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Fräulein Bouslar, die Hofdame, trat in diesem Augenblick in das Zimmer, um, im Auftrage der Mutter, Beide zum Thee abzuholen. Der Oberlandschenk Herr v. Walhorn aus der Nachbarschaft, war nebst Gemahlin zum Besuch eingetroffen und unterhielt, vom eben servirten Thee verleitet, den kleinen Kreis mit einer so gelehrten als langweiligen Abhandlung über diesen chinesischen Trank. Mit schmeichlerischer Lobpreisung erklärte er die vor ihm dampfende Sorte für den besten Kaiserthee, den er in seinem Leben getrunken, erzählte, daß dieser ausschließlich für den Kaiserlichen Hof zu Pecking bestimmt sey, und aus den ersten Maisprossen des Strauches gesammelt werde; er gab die Quantität der jährlichen Ausfuhr auf 20 Millionen Pfund an, prophezeite, daß der Thee, der größtentheils mit barem Gelde den Chinesen abgekauft werde, noch Europas ganzen Gold- und Silber-Vorrath nach jenem Riesenreiche unwiederbringlich führen werden, und klagte ihn, mit breiter, geschichtlicher Hinweisung auf die Erbitterung, mit der am 26sten Dezember 1773 das Volk zu Boston 342 der Engl. Ostindischen Kompagnie gehörende Kisten Thee verbrannte, als den ersten Impuls zu der Trennung Englands von den Nordamerikanischen Freistaaten an; so aufmerksam die Fürstin mit den Übrigen dem Vortrage des pedantischen Oberlandschenks zuhörte, so ganz antheillos blieben Aloyse und Klorinde bei dem trockenen Sermon des Theeprofessors. Ein junger Major der Küraßiergarde, Bruder der Gräfin Bouslar, der eben aus der Residenz eingetroffen war, um seine Schwester zu besuchen, saß mit im Kreise und Klorinde verwendete fast kein Auge von ihm, so, daß Aloyse ihr heimlich zuwisperte, der junge angekommene Fremde scheine ihr mehr zu gefallen, denn der alte Chinese. Da diese aber die kleine Neckerei, die ihr zu Aloysens großer Ergötzlichkeit, eine leichte Röthe in das Gesicht gejagt hatte, mit der Versicherung beantwortete, daß sie den Major blos darum so aufmerksam betrachtet, weil er eine überraschende Ähnlichkeit mit dem Prinzen Ewald habe, daß jedoch der Prinz jünger und noch viel hübscher sey, so kam die Reihe des Rothwerdens an Aloysen. »Jünger und noch viel hübscher,« wiederholte sich Aloyse heimlich, und sah nun fast unaufhörlich auf den Major, als wolle sie sich dessen Züge recht tief einprägen, um sich das Bild, das ihre geschäftige Phantasie in aller Schnelligkeit verjüngte und verhübscherte, für die Träume ihrer heimlichen Liebe aufzuheben. Bouslar, dem die gespannte Aufmerksamkeit der schönen Aloyse nicht entging und dessen Eitelkeit ihm bald zuflüsterte, daß die beifälligen Blicke der holden Fürstentochter seiner Person gelten, ward so angenehm verlegen, daß er kaum seine Augen mehr aufschlagen konnte, und that er es einmal, so begegnete er immer wieder Aloysens klaren Sternen, deren freundlicher Strahlenglanz auf ihm weilte, ohne daß sie es selbst wußte. Daß alle Mädchen in der Residenz, von der ersten bis zur letzten Klasse nach ihm schmachteten, vor Liebe zu ihm heimlich fast vergingen, wußte er längst, wenigstens bildete er sich das mit einer Gewißheit ein, die so weit ging, daß er mit den armen Kindern, die er alle doch unmöglich wieder lieben konnte, zuweilen recht barmherziges Mitleiden hatte; aber daß seine zusammengeschnürte Taille, seine wattirte Brust und seine preßhafte Halsbinde, die ihm die Augen aus dem Kopf und das Blut in die Wangen trieb, auf Aloysen, auf den gefeyerten Liebling der Grazien, des Hofs und des ganzen Landes, mit einem solchen Zauber hätten wirken können, hätte er sich selbst im kühnsten Schwunge seiner Eigenliebe nie träumen lassen. Berauscht von der ihm fast selbst unglaublichen Entdeckung, taumelt er mit seinem schwachen Geiste im Stillen, in den leeren Steppen seines Innern umher und entfernte sich von dem Gespräch des Chinesischen Oberlandschenks so gänzlich, daß, als dieser sich mit der Frage an ihn wendete, ob es nicht räthlich seyn dürfte, bei den Heeren im Felde, statt des gottlosen Branntweins, den Gebrauch des Thee's einzuführen, und wie hoch man da wohl den Bedarf annehmen könne, er in der Zerstreuung höchlich überrascht, entgegnete, »für jedes Regiment täglich wenigstens ein Loth.« Das von allen Seiten erschallende Gelächter, machte ihn noch verlegener und um seinen Fehler zu verbessern, rief er schnell: »Ich versprach mich, pro Mann täglich ein Pfund wollte ich sagen.« Natürlich lachte man noch einmal so arg, als vorher, und Klorinde und Aloyse, die vor Kichern nicht zu sich selbst kommen konnten, standen auf und verließen den Kreis, um dem Drange, sich recht herzlich auszulachen, freien Lauf zu lassen.
