H. Clauren
Die Gräfin Cherubim
H. Clauren

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Heimweh.

Der alte Isegrimm mochte – das fühlte der Prinz jetzt bei ruhigerer Prüfung – im Ganzen wohl Recht haben, aber damit war die arme Roselli nicht vom Verderben gerettet. Die Hausmarschallin hatte von Personen von Einfluß gesprochen, die sich des Mädchens mit Nachdruck annehmen sollten; er glaubte nicht ohne allen Einfluß zu seyn, er hatte hier mit Nachdruck gesprochen, was hatte es ihm denn geholfen, was der Roselli? – nichts, gar nichts, im Gegentheil, er hatte ihr offenbar geschadet. Nur um das Gespräch auf sie zu bringen, hatte er ihr den Plan, vom Theater abzugehen, angedichtet, und mit dieser Nothlüge abgeblitzt, hatte er, um das Gespräch über sie fortzuführen, und sich in dessen Laufe für sie verwenden zu können, einen zweiten Vorwand darauf gesetzt und gesagt, daß die Kleine über ihr beschränktes Einkommen sich beschwert; natürlich mußte der General-Intendant darüber empfindlich werden; natürlich mußte sie dadurch bei ihm verlieren; natürlich rächte er sich an ihr auf tausenderlei Art, wozu sich ihm täglich Gelegenheit darboten; natürlich machte dieß die Lage, die Verhältnisse des armen Kindes noch drückender, noch schwieriger – und an allen diesen »Natürlich's« und deren unabsehbaren Folgen, war er und nur er allein mit seinem ganz am falschen Orte angebrachten Nachdrucke Schuld. Er saß, auf sich selbst böse und verdrießlich, im Wagen und schimpfte, im einmal aufgeregten Unmuth vor sich selbst, auf die bodenlose Schlechtigkeit der ganzen Welt. Was hatten die Leute nicht alles über Frau v.  Zagern gesprochen! Hauptmann Wülfingerode von der Grenadiergarde – das sollte ihr beglückter Liebhaber seyn: scharfe Zungen, an denen es in keiner Residenz fehlt, behaupteten ungescheut, daß der Forstmeister von Stöckey, dessen eben so beglückter Vorgänger gewesen, daß dieser früher den Regierungs-Assessor Puhstleben abgelöst habe und daß man in aufsteigender Linie so zurückgehen könne, bis zu den frühesten Jugendjahren der verschrienen Frau.

Frivol konnte sie allenfalls seyn, daß mochte er sich nicht in Abrede stellen; hatte sie doch einmal in seiner Gegenwart das Geheimniß von den wattirten Waden in den seidenen Strümpfen ihres Mannes, einem nicht kleinen Damenkreise selbst verrathen, und die muthwilligste der Hofdamen verleitet, einen ganzen Brief Stecknadeln dem ehelichen Hausmarschall unbemerkt in die Watte zu appliciren, – allein schlecht war sie darum gewiß nicht; wie hoch in Ehren mußte nicht bei ihr Tugend und jungfräuliche Sittlichkeit stehen, da sie um die Unschuld der armen Roselli, mit so großer Theilnahme bekümmert war – und was die böse, die abscheuliche Welt von dieser sich unter der Hand alles erzählt hatte, das war, wie sich ja aus dem Zeugnisse der Marschallin, aus dem Zeugnisse einer Frau ergab, die, wenn es auf die Unbescholtenheit anderer Frauenzimmer ankam, nicht immer für die behutsamste und schonendste gelten konnte, hier augenscheinlich ergab, offenbar nichts, als die Erfindung der abgefeimtesten Bosheit. Erst sollte der Konzertmeister zu ihren Füßen gelegen haben, dann wollten sie von dem jungen Millionär, dem jüdischen Bankier Zachäus wissen, daß –

