H. Clauren
Die Gräfin Cherubim
H. Clauren

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Zweytes Bändchen.

Der Vicomte.

Der Fürst, der in der Regel in der Residenz schlief, war heute zeitiger als gewöhnlich in Habichtswalde; er ging, ohne die Fürstin in ihrem Morgenschlafe stören zu wollen, in den Park, bestellte sich das Frühstück auf die Schwaneninsel, und trug Aloysens Kammerfrau auf, ihre Herrin zu rufen.

In der letzten Zeit immer bleichen und trüben Gesichts, schlaff in ihrer Körperhaltung und fast schleichend im Gange, kam frisch und blühend, wie der heutige Sommermorgen selbst, Aloyse durch die Blumengänge geflogen, sprang in die Gondel, fütterte im Überfahren die sechs stolzen Schwäne, die sie auf beiden Seiten eskortirten, und gewohnt waren, aus dieser kleinen milden Hand ihr Morgenfutter zu erhalten, wand sich durch das blühende Buschwerk der Insel, das im Millionen-Funkel seiner Thaujuwelen sich huldigend ihr entgegenneigte, trat in der ganzen Fülle ihres lebendigen Jugendreizes vor ihren fürstlichen Vater und Herrn, und küßte ihm kindlich die Hand.

Der Vater gestand sich im Stillen, das Mädchen nie schöner gesehen zu haben. Er äußerte ihr mit sichtbarem Wohlgefallen seine Freude, daß ihr die Landluft so wohl bekomme, und warf einen dankbaren Blick in die blühenden Umgebungen und in die erquickende Azurbläue des Himmels, daß sich ihre Heilkraft an seinem Kinde so wohlthätig bewährt habe. Aloyse aber lächelte heimlich über die schuldlose Täuschung des gütigen Vaters; denn nicht die Gewürzdüfte der sie umblühenden Kräuter, Bäume und Blumen, nicht der Balsam der reinen Landluft – Klorindens gestriges Abendgespräch, und die wunderlichen Träume dieser Nacht hatten ihr frisches Blut in das Herz gebracht, hatten ihre Wange mit dem zartesten Roth überhaucht, und neues Feuer in das schmachtende Auge gegossen.

Der Fürst rief den Gondelier, der Aloysen auf die Schwaneninsel herübergefahren, zu, daß er an das jenseitige Ufer zurückfahren und dort warten soll, bis er werde gerufen werden, und verkündete, durch den, diesen Befehl motivirenden Zusatz, daß dergleichen Leute gern zu horchen pflegten, und man hier auf der stillen Insel jedes Wort hören könnte, der darob in sichtliche Verlegenheit gerathenden Tochter, daß hier etwas gesprochen werden solle, was nicht Jedermann hören dürfe; sie hatte sich nicht getäuscht.

Nach einer Art von festlichem Eingange, in dem ihr der Fürst die Bestimmung des weiblichen Geschlechts, ihr Alter und der Eltern billigen Wunsch auseinandersetzte, sie einmal an der Hand eines ihnen allen willkommenen Gatten zu sehen, und bei dessen ersten Worten schon der kleinen Prinzessin vor Angst der Athem verging, rückte er mit der Eröffnung heraus, daß der Erbprinz Konradin, aus einem entfernten höchst achtbaren Hause, durch den Vicomte Barbou unter der Hand habe anfragen lassen, ob er sich Hoffnung auf die Erlaubniß machen dürfe, sich um Aloysen zu bewerben.

»Der Erbprinz Konradin?« fragte Aloyse, und es war ihr, als schwanke die ganze Insel unter ihren Füßen.

»Er ist,« begann der Vater, dem der schmerzliche Ton dieser Frage nicht entging etwas verstimmt, »von Dir im Alter zwar etwas verschieden –«

»Er muß ein Vierziger seyn,« fiel ihm Aloyse mit einer raschen Aufwallung in das Wort, die ihren Widerwillen gegen den Vorschlag nur zu laut verrieth –

»Nun ja –« entgegnete der Fürst etwas verlegen – fünf bis sechs und vierzig Jahre kann er wohl alt seyn, indessen ist es, so viel mir bekannt, noch ein gesunder rüstiger Herr, und über seine ausgezeichnet glückliche Ehe mit seiner ersten Gemahlin, ist nur Eine Stimme. Unstreitig wird er jetzt im Kurzem zur Regierung gelangen, und der Thron, den er dann mit Dir theilen würde, ist einer der geachtetsten unserer Zeit. Du wirst selbst fühlen, wie schmeichelhaft dieser Antrag für Dich, uns und unser kleines Land ist, und die Vortheile, die letzterm aus dieser Verbindung erwachsen können, sind so mannichfach und so berücksichtigungswerth, daß ich von Dir im Voraus um so mehr alle Bereitwilligkeit, in diese Anträge einzugehen, erwarten darf, als Du wohl wissen wirst, daß eine Fürstentochter für ihr Herz keine so reiche Auswahl hat, als die Mädchen anderer Stände, und als, wenigstens so weit ich die jetzt heirathsfähigen Prinzen unserer sämmtlichen Höfe kenne, ich keinen Einzigen weiß, der Dir unter glänzendern Aussichten seine Hand bieten könnte, als der Erbprinz. – Ich hatte – ich kann Dir das jetzt sagen – ich hatte früher einmal Hoffnung, Dir eine Verbindung zu bewirken, gegen die Du, hinsichtlich des Alters wenigstens keinen Einwand zu machen gehabt haben würdest; allein nähere Nachrichten, die mir zu Ohren kamen, mußten in mir die Besorgniß erregen, daß Deine reine unentweihte Hand einem Manne zu Theil geworden wäre, der ihrer nicht ganz würdig sey. Ueber Deinen Anstoß an dem Unterschied zwischen Deinem Alter und dem des Erbprinzen wirst Du indessen um so eher Dich wegsetzen können, als sich selbst in den niedern Ständen oft Mädchen mit viel älteren Männern verbinden, und doch recht glücklich leben. – Ich werde,« setzte er nach einer Weile, von den Thränen gerührt, die Aloysen vom gesenkten Köpfchen auf den Blumenstrauß am Busen tröpfelten, mit gedämpfter Stimme hinzu, »ich werde Dich nie zu einer Verbindung zwingen, die Deiner Neigung entgegen ist; du sollst in Deiner Wahl durchaus freie Hand behalten; aber wenn Du keine triftige Gründe hast, eine Parthie auszuschlagen, die uns nur erfreuliche Aussichten auf Deine Ehre und Dein Lebensglück und auf das Heil unsers ganzen Landes verspricht, so versehe ich mich zu Deinem Pflichtgefühl, daß Du von einer unzeitigen Schwärmerei, oder wie ich die etwas romanhafte Ansicht nennen soll, die Du von Liebe und Ehe zu haben scheinst, Dich nicht wirst verleiten lassen, den Wünschen zuwider zu handeln, die der Erbprinz und sein Hof mir durch den Vicomte haben kund thun lassen; – das Unerwartete der Sache scheint Dich etwas überrascht zu haben. Ich will Dich wegen Deiner Erklärung nicht übereilen. Die Sache liegt so, daß wir uns Zeit nehmen können. Es handelt sich jetzt noch nicht um Dein Ja oder Nein; die Initiative der mir vom Vicomte gemachten Eröffnung ist nur darauf gerichtet, zu wissen, ob man bei einem dereinst zu machenden förmlichen Antrage auf eine beifällige Erklärung rechnen dürfe; ich lasse Dir daher gern einen ganzen Monat Bedenkzeit, frage, natürlich ohne den Zweck Deiner Erkundigungen errathen zu lassen, wenn Du willst über den Erbprinzen; wir haben ja mehrere Familien hier, die dort bekannt sind, und Dir über seine Person und über seine guten wie über seine etwanigen Schattenseiten, die nöthigen Details werden geben können; prüfe Dich und den zu nehmenden Entschluß ruhig und mit Rücksicht auf das, was Du uns, Dir, Deiner Stellung und dem Manne schuldig bist, der Dich durch seine bis jetzt noch geheime Wahl ausgezeichnet hat, und dann sprich Deinen Willen aus. Solltest Du dann Gründe haben, Dich ablehnend zu erklären, so wirst Du sie mir angeben, und finde ich sie hinlänglich vorhaltend, so werde ich selbst einen schicklichen Vorwand auszufinden bemüht seyn, die vorläufigen Einleitungen auf eine uns unnachtheilige Weise abzubrechen. – Die Fürstin weiß bis jetzt noch kein Wort davon, ward mir selbst doch gestern erst darüber vom Vicomte die erste Mittheilung gemacht; ich gehe jetzt, um sie deßhalb in Kenntniß zu setzen. Sprich mit ihr nachher darüber und bitte Dir ihren mütterlichen Rath aus.«

Mit diesen Worten drückte der Fürst Aloysen die Hand, rief den Gondelier zu, fuhr hinüber, und überließ Aloysen ihren Hoffnungen und Besorgnissen, ihrem Schmerze und ihrem Kummer.