Der Major, der die häßliche Blöße die er sich gegeben, schmerzlich fühlte, wünschte bei sich, den Oberlandschenk sammt ganz China zum Henker, hätte sich vor Ärger an der alten 300 Meilen langen Chinesischen Mauer, die das Kaiserreich von der Mongolei und dem Mantschlande trennt, den Kopf dreihundertmal einrennen mögen, schwor im Stillen auf seine Ehre, daß ihm ein Korb Champagner tausendmal lieber sey, als eine Tasse solcher lauwarmer Karavanen-Strauchblätter-Brühe, verabschiedete sich bei Zeiten und ritt, auf sich bitterböse und mit der ganzen Welt entzweit, nach Hause.
Der Schlaf sogar empfing ihn mit den verworrensten Fieberträumen; bald stand er an der Küste des gelben Meeres, Wanghay genannt, in dem nichts als der klare Hayßan-Thee fluthete, aus dessen Wogenschaum, Aloyse-Anadyomene, in meergrüne Schleier verhüllt, auftauchte; bald bivouakirte er mit der ganzen Chinesischen Armee von 900,000 Mann in der Wüste Cobi, und reich mit Pfauenfedern geschmückte Mandarinen in ihrem ceremoniellen Kostüm von geblümten Atlas, und mit ihrem faltigen Überwurf von blauem Kreppflor, labten das ganze große halb verschmachtete Heer mit einem erquickenden Aufguß ihres landüblichen Schlammwassers auf ein Loth grünen Thee; so kam er die ganze Nacht nicht aus dem verwünschten China heraus, und selbst am Morgen, als er beim Fürsten in den Parolesaal trat, grinzte ihm vom Kamine herab, der dickbäuchige Pagode den eben der muthwillige Jagdpage du jour durch einen kräftigen Nasenstüber aus seiner behaglichen Ruhe gestört hatte, mit feichsendem Lächeln entgegen, und dem verdrießlichen Major war, als höre er von den breitmäuligen Lippen des kahlen Wackelkopfs die Spottfrage: wie Wohlderselbe diese Nacht in der geliebten Chinesischen Heimath geschlafen.
Ein wahres Glück war es für Aloysen, daß des Majors eitler Wahn so bald und so ganz zerstört worden war; denn er hätte, so gewagt es auch war, seinen Triumph nicht verschweigen können, er hätte ihn wenigstens dem und jenem guten Freunde vertrauen müssen, und natürlich wäre die Geschichte binnen 24 Stunden ein Stadtgespräch gewesen; so aber hatte Aloyse gelacht, sie hatte ihn ausgelacht; sie war aufgestanden, sie hatte die Gesellschaft verlassen, sie hatte sich um ihn weiter nicht bekümmert. Es war ja offenbar, daß Aloysens auffallendes Wohlwollen; was sein interessantes Äußere, seine blanke Uniform, seine militairische edle Haltung an jenem unvergeßlichen Abende ihm gewonnen, bei der unglückseligen Theegeschichte mit einemmale verschwunden war. Späterhin – die Eitelkeit ist ein guter Kommandant; den Platz den sie einmal inne hat, gibt sie nicht gleich bei dem ersten Kanonenschusse auf, und hier in der Selbstgefälligkeit des guten Majors befand sie sich in einem bombenfesten Montalembert'schen Thurme. – Späterhin sagte sich der Major, daß Klorinde zuerst gelacht, und Aloysen durch ihr verhaltenes Kichern nur angesteckt habe. Ein so engelgutes, sanftes Wesen, als Aloyse sey, könne in der Regel keinen Menschen auslachen, am wenigsten ihn, der kurz zuvor ihr Wohlgefallen so unläugbar auf sich gezogen. Am sichersten, kalkulirte er, werde Aloysens Meinung über ihn durch seine Schwester die Hofdame zu erfahren seyn; nur war das ein sehr verständiges, kluges Mädchen, dem er den rasenden Eindruck, den er auf die Prinzessin gemacht, um keinen Preis merken lassen durfte. Es sind, sagte er zu sich selbst und freute sich über die entsetzliche Schlauheit, mit der er die höchst kitzliche Sache durchschaute, es sind zwei Fälle, entweder Du irrst Dich, oder Du irrst Dich nicht; irrst Du Dich, hat die Prinzessin Dich nicht aus Liebe, sondern blos zufällig oder Gott weiß, aus welchem Grunde, neulich mit den Augen gleichsam verschlungen; so wäscht Dir Schwester Hofdame ungeheuer den Kopf und zieht Dich so lange sie lebt durch die Hecheln ihres grimmigen Stachelspotts; Du kannst das nicht leiden, Du wirst grob, ihr überwerft Euch, und Du hast von der ganzen Geschichte nichts als Verdruß und offenbaren Nachtheil, denn sie ist bei Hofe und kann Dir auf allerlei Weise schaden. Irrst Du Dich nicht, hat die Prinzessin von der Höhe ihres Ranges auf Dich glücklichen Sterblichen wirklich ein Auge geworfen, und Schwester Hofdame merkt dieß, so arbeitet diese mit ihrer kalten Vernunft aus allen Kräften daran, dieß Verhältniß, was in ihren Hofaugen bestimmt ein unpassendes ist, zu zerstören; sie ist die erste, die ohne alle Rücksicht auf den Bruder, der Fürstin Mutter davon Kunde gibt, und dann zieht, wenn nicht gar noch Schlimmeres passirt, der Herr Major, ohne Weiteres die göttliche Gardeuniform aus und spaziert in die allerentfernteste Gränzgarnison zu einem schmucklosen Feldregimente, wo von Bällen, Theater, Soirees, Konzerten und dergl. St. Paulus keine Sylbe schreibt, sondern die ganzen Ergötzlichkeiten des kleinbürgerlichen Lebens aus einem Frühstück in der Apotheke, aus einer Kegelparthie zur Verdauung des ungenießbaren Garküchen-Tisches, und des Abends aus einem Dreier-Solo, oder wenn es recht sentimental hergeht, aus einer Parthie Plumpsack in der tabackdurchqualmten Resource bestehen. Ergo schloß der Major sein fein berechnetes Facit, ergo ist es am klügsten die Gräfin Schwester gänzlich aus dem Spiele zu lassen.