Eben langte der Prinz am Garten, der zur Villa des Oberstallmeisters gehörte, an; die kleine Nebenthüre am äußersten Ende des Parks stand offen; er stieg hier aus, und trat fast auf den Zehen in die stillen entlegenen Parthieen des schattenreichen Gartens. Er war sich über seine sonderbare Heimlichkeit selbst nicht recht klar. Er machte sich weiß, daß die Roselli drinnen im Konzertsaale vielleicht schon singen könnte und daß er sie dann ungesehen belauschen wolle; hätte er aber recht ehrlich seyn wollen, so hätte er sich bekennen müssen, daß er sich die Möglichkeit dachte, die kleine Neapolitanerin könne den köstlichen Abend haben genießen wollen, sey ein wenig allein in den Park gegangen, und begegne ihm in den dunkelsten Laubengängen der reizenden Anlagen. War es die Gluth des Weins, den er an der Prachttafel des gastlichen Jubilars bei den vielen Toasts hatte trinken müssen, oder war es der Feuerfunken, den die verschmitzte Hausmarschallin ihm mit ihrer verführerischen Schilderung von der Anmuth der lieblichen Roselli, in das jugendliche Pulverfaß, Herz genannt, geworfen hatte, oder war es die Freude über den ihm auf dem Herwege zum festen Vorsatze gewordenen Entschlusse, sich der Schutzlosen mit dem empfohlenen Nachdruck anzunehmen, er wußte es selbst nicht, was ihn so gewaltsam bewegte und in ihm eine nie gekannte Sehnsucht anfachte, so daß er jeden frischen, duftigen Strauch hätte mit beiden Armen umfangen und ihn in das neapolitanische Grazienkind verwandeln mögen. Die Sonne sank in ein Meer von flammendem Abendgold, die bunten Sänger in den Wipfeln schwiegen und Millionen Blumen erschlossen ihre würzigen Kelche den lauen Abendlüftchen, die sie schäkernd umspielten; »warum ist sie nicht hier!« lispelte er, sich in schmerzlich süßes Wehe auflösend, und legte beide Hände auf die gepreßte Brust und fühlte, daß er etwas vermisse, was er bis diesen Augenblick noch nicht gekannt und was ihm kein Gold und kein Rang gewähren konnte. In banger Unruhe, das Mädchen nirgends zu finden, und in der Richtung nach dem Schlosse zu, trat er aus dem Gebüsche auf einen freien Rasenplatz, und das Mädchen lag auf der grünen Sammtmatte und kos'te mit dem jüngsten Kinde vom Hause, einem lebendigen Amor; die tändelnden Abendlüftchen hatten sich von den Blumenkelchen gewendet und waren herbeigeflogen, und scherzten mit den flatternden Bändern an dem leichten Gewande des holden Mädchens; der kleine wilde Knabe half ihnen durch sein muthwilliges Spiel so, daß die Züchtige unter tausend Lachen und Schäkern mit beiden Händen zu wehren hatte, um den lauschenden Hypnos, dem Gotte des Schlafs, der drüben in Westen die mit Gold und Purpur umsäumten Wolkenkissen zu seinem Nachtlager auf einander thürmte, die Ueberschwenglichkeit ihrer Reize nicht Preis zu geben.

Jetzt kam gar der Prinz. Battista erschrak und wollte fliehen, um die von Oberstallmeisters unbändigen Amor zerzaußten Locken und Schleifen wenigstens in Ordnung zu bringen, aber Ewald eilte herbei, schalt im Scherz den kleinen Wildfang über den Unfug aus, den er angerichtet hatte, und nannte sich das Hülfscorps, das herbeigeeilt sey, um den übermüthigen Feind bezwingen zu helfen; er streckte nun den lustigen Jungen in das Gras und nahm ihm unter tausend Scherz und Lachen die Küße wieder ab, die dieser vorhin in der Spiegelbataille von Battistas Rosenlippen, vor seinen Augen erhalten hatte; nachdem endlich der Uebelthäter redlich abgestraft war, erhoben sich alle Dreie vom Rasenplatze und wollten nach dem Schlosse zu; Ewald aber bog bald in einen schmälern Seitengang, der sich durch ein blühendes Jasmin-Bosket schlängelte; Battista folgte; des Oberpferdebändigers Sprößling aber, der aus dem Gefechte einen wüthenden Hunger mit zurückgebracht zu haben behauptete, eilte zu der ihm befreundeten Ausgeberin.

Ja, die Zagern hatte Recht, einige Aehnlichkeit hatte die schöne Battiste mit des heutigen Jubilars bräutlichen Enkelin; aber diese hier zog den leidenschaftlich aufgeregten Ewald tausendmal mehr an; ihre Gestalt war edler, ihre Haltung gracieuser; in ihrer Stimme, in ihren Bewegungen, in ihrem ganzen Wesen lag eine Anmuth, die je mehr gewann, je länger er mit ihr sprach; das Gluthfeuer des Abendhimmels spiegelte sich in ihrem brennenden schwarzen Auge wieder, und der bezaubernde Blick dieses sanft schmachtenden Auges, der mitten im Gespräch zuweilen auf ihn fiel, brachte ihn so außer Fassung, daß er in stiller Verzückung vermeinte, die Brust sey ihm für sein Herz zu enge geworden.

