacchini und Cimarosa; sie blätterte darin verdrießlich, »Gott,« rief sie endlich aus, »nichts als Italienisch, wir leben ja in Deutschland!« Ich hatte den Text, den ich ihr lesen wollte, auf der Zunge, aber ich begreife selbst meine Haltung nicht; ich schwieg und trollte mit meinen Italienern und mit den schonungslosen Seitenhieb auf mein Vaterland, wo in jedem Dorfe mehr Musik ist, als hier im ganzen Fürstenthum, schweigend wieder ab. Heute komme ich denn mit einem ganzen Arm voll deutscher kleiner leichter Singestücke von Weber, Winter, Mozart und zehn andern Komponisten des ersten Ranges; hierunter, sage ich mit dem freundlichsten Gesichte von der Welt, werden Ew. Durchlaucht hoffentlich nun etwas nach Ihrem Geschmacke finden; ich reiche ihr mit den Worten den ganzen Stoß hin, daß sie sich selbst etwas aussuchen solle. Oben auf liegt ein Lied mit der Aufschrift: Elegie von Ewald. Sie hatte noch keinen halben Blick auf das Notenblatt geworfen, so schoß ihr alles Blut in das Gesicht; wer sollte in einem so kleinen Dinge eine solche Bosheit vermuthen! »Ich bin heute nicht bei Stimme,« sagte sie über und über roth, und machte eine Miene dazu, als ob sie mich heimlich auslachte. Ich hatte mir vorgenommen, ihrem Starrsinne den höchstmöglichsten Gleichmuth entgegen zu setzen, ich war also gewissermaßen auf ihre Weigerung vorbereitet gewesen, aber dieses mühsam verhaltene Lachen, und dazu dieser glühende Purpur auf dem ganzen Gesicht, der den innern Grimm über das lästige Singen so recht augenscheinlich zeigte – sehen Sie, dieser schneidende Kontrast in einem so jungen Gemüthe! und noch dazu in dem Gemüthe einer Fürstin! Wie gefährlich ist der Charakter, der mitten im Ärger, mitten in der Bosheit lachen kann! Lassen Sie die einmal Land und Leute regieren! den Hof bedaure ich, den die einmal unter ihre Gewalt bekommt. Meine Geduld war zu Ende, ich konnte mich nicht mehr halten. Ich fragte sie gerade heraus, ob sie über mich oder über den Ewald lache; dieß sey ein Ehrenmann gewesen, dem Klopstock, Carstens und Bernstorff ihre Freundschaft geschenkt hätten und den seine Landsleute die Dänen heute noch in Ehren hielten. Sie aber wendete mir den Rücken zu, wiederholte, daß sie heute platterdings keinen Ton singen könne, gab mir mein ganzes deutsches Noten-Packet wieder zurück, die Ewaldsche Elegie, aber gerade die behielt sie an sich. Ich trage in allem Ärger die Musikalien auf meine Stube, nehme ein Buch und gehe, um mir die bösen Gedanken zu vertreiben ein wenig in den Garten; keine halbe Stunde sitze ich auf der grünen Bank, da, nicht weit von der Prinzessin Fenster. Singt die auf einmal das Ding von Ewald so schön, so glockenrein, wie ich sie in meinem Leben nicht habe singen hören. Nun, was sagen Sie dazu? Giebt es denn in der ganzen Welt ein eigensinniger Wesen?« –
Geht es uns allen doch oft in der Welt so, daß uns von der Mitwelt, die von den geheimen Triebfedern unserer Handlungen nicht unterrichtet ist, Fehler und Schwächen angedichtet werden, die uns völlig fremd sind! warum sollte Aloyse etwas voraus haben! das sanfteste, das engelreinste aller Fürstenkinder, das die Liebe, die Güte selbst war, sollte eigensinnig, stöckisch, boshaft seyn! Sie wußte von dem harten, ungerechten Urtheil nichts, daß diese dreie hinter ihrem Rücken laut werden ließen, sie hatte ja nichts als ihr Herz im Kopfe und bloß darum war sie, seit der Unterredung mit Klorinden zur Fortsetzung ihres Unterrichts, jetzt ein Paar Tage über weniger aufgelegt gewesen, als vordem, wo sie in der Regel ihrer wissenschaftlichen Ausbildung mit Lust und Liebe obgelegen hatte.
Klorinde kam in der nächsten Woche wieder nach Habichtswalde.
Mit stürmischer Freude ward sie von der Prinzessin empfangen. Aloyse umschlang das Mädchen, als habe sie sich jahrelang nach ihr gesehnt. Sie lustwandelten wieder, wie neulich allein im Garten; hundert Fragen hatte Aloyse für sie aufgespart über eine Menge Kleinigkeiten, die sie noch von dem Ideal ihrer Seele, von Ewald wissen wollte, aber keine einzige konnte jetzt die Schüchterne über die Lippen bringen. Sie führte in ihrer Manier auf recht fein verdecktem Wege Klorinden wieder auf die Kreise zurück, in welchen diese den Prinzen gesehen hatte; aber, geschah es absichtlich, oder zufällig, oder hatte Klorinde über die neuen Bekanntschaften, die sie jetzt im Adelsheimischen Hause gemacht, schon wieder den ganzen Ewald vergessen, kurz, sie erwähnte seiner mit keiner Sylbe. Unter anderm Geplauder kam die Rede auch auf die Zirkel bei Oberstallmeisters. Aloyse lauschte; jetzt mußte Klorinde sich des Prinzen erinnern; dort war er, wie sie ja neulich erzählt hatte, fast täglich, dort verfehlte er die musikalischen Abende nie; dort pflegte er, wie Klorinde neulich erzählt, gewöhnlich selbst zu singen. Klorinde that, als ob kein Prinz Ewald in der Welt wäre. Das Gespräch wollte eben auf einen andern Gegenstand springen, Aloyse – man kennt ja die Angst der Liebe in solchen peinlichen Fällen unverrathener Sehnsucht – Aloyse hielt sich jedoch durch mehrere kleine Fragen, die sie als Vortrab des Hauptcorps, der Frage nach Ewald, vorausschickte, an Oberstallmeisters und deren Musikliebhaberei fest, aber hatte sie denn den Muth, diese wochenlang in der geheimsten Tiefe des Herzens erwachsene Frage heraus zu bringen? Sie that sie, indem sie neben Klorinden herging, für sich ohne Worte, aber da schon bildete sie sich ein, ihr die Verdächtigkeit anzuhören, geschweige denn, wenn sie ihr nun wirklich Wort und Laut gäbe und dann, wie sollte sie die Frage einkleiden? Jede Wendung schien ihr gesucht, jede wie bey den Haaren herbeigezogen! Klorinde mußte in dem Augenblick merken, wo sie damit hinwollte.
Nein, heute gefiel das Fräulein Kulm der kleinen Prinzessin nicht ein Bischen. Aloyse ging minutenlang neben Klorinden her, ohne auf ihr nichtssagendes Geschwätz zu hören, und fand das Mädchen, das ihr neulich ein Ideal von Liebenswürdigkeit geschienen, und dessen Witz, natürliche Lebendigkeit und geistvolle Unterhaltung sie unbeschreiblich angezogen hatte, heute doch gewaltig langweilig.
Bei der Tafel erzählte die Fürstin Mutter der Frau von Adelsheim, wie oft und mit welcher Sehnsucht Aloyse die baldige Wiederholung ihres Besuchs gewünscht, weil sie dann mit Bestimmtheit auf die Freude habe rechnen können, ihre neue Freundin; Fräulein Kulm wieder zu sehen und äußerte, daß, falls Frau von Adelsheim nichts dagegen habe, sie es ihrer Seits recht gern sehen werde, wenn Fräulein von Kulm sich entschließen könnte, ihrer Aloyse einmal auf längere Zeit, wenigstens auf einige Wochen hier Gesellschaft zu leisten.
Klorinde und ihre Schwester fanden sich von der Einladung sehr geschmeichelt, und Aloyse mußte vor der Gesellschaft auch so thun, als ehre sie die Absicht der gütigen Mutter, das für ein junges Mädchen fast zu einfache Stilleben in dem ländlichen Habichtswalde, ihr durch den Umgang mit der lustigen Klorinde zu würzen, mit gebührendem Danke; aber kurz nachdem die Tafel aufgehoben war, und es Aloysen gelang, die Mutter auf einen Augenblick allein zu sprechen, bat Prinzessin Schlauköpfchen, die Einladung des Fräuleins von Kulm, wenn Adelsheims nicht selbst wieder darauf zurückkämen, vor der Hand nicht weiter zu berühren, einmal, weil sie, bei näherer Bekanntschaft mit Klorinden, glaube, auf die Dauer doch nicht recht für einander zu passen und dann, weil sie dadurch, daß sie sich Schicklichkeit halber dem Gaste ganze halbe Tage widmen müsse, doch in ihren Unterrichts-Stunden und in ihren Vorbereitungen dazu und in den empfohlenen Selbstübungen zu sehr gestört werde.
Sollte die Mutter das Kind, das früher von Klorinden mit dem lebendigsten Entzücken gesprochen, und jetzt gegen sie erkaltet schien, über die Veränderlichkeit seiner Sinnesart tadeln, oder sich über dessen Studienfleiß freuen? Sie schüttelte, von Aloysens unerwarteter Bitte überrascht, den Kopf und entgegnete mit einer Miene, als könne sie sich in das Mädchen nicht finden, daß, wenn Adelsheims den Punkt wegen Klorindens Herauskunft nicht selbst weiter berührten, sie davon nicht weiter anfangen wolle.
Der Stunden-Eifer war es nicht, der Aloysen diese Bitte abdrang. Klorinde störte sie in ihren Träumereien. Hätte diese heute, wie Aloyse mit brennender Sehnsucht erwartet hatte, wieder von Ewald erzählt, sie wäre die vertrauteste, die einzigste Freundin der Prinzessin geworden; aber so – und doch schien Aloysen auf der andern Seite wieder nicht unlieb zu seyn, daß Klorinde seiner mit keiner Sylbe erwähnt hatte; sie zog sich daraus den Schluß, daß die ihr zuweilen aufgestiegene Vermuthung, als fühle Klorinde selbst für den Prinzen mehr als gut sey, ganz ungegründet gewesen war.
Während die Gesellschaft späterhin im schattigen Garten Thee trank, ging Aloyse mit Klorinden auf ihr Zimmer, um dieser eine kleine Stickerei zu zeigen, an der sie zu dem nahe hevorstehenden Geburtstage der Mutter, eben beschäftigt war. Zufällig fiel hier Klorindens Blick auf das Fortepiano, auf dem die Elegie von Ewald lag.
»Was ist das für ein Ewald? doch nicht unser Prinz?« fragte Klorinde bezuglos, aber Aloyse schoß bei dem ersten Worten wie ein Pfeil zum Boden nieder und steckte das dunkelroth übergossene Köpfchen unter das Fortepiano und that, als suche sie in dem dort befindlichen Noten Kasten nach Musikalien.
»Nein ein Däne,« antwortete Aloyse, unter ihren Noten kramend, von unten herauf und freute sich, daß Klorinde nicht durch den Deckel und den Resonanzboden des Instrumentes sehen konnte, denn sie fühlte die Rosengluth ihrer Wangen und den Sturm, der in dem Augenblicke, als der Laut jenes Namens ihr Ohr getroffen, die jungfräuliche Schwanenbrust durchwogte; sie wäre jetzt um keinen Preiß im Stande gewesen, aus ihren klangreichen Hülfs-Stollen zu Tage zu fahren und Klorinden in das Angesicht zu sehen. Diese aber lachte, das Wort Elegie jetzt lesend, selbst über ihre Frage und meinte, der Prinz mache zwar einen recht hübschen Vers, allein bis zur Elegie hätte er sich doch noch nicht verstiegen, auch scheine er, bei seinem ausgelassenen Humor, für diese Gattung nicht recht geeignet zu seyn, »indessen,« setzte sie hinzu »die Talente, die Jahre lang im Menschen ruhen, erwachen oft mit einemmale, wenn der rechte Augenblick eintritt; so glaub ich, würde der Prinz so muthwillig er auch in der Regel ist, sich doch bald in das Elegische finden, wenn z. B. eine unglückliche Liebe« –
Als flöge ein Blitz durch den Mahagoni-Deckel, den Lindenholz-Resonanzboden und den zarten Alabaster-Nacken, Aloysen mitten in das Herz, so erbebte sie bei dem Worte »unglückliche Liebe.« Jetzt ward es ihr zu eng unten; sie kam hervor und indem sie sich aufrichtete, fragte sie, was der Prinz für eine unglückliche Liebe habe, mit einer so mühsam verhaltenen Theilnahme, daß Klorinde, wäre sie nicht eben in der Ewaldschen Elegie gar zu vertieft gewesen, die Feuersbrunst hätte wahrnehmen müssen; die in dieser himmlischen Brust unlöschbar empor loderte.
»Der liebt gar nicht,« entgegnete Klorinde lachend, »und das ist auch ein wahres Glück, denn wirft dieser erst einmal eine ernste Neigung auf ein Mädchen, so geht seine Leidenschaft, fürcht' ich, mit ihm durch; seine erste Liebe ist gewiß auch seine letzte, und bei seinen freisinnigen Ansichten wird er, die Schranken der Konvenienz ohne Schonung niederreißen, und sein Herz unter keine Etikette, unter kein Herkommen, unter keine Statuten beugen, er wird nur die lieben, die er seiner Liehe werth findet, die seine Liebe versteht; Stand und Geburtsvorrechte, diese zufälligen Vorzüge sind nach seiner Rangordnung der menschlichen Verdienste die allerletzten.«