Der Major war mit seinem Selbstgespräch noch nicht zu Ende, als ein Fürstlicher Reitknecht von Habichtswalde eintraf, und ihm folgendes Billet überbrachte.
»Du nahmst neulich, lieber Bruder, Dein Portrait mit in die Stadt, um mir einen neuen Rahmen darum zu besorgen; hoffentlich ist dieser fertig, und in diesem Falle bitte ich Dich, das Portrait durch den Ueberbringer mir wieder zu übersenden. Die Prinzessin, die sich jetzt auf das Miniaturmalen mit der Lebendigkeit gelegt hat mit der sie alles Neue ergreift, und die früher Dein Portrait in meinem Zimmer öfters gesehen, ohne sich je darüber zu äußern, behauptet jetzt mit einemmale, daß Du nicht getroffen, sondern weit jünger, und – Du wirst das nicht übel nehmen – auch hübscher seyst; sie will daher nach diesem Bilde ein neues machen und behauptet mit etwas kecker Zuversicht, daß das ihrige viel ähnlicher sein werde. Dabei betreibt sie die einmal vorgenommene Arbeit mit solcher kindischen Hast, daß sie mir, als sie hörte, daß ich das Portrait Dir wegen des Rahmens hineingesandt habe, nicht eher Ruhe ließ, als bis ich einen Expressen abschickte, der es gleich mit herausbringen soll. Du weißt wie sie ist, wenn sie sich einmal auf etwas der Art verstürzt hat; also thue ihr nun schon den Gefallen und laß uns Dein Konterfey schleunigst zukommen. Die Fürstin scheint, ihrer Unpäßlichkeit wegen, jetzt nicht besonders gern Besuch zu sehen; komm daher in den ersten vierzehn Tagen, drei Wochen, lieber nicht heraus. Was Du mir zu sagen hast, kannst Du mir ja schreiben.«
Deine Friederike.
Der Major zitterte vor Freude und seliger Überraschung am ganzen Leibe. Der Hofmaler, einer der ersten Künstler seiner Zeit, war ein Stümper, die Prinzessin hatte Recht, er war viel jünger, viel hübscher, als ihn der Pfuscher hier hingepinselt hatte. Aloyse, der Engel, kann es nicht erwarten; sie schickt einen Eilboten, der über Stock und Stein zur Stadt gesprengt kommt, um seine geliebten Züge ihr hinaus zu holen; sie läßt es ihm schreiben, ihm durch die kalte strenge Schwester schreiben, daß er ein viel jüngerer, viel hübscherer Major sey, als ihn der schülerhafte Hofmaler auf das Elfenbein gestümpert hatte. Mit stürmischer Heftigkeit riß er das Bild von der Wand, packte es ein und fertigte den goldbetreßten Liebes-Kourier damit nach Habichtswalde ab.
»Was Du mir zu sagen hast, kannst Du mir ja schreiben.« So hatte die gefühllose Schwester ihre Zeilen geschlossen. Als ob die tausendfache Gluth, die dem Major zu Kopf und Herzen hinaus brannte, sich hätte auf das Papier gießen lassen. Er schrieb gar nichts, aber als beim nächsten Besuch, den ihm ein Bekannter abstattete, dieser fragte, wo sein Bild hingekommen, das bisher provisorisch über dem Büreau gehangen, da stand die Seligkeit, gern sprechen zu wollen und nicht zu dürfen, in des Majors rein verklärten Zuger deutlich geschrieben.
»Das Bild,« entgegnete er im Rausche des glücklichsten Entzückens, und rieb sich die Hände, »ist gut, ist sehr gut aufgehoben.« Der Fragende der dem Tone dieser Rede anhören mochte, daß es dem Major wohl that, dieß Kapitel weiter auszuführen, wollte ihn näher darüber aushorchen; allein der Major lachte, meinte, während er einen leichten selbstgefälligen Blick seinem blanken Vertrauten, dem Spiegel zuwarf, daß das ein kitzlicher halsbrecherischer Punkt sey, und hätte gar zu gern dem von der geschmeicheltsten Eitelkeit gepreßten Herzen Luft gemacht, wenn er nicht bei rechter Zeit nicht noch gefühlt hätte, wie gefährlich ihm und der Geliebten die Verlautbarung ihres beiderseitigen, zum tiefsten und wahrscheinlich zum lebenslänglichen Geheimnisse bestimmten Liebesverhältnisses werden könnte.