Auch Battista schien von der Stille des heraufdämmernden Sommerabends, oder von der Nähe des liebenswürdigen Prinzen, oder von irgend etwas andern, sonderbar bewegt zu seyn; von dem lautesten Scherze vorhin auf der Matte ging ihre Unterhaltung bald über zu ernstern Gegenständen, und als der Prinz in der Erinnerung an das, was ihm Frau v.  Zagern von Battistas Stellung gesagt, sie fragte, wie es ihr jetzt hier gefalle und ob sie mit ihrer Lage zufrieden wäre, drängte sie einen leichten Seufzer zurück, und erwiederte ein kurzes »man muß wohl!« Sie entschuldigte, als der Prinz besorglich und fragweise ihr banges »man muß wohl« wiederhohlte, ihre Mißstimmung mit einem sie oft anwandelnden ganz eigenen Gefühl von Beklommenheit, daß sie für Heimweh halte, und was vielleicht mit der Zeit vorüber gehen werde, und wollte auf einen andern Gegenstand überspringen, allein Ewalds Theilnahme war durch diese halb leise hingeworfenen drei Worte so rege geworden, daß er die Gelegenheit ergriff und sie bat, sich, wenn sie irgend Wünsche habe, ihre Verhältnisse hier zu verbessern, mit Vertrauen an ihn zu wenden; bis dahin hatte er den Prinzen noch so ziemlich festgehalten, als er aber in diesem Augenblicke im Feuer seiner Zusicherungen Battistas an seiner Seite herabhängende Hand ergriff, und diese zur Bekräftigung seiner Trostzusprüche, seiner selbst vielleicht unbewußt, drückte, und die Dankbare ihm ihre Verpflichtungen für seine Huld durch einen sanften Gegendruck verlautbarte, da trat der Prinz von der Bühne, und Ewald, der feurige, in der ersten Liebe erglühende Jüngling nahm seinen Platz ein. »Es könnte,« fuhr er mit gedämpfter Stimme fort und schlug die Augen nieder, denn er fürchtete, der sittlich strengen Battista das, was er ihr sagen wollte, nicht zart genug zu geben, und wünschte doch von ihr verstanden zu werden, »es könnte bestimmt Manches geschehen, um Ihre Zufriedenheit mehr zu begründen, nur – Sie wissen, wie dergleichen Bemühungen gleich bekannt, und so schuldlos sie auch seyn mögen, leicht gemißdeutet werden. Wenn indessen dem, der seine Theilnahme gern werkthätig bezeigen will, der aber in seiner Lage auch mancherlei Rücksichten zu nehmen hat, darüber die beruhigende Gewißheit gegeben werden kann, daß auch kein einziger Mensch in der Welt davon erfahre, so –«

Battista bog, ohne ihn ausreden zu lassen, vom Wege ab zu der großen Leäna hinüber, die in dem Lindenrondel lag, an dem sie eben vorbeigingen, legte die kleine blendend weiße Hand auf das kolossale Thier von braungelber Bronze, und fragte mit sinnigem Lächeln: »Sie kennen doch, Durchlaucht, die Geschichte dieser ehernen Löwin? Hipparch, Athens Beherrscher, erfuhr, daß eine Verschwörung gegen ihn im Werke sey, an deren Spitze zwei junge Griechen, Harmodius und Aristogiton stehen sollten; er konnte vermuthen, daß Leäna, die Geliebte des Einen, um den Plan wisse; er ließ sie einziehen und foltern, foltern bis zum Tode; sie wußte um die Verschwörung, aber sie starb unter den martervollsten Qualen, und mit heldenmüthiger Standhaftigkeit bewahrte sie ihr Geheimniß bis zum letzten Athemzuge der zerquälten Brust; darum stellte sie Iphikrates der Bildner, als Löwin ohne Zunge dar, und hat damit, so lange die Welt steht, beurkundet, in welchem Grade auf Frauen zu rechnen, wenn es auf Bewahrung eines Geheimnisses ankommt. »Erlauben Ew. Durchlaucht,« setzte sie mit einem Blick auf den Prinzen, der sich unterdessen auf dem Piedestal der verschwiegenen Löwin niedergelassen, hinzu, »Sie werden Ihre Tuchnadel verlieren.«

Ewald griff schnell darnach, aber er konnte damit nicht fertig werden, Battista bot ihre Dienste an, aber das war eine gefährliche Hülfe; ihre zehn kleinen Rosenfinger kribbelten ihm dicht unter dem Kinne, er sah von unten herauf in die Sonnenglut ihres Feuerauges, das sich aber, wenn es ihm begegnete, mit jungfräulicher Schüchternheit von ihm abwendete, und sich auf die verwünschte Nadel richtete, die immer noch nicht fest halten wollte; das Grübchen ihrer Wange – er hätte den Scherz, der in dieser Purpurtiefe lächelte auffangen mögen; der frische Lebensathem dieses würzigen Mundes – das Wogen des Alpenschnees unter dem herabflatternden Florshawls – die verschwiegene Löwin im Rücken – er umschlang das schöne Mädchen, um in seinem Leben den ersten Kuß auf die ihm entgegenschwellenden Lippen zu drücken –

