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Geringschätzung der Robustheit. – Wahre Lebenskraft. – Das »gesunde, blühende Mädchen«. – Stockender Stoffwechsel. – Passive und aktive Beschleunigung. – Wäschewringen – Landarbeit. – Was ist Sport? – Notwendiges Einüben. – Staatsmädel. – Sportlehrer Kränzlein. – Turnen. – Unterschied zwischen Gymnastik und Sport. – Kniebeugen und Hanteln. – Systeme der Zimmergymnastik. – Lawn-Tennis. – Leichtathletik. – Zweirad. – Wintersport. – Schlittschuhlaufen in der »guten alten Zeit«. – Knetung runder Arme.
Man darf sich freilich nicht wundern, wenn feine Damen vor der vierschrötigen Stärke, wie sie der Steinträger, der Bierfahrer, der Tierbändiger nötig haben, eher Abscheu hegen. Sie glauben nicht an die Gelegenheit für sie, durch solche Robustheit zu wirken, und die das gleich der Akrobatin tun, machen in diesen von Brünhilt so weit abliegenden Tagen einen unweiblichen Eindruck. Da es nun andrerseits auch für veraltet gilt, allein durch Erscheinung, Anmut der Bewegung, weibliches Temperament bezaubern zu wollen, die neuzeitliche Tendenz vielmehr dahin geht, durch Entfaltung geistiger Vorzüge zu fesseln, so vermag der Hygieniker die hehre Schutzpatronin, von der er alles erhofft: die Kraft, nur auf Umwegen dem weiblichen Empfinden näher zu bringen.
Das Mißtrauen, dem sie wegen ihrer einseitigen Deutung als bloßer Muskelstärke begegnet, ist unbegründet. Jene Leistungsfähigkeit beim Heben, Tragen, Stoßen, Ziehen und bei Bezwingung der Stärke eines andern bildet ja nur einen kleinen Teil der vielgestaltigen Kraft; weit wesentlicher ist an ihr das gesunde Arbeiten aller Organe, der großen Drüsen, des Herzens, der Haut, des Gehirns und der Sinneswerkzeuge, die Fähigkeit, unermüdet bei jedweder Beschäftigung standzuhalten und Schädigungen schnell ohne Nachwehen auszugleichen; kurz die gesteigerte Energie aller Lebensvorgänge.
Der bedauerlich heruntergekommene, fast rein negativ gewordene Begriff der Gesundheit als des Fernseins von Leiden, die ins Krankenhaus führen, hat es verschuldet, daß jene soeben geschilderte allgemeine Lebenskraft etwas Fremdes, Unwichtiges oder gar Unbekanntes geworden ist. Von ihrer begrifflichen Mißhandlung infolge tief gesunkener Ansprüche an Tauglichkeit mag folgendes Beispiel aus meiner großstädtischen Praxis dienen, das, wenn es auch um Jahrzehnte zurückliegt, doch die heutige hygienische Denkweise des Durchschnittes gut beleuchtet. Eine besorgte Mutter klagte mir Nach meinem Bericht im »Goldenen Buch der Gesundheit«.: »Sehen Sie, Herr Doktor, meine Else ist doch ein so gesundes, blühendes Mädchen … woher hat sie nur diesen ewigen Kopfschmerz? Es vergeht kein Tag, daß sie nicht klagt und wimmert; es ist manchmal kaum anzuhören. Stundenlang liegt sie auf dem Sofa, will nicht reden, nicht lachen, nicht lesen, nichts, will nur stillliegen, und sie ist doch so blühend und gesund! … Ich glaube, das kommt bloß daher, weil sie so wenig ißt. Sobald wir uns an den Tisch setzen, bitt' ich: ›Elschen, iß doch was!‹ Aber sie! Keine Suppe, keinen Braten rührt sie an, höchstens mal was Pikantes. Herrgott, was hatten wir Mädels zu unserer Zeit für einen Appetit! … Wäre sie noch kränklich. Aber sie ist doch so gesund und blühend! Und noch eines: Warum schläft sie eigentlich nicht? Nachmittags mal auf dem Sofa ein Stündchen, aber im Bett? Da wälzt sie sich nur herum. Ich kann Licht machen um elf, ich kann Licht machen um ein Uhr … ›Elschen, schläfst du?‹ ›Nein, Muttchen, ich kann nicht einschlafen.‹ Woran liegt das bloß? Sie ist doch so blühend und gesund! Und hat fortwährend Kopfschmerz und kann nicht essen, nicht schlafen … Ja, richtig, verstopft ist sie auch immer. Was haben wir nicht schon alles angestellt! Saxlehner? Den halben Apothekerladen hat sie ausgetrunken. Nichts will mehr helfen. Ich hab' ihr Einläufe gemacht bis zu anderthalb Litern, alles umsonst. Das mag wohl sein … Sie verstehen mich, seit einem Jahr hat sie es nun, ganz unregelmäßig freilich, aber wenn die Tage kommen, was das arme Kind dabei auszustehen hat, läßt sich gar nicht beschreiben. Und sie ist doch so gesund und blühend!«
Es zeigte sich, daß dieses angeblich so gesunde und blühende Fräulein mit der üblichen Blutentmischung und einer Anlage zu schwammiger Fülle noch kein bereits ausgesprochenes organisches Leiden aufwies. Sie war nur gleich so vielen Mitschülerinnen falsch ernährt, falsch bekleidet, falsch beschäftigt, falsch oder gar nicht bewegt. Man kann aber nicht behaupten, daß ihre lästigen und quälenden Beschwerden irgend etwas der Schönheit Verwandtes an sich hatten oder auch nur dazu beitrugen, das Opfer interessant zu machen. Denn im allgemeinen plagen solche Ärmsten bald auch ihre Umgebung und werden aus Leidenden »unleidlich«.