Schwester Friederike, die unausstehliche Neunmalklug, mißbilligte, wie er sich bei der zwanzigsten und dreissigsten Durchlesung ihres auf Schrauben gestellten Billets zusammensetzte, Aloysens Neigung offenbar. Er sprach, wo er hinkam, über der Fürstin Unpäßlichkeit; kein Mensch in der Residenz wollte davon viel wissen. Bestimmt hatte bloß die Besorgniß, daß er nun täglich nach Habichtswalde kommen, daß Aloyse ihre Neigung zu ihm nicht vorsichtig genug verheimlichen, daß die Fürstin Mutter die Sache entdecken, und daß Schwester Hofdame darüber in Ungnade fallen werde, dieser die Erwähnung jener Kränklichkeit blos als Vorwand in die Feder diktirt, und von Hochmuth und Liebe gedrängt, trabte er, des schwesterlichen Verbots ungeachtet, den dritten Tag schon nach Habichtswalde zu; aber er hatte kaum die hohen Thürme des prächtigen Schlosses vor sich, die sich in blauer Ferne mit ihren reich vergoldeten Kuppeln hinter dem dunkeln Laubdach des davorliegenden stillen Lustwaldes, majestätisch empor hoben, als ihm der Muth zu sinken anfing. Schwester Friderike war eine sehr bestimmte und sehr heftige Person; er mußte von ihrem unerbittlichen Eigensinn befürchten, daß, wenn er vor dem angesetzter Termine kam, sie in ihn dringen würde, gleich auf dem Fleck wieder umzukehren; bei solchen Gelegenheiten ergoß sie sich – das kannte er aus früherer Zeit – in einer Schärfe, in einer Bitterkeit, daß jedes ihrer Worte traf und einschlug, gewaltiger als eine glühende hundertpfündige Bombe. Er meinte bei sich, ein grundguter Mensch zu seyn und viel vertragen zu können, aber was zu viel sey, sey zu viel; Friederikens Art, ihn in das WachtelfeuerBekanntlich eine Erfindung von Vergueil, deren man sich zuweilen bedient, um vor dem Anfange eines Sturms, den Feind aus dem verdeckten Wege zu treiben. Die Granaten selbst, mit denen dieß Feuer bewirkt wird, heißen Wachteln, wahrscheinlich von dem Wachtelschlag-ähnlichen Zischen, mit dem sie zerspringen. zu nehmen, sey ihm von Kindesbeinen an unausstehlich gewesen. Noch einen Seufzer, noch einen Blick der Sehnsucht warf er hinüber in die paradiesischen Gefilde der stolzen Habichtswalder Schloßburg, lenkte sein Pferd und ritt mißmuthig nach Hause.
Am Chaußeehause überholte ihn die vierspännige Equipage des General-Landschafts-Directors. Nur Mama und Fräulein Tochter saßen im Wagen; hatte ihn sein Auge nicht getäuscht, so war es ihm gewesen, als hätte ihm Mama scherzhafter Weise gedroht. Sie kamen den Weg von Habichtswalde her! Was sollte denn das Drohen –? Sie hatten doch dort nicht etwa? – Er setzte beide Sporen dem Braunen in die Rippen und flog dem Wagen nach. Richtig; die dicke Generallandschaft drohte wieder sehr freundlich lachend, bog sich mit dem halben Oberleibe zur Chaise heraus, schrie, um das Raßeln des Wagens zu übertönen, aus Leibeskräften: »Wir wissen alles« und kreischte noch ein Mehreres, aber die vier Rappen eilten mit einem so satanischen Trabe in ihren Residenzstall zurück, daß der Chaußee-Kies die rasenden Räder ellenbreit umflog, und der Major vor dem Geklapper des Packbretts, das hinten losgegangen war und trotz des besten Stirnhammers spektakelte, kein Wort vernehmen konnte; er zuckte mit den Achseln und gab durch Pantomime zu verstehen, daß es ihm unendlich leid thue, sich gegen den ihm unbekannten Verdacht nicht rechtfertigen zu können. Mutter und Tochter aber schien es unmöglich, das, was sie auf dem Herzen hatten, darauf zu behalten, man rief also dem Major zu, daß er sein Pferd seinem Reitknecht an die Hand geben, und sich zu ihnen in den Wagen setzen solle. Das lärmende Packbrett ward festgenagelt, der Kutscher beauftragt, langsam zu fahren, und der Major nun, wie die Generallandschafts-Directorin es nannte, methodisch in das Gebet genommen. Erst holte sie sehr weit aus, meinte, daß er die letzte Zeit immer so zerstreut gegen seine alten Bekannten, so verschlossen, so kalt und in der letzten Zeit gegen alle Damen ihres gemeinschaftlichen Kreises so stolz gewesen und versicherte, daß sie jetzt, seit heute Nachmittag sich alles erklären könne; dann wünschte sie ihm zu diesem unermeßlichen Triumphe Glück, und zuletzt spielte sie die wohlmeinende Freundin und warnte und bat ihn um Gotteswillen, vorsichtig zu seyn, sich damit nicht zu überheben, das Gute, was ihm der Himmel bescheert, still und ruhig zu genießen, und nicht durch unnützes Prahlen, wodurch sich schon mancher junge unbesonnene Mann in ähnlichen Fällen geschadet, sich und den Engel auf immer und ewig unglücklich zu machen.
Der Major wollte vor Lachen immer aus dem Wagen fallen und betheuerte bei seiner Taille, daß er auch jetzt noch, nachdem dem Packbret der Mund gestopft, und der Chaussee-Spetakel beschwichtigt wäre, die Gnädigste nicht verstehe, daß sie von ihm durchaus ganz fremden Dingen spreche, und daß er sie daher um nähere Erklärung bitten müsse, diese aber lag in seinem ganzen Gesichte und war zur Verklärung geworden. Bestimmt hatte die Generallandschafts-Directorin von Aloysens Liebe zu ihm erfahren, vielleicht von ihr selbst! die dicke Generallandschaft war das Intelligenzblatt, der Anzeiger, das Adreßkomptoir der ganzen Residenz: was die wußte, wußte die ganze Stadt; morgen war es in allen Zirkeln der Hohen- und Mittelwelt bekannt, daß Prinzessin Aloyse mit dem Übermaaße ihres Liebreizes, mehr als gewöhnliches Wohlwollen und gnädige Fürstenhuld für den jungen, freilich sehr hübschen Garde-Küraßier-Major v. Bouslar empfinde. Er hörte morgen hinter sich hersprechen, vom gemeinen Volk: »das is der Prinzessin ihrer,« vom gebildeten Theile, »das ist der dreimal Selige, für den das Herz der schönen Fürstentochter Aloyse in seiner ersten Liebe erglüht.« Er sah stolze vornehme Männer sich ihm nähern, um seine Freundschaft, um sein Wohlwollen buhlen, denn sie kannten die Beziehung, in der er zu der himmlischen Aloyse stand, und deren Einfluß auf den fürstlichen Vater; er sah die Paar Stüfchen, die er vom Major aufwärts jetzt mit leichten Schritten zu steigen hatte; er sah sich sie im Geschwindschritt ersteigen und die kleine Regiments-Fronte vor der er bisher paradirt hatte, dehnte sich in eine unermeßlich lange fast unübersehbare aus; alle diese goldenen Träume flogen in dem Augenblicke an seiner trunkenen Seele vorüber; doch, der eben erhaltenen Warnung gegen das unzeitige Prahlen eingedenk, läugnete er standhaft, zu wissen, was die wohlbeleibte Landschafts-Directrice mit all ihrem Galimathias eigentlich sagen wolle, sein überseliges Gesicht strafte indessen die Lippen Lügen, und als die Generallandschaft, über sein beharrlich verweigertes Geständniß entrüstet, ihm mit den Daumenschrauben ihres Witzes schärfer zusetzte und ihm erzählte, daß sie mit ihren eigenen zwei Augen sein Bild im Zimmer der Prinzessin gesehen, daß es auf ihrem Arbeitstische gelegen, und daß Aloyse eine Kopie davon angefangen, in der er noch um einige Jahre jünger, und seiner wirklichen Schönheit unbeschadet, noch viel hübscher und idealisirter gezeichnet sey, so konnte der unermeßlich Eitele seinem Entzücken keine Gränze mehr setzen; er bat um Gotteswillen, davon Niemand zu erzählen, er schwor hoch und theuer, seiner Seits durchaus nichts gethan zu haben, daß diese ihm zwar unendlich schmeichelhafte, auf der andern Seite aber höchst gefährliche Leidenschaft habe rege machen können und begriff nicht, wie die Prinzessin so unvorsichtig seyn könne, aus der Sache keinen Hehl zu machen und Bild und Kopie so offen jedermann zur Schau auszustellen. »Nein, mein Major,« fiel ihm die Vertraute seines heiligsten Geheimnisses, seine süße Unruhe beschwichtigend in das Wort, »da thun Sie ihr Unrecht; wir wußten, daß der Hof heute nicht in Habichtswalde war; die ganze Familie hatte einen kleinen Ausflug nach Truschütz gemacht, um den dortigen Kanalbau in Augenschein zu nehmen. Wir gaben uns also mit Walhorns in Habichtswalde ein Rendezvous. Mein Ottilchen hier hatte das Innere der Zimmer im Schlosse noch nicht gesehen; die Kammerfrau der Prinzessin, eine Schwester unserer Jungfer, erbot sich, uns herumzuführen. Unter andern kommen wir auch in die Zimmer der Prinzessin. Ottilchen – sie ist dabei, aber ich kann es ihr in das Gesicht sagen – Ottilchen nimmt es im Zeichnen mit manchen Meister auf, aber als sie hier an der einen Wand die Polen- Crème –«
»Polychromen, die vielfarbigen Zeichnungen der Alten,« fiel ihr Ottilie verbessernd in das Wort.
»Ja,« fuhr die Mutter fort, »als Ottilie die sah; fing sie doch an, vor dem allergnädigsten Landeskinde Respect zu bekommen.«
»Es waren zwar,« versetzte die wohl unterrichtete Ottilie, »es waren zwar nur Versuche, welche die Schülerin verriethen, aber ich kann nicht läugnen, sie waren so fleißig, so kühn und geschmackvoll ausgeführt, daß sie selbst dem französischen Raphael, dem streng korrecten Poussin würden Freude gemacht haben; doch mag ich nicht in Abrede stellen, daß mir die Landschaften in Sepia, die über dem kleinen Blumentische hingen, noch besser gefielen; diese liebliche Melancholie, dieser milde Ernst, dieses einfach Große, düstere –«
»Kaum,« fiel der Tochter die Mutter, die dem Major wohl ansah, daß ihm Ottiliens gelehrte, sein bischen Wissen in Verlegenheit setzende Kunst-Tiraden nicht halb so sehr am Herzen lagen, als die Geschichte mit seinem Bilde, in das Wort, »kaum hörte die Kammerfrau an Ottilchens Reden die Kennerin, so äußerte sie, daß die Prinzessin jetzt eine Arbeit unter den Händen habe, die ihr gewiß die liebste seyn müsse, denn wo sie sich nur ein halbes Stündchen abmüßigen könne, da säße sie mit einem Fleiße und einer Lust dabei, daß man es ihr ordentlich ansehe, welche Freude ihr die Beschäftigung gewähre. Natürlich waren wir neugierig, diese Arbeit zu sehen, und vorzüglich bat Ottilchen, sie ihr zu zeigen. Eigentlich, meinte die Kammerfrau, dürfte sie das wohl nicht, indessen bei uns, als der gnädigen Herrschaft ihrer Schwester, könnte sie sich wohl eine Ausnahme von der Regel erlauben und so holte sie dann aus dem Schubfache des Zeichentischchens zwei Gemälde heraus; die Walhorn warf kaum einen Blick auf das Original, so schrie sie gleich laut lachend auf, das ist Bouslar und – die Copie – liebster Major – nein, die müssen Sie sehen, so etwas superdelikates –«