Sie warf sich, als der Vater fort war, auf das dunkelumbuschte Gartensopha und weinte sich das gepreßte Herz aus. Mit welcher Heimtücke hatten sie die Träume dieser Nacht betrogen; sie wähnte sich das unglücklichste Mädchen unter der Sonne. Sie schmollte mit der ganzen Welt; selbst auf Klorinden war sie böse. Sie hatte ja die thörige Neigung für Ewald aufgegeben; sie hatte ja längst schon erkannt, daß es eine ihr selbst unbegreifliche Kinderei gewesen war, einen Menschen zu lieben, den sie sich eigentlich selbst geschaffen hatte, der von ihr nur idealisirt worden war, der nie existirte; sie hatte diesen ehemaligen Liebling ihrer Phantasie vergessen; sie hatte ihn hassen gelernt, weil Frau von Bouslar das Bild, was von ihm in ihrer Seele lebte, mit den allergiftigsten Pinselstrichen zu entstellen meisterhaft verstanden hatte, und nun mußte gestern, gerade gestern Abend Klorinde kommen und den Heiligen ihrer jungfräulichen Liebe ihr wieder makellos hinstellen; er war ihr dadurch seitdem noch theurer geworden, denn sie sah ihn als den duldenden Märtyrer ihres übereilten Verdammungsurtheils an; sie hatte ihm abzubitten, sie hatte das ihm zugefügte Unrecht wieder gut zu machen; die Liebende ward zur Büßerin, und der Glorienschein des unschuldigen Dulders spielte ihr mit noch hellerem Strahlenglanze als zuvor in das thränenschwere Auge. War Klorinde gestern Abend nicht da, so wußte sie das alles nicht; sie hätte eine Art von kleinem Trotz darin gefunden, den Mann ihrer Träume, der ihrer namenlosen Liebe gar nicht würdig war, aufzugeben, und, um sich selbst zu beweisen, wie geheilt sie von der lächerlichen Schwäche sey, ihm gut gewesen zu seyn, dem Erbprinzen sich zuzusagen. – Der Vater war so kalt, so bestimmt gewesen! Das, was er von ihrer freien Wahl gesagt, blieben, bei näherer Beleuchtung der Sache, ja doch nur leere Worte, durch deren wohltönenden Schall sie zu dem Selbstbetrug verlockt werden sollte, als dürfe sie wirklich nur nach ihrer Neigung handeln, Mit wem sollte sie sich berathen? wen konnte sie fragen? Die Familien hier, deren der Vater erwähnte, wußten im Geheimen bestimmt schon, was von Seiten des Erbprinzen im Werke sey, denn was der Art bleibt an den Höfen verschwiegen! und natürlich hörte sie nichts, als die schmeichelhaftesten Lobeserhebungen seines Karacters, seiner Vorzüge, vielleicht auf Kosten der Wahrheit! Am liebsten aber wäre ihr gewesen ein rechtes Schreckbild von ihm zu erhalten; dann hätte sie doch sogenannte vorhaltende Gründe gehabt, Nein zu sagen! aber wer hätte ihr gegenüber gewagt, einen solchen Schattenriß zu liefern, selbst, wenn der Erbprinz in eben dem Grade werthlos gewesen wäre, als er, zu ihrem Unglück, des aufrichtigsten Lobes und der unbedingtesten Achtung würdig war. – Mit der Mutter sollte sie sprechen? Was konnte ihr diese rathen und helfen? durfte sie ihr, durfte sie denn einen Menschen in der Welt den eigentlichen Stein nennen, der ihr im Wege lag? durfte sie denn hintreten, und, ohne den gerechten Spott jedes Unbefangenen zu fürchten, sagen: ich habe mir von einem hübschen Prinzen in der Nachbarschaft etwas vorschwatzen lassen, und unter diesem mir ein Wesen gedacht, wie es seyn und aussehen müsse, wenn ich es lieben solle, dieses Wesen habe ich Ewald getauft; die stillen Träume meiner heimlichen, meiner ersten Liebe haben mich zu diesem Unbekannten hingezogen, wie der fromme Wahn die Klosterjungfrau zu den Füßen ihres Heiligen. Ich fürchte selbst, daß ich von der Krankheit, die mich mit ihren süßen Giften verzehrt, geheilt seyn