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Die patriarchalische Häuslichkeit als Betriebsfeld. – Freie Liebe. – Qualitätskinder? – Heiratstatistik. – Ländlich-sittlich. – Aufruf an unsere Matronen. – Die Ehe als Beruf. – Zwei Beispiele aus besseren Tagen.
Um das deutsche Mädchen von einst und jetzt, das heißt jenes oft genannte schöne Geschlecht um 1850 mit unseren Mädchen seit etwa 1890 vergleichen zu können, muß man freilich von der Häuslichkeit, wie sie früher einmal als Aufgabe, als Betriebsfeld bestand, einen vollen Begriff haben. Viele hören es ja nur mit ungläubigem Staunen, daß es eine Zeit gegeben habe, wo nicht nur Spinnrocken und Webstuhl jeder Haushaltung vertraut waren, sondern sogar die Künste des Lichtziehens, der Bierbrauerei, der Essig- und Stärkebereitung im Eigenbetrieb geübt wurden. Von deutschen Gutshöfen und Pfarrhäusern zu schweigen: jeder bürgerliche Haushalt, auch in den kleinen Landstädten, bildete, als wir noch zu vier Fünfteln aus Landbevölkerung bestanden, eine vielgestaltige Werkstatt zur Herstellung von Verbrauchsgütern mit Viehhaltung, Nutzgarten und Vorratskammer. Jeder zwölf- oder vierzehnjährigen Haustochter klirrte schon Mutters großer Schlüsselbund am Gürtel; die Mutter zu vertreten, sie abzulösen, war der größte Stolz, der höchste Ehrgeiz der Heranblühenden. Denn jenseits aller jener sich von Mutter auf Tochter vererbenden Fertigkeiten begannen erst die noch wertvolleren Geheimnisse des Einteilens, Ausgebens und Sparens. Darum hatten jene Mädchen ganz allgemein das Bewußtsein, eine wichtige Aufgabe zu beherrschen, und damit das erhebende Gefühl ihrer Nützlichkeit. Es ist auch nicht richtig, daß die Mädchen von dazumal so heftig auf den Mann hätten warten müssen. Was heutigen Diakonissen etwa die Krankenpflege gewährt, viele Hunderttausende jedoch unruhig und vergeblich suchen, das schenkte den meisten Töchtern vor zwei Menschenaltern die Familienhäuslichkeit als selbstverständlich: ein pflichtenreiches, ausgefülltes, gesegnetes Dasein.
Die moderne Gewöhnung, die alles beim Kaufmann einholt und es gar nicht mehr anders weiß, hat unsern Mädchen jenen sicheren häuslichen Boden unter den Füßen weggezogen. Von den früheren weiblichen Beschäftigungen des Bürgertums ist eigentlich nur das Kochen, das Knopfannähen und Reinmachen übriggeblieben. Das füllt keine leeren Stunden, das löscht keinen seelischen Durst. Und weil auch noch so hartnäckiges Romanlesen, Klavierüben, Blumenmalen, Schnitzen oder Metallbeizen kein Genüge schufen, deshalb streben die Ziel- und Beschäftigungslosen von Hause fort, stenographieren oder »tippen« sie, wo sie früher stickten und schneiderten, erlernen sie statt Obst- und Hühnerzucht die Buchhaltung oder legen Prüfungen ab. Allein gewisse »altmodische« Frauen murren dagegen: sie ließen sich nicht täuschen und wüßten gut genug, was das alles bedeute. »Sie hat jetzt ihren eigenen Beruf« heiße nichts weiter als: »Sie hat jetzt ihren eigenen Hausschlüssel.«
Und leider ist es nur zu wohl beobachtet, wie mit der größeren Selbständigkeit und Freiheit auch laxere Anschauungen in bezug auf Mädchenreinheit eingerissen sind. Schon mancher Halbwüchsigen springt heute der Einwand über die Lippen: sie hätte ja sterben können, ohne ihr Leben genossen zu haben. Also genießen, »sich ausleben«, so früh und so gründlich wie möglich! Wenn gewisse Aufklärer immer noch Lanzen für die »freie Liebe« einlegen, so muß man sagen: sie rennen offene Türen ein. Es gibt kein zweites Land, wo trotz aller Drangsalierung der Prostitution, und vielleicht gerade deshalb, die freie Liebe eine derartige Ausdehnung hat wie bei uns. Kein zweites Land auch, wo Moralschwatz und Prüderie solche Orgien gefeiert hätten und noch feiern, während gerade diese Redseligsten von Deutschland alltäglich den Fehlschlag ihrer Bemühungen verkünden und ihre gänzliche Überflüssigkeit hierdurch dartun.