»Man sieht der Arbeit an,« nahm Ottilie das Wort, »daß sie con amore gemacht ist. Seidelmann war bekanntlich der erste, der in dieser Manier arbeitete; aber ich möchte ihm wahrhaftig Aloysen mit diesem Bilde an die Seite setzen; sie hat das Original, was unser Hofmaler recht brav gemacht hat, weit, weit übertroffen; das Bild spricht, die tausend sanften Punkte, aus denen es zusammengehaucht ist, geben ein Ganzes was ungemein anzieht; ungemein bezaubert. Es ist, als gösse der Vollmond sein mildestes, sein freundlichstes Licht über das Gesicht aus. Sie sind es, und sind es nicht. Diese Geistestiefe, diese klare Seele im Auge, dieser fast wehmüthige Ernst, dieses feingewebte Gemisch von Scherz und Gemüth, dieses Zartgefühl, verschwistert mit der männlichen Festigkeit, der edelste Stolz verschmolzen mit der anspruchlosesten Bescheidenheit – es ist kein Mensch mehr, es ist ein Ideal; ein Ideal der aufwachenden Liebe im jungfräulichen Herzen der Künstlerin, ein Phantasiegebilde der süßesten Träume; der erste Ausbruch der tief und heilig glühenden Leidenschaft, die dem Fernen mit der verschwenderischen Freigebigkeit ihrer Huld und Neigung einen Liebreiz andichtet, wie ihn noch kein Gott einem Sterblichen verliehen; ein Liebesgeständniß, was Aloyse in ihrer himmlischen Unschuld, ohne es selbst zu wissen, ihrer vielleicht einzigen Freundin, der Kunst anvertraut hat.«
»Und einen Orden hat sie Ihnen auch gegeben,« fiel die wohlgenährte Landschaft der Tochter prosaisch in die feurige Rede, doch war nicht abzusehen, welcher, denn die Kleidung war noch nicht fertig.
Der Major – er schwamm ja in einem Meere von Glückseligkeit, aber Ottiliens scharfe Worte, Sie sind es und sind es nicht – dann was sie da von der anspruchlosesten Bescheidenheit gesagt hatte – er hatte wohl den Stich gefühlt, und darum that er sich Gewalt an, und zwang sich, zu scheinen, als habe diese ganze Mittheilung den hohen Werth gar nicht für ihn, den beide Damen ihr beilegen zu wollen schienen. Er meinte trockenhin, das Portrait gehöre eigentlich seiner Schwester, wahrscheinlich habe die Prinzessin auf dem Lande lange Weile gehabt, und um sich die Zeit zu verkürzen, die erste beste Arbeit vorgenommen; zufällig sey ihr sein Portrait, von dem sie früher oft behauptet, daß es zwar ziemlich, aber doch nicht ganz ähnlich sey, in die Augen gefallen, und da habe sie den Versuch machen wollen, ob sie das Fehlende aus dem Stegreife ergänzen könne, und um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, wendete er sich an Ottilien mit der Frage, was denn eigentlich die Sepia sey, »in meiner Jugend hörte ich oft wohl, schloß er sichtbar verlegen, und bemüht nur zu reden, um etwas zu reden, von venetianischer Seife – das ist doch wohl nicht –«
»Nein,« entgegnete Ottilie fast verlegener als er, und bewunderte im Stillen jetzt nur noch mehr Aloysens Kunst, diesem Kopfe Geist und Verstand in jenem Grade angehaucht zu haben; »Sepia ist ein Fisch, derselbe, der in ihre Pfeifensammlung manchen schönen Meerschaumkopf geliefert hat, denn diese Masse auch ossa sepia genannt, ist das kalkartige Rückenschild, welches mein Fisch, der auch Black- und Dintenfisch heißt, jährlich abwirft; habe ich den lateinischen Namen recht gemerkt, so nennen die Ichthyologen das sonderbare Thier, Polypus Octopus.«
» Octopus.« wiederholte der Major heimlich verlegen, und fingerte unten an seinen Sporen herum, um sein Gesicht nicht Preis zu geben, denn in diesem stand geschrieben, daß ihm Ottiliens Polypen reine böhmische Dörfer waren.
»Die Tusche aber,« fuhr diese fort,»die unter dem Namen Sepia bekannt ist, besteht aus einem Gemisch der dunkelbraunen Galle dieses Blackfisches mit Bister.«
»Bister?« fragte der Major, und fühlte sich in einem ganz fremden Felde.
»Ja,« erwiederte Ottilie belehrend, »das ist ein Rußschwarz, eine Farbe aus gekochtem Ofenruß und Gummi; mein Blackfischchen,« setzte sie mit einem etwas scharfen Seitenblick auf den Major hinzu »ist überhaupt ein kurioses Thier, sein Mund ist fast dem Papagay-Schnabel ähnlich; haben die Fische eine Sprache unter sich, so schwatzt er gewiß sein Kauderwelsch, wie Papchen unter den Vögeln, und dabei ist er, wenn ich unsere Fähnriche ausnehme, die selbstgefälligste Kreatur unter der Sonne. Seine Eitelkeit kostet ihm Freiheit und Leben.«
»Wie das?« fragte Bouslar erschrocken, denn ihm war, als säße er in der Generallandschafts-Halbchaise der Vielwisserin, Ottilien gegenüber, vor der heiligen Pythia selbst, um aus ihrem Munde seine dunkle Zukunft zu hören! er ahnte in diesem Augenblicke, daß auch ihm das eitle Glück, von einer Fürstentochter geliebt zu werden, Freiheit und Leben kosten könne.
»Die Kinder an den Küsten des Mittelmeers,« antwortete die unterrichtete Ottilie, »fangen den Sepia, dem Blackfisch, lediglich durch seine Eigenliebe; sie lassen kleine Spiegel in die Meeresfluthen hinab, und kaum sieht der Fisch sein Bild in diesem, so stürzt er darauf hin, saugt sich betaumelt vor Freude, sein Ich zu sehen, mit den tausend und vierzig Rüsselchen, die das zehnarmige insektenartige Thier vorn am Kopfe hat, an den Spiegel und umklammert diesen so fest, daß er selbst dann nicht los läßt, wenn die Kinder den Spiegel aus dem Meere heraufziehen, und noch jetzt Mühe haben, den Gefangenen vom Spiegel los zu bekommen.«
In diesem Augenblick passirte der Wagen den äußersten Schlag der Residenz; der Major, durch Ottiliens frühere und jetzige Rede sonderbar getroffen, war sehr ernst geworden. Er hatte über Alles so viel zu sinnen und zu denken, daß er hier im Wagen unmöglich länger aushalten konnte; erbat daher, aussteigen zu dürfen, setzte sich auf sein Pferd, ersuchte; von der Furcht, daß ihn das Schicksal des Blackfisches treffen und er am Ende das Gespött der Kinder werden könne, hart gepreßt, nochmals den besprochenen Vorfall gegen keinen Menschen weiter zu erwähnen, und ritt höchst tiefsinnig nach Hause.
Sonst – immer der erste Gang zum Spiegel, und sich viertel Stunden lang von allen Seiten besehen, und an Locken, Bart, Halsbinde, Kragen und dergl. tausend Kleinigkeiten arrangirt. Heute – die verdammte Geschichte mit dem Dintenwurm – es war; als glühe die Diele vor dem Spiegel, er konnte nicht davor stehen bleiben – und doch – hatte Ottilie nicht gesagt: »Sie sind es und sind es nicht?« hatte sie nicht von Geistestiefe, klarer Seele, wehmüthigem Ernst, von Scherz und Gemüth, von Zartgefühl, männlicher Festigkeit, edlem Stolze und dergl. gesprochen? War das alles nicht in seinem Gesichte, so konnte es Aloyse auch nicht in ihre Kopie legen! Die Neugierde, alle jene von Ottilien gerühmten Eigenheiten in seiner Physiognomie aufzufinden war zu groß, er mußte sich darauf einmal recht ordentlich ansehen.
Zweimal, dreimal, setzte er an, sich vor den großen Trumeau in seinem Gastzimmer zu stellen. Aber Ottiliens prophetische Worte: »Seine Eitelkeit kostet ihm Freiheit und Leben« ließen ihn nicht nahe heran treten; er nahm daher, halb verstohlen seinen ovalen Barbierspiegel, und analysirte nun, nach Ottiliens Kompendium, sein Gesicht, Geistestiefe –? klare Seele –? er suchte lange, wo das beides sitzen sollte, konnte es aber platterdings nicht finden – doch – dummes Zeug – das hatte, merkte er jetzt, die Kunstbegeisterte nur figürlich gesprochen, Geist und Seele – beides kann man ja nicht sehen!
Wehmüthiger Ernst? – er machte ein Gesicht, als gebe er Befehl, einen seiner Gardeküraßiere auf die Latten legen zu lassen und meinte, darin den Ernst zu finden; die Wehmuth hatte er aber ganz deutlich, er dachte an die vierzig Friedrichsdors, die er neulich in Einem Abende in Rouge et Noir verspielt hatte.
Scherz –? o ja, damit konnte er aufwarten; er hatte neulich mit Kriegsministers Kammermädchen, einem allerliebsten Kinde, gescherzt; er spielte die Scene in Gedanken durch, sah dazu in seinen Barbierspiegel, und bemerkte, daß er wirklich recht scherzhaft aussehe.
Gemüth? – weg damit – so was kann man nicht greifen, das ist nicht körperlich; und was man nicht greifen kann, das kann man auch nicht sehen. Gemüth – das ist bloß ein Kunst-Ausdruck, weg damit. –
Zartgefühl –? o ja. Oberstallmeisters Philippine hatte ihm vor acht Tagen auf dem Balle beim Oberkammerherrn auf sein Hünerauge getreten, und er fühlte es heute noch; er schnitt ein gottesjämmerliches Gesicht in das Spiegeloval, und nickte Ottilien seinen Beifall im Stillen zu, daß sie die Züge in Aloysens Kopie so gründlich studirt hatte.
Männliche Festigkeit –? nu, nu, wenn die ein Gardemajor nicht haben sollte! Donnerwetter – doch – bei diesem schweren Unglückswort fiel ihm Ottiliens Rede vom Blackfisch ein; wie dieser mit 1040, so hat auch er den Spiegel mit seinen zwei Händen umklammert, wie diesem, dem Spiegel gegenüber das letzte Stündlein geschlagen, so ahnte auch er, daß er aus der ganzen Prinzlichen Liebesgeschichte keine Rosen erblühen sehen werde, und er legte jetzt selbst wie vom Donnerwetter erbebt, das verhängnißvolle Spiegelchen bei Seite, seinen eigenen Leichnam aber noch bei hellem lichten Sommerabende zu Bette, und dachte an nichts, als an sein Mißgeschick, von diesem fürstlichen Engel geliebt zu werden. Er konnte ja nicht dafür, daß sich alle Mädchen, sogar das erste im Lande, in ihm verlieben mußten.
Während dieses lautlosen Monologs, ließ die Generallandschafts-Directorin im vertrauten Kreise einiger Freundinnen, welche sich an demselben Abende nach der gewöhnlichen Sitte des Hauses, um ihren Theetisch versammelten, die Geschichte mit dem Bilde los, und am folgenden Morgen schon war diese, obgleich jedes das andere bat, eine so delikate Mittheilung mit der höchsten Diskretion aufzubewahren, und sie nicht weiter zu verbreiten, entstellt und vergrößert in allen Kreisen der Residenz herum.