»Da haben wir die Bescheerung,« rief lächelnd Battista, und that, als bemerke sie den Sturm nicht, der in Ewalds erglühenden Brust emporraste, »da habe ich so lange gedreht und gebogen, bis das Unglück geschehen ist,« mit diesen Worten reichte sie den großen Solitair ihm in der hohlen Hand hin, dessen Einfassung von der goldenen Nadel abgegangen war, und der in dem schwanenweißen Händchen der niedlichen Battista einen eigenen Lüstre bekam; die letzten Strahlen der scheidenden Abendsonne funkelten im blitzenden Steine wider, und Battista ergötzte sich an dem Farbenspiel des köstlichen Brillanten mit lautem Entzücken. »Wenn Ihnen der Stein solche Freude macht,« hob der Prinz an, »so verdoppeln Sie die meinige, liebe Roselli, und behalten Sie ihn zum Andenken.«

»Durchlaucht!« erwiederte Battista betroffen, und that, als brenne ihr der Stein in der Hand, »wie sollte ich wagen, von ihrer Gnade ein Geschenk von solch hohem Werthe –«

»Um Gotteswillen hier nichts von Gnade,« flehte Ewald, und sah der überraschten Battista bittend in die schmachtenden Augen, »wie locker saß der Stein! wie leicht hätte ich ihn hier verlieren können! Ich habe ihn verloren und daß er sich nicht wieder gefunden, dafür bürgt mir hier meine Schutzheilige, unsere Leäna.«

»Mein Prinz,« flüsterte Battista in lieblicher Verwirrung und zog seine Hand an ihr dankerfülltes Herz; Ewald aber schlang trunken von der Seligkeit dieses Augenblicks seine Rechte um das Mädchen und bat, vor Befangenheit kaum hörbar, um den vorhin verunglückten Kuß; Battista sträubte sich zwar gegen die Gewährung der bescheidenen Bitte mit jungfräulicher Keuschheit, die ihre Reize in Ewalds Augen nur noch vertausendfachte, aber der Solitair, der seine tausend Louisd'ors unter Brüdern werth war, wog ihre kleinen Bedenklichkeiten am Ende auf, sie sah sich schüchtern um, ob sie keiner bemerke, breitete mit unaussprechlicher Anmuth die Schwanenarme, und – bon soir »guten Abend,« rief es aus dem dunkeln Gebüsch herüber, und Ewald und Battista prallten auseinander, als hätte der Blitz zwischen ihnen eingeschlagen.

»Sieh da,« sprach Frau v.  Zagern mit einem Blicke, den nur der ganz hätte verstehen können, der es wußte, daß sie es war, die der Roselli erst heute Abend erzählt hatte, welche glänzende Eroberung sie an dem Prinzen gemacht; daß sie es war, die gesprächsweise der feinen Italienerin zu verstehen gegeben, daß der Prinz heute Abend noch herauskommen und sich gewiß sehr freuen werde, sie hier zu finden; daß sie es war, die von Ewalds blöder Befangenheit gesprochen, die, wenn er einmal lieben sollte, durchaus nur von einem Mädchen beseitigt werden könne, das er noch für ganz unschuldig halte und das ihm züchtig aber freundlich entgegen komme, und daß sie es war, die, um die Ausführung des beabsichtigten christlichen Werks zu beeiligen, der spekulativen Roselli mit der aus der Luft gegriffenen Aeußerung die Spornen gab, daß, wie es scheine, die Solotänzerin, Demoiselle Caroso ein ganz gewaltiges Auge auf den Prinzen habe und nur die Gelegenheit abwarte, diesen blanken Dorata, wie sie ihn gewöhnlich nenne, sich zu fangen. »Sieh da, alles wartet im Saale auf unsere kleine Battista, und unterdessen lustwandeln wir hier recht gemüthlich und erholen uns vom schwülen Tage hier in der erfrischenden Kühle der dunkelsten Schattenparthie des ganzen Parks – Guten Abend, Prinz« setzte sie ungebundener als jemals hinzu, denn sie hatte ihn jetzt in ihren Händen, »das Jubelfest scheint Sie recht echauffirt zu haben. Es war bei Tische doch aber auch eine Hitze zum Ersticken; für solch einen erquickenden Abend hier im Freien,« schloß sie bedeutend lächelnd und überstreifte Ewald und Battista mit einem vertraulichen Spottblick, »gebe ich gern zehn heutige Diners hin. Sind Sie nicht auch der Meinung, liebster Prinz?«


 << zurück weiter >>