Ziemlich allgemein hat sich nun in der Wissenschaft die Ansicht durchgesetzt: es handle sich bei derartigen Unzulänglichkeiten darum, daß die tätig gewesenen Organfasern sich nicht von den durch die Gewebsarbeit (Funktion) erzeugten Umsatzprodukten reinigen, sondern daß infolge trägen Stoffwechsels gewisse Unluststoffe als Reste, die zuweilen sehr schwer abzuschieben sind, innerhalb der Organzellen zurückbleiben und, wie bei Gehirn und Muskeln, bei der nächsten Funktion Schmerz verursachen oder, wie beim Darm, ganze Tage lang die Funktion aufhalten.
Nachdem dies erkannt war, lag es nahe, den trägen Stoffwechsel zu beschleunigen, die Ausscheidung der steckengebliebenen Umsatzreste zu befördern. Man kann dies im ganzen auf viererlei Weise erreichen:
1. indem man die Organe ganz stillstellt und ihnen keine fernere Arbeit zumutet, in der Hoffnung, daß sie es in dieser Pause durch Mangel an geliefertem Nachschub fertig bekommen, ihre angesammelten Reste loszuwerden;
2. passiv durch einen von fremder Hand verursachten Umsatz, den man als Knetung (Massage) bezeichnet, oder durch Anwendung richtig bemessener galvanischer Ströme;
3. indem durch Zuleitung von Wärmereizen wie im Römischen Bad eine Aufregung des Herzens bewirkt und starker Schweiß herausgetrieben oder, wie im Seebad, ob warm ob kalt, durch eine Mischung thermischen und chemischen Reizes der Stoffwechsel befördert wird;
4. indem man beschleunigte Herztätigkeit aktiv durch scharfe Bewegung hervorruft.
Jede dieser vier Arten hat ihren besondern Wert. Die Ruhe wirkt reinigend nur bei wirklich voraufgegangener Überanstrengung, durch die die physiologisch notwendigen Erholungs- und Erneuerungspausen ausfielen; die Knetung ist sehr willkommen zur Unterstützung, wird aber leider viel mißbraucht, um sich die Mühe der eigenen Arbeit am Wohlsein zu sparen; das Schwitzbad gewährt seinen größten Nutzen, wo Leidende tatsächlich daran behindert sind, sich lebhaftere Bewegung zu machen.
Dagegen ist die vierte, aktive Methode die eigentlich hygienische und unter allen Umständen vorzuziehen, wo nicht eine der drei ersten ausdrücklich, etwa durch ärztlichen Spruch, geboten war; gerade wie der ökonomische Mensch am besten tut, das, was er für den Tag braucht, sich selbsttätig zu erwerben, statt es (wie beim Schwitzbad) vom Kapital zu nehmen oder (wie bei der Knetung) von andern zu borgen.
Halten wir uns an diese aktive Beschleunigung des Herzschlages, diese ausgiebigere Durchströmung aller Organe mit erneuerndem und wegführendem Lebenssaft, so gilt es, unter hundert Möglichkeiten doch das zur Schönheit leitende Prinzip festzuhalten.