Als der Major auf die Parade kam, fand er lauter andere Gesichter; die, welche nicht begreifen konnten, wie ein so streng erzogenes, ein so kluges, verständiges Mädchen dieses höchsten Ranges für diesen leeren eiteln Mann nur im Entferntesten eine Art von Wohlwollen hegen könne, begegneten ihm kalt und verschlossen, die, welche durch ihn und seine geträumte Verbindung irgend einen Vortheil für sich zu erringen hofften, höflich und zuvorkommend, und die, welche in ihm einen neuen Beweis vom Zauber einer blanken Uniform erkennen lernten, und im Stillen auf gleich glückliche Eroberungen durch diesen Talisman spekulirten, traulich, cordial. Manche seiner nähern Bekannten warfen scherzende Stichelworte von wahrscheinlich baldigem Avancement hin, andere ängstlichere meinten, daß er ein sehr gefährliches Spiel spiele, und wieder andere fragten mit theilnehmender Neugierde, wie das alles gekommen. Gegen die Mehrzahl äußerte er, aber immer mit einem Gesichte, was seiner Rede widersprach, daß er nicht wisse, was sie wollten; den gediegenern Freunden aber betheuerte er bei Seele und Seligkeit, daß er nichts dafür könne, daß er durchaus nichts dazu gethan, daß er mit sich selbst nicht im Klaren sey, ob er sich zur ganzen Sache Glück wünschen solle, und daß ihm ganz unbegreiflich sey, wie ein solches Geheimniß, das eigentlich nur Aloyse und er wissen sollten, so stadt- und landkundig habe werden können; er konnte wohl ahnen, daß die Generallandschafts-Direktorin den Lärm geblasen, aber, wenn er auch that, als sey ihm die Offenkundigkeit der ganzen Geschichte höchst verdrießlich; so war er doch der dicken Frau darum nicht böse, denn – das sah er in seinem selbstgefälligen Dünkel wohl deutlich – die Leute hatten jetzt vor ihm viel mehr Respekt, als sonst; er ward in Zirkel geladen. in die er sonst nie Zutritt gehabt hatte; mehrere ärmlich pensionirte Beamten-Wittwen schickten ihm ihre niedlichen Töchter zu um durch seine und, wie sie zur Bemäntelung ihrer Bitte hinzusetzten, durch seiner Schwester Fürsprache, Anstellung als Kammerfrauen, Silberwäscherinnen oder ähnlich dienende Hofgeister zu erhalten, und der pfiffige Spekulant, der Herr Hoflieferant Schnelletti, der bisher nicht gewußt hatte, daß ein Major v. Bouslar in der Welt sey, kam jetzt unter weit hergeholtem Vorwande, bat um seine Freundschaft, und unterstützte das wohlgemeinte Gesuch durch ein Dutzend Flaschen Champagner; Bouslars Onkel aber, ein alter, in der Regenten-Geschichte von ganz Europa tüchtig bewanderter Geheimer Rath, der auch wohl von dem Gerücht gehört, doch viel zu viel Takt hatte, um daran glauben zu können, seinem windbeuteligen Herrn Neffen indessen Dummdreistigkeit genug zutraute, sich wirklich einzubilden, daß er mit seiner Personage einer Prinzessin unwiderstehlich sey, nahm ihn am nächsten Sonntage, wo der Major sammt der ganzen Sippschaft seit Menschengedenken allemal des Mittags bei ihm speiste, nach seiner Art in das Gebet, d. h. er that, als wisse er von der ganzen Sache kein Wort, sprach von höchst gleichgültigen Dingen, kam dann auf die Zeitungen, von diesen auf den und jenen Hof, verlor sich in dessen frühere Geschichte, und wußte nun eine Menge Fälle zu erzählen, wo der und jener, der in älterer Vorzeit sich gleicher Verhältnisse zu der oder jener Prinzessin wirklich zu erfreuen gehabt, oder sich deren nur gerühmt hatte, ohne Weiteres geköpft oder gehangen worden war. Dem Major verging Essen und Trinken; die eng zusammen gerödelte Halsbinde fing an ihn zu würgen; er lüftete sie zwei, dreimal mit zitterndem Finger, und sah aus, als stäke er mit dem ganzen Kopfe in einer Gewitterwolke, so schwül, so bänglich ward ihm zu Sinne.
»Es schmeckt Dir nicht, Sander,« sagte der alte Oheim, sich in seinen historischen Auseinandersetzungen unterbrechend, mit gastlicher Aufmerksamkeit, »Du bist vielleicht durch die Fürstliche Tafel verwöhnt; wahrscheinlich speist der Herr Major jetzt, seit der Hof draußen ist, oft bei Schwester Fritzchen in Habichtswalde?«
»O nein,« entgegnete Alexander von Bouslar vom Schreck über das Wort »Habichtswalde,« glühroth übergossen und scharrte, aus Dankbarkeit für das Wohlwollen des freigebigen Wirths mit beiden Füßen unterm Tische, nahm die bereits auf den Rand des Tellers zurückgelegten Knorpel des Kälberfrikaßee's, zermalmte sie mit heimlich knirschenden Zähnen, und aß sie hinter mit Stumpf und Stiel, denn der Onkel konnte sehr empfindlich werden, wenn die Leute, wie er es nannte, seinen Tisch verachteten, und ihn böse zu machen, war nicht räthlich, denn er hatte viel Geld und keine Kinder.