würde, sobald ich diesen Ewald sähe, denn gewiß ist es ein ganz anderer, als ich ihn tausendmal in den Visionen meiner seligen Verzückungen gesehen, und bestimmt spricht er ganz anders, als ich ihn, umdunkelt von den Träumen der lautlosen Mitternacht, tausendmal habe sprechen gehört – aber, – um des Spaßes willen, möchte ich fast sagen, wenn die Sache nicht gar zu ernsthaft wäre, – im Ganzen möchte ich doch wissen, ob, und in wie weit die Wirklichkeit hinter meinem Phantasiegebilde zurückbliebe; macht also, Ihr Menschen, die Ihr mir sagt, daß Ihr mir gut seyd, daß Ihr mich liebt, macht, daß ich ihn von Angesicht zu Angesicht sehe, und enttäuscht mich dieser Versuch, so will ich noch vor seinen Augen dem Erbprinzen meine Hand geben. Lebt aber das Gefühl in seiner Brust, das – sie lächelte über ihren sich selbst gespielten Betrug – das ich hineingesenkt, tönen die Worte von seinen Lippen, die ich ihm in unserm ungehörten Zwiesprach in den Mund gelegt, strahlt wirklich in seinem Flammenblick das Feuer seiner Gegenliebe, das ich darin gelesen, so müßt ihr mir nicht verargen, wenn ich ihn an die Spitze meiner vorhaltenden Gegengründe stelle, und zum Erbprinzen ein vernehmliches Nein sage. – Der Vater – was wollte er mit der Verbindung, die er im Plane gehabt, und gegen die ich, hinsichtlich des Unterschiedes im Alter, gewiß keine Ausstellung gemacht haben würde, die aber – sprach er nicht von nachtheiligen Gerüchten, die ihm nachher zu Ohren gekommen. – Sollte er damit Ewald gemeint – ihr verging der Athem bei dem Gedanken! Bestimmt hatte man auch bei dem Vater den Schuldlosen verschwärzt! und er hatte Niemand, der ihn rechtfertige, Niemand der ihn vertheidige, und von der Zurücknahme dieses Verdachtes hing doch ihr ganzes Lebensglück ab. – Sie legte beide Hände auf die gepreßte Brust, und sann, wie und durch wen sie Ewalds Ehre und guten Namen bei dem Vater retten könne; aber mit schmerzlicher Empfindung gewahrte sie, wie allein und verlassen sie stehe. Mit wem konnte sie darüber sprechen? Wen konnte sie dazu wählen? In einem Monate sollte sie sich bestimmt erklären! Sie wußte dann eben nicht mehr, als heute! Sie mußte dann Ja sagen, und eine Verbindung eingehen, in der sie für ihr ganzes Leben auf das Glück der Liebe verzichtete! Alles, nur keine Prinzessin möchte ich seyn, sagte sie, mit ihrem Geschick zerfallen, heimlich zu sich selbst, als sie über den spiegelglatten See wieder nach dem Schlosse zufuhr, und hätte viel darum gegeben, wenn sie das Diadem ihrer Fürstenherrlichkeit mit all seinem Schimmer und all seiner Pracht, in das Tiefste der Krystallfluthen hätte versenken dürfen.

Auf dem Heimwege begegnete ihr Agathe, und erzählte ihr mit freudeverklärtem Gesicht, daß nun Alles in Ordnung wäre, daß sie nächsten Sonntag mit Martin werde aufgeboten werden, und daß Aloyse es sey, deren Güte sie Beide ihr Glück ewig zu verdanken hätten. »Sage Martin,« hob Aloyse, ihres Schmerzes kaum mehr mächtig, an, »daß er mir, wenn ich sterbe, mein Grab mauere; das soll mir sein bester Dank seyn!«

»Mein Gott und Herr,« erwiederte Agathe erschrocken, »wie mag eine so junge und so schöne Prinzessin, die ja Alles vollauf hat, wie mag die an das Sterben denken!« Aloyse aber ging, ohne zu antworten, und zürnte mit sich selbst, daß ihr das Wort entschlüpft war, denn sie konnte wohl voraussehen, daß Agathe das weiter herum bringen, und ihr heimlicher Kummer, den ja Keiner wissen sollte, bald zum Stadtgespräch der Residenz werden würde.


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