Es kommt ja heute nur noch sehr selten vor, daß der Beruf selbst auch Frauen Gelegenheit zu scharfem, ausgiebigem Stoffumsatz bietet. Viele sind wohl der Meinung, daß ihnen im Hause mehr Bewegung zugemutet wird, als ihnen lieb ist. Aber sieht man genauer hin, so erweist sie sich als hygienisch ungenügend, weil sie in mehr oder minder dumpfer, womöglich gar verunreinigter Stubenluft vor sich geht, während nur die frische Außenluft den Umsatz in erwünschter Weise fördert.
Hier merkt man wieder einmal mit Bedauern den Verfall der alten Hauswirtschaft, die bei Gartenarbeit, bei Wäsche und Bleiche Herz und Lungen ganz anders herannahm. Welch eine wichtige, für Schönheit und Gesundheit gleich sehr bekömmliche Tätigkeit bildete früher das Wäschewringen (Tafel XIII). Die hübschen runden Unterarme, mit denen die vorletzte Frauengeneration geschmückt erschien, waren zweifellos das Ergebnis von Jahrtausenden, während deren deutsche Frauen an Bach oder See Wäsche geklopft und gewrungen hatten. Bei diesen Beschäftigungen wurden genau die Muskeln geübt, die dem Vorderarm seine Fülle gaben. Man blicke nur auf die oft herkulischen Arme, die kräftige Studenten sich bei fortgesetztem verhängten Fechten heranziehen, das gleichfalls an jene Rollmuskeln die höchsten Forderungen stellt. Einen Berg Wäsche durchzuwringen war eine ganz gehörige Arbeit, bei der die Arme der Mädchen die gleiche strotzende Blutzufuhr genossen wie der Arm des Fechters. Heute gibt es in den Städten überall nicht nur Waschanstalten, sondern auch Wasch- und Wringmaschinen, die selbst den berufsmäßigen Wäscherinnen gerade das, was an ihrer Tätigkeit stärkend war, abnehmen.
In der Landwirtschaft am ehesten, beim Graben, Heumachen, Garbenbinden, werden auch heute noch weibliche Kräfte gestählt. Indessen vergleiche man mit diesen uralten Hantierungen die Tätigkeit einer »Punktiererin« in der Druckerei, wie sie täglich ihre acht bis zehn Stunden hintereinander Blatt um Blatt einpassen muß, damit es die Maschine abrollen kann. Augen und Nerven werden angestrengt, doch außerdem nur die wenigen Muskeln, die zum Vorwärtsbücken in Tätigkeit treten, ein für Blutumlauf und Gewebserneuerung ganz unzulänglicher Dienst, der denn meistens auch früh schon zu Bleichsucht und Nervosität hinführt. Was aber haben eine Knopfmacherin, eine Pappschachtelarbeiterin, eine Zigarrenwicklerin und hundert andere vor jener Punktiererin voraus?
Das einfache Ergebnis ist, daß, was die Hauswirtschaft und die Nähe einer den Menschen viel inniger umgebenden Natur einst wie von selber zur Kräftigung und Schönheit des weiblichen Körpers beitrugen, heute auf Umwegen durch allerlei Vorrichtungen und Einrichtungen ersetzt werden muß. Die beiden wichtigsten und zum Glück in Frauenkreisen sich einer wenn auch noch schwachen, doch zunehmenden Beliebtheit erfreuenden Tätigkeiten heißen Gymnastik und Sport.
Sie bedeuten durchaus kein Entweder – Oder. Vielmehr werden sich die Dinge vernünftigerweise so stellen, daß die bescheidnere Zimmergymnastik das Alltägliche, Dauernde bleibt, während der weit reizvollere, doch auch schwerer zu habende, kostspieligere, zeitraubende und fast nur in Gemeinschaft zu betreibende Sport froh sein muß, die Gymnastik als Vorbereitung und Ergänzung zu besitzen.
Leider hat die Verschwommenheit neueren Sprachgebrauches die Anwendung jenes dem Herzen aller Natur- und Menschenfreunde teuren Wortes in einer Weise gedehnt, daß nachgerade jede Liebhaberei, die aufkommt, wie unlängst das Sammeln von Reklamemarken, als »neuer Sport« bezeichnet und belächelt wird. Gegenüber solchem Unfug müssen die Hauptmerkmale des eigentlichen Sportes betont werden. Sie bestehen:
1. im Betreiben an freier Luft, weshalb der Ausdruck »Zimmersport« an sich mißverständlich ist;
2. im Antreten freier Persönlichkeiten zum Wettspiