H. Clauren
Die Gräfin Cherubim
H. Clauren

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Elisensruhe.

Indessen auch für diesen Scherz fing er, als Benno abgereist war, und die Vorbereitungen zu der oben anzutretenden Revision der Festungen ihm eine ernstere Beschäftigung gaben, an, zu erkalten, doch, als er nach Schreckenstein kam, und alle Militär- und Civilbehörden ihn mit ihren Huldigungen umlagerten, und die ganze Umgegend Deputationen an ihn absendete, um sich Glück zu seiner hohen Gegenwart zu wünschen, und er von einer Reihe von Festlichkeiten hörte, die seinetwegen veranstaltet werden sollte, und alles immer mit krummen Rücken und in devoter Haltung vor ihm stand, in den Gesichtern aller seiner Umgebungen nichts als studirte Höflichkeit, gezwungene Freundlichkeit und ein heuchlerisches Lauschen auf seine Befehle und Wünsche zu lesen war, und keine Stimme anders, als gedämpft, und zum Zeichen der submissesten Unterwürfigkeit, kaum vernehmbar sprach, und die Honoratioren der Stadt und ganzen Nachbarschaft mit kleinstädtischer Possirlichkeit unter einander wetteiferten, den Hofton zu affectiren, und rund um ihn herum Prahlsucht, Eitelkeit, Bürgerstolz, Adelsdünkel, Rangstreit, Kastengeist, und allen diesen Jämmerlichkeiten verwandte Uebel wach wurden, da ward ihm das ganze Fort ein eiserner Käfig, er sehnte sich hinaus aus dem kalten Kreise dieser sich selbst und ihn mit quälenden Menschen, an das fröhliche Herz seines Benno, und segnete dessen Einfall, draußen in den stillen Thälern seiner väterlichen Besitzung frische Luft zu schöpfen. Er schrieb der genommenen Rücksprache gemäß, an Benno, und bestellte ihn in den bewußten Eichenbusch bei Garbenfelde zur bestimmten Stunde. Jetzt trieb es ihn wie mit glühenden Stacheln durch die dunkeln Wallthore und über die Zugbrücken des schrecklichen Schreckensteins, und erst, als er die ganze Festung mit ihren furchtbaren Werken weit hinter sich hatte, ward ihm das Herz wieder warm, und den ersten Bauernmädchen die ihm begegneten, ohne ihn zu grüßen, hätte er um den Hals fallen mögen, weil sie ihn nicht kannten. Er kam sich vor, als hätte ihm eine wohlthätige Fee zum berühmten Prinzen Däumling umgeschaffen, daß er unsichtbar geworden; er gehörte sich einmal selbst an, und die ganze freie Natur lachte ihm mit all ihren Zaubern freundlich entgegen. In dieser fröhlichen Stimmung traf ihn im Eichenbusche hinter Garbenfelde Freund Benno zur bestimmten Stunde, der bewußte Zettel ward nach Schreckenstein abgesandt, und Beide versprachen sich nun von der Redoute ohne Maske, und von ihrem heimlichen Streifzuge in das Land der Liebe die lustigste Unterhaltung.

Schon beim Empfang, mit dem ihn Bennos Schwester Eberhardine und der Vater, der alte Freiherr von Hollau bewillkommten, gewann er die Idee lieb, einmal als Mensch sich die Welt zu besehen. Die trauliche Biederkeit, mit welcher der Alte, und die natürliche Freundlichkeit, mit welcher die funfzehnjährige Eberhardine dem Jugendgefährten ihres Benno Haus und Herz öffneten, rührten ihn unbeschreiblich; wäre er als Prinz Ewald gekommen, so hätte man, meinte er, auch ihm wohl alles Liebe und Gute entgegengebracht; allein das Steife, das Ceremonielle, das nicht ausbleiben konnte, hätte das alles gedämpft, und den größten Theil aller dieser Aufmerksamkeiten, welche jetzt seiner Person galten, hätte er auf Rechnung des Prinzen schreiben müssen.

Eberhardine fand den jungen Grafen ungemein anziehend; sie hörte, wenn er mit Benno von der frühern Jugendzeit des akademischen Lebens fabelte, mit dem gespanntesten Interesse zu, und konnte sich nicht enthalten, dem Bruder, im ersten Augenblick, wo sie mit einander allein waren, sehr viel Schönes über den mitgebrachten Gast zu sagen, und das mit einem Entzücken, daß Benno angst und bange ward, denn nach seiner Ansicht flatterte das leicht bewegte Herz des Mädchens um Ewalds männliche Anmuth wie die Mücke um das Licht. »Dinchen, sieh dem hübschen Grafen nicht zu tief in die Augen,« sagte er, um der möglicher Gefahr einer hier entstehenden Liebesgeschichte in Zeiten vorzubeugen, »der hat schon sein Theil.«

»Du bist recht albern,« entgegnete Eberhardine empfindlich, daß Benno mit Worten aussprach, wofür ihr Geheimstes selbst noch keinen Laut gehabt hatte; »weil Ihr immer gleich die Heirathsgedanken im Kopfe habt, wenn Ihr ein Mädchen seht, meint Ihr, daß auch wir – man darf doch wohl in aller Unschuld und Ehrbarkeit sein unbefangenes Urtheil sagen? – Aber Du meintest er hätte schon sein Theil? – wer ist denn seine Auserwählte – hier in der Gegend? kenne ich sie?«

»Ho, ho, ho, was das gleich für ein Gefrage ist!« rief Benno lachend, »Ihr Frauenzimmer seyd doch ein neugierig Völkchen. Die ganze Geschichte soll noch ein Geheimniß seyn, und –«

»Ein Geheimniß,« fragte Eberhardine elektrisirt, »das bekomme ich heraus. Er selbst soll mir es erzählen – o er soll beichten, heute Abend noch will ich alles wissen, – Ihr Mannspersonen könnt ja nicht schweigen!«

Benno konnte sich des lauten Lachens nicht enthalten, denn der Gedanke, daß Ewald dem fünfzehnjährigen Naseweis etwas beichten sollte, was er selbst nicht wußte, kam ihm ungemein komisch vor, aber Eberhardine, halb böse, sich ausgelacht zu sehen, erwiederte triumphirend: »wer zuletzt lacht, lacht am besten; wessen das Herz voll ist, deß geht der Mund bald über. Es kommt, und wär's auch noch so fein gesponnen, doch endlich alles an die Sonnen; ein Tropfen Wasser ist zwar wenig wohl, und doch die härt'sten Steine macht er hohl; und Benno, ich will mit meinen Fragen auf den Lüdinghausen tröpfeln, bis ich bin, wo ich seyn will.«

Gegen Abend machten Ewald und Benno noch einen kleinen Spaziergang in das Freie. Sie warfen, wie das auf dem Lande gewöhnlich ist, die leichten Jagdflinten über die Achsel, um, wenn ihnen zufällig ein Wild aufstieße, zugleich das Vergnügen der Jagd genießen zu können. Kupido, der Schalk, hatte den Spuk getrieben, und Ewalds Feuerrohr mit seiner Munition geladen; doch davon hatte der unschuldige Prinz keine Ahnung. Beide verloren sich, während sie durch den Garten, über die Wiesen gingen, in ihre Habichtswalder Pläne, zu denen Benno bereits alles vorbereitet hatte; ihr Fußsteig führte sie jetzt an einem breiten Bach hin, der sich mahlerisch durch blumige Ufer schlängelte; jenseits des Baches lag ein großer herrschaftlicher Garten mit geschmackvollen Anlagen; im Hintergrunde prangte ein stattlicher Rittersitz.

»Das ist ja ein Fohrenplatz,« sagte Ewald überrascht, als er einige Schritte weiter gegangen war, und sie sich auf einer kleinen Höhe befanden von der aus Schloß und Garten zu übersehen waren. »Wem gehört denn das?«

»Der Bach hier macht die Landes-Gränze,« entgegnete Benno kalt und mit sichtbarem Mißfallen über Ewalds Exstase, »drüben ist das Reich unserer Prinzessin von Toboso, der Besitzer des Gütchens Elisensruhe war der Graf Cherubim, ein Ausländer, ich glaube aus dem südlichen Frankreich, seine Frau war dir erste Erzieherin der Prinzessin Aloyse, und genießt darum noch eine ansehnliche Pension vom Hofe drüben; der Mann ist todt; sie die Gräfin bringt blos den Sommer über hier zu; im Winter lebt sie an Aloysens Hofe in der Residenz.«