Die Vorgeschrittensten leugnen es heute ab, schuld gewesen zu sein; und sicher haben sie jene Losgelassenheit niemals ausdrücklich empfohlen. Aber sie haben bisher auch nichts dazu getan, um in den Mädchengehirnen die Vorspieglung hintanzuhalten: das der Naturabsicht irgendwie entfremdete Ausnutzen der Sexualkraft bedeute eine Zunahme der Persönlichkeit, ja eine wirtschaftliche Stärkung, weil die Betreffenden dadurch erst lebensklug, modern, charaktervoll würden und Eigenschaften erlangten, die auch der heiratende Mann von heute zu schätzen wisse.
Der Hygieniker, dem Reinheitspflege die oberste Schönheitspflege bleibt, wird hierin lieber unmodern als ungesund sein wollen. Jedenfalls kann, ehe diese Dinge nicht grundsätzlich geklärt sind, an eine Zunahme der Frauenschönheit unter uns gar nicht gedacht werden. Darum sei es in dürren Worten ausgesprochen: jene geistreiche Berlinerin, die vor hundert Jahren schon die Männer auslachte, weil sie einen so übertriebenen Wert auf Mädchenunschuld legten, verdiente nicht, angehört zu werden. Sie war wirtschaftlich zu ungebildet, um den Vorteil aufgespeicherter Kraft, die ein unverdorben heiratendes Mädchen in die Ehe mitbringt, oder den Schaden zu ermessen, den ein angeführter Mann erleidet, wenn er ein Weib mit heimlich verbrauchter Sexualkraft nimmt. Dann stöhnt wohl ein Hüne, der außer Apothekerrechnungen und Unkosten für Badereisen nichts von seiner Gattin hat: »Herr Doktor, ich hab' in meinem Leben nur eine Dummheit gemacht, aber die reicht hin; das war, als ich heiratete.« Umgekehrt ist frische Gesundheit nicht nur Lebensfreudigkeit, nicht nur eine anthropologische Zukunftsgewähr, sondern zugleich wirtschaftlich das wertvollste Anlagekapital. Nimmermüde Ausdauer, die Gabe, jeder Witterung ungeschwächt zu trotzen, die Fähigkeit, Nachtruhe zu entbehren und mit Pflanzenkost vorliebzunehmen – was für wichtige Vorbedingungen siegreicher Konkurrenz, schnellen Erwerbes und Aufstieges! Vergebens schmeichelt man den sexuell vorzeitig Angebrauchten, es sei viel besser so, als daß ihre Kraft in einer kinderreichen Ehe vergeudet worden wäre; später, wenn sie auf der Höhe ihrer entwickelten Persönlichkeit heirateten, würden sie der Nation durch Züchtung eines »Qualitätskindes« unschätzbare Dienste leisten. In ernsthaften Kreisen glaubt kein Mensch an solch ein Qualitätskind, zumal kein Arzt. Erfahrungsgemäß gedeihen die besten Rassekinder dort, wo die Frauen noch von alter fruchtbarer Art sind, und nicht etwa die einzigen Kinder, sondern die jedesmaligen dritten haben laut unseren Bevölkerungstabellen die größte Lebenskraft.
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Allein schon hör' ich die Frage: Spielt denn für deutsche Mädchen die Ehe überhaupt noch eine Rolle? Diese für unsern Zweck recht wichtige Frage will beantwortet sein.
Nach dem Familienstandsregister vom 1. Dezember 1910 gab es in Deutschland 32,8 Millionen weiblicher Wesen; davon standen rund 11½ Millionen im ersten bis sechzehnten Lebensjahr; etwa 7 Millionen waren reif und ledig (über sechzehn Jahre), 11½ Millionen verheiratet, 2½ Millionen verwitwet.
Nimmt man alle Reifen für sich, so waren also von rund 21 Millionen im ganzen 14 an den Altar getreten. In dieser Zahl hat man die heutigen Eheaussichten, die durch keine schief angelegte Statistik verbessert werden können. Von je 21 reifen Mädchen blüht 14 die Aussicht, früher oder später unter die Haube zu kommen. Das Verhältnis stellt sich also zugunsten der Ehe wie zwei Drittel zu einem Drittel.
Setzen wir die alljährlich zur Wahl Stehenden – wenn wir von den Witwen nur die Hälfte als noch heiratslustig berechnen – mit 7 + 1¼ = 8¼ Millionen an, so hat bei rund einer halben Million alljährlicher Heiraten etwa die sechzehnte von dieser Schar Aussicht, noch in demselben Jahr aufs Standesamt zu gehen. Von den übrigen kommen, wie gesagt, rund zwei Drittel im Lauf ihres Lebens nach und nach, leider meistens viel zu spät, daran. Ein Drittel aber sinkt auf ihrer irdischen Pilgerfahrt ledig ins Grab.
Aus dieser Statistik geht so viel hervor, daß die Aussichten auf Heirat für unsere Mädchen nicht gerade verzweifelt genannt werden können, aber auch nicht so günstig, daß man berechtigt wäre, allen Reifen und Überreifen ein kategorisches »Wartet!« zuzurufen. Denn dieses Warten dehnt sich für die große Mehrzahl heute so lange, daß nur zu viele von ihnen abgeblüht sind, bevor sie den Ehehafen erreichen. Es vollzieht sich außerdem unter Umständen, die gegenüber den früher einmal vorhanden gewesenen außerordentlich ungünstig liegen. In der alten Häuslichkeit durfte man den Mädchen das Warten zumuten, weil sie ja in ihr eine ausfüllende, segensreiche Tätigkeit fanden. Seit sie entschwand, haben sich die Beraubten wohl durch die allerverschiedensten Surrogate zu helfen gesucht; aber diese neuen Tätigkeiten entbehren sämtlich des Haltes, den die Familie verlieh. Gerade die gebildeten Töchter wünschen sich einen Außenberuf, und die Gerechtigkeit gebietet hinzuzufügen, daß es ja in den meisten Fällen gar nicht mehr ein Elternhaus ist, was sie verlassen, sondern höchstens eine Mietkaserne.
In den breiten Schichten wieder kommt in Ansehung der Mädchenreinheit ein Besonderes hinzu: daß nämlich hier der Umgang zur Ehe führt, nicht umgekehrt, wie es bei Bildung und Besitz die Sitte fordert. Bauern und Fabrikarbeiter pflegen zu heiraten, weil es für ihre Genossin die höchste Zeit dazu wurde. Da es nun nicht gut angeht, das biedere Landvolk als den Hort aller Tugend, als unsern biologischen Jungbrunnen, als unser bestes gesundheitliches Aktivum zu preisen und in dem gleichen Atem, auf Grund vorhandener Statistiken über ländliche Bräute, als den Pfuhl aller »sittlichen Verkommenheit« zu schmähen, so sollte umgekehrt der Schluß gezogen werden, daß die Moral überhaupt in diese Dinge gar nicht hineingehört, weil sie selbst bei gewaltigem Aufwand an Lungenkraft und Entrüstung bisher nicht das mindeste ausgerichtet hat und auch späterhin nie das mindeste ausrichten wird. Unbekümmert um alle Redensarten geht die auf Arterhaltung bedachte Natur ihren Gang. Von der halben Million jährlicher Ehen in Deutschland kann man reichlich zweihunderttausend als dazu geschlossen annehmen, um einen baldig erwarteten Nachwuchs zu legitimieren; hundertachtzigtausend unehelicher Kinder jedoch bedeuten, daß der richtige Zeitpunkt zur Heirat verpaßt wurde oder Erwerbsverhältnisse einen Aufschub notwendig machten.
Trotz allen diesen Tatsachen aber, trotz allem Verständnis für die Gründe heutiger Mädchenungeduld, trotz allem Gefühl für das Schwergewicht wirtschaftlicher Entwicklung, trotz aller Unterscheidung zwischen ursprünglichem Landesbrauch und nachträglicher Sittlichkeit kann der Hygieniker, der zur Frauenschönheit gelangen will, nicht aufhören, Mädchenreinheit zu fordern. Darum bleibt nur ein Ausweg übrig: die Hebung der inneren Reinheit durch vorbildliche Leibeszucht, die erfahrungsgemäß in den Mädchen die Triebe herber Selbstbehauptung und Abweisung kräftigt. Alle anderen Werte haben getrogen. Sind aber die gebildeten Mädchen auch an Zahl nur gering, so belohnt sich die gesundheitliche Arbeit an ihnen doch zehnfach, weil sie für andre das Muster abgeben und je nach ihrer Haltung veredelnd und stärkend oder lockernd und schwächend nach unten hin weiterwirken.
Möchten sich deshalb in diesem Notkampf um Rückerlangung gesunder Grundlagen für unsern Mädchenwuchs endlich alle jene wohlwollenden älteren Frauen auf unsere Seite stellen, die der Entwicklung der Dinge bisher nur kopfschüttelnd und bekümmerten Herzens zugesehen haben. Auch sie konnten ja nicht umhin, in der allzu frühen, allzu freien Liebe, sofern sie als Betonung individuellen Anrechtes einen großartigen Fortschritt bedeuten sollte, vielmehr die Gefahr einer Aushöhlung der Mädchenkraft zu erblicken. Auch wenn also der in diesen Blättern schon mehrfach gewiesene Weg straffer Leibesübung durch kräftigen Freiluftsport bei reizloser Kost ihnen zunächst ungewohnt und mit seinen Aufgaben lästig sein sollte, sie müssen ihn dennoch endlich wählen, denn er allein führt empor. Er allein vermag den heutigen Mädchen jenen Schlaf der Sinne, jene Freude an schnippischer Abwehr, jenes Fernbleiben ankränkelnden Phantasielebens, jenen Stolz auf ihre Unberührtheit zu verleihen, die einst in der Mutter Obhut von selber gediehen.
Jeder human Empfindende zwar wird jedem reifen weiblichen Wesen die Genugtuung gönnen, seine naturgewollte Bestimmung zu erreichen, und was vierundzwanzigjährige Mädchen, die sich völlige wirtschaftliche Selbständigkeit errungen haben, in dieser Hinsicht mit sich anfangen, müßte ihre Sache bleiben; Gabriele Reuter hat ihnen diesen Weg gewiesen. Wenn dagegen Mädchenreinheit an sich auch fernerhin als etwas Unwesentliches, als überholt und rückständig bespöttelt werden, wenn jene stillen, ruhigen Mädchengesichter mit dem bezaubernden Lächeln der Unschuld unter uns verschwinden sollten, damit aus den Glotzaugen der Zwölf- und Zehnjährigen schon, wie so häufig in den Straßen Berlins, die Frechheit der Wissenden uns angrinst – welch einen tiefen Sturz, von dem es kein Erholen mehr gibt, würde dann die deutsche Rasse getan haben!
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Blickt man wieder auf die Eheziffer allein, auf die Tatsache, daß 11½ Millionen verheirateter Frauen unter uns leben, und weitere 2½ Millionen, die verheiratet gewesen waren, so leuchtet es ein, daß die Ehe auch heute noch für das zarte Geschlecht von einer Wichtigkeit ist, mit der sich kein anderer Lebensberuf auch nur im entferntesten vergleichen kann. Freilich arbeiten auf dem Lande reichlich anderthalb Millionen Bauernfrauen auch in der Außenwirtschaft mit, wie sie nur können, doch in den Städten überwiegen die ledigen Erwerbstätigen bei weitem, und es sind nur 447 947 Ehefrauen (nach der Berufszählung von 1907) hauptberuflich in Industrie und Bergbau tätig. So bleiben 8-9 Millionen Gattinnen übrig, die vorwiegend ihrer Häuslichkeit leben. Nur ein kleiner Teil von diesen sucht gelegentlich auch Lohnarbeit.
In Amerika ist die Ehe ein sehr bequemer Beruf, weil die Frauen dort – zumal in Arbeiterkreisen – die Lasten der Kindeshaltung so weit wie möglich auf den Mann abgeschoben haben. Weshalb »drüben« beide Teile, Mann wie Weib, gegen Nachwuchs zu sein pflegen, was Roosevelt bekanntlich »Rassenselbstmord« genannt hat, ohne doch den eingerissenen biologischen Unsinn im Verhältnis der beiden Geschlechter zu durchschauen und preiszugeben. In Deutschland dürfte eine frische und blühende verheiratete Frau, die sich Kinder wünscht, weil sie noch von der echten Art ist, auf keine Weise daran zu hindern sein, welche zu bekommen. Darum sollte man doch, statt Unkenrufe über den »Geburtenrückgang« auszustoßen, lieber beharrlich versuchen, die Zahl der Frauen zu vermehren, die sich auf die Mutterschaft freuen, denen das Austragen der Frucht keine Beschwerden verursacht, die leicht niederkommen und gern auch ihr Kind an die Brust nehmen, weil sie es gut können und es ihnen eine Lust gewährt.
Will man solche Frauen haben, so muß man die Zahl der Mädchen vermehren, die sich zu gesunder Blüte stark und makellos entwickeln.
Will man solche Mädchen haben, so müßte man die Kleinen früh Gymnastik treiben lassen, sie gesund kleiden und bewegen, sie nicht durch verkehrte Kost und sonstige Lebensunsitten verderben.
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Ziehen wir jetzt ein Fazit in Ansehung des Ewig-Weiblichen, das zur echten Ehe führt, so kommen wir zu folgendem Schluß:
Es gibt in Deutschland immer noch, zumal im Mittelstand, Kreise, wo das einstige schöne, warmsinnliche, aufopferungsfähige Wesen weitergrünt; es gibt hier und da sogar noch Beispiele der alten wildkatzenartigen Aufsässigkeit und Unbändigkeit; es gibt auch Reste wirklicher Fruchtbarkeit gleich den letzten Beständen an Urwuchs auf der Kuppe eines unvernünftig abgeholzten Berges. In den Fabrikstädten freilich werden die kleinen Kinder heute, wo es irgend angeht, von der »Oma« aufgezogen, die noch vom Lande stammt und der heiratenden Tochter in die Stadt gefolgt ist. Sie ist noch »kinderlieb«, die Kleinen hängen an ihr. Die Tochter selbst, erpicht aufs Verdienen, denkt viermal an ihre Federhüte, wenn einmal an ihre Kinder. Sie eignet sich zur »Oma« nicht mehr und wird auch kaum in die Verlegenheit geraten, Enkel aufziehen zu müssen, weil ihre Töchter, wenn sie deren hat, dann schon vorgeschritten genug sind, um sich gegen die unerträglichen Beschwerden der Mutterschaft zu schützen. Breitschultrig, breithüftig, mit einem etwas müden, verstehenden Lächeln in dem gütigen Antlitz, gehören jene Seltenen zu einem hinwegsterbenden Geschlecht, für das der Leichenstein ganz allmählich fertig wird und für das ich die Grabschrift wüßte: »Ausgerottet von der Zivilisation.«
Sollen wir es beklagen oder nicht, daß mit ihnen auch das ehemalige, in der Mutter Obhut aufblühende, mit allen möglichen Tugenden und Schönheiten geschmückte, freilich auch oft etwas unselbständige und leidsame deutsche Mädchen als Typus unwiderruflich dahingeht? Frauen, die vor einem oder schon vor zwei Menschenaltern Mädchen waren, beglückwünschen zuweilen die weibliche Jugend von heute, weil sie nicht mehr so gefühlvoll, sondern kälter und nüchterner sei. Jene einstige Gutherzigkeit war jedoch mehr als bloße Weichheit gewesen, sie entsprang einem Überschuß an Kräften; daher das Bedürfnis, mit vollen Händen zu geben. Heute fürchtet man zu sehr, solche liebenswürdigen Schwärmerinnen gerade wegen ihres Mangels an Berechnung, ihrer lebensgefährlichen Weltfremdheit später einmal als ausgenutzte und übersehene »Weibchen« wiederanzutreffen. Mögen aber Jünglinge, die auf Bällen mit den Händen in den Taschen herumstehen, ohne zu tanzen, das einstige deutsche »Magedein« noch so witzig verhöhnen, ihre Schwestern wissen den Wert dieses verloren gegangenen Stiles zu schätzen und suchen ihn laut einem Kenner nachzuahmen »mit jener natürlichen Verschämtheit, die ein junges Mädchen nur durch langdauerndes training lernt«. Um die Jahrhundertwende kam das neue Wesen auf: salopp und welk. Man wollte gar nicht schön sein im früheren Sinn und dachte wie der alte Hofschurke Polonius: »Liebreizend? Eine üble Redensart, eine niederträchtige Redensart!« Man wollte auch nicht gesund sein, sondern »dekadent«, weil das interessanter machte. Weitverbreitete illustrierte Blätter änderten damals ihren Schönheitsbegriff und zeichneten junge Mädchen ohne Muskulatur und ohne Rundung. Das war modern, denn die Mode selbst schuf Blusen, die auch bei hübschen jungen Trägerinnen so aussahen, als ob diese tatsächlich welk wären. Nur gewisse Kunstrichtungen zogen dauernden Vorteil, und eitel Freude herrschte in ihren Werkstätten, weil »heutzutage ein Modell keinen guten Akt mehr zu haben braucht«.
Frischen wir das Gedächtnis des Ewig-Weiblichen lieber durch zwei Beispiele aus früheren Zeiten auf. Adalbert von Chamissos Urteil über die Gattin seines Bruders Karl haben wir schon kennen gelernt; seine eigene Braut Antonie, die er 1819 heimführte, schildert er als »blühend und stark, schön und fromm, rein und bewußtlos, klar, wolkenlos und heiter, ruhig, verständig und froh, und so liebevoll!« Sieben Kinder erhöhten das Glück dieses Hauses, die Wonne des Zusammenlebens. Als Gegenstück zu der bürgerlichen Mutter des berühmten Deutschamerikaners aber (im dritten Kapitel) möge der Nachruf dienen, den ein Großer dieser Erde, der Freiherr vom Stein, seiner Gattin Wilhelmine, geborenen Gräfin von Walmoden, gewidmet hat. Er lautet wie folgt:
»Der Inhalt ihres ganzen Lebens war Glaube, der durch die Liebe tätig ist; aus diesem entsprangen die Tugenden, die die Verewigte zierten:
Seelenadel, Demut, Reinheit, hohes Gefühl für Wahrheit und Recht, Treue als Mutter und Gattin, Klarheit des Geistes, Richtigkeit des Urteils – sie sprachen sich durch ihr ganzes vielgeprüftes Leben aus und verbreiteten Segen auf alle ihre Verhältnisse und Umgebungen.
Besaß sie gleich in ihrer Jugend eine ausgezeichnet edle, schöne Gestalt und lebte sie in den Zerstreuungen der großen Welt, so gab sie doch nie auch das leiseste Gehör den Verführungen der Eitelkeit und Gefallsucht, sondern war immer die fromme, zarte, treue Tochter, Schwester und Gattin, in gleicher Reinheit und Anspruchslosigkeit.«