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Benno hatte jetzt seinen Freund Ewald auf dessen Schlafzimmer gebracht, wegen der morgenden Reise nach Habichtswalde noch bestimmte Abrede genommen, ihm gute Nacht gesagt, und sich entfernt.
Gottlieb, der alte Jäger, half Ewald beim Auskleiden, erzählte auf Befragen ein Breites vom hiesigen Jagdstande und wies, wenn er von den großen Revieren des Barons sprach, immer rechts und links zum Fenster hinaus.
»Nun, und hier gerade vor uns,« hob Ewald der Gelegenheit, sich orientiren zu können, sich erfreuend, an, »ist da in dem hohen Forste dort unten kein Wild? –«
»Das ist kein Forst, Ew. Erlaucht,« erwiederte Gottlieb, »das ist der Gräflich Cherubimsche Garten. Wenn der Mond heraufkommt, können Sie den Schloßthurm und den hohen Obelisk und die alte Ritterburg Grauenfels sehen; es ist ja kaum eine halbe Viertelstunde hinüber. Das ist ein Garten! Mohrenfickerment, der hat einen Thaler Geld gekostet!«
Ewald hätte den alten Mann für die Nachricht umarmen mögen. Er legte sich zum Fenster weit hinaus, um die Nachtlüftchen, die von drüben herüber säuselten, in die wunde Brust zu ziehen.
»Cherubims sind, da sie so nahe wohnen, wohl oft hier?« fragte er den schwatzsüchtigen Gottlieb aushorchend.
»Die? –« erwiederte der alte Jäger mit giftigem Lachen, »mit keinem Schritte dürfen die zu uns herüber; unser Bloom – aber den haben Sie nicht gekannt, lieber Herr Graf, – aber das war ein Hund! unser Herr hatte ihn von einem englischen Lord aus London geschenkt bekommen! Herr Graf, solch einen Solofänger gibt es in der ganzen Welt nicht mehr! Meilenweit sah er die Hasen; und hatte er sie nur einmal im Auge, so waren sie auch schon so gut, wie verlesen. Nun waren schon lange zwischen uns und den Cherubimschen drüben, kleine Zänkereien gewesen; bald hüteten sie uns die Wiesen in der Nacht mit ihrem Viehe ab, bald spielten ihnen unsere Leute allerlei Schabernack, und kamen die drüben mit unsern jungen Burschen etwa einmal in der Schenke zusammen, so setzte es allemal Prügeleien, und das tüchtige, so daß es dabei nie ohne blutige Köpfe abging, der alte Graf Cherubim und unser gnädiger Herr beständig Aerger und Verdruß mit einander hatten, und durch Prozesse und Streit und Hader die Feindschaft immer ärger ward; aber den Gnadenstoß gab unser ehrlicher Bloom. Hinten am Garten von Elisensruhe hatte der alte Graf eine große Fasanerie angelegt; das Ding ist über zehn Morgen lang und breit, und rundum geht eine mannshohe Mauer. Da drinnen wimmelt es nur so von Fasanen und Hasen, und Herr Graf, Sie mögens nun glauben oder nicht, aber Hühnervölker sind drin, ich glaube, mehr denn zwei Dutzend. Mein guter Musje Bloom macht sich eines Abend einem kleinen Spaziergang, bekommt die Fasanerie in die Nase, ist, wupp Dich, über die Mauer, und ravagirt da nach seinem eigenen Plaisir darin herum, daß dem Fasanenwärter vor Schreck auf der Stelle der Schlag fast rührt, als er den Spektakel gewahr wird; er will den Bloom einfangen, aber da hätte er müssen früher aufstehen; Bloomchen ist mit Einem Satze wieder über die Mauer, und kam mit einem Gesichte nach Hause, als hätte er etwas Rechtes gethan. Den andern Morgen aber schrieb der Graf an unsern Herrn ein sackgrobes Billet-doux, und drohte den Hund auf dem Flecke erschießen zu lassen, wenn er sich noch ein einzigesmal in der Fasanerie blicken ließe. Da überlief unserm gnädigen Herrn auch die Galle, und er antwortete, daß an der Bagatelle kein Mensch Schuld sey, als der Graf selber; warum hätte er die Mauer nicht höher machen lassen. Bloom wäre ein englischer Solofänger von der ersten Race, und wer den anrühre, der habe es mit ihm zu thun. Er, der Graf, sollte es nur einmal probiren, und den Bloom erschießen lassen, er werde dann schon sehen, was daraus erfolge. Die Paar Hasen, die der Bloom abgefangen, wolle er bezahlen, das werde den Hals nicht kosten. Hasen gäbe es mehr in der Welt, aber ein Bloom wäre nur Einmal da, und so weiter. – Es gingen keine drei Tage in das Land, da spazierte mein Bloomchen wieder über die Mauer, und that, als ob die ganze Fasanerie seyn wäre – und hol mich der Teufel, der alte Graf hält Wort, und läßt das Prachtthier todtschießen. Des Scharfrichters Knecht, denken Sie um Gotteswillen den Affront, der muß den edeln Hund über die Gränze schleppen, und uns die Meldung machen, daß auf unserm Territorio bei der kahlen Eiche die Leiche liege. Nun war es aus mit dem Landfrieden. Unser Herr forderte den Grafen auf Pistolen; aber der alte Sünder lag krank und stand vom Siechbette nicht wieder auf; sechs Wochen drauf starb er. Seitdem ist der ganzen Familie und allen Bauern drüben Haß und Feindschaft auf ewig geschworen. Bloom aber ruht hier im Garten, dicht am Hundestalle, und zu seinem Haupte steht eine kleine Denksäule mit der Inschrift:
Hier liegt Bloom
der Großbritanische Solofänger,
ein Opfer unversöhnlichen Nachbar-Hasses.
Sehen Sie, gnädigster Herr Graf, das ist unsere Geschichte mit denen drüben in Elisensruhe.«
Ewald dankte dem Himmel, als der feindselige Schwätzer endlich ging. Die verdammte Hunde-Tragödie hatte ihm alle Laune geraubt. Wie einfältig doch die Menschen in der lieben Welt sind, sagte er halb laut vor sich hin, ist es denn nicht möglich, daß sie in Ruhe und Frieden mit einander leben können! Wie reich, wie verschwenderisch hat die Natur ihnen alles bereitet, um es in freundlicher Eintracht zu genießen, und welche erbärmliche Kleinigkeiten sind es, durch die sie sich den dargebotenen Genuß einander verbittern, vergiften! Er trat mit dieser ihn unwillkührlich überwallenden Mißstimmung an das offene Fenster; der Vollmond ging eben links hinter dem schwarzen Hochgebirge auf, und streute seine blinkenden Silberblüthen rundum auf die ganze Gegend, und der blanke Thurmknopf des Cherubimschen Grafenschlosses; und der sichelförmige kleine Namensvetter auf dem schlanken Obelisk, und das vergoldete Kreuz auf der alten Ritterburg Grauenfels drüben, blitzten wie Lichtpunkte aus dem mitternächtlichen Dunkel ihm entgegen. Die ganze Atmosphäre schwamm in einem Meere von Wohlgerüchen, mit denen Millionen Feld- und Wiesenblumen den Abendthau begrüßten, der sich auf ihre schmachtenden Kelche kühlend senkte; und das heilige Rauschen des Waldgartens von drüben herüber, und das leise Plätschern der Kaskaden, und das sanfte Brausen der wolkenhohen Fontaine – es war ihm, als sähe er in ein Feenland, und der Mond, der jetzt noch höher heraufkam, goß über das Ganze sein mildestes Licht, daß er über die vor ihm liegenden Wiesenmatten hinüber sah in das Paradies seiner Sehnsucht, und unter den Laubdächern der hundertjährigen Linden, Eichen und Ulmen drüben, und in den Felsenschluchten, die sich längs dem Zaubergarten hinzogen, und mit ihren emporstarrenden Zacken, im hellen Mondscheine gar wundersame Gestalten bildeten, das holdselige Grafen-Kind suchte, das ihm heute so freundlich, so sinnig, so ganz eigen angelächelt hatte, nicht, weil er Prinz war, denn das konnte die Liebliche ja nicht wissen, sondern weil sie an ihm, schmeichelte er sich, Wohlgefallen gefunden hatte. Ach, warum war sie nicht wach, wie er, warum genoß sie nicht der stillen Abendfeier wie er? Doch – vielleicht lag sie, wie er drüben im Fenster ihres Kämmerleins und sah zu ihm herüber –! Aber – thörichter Wahn! Die schliefen – auf dem Kirchthurme seines Dorfes schlug es eben eilfe, und die Leute auf dem Lande gehen gern früh zu Bette – die schliefen gewiß Alle schon drüben in guter Ruhe. Gute Nacht, sagte er, in der sonderbarsten Spannung wehmüthiger Sehnsucht, leise, und nickte nach dem Feengarten hinüber, und des Westes laue Lüftchen wehten ihn von drüben herüber an, als brächten sie ihm des niedlichsten aller Cherubims heimliche Gegengrüße. Da hörte er – nein es war nichts – und doch – er legte sich weit aus dem Fenster, und hielt die Hand hinter das rechte Ohr und lauschte, und ein Sphärengesang ertönte vom Garten herüber, und des Abendwindes kosendes Fächeln trug die Silberlaute drei weiblicher Stimmen durch die stille Mitternacht ihm in das Herz und in die Seele. – Trunken vor Entzücken horchte er den himmlischen Lauten, die je nachdem die schäkernden Zephyre sich in das magische Spiel mischten, bald in der würzigen Nachtluft verschwammen, bald deutlich vernehmbar ihm entgegen schwebten. – Der unwillkommene Wächter rief im Dorfe die eilfte Stunde ab, und kaum brüllte sein furchtbares Horn die gräulichen eilf Dissonanzen, als die Hunde in allen Gehöften, wie auf ein gegebenes Zeichen anfingen zu bellen und zu heulen und zu winseln, als wären sie Alle Blooms, des großbritanischen Solofängers Blutsfreunde, und erhoben beim Glockenschlage der Geisterstunde ihre elegische Klage um die von dieser Welt geschiedene Hundeseele.
Nein, es war nicht länger zu ertragen. Ewald warf wüthend das Fenster zu. Der vermaledeite Bloom und dessen disharmonische Sippschaft hatten ihm sein ganzes Entzücken, seine süßesten Träume, seinen seligsten Genuß vernichtet.
Zufällig fiel sein Blick auf seinen Mantel und Hut. »Wenn du beides nähmst, dich hinabschlichest, und durch den kleinen Garten schlüpftest, hinaus auf den schmalen Damm, der zum Gränzbache führt« wollte er denken, aber ehe er dazu Zeit hatte, war er schon, er wußte selbst nicht, wie das Alles gekommen war, auf dem schmalen Damme, der über die Wiesen zum Gränzbache führte. Er machte Schritte, als setzte ihm die Gensdarmerie des ganzen Erdballes nach, und nur erst, da die Hunde hinter ihm im Dorfe allmählich stille wurden, und er dem Cherubimschen Garten näher kam, und die drei Sängerinnen jetzt ganz deutlich vernahm, gewann er so viel über sich, langsamer zu gehen, um nicht bemerkt zu werden. Als hinge an jedem Baum in Elisensruh ein Talisman, so zog es ihn mit tausend Ketten weiter vorwärts. Er war ein einziges Mal in seinem Leben auf der Auerhahn-Balze gewesen. Der Jäger Weise dort ward ihm hier sein Leitstern. Solange die Gräfinnen sangen, berechnete er sehr richtig, so lange konnte er dreist sich nahen, ohne zu fürchten, von ihnen entdeckt zu werden; das Elsengebüsch auf beiden Seiten des Dammes verbarg ihn ohnehin genugsam; so schlich er sich, während des köstlichen Terzettes: Infelice, sventurata quella Donna c'ha buon cuor aus Dama soldatta, bis dicht an den Gränzgraben, fand ein darübergelegtes schmales Brett, wagte sich mit verhaltenem Athem darüber, und stand jetzt im fremden Nachbarlande dicht unter der Mauer des Cherubimschen Gartens, umdunkelt von einer sich gastlich über ihn breitenden Hangebirke. Die langen dünnen Zweige seines Schutzbaumes bildeten eine sichere Schirmwand vor ihm, so, daß er selbst durchaus unbemerkt blieb, die Gräfinnen aber, die vom Glanze des hellsten Mondlichts umflossen keine zehn Schritte von ihm entfernt in einem leichten, auf der kaum mannshohen Gartenmauer befindlichen Kiosk saßen, von ihm ganz genau beobachtet werden konnten.
Ewald hatte unter seinem lauschigen Versteck kaum Poste gefaßt, als das Terzett seinem Schlusse nahte, und bald darauf endete. Er dankte seinem Schöpfer, daß er an Ort und Stelle war, denn schloß das Terzett, als er den gefährlichen kaum fußbreiten Steg über den Gränzbach passirte, so war er offenbar verrathen.
Die drei Mädchen schwiegen eine kleine Weile. Er wagte kaum zu athmen.