Ewalds Blick schweifte im ganzen Garten herum; es war ihm, als zöge ihn etwas in die dunkelen Baumgänge, in die lichtern Bouskets, auf die bunten Blumen-Matten, in die großen tiefer im Hintergrunde liegenden Felsenparthieen, zu den hundert kleinen Kaskaden, die rechts und links unter sanftem Gemurmel dem Gränzbache zueilten, in den würzigen Orangenwald, aus dem ein Meer von Wohlgerüchen ihm entgegen schwamm, und zu der gewaltigen Fontäne, die rund umschlossen von ehrwürdigen Säkular-Linden, ihren Wasserstrahl gen Himmel trieb, hoch hinaus, über die heimlich rauschenden Wipfel, deren reiches Grün das Feuergold der sinkenden Sonne köstlich durchpurpurte. Und auf dem Allem lag die Abendruhe des ländlichen Friedens, die Stille der tiefsten Abgeschiedenheit von der ganzen Welt, und es ward Ewald weich und wohl im Herzen, denn sein erster Blick in das Land des Fürstenkindes, das er suchte, war der Blick in ein Paradies gewesen.

Bennos verdrießliches Schweigen zu seinen lauten Lobpreisungen, in die er sich jetzt während des Weitergehens ergoß, fiel Ewald nicht weiter auf, denn dem ehrlichen Benno war ja das Alles nicht neu, er war in der Nähe dieses reizenden Wohnsitzes aufgewachsen; auf ihn konnte das alles den Eindruck heute natürlich nicht mehr machen. Sie schlenderten nebeneinander, Arm in Arm weiter, einem Buchenwäldchen zu, und Ewalds Habichtswalder Träume hatten einen neuen Schwung bekommen, denn eine Frau, die sich in einem solchen Garten gefiel, die Geschmack an solchen Anlagen hatte, mußte, meinte er bei sich im Stillen, auf das Gemüth der ihrer Erziehung anvertrauten Aloyse nur vortheilhaft gewirkt haben. Er theilte seine desfallsigen Bemerkungen Benno mit, dieser aber brummte einige unverständliche Worte dazu, und schien in die große Lobpreisung der Gräfin Cherubim nicht recht einstimmen zu wollen.

In diesem Augenblicke kamen Beide um eine Waldecke. Dicht neben ihnen fuhr eine offene Halbchaise mit vier Damen vorbei; Benno drückte, mit halb weggewandtem Gesichte dem Prinzen, der eben noch von dem Elisensruher Garten sprach, auf den Arm, Ewald griff schnell nach dem Hute und grüßte; Benno drückte stärker als vorher, und fast krampfhaft des Prinzen Arm, und lüftete kaum seinen Hut. Die Damen dankten höflich, und die Jüngste von ihnen, ein Mädchen, schön wie ein Engel, bog sich zwei und dreimal aus dem Wagen und schien die wandernden Jäger mit den blanken Flintchen auf den Achseln recht wohlgefällig zu betrachten.

»Wer war das«? fragte Ewald, und alles Blut flog ihm in das Gesicht, und alle Pulse schlugen rascher.

»Was grüßtest Du denn?« fragte Benno verstimmt und verlegen.

»Nun, mein Gott,« entgegnete Ewald fröhlich, »Höflichkeit geht vor Schönheit; bei Euch auf dem Lande, denke ich, grüßt man Alles, und wer hätte vor diesem Mädchen den Hut auf dem Kopfe behalten können; das war ja ein Wunderbild! Hast Du die Augen, die Sterne gesehen –?«

»Cherubims waren es,« versetzte Benno halb brummend; »Du siehst heute wieder einmal durch Deine Brille; so etwas entsetzlich Schönes, als Du an dem Garten und an der Komtesse findest, hat hier noch kein Mensch –«

»Cherubims? Eure Nachbarn?« fiel ihm Ewald in das Wort, »und Du fragst, warum ich grüße, und rührst selbst Deinen Hut kaum an? Das von Dir, der Du sonst die Artigkeit immer selber bist? Wie soll ich das verstehen?«

»Wir sind etwas über den Fuß gespannt,« hob Benno an, und erzählte im Heimgehen nun ein Langes und Breites von dem Hader, der Jahre lang schon beide Häuser und beider Unterthanen gegen einander verfeindet und verbittert habe, und tobte und schimpfte, und ließ an den ehrlichen Cherubims, wie man zu sagen pflegt, keinen guten Bissen. Ewald aber hörte von dem allem nur die Hälfte; er hatte nichts im Kopfe, als das engelschöne Mädchen, das sich aus dem Wagen gebogen – und daß ihm, und nicht Benno, ihr zauberischer Gegengruß, ihr freundliches Lächeln, ihr holdseliger Blick gegolten, lag ja am Tage, denn der mürrische Benno, der mit der Familie in Streit und Prozeß lag –

»Sprich nur, wenn wir nach Hause kommen, mit meinem Alten nichts von denen drüben,« sagte Benno, Ewalds eitle Selbstbetrachtungen unterbrechend, »sonst bringst Du ihn auf acht Tage um alle gute Laune. Der Schlagfluß, der ihm vor 18 Jahren die Hüfte gelähmt, daß er heute noch nicht auftreten kann, ist vom puren Aerger über die vermaledeite Geschichte.«

»Sieh doch, mein Brüderchen,« sagte Ewald spitz, »Du ziehst immer auf die Manier unserer Höflinge los, die auch für nichts angelegentlicher sorgen, als daß der Vater ja nichts Unangenehmes erfahre, und meintest, grade dieser müsse alles wissen was im Lande vorgehe, das Gute wie das Böse, und – macht Ihr es an Euren kleinen Höfen nicht akkurat so? Sollte ihn die Freundlichkeit, mit der die Damen uns grüßten, nicht freuen, sollte er darum nicht den ersten Schritt zur Aussöhnung finden?

» Uns grüßten!« wiederholte Benno wegwerfend, uns grüßten sie nicht, sondern Dich, denn ich hätte hundertmal ihnen begegnen können, und es wäre ihnen nicht eingefallen mich nur anzusehen, denn wir können uns, wie man sich hier zu Lande ausdrückt, nicht riechen. Uebrigens, liebster Freund, scheint es mir, unter uns, mit dem ganzen Gruß überhaupt nicht recht richtig zu seyn; es liegen dort in der Gegend, wo wir ihnen begegneten, ein Paar tüchtige Wurzeln! über diese ging ihr Wagen; die davon verursachte starke Schwenkung fuhr Deinen gepriesenen Damen in den Rückgrath, sie beugten sich ein wenig vorwärts, und Du komponirtest Dir daraus eine höfliche Begrüßung. Mich wundert nur, daß Du mit Deinem gewöhnlichen Scharfsinn in ihren Blicken nicht eine besondere Freundlichkeit, ein so recht kordiales, nachbarliches Verhältniß gefunden hast.«

Ewald hatte schon die Versicherung auf der Zunge, daß er etwas dem Aehnlichen wahrhaftig bemerkt zu haben glaube, aber Benno hatte nun einmal, sah er jetzt wohl, ein ungemessenes Vorurtheil gegen die Familie, am besten also, er schwieg, aber eben dieses Schweigen, dieses Zurückhalten seiner sonderbar aufgeregten Empfindungen, dieser gewaltsame Zwang, den er sich anthun sollte, nährten das verschlossene Feuer, daß es heimlich fortbrannte, und die junge Gräfin Cherubim für ihn viel mehr Interesse bekam, als dieß vielleicht der Fall gewesen wäre, wenn er sich über sie ganz ungebunden hätte äußern dürfen.

Die ganze Zeit, während sie des Abends bei Tische saßen, war Ewald in Gedanken mehr drüben in dem stillen Elisensruhe, als hier in dem kleinen Kreise; er gab, als man ihn fragte, was ihm fehle, vor, schläfrig zu seyn, aber Eberhardine meinte bei sich im Stillen, es besser zu wissen. Bestimmt war der junge hübsche Graf mit Herz und Seele bei seiner Braut; sie sah ihn mehreremale mit bedenklicher Miene an, und war, als Bennos Vater die Gläser anfrischte, und dem sichtlich zerstreuten Gaste zurief, »was wir lieben,« und dieser sein Glas in einem Zuge hastig leerte, mit sich im Reinen.

»Ei, ei,« rief schalkhaft lächelnd der Baron und schenkte wieder ein, »bestes Gräfchen, der Toast – bis auf die Nagelprobe haben Sie ausgetrunken, das ist ein gutes Zeichen; Sie meinen es ehrlich!«

»Wenn meine Ahnung mich nicht täuscht,« hob Eberhardine, ihr Glas in der Hand, theilnehmend an, »so ist des Grafen Braut hier in der Nähe; die Nachbarin soll leben!«

Ewald trank vor Schreck, daß Eberhardine, der Naseweis, ihm bis auf den Grund in das Herz gesehen, sein Glas hastig aus, und Benno lachte unbändig; Eberhardine aber warf dem Bruder einen triumphirenden Seitenblick, als wolle sie sagen, das Geständniß ist schon heraus, jetzt fehlt nur noch der Name. Vater Hollau saß zwischen den Dreien wie verrathen und verkauft; verstand doch Keins das Andre, verstand doch Ewald sich selbst nicht. So mag es aber wohl oft in dieser Welt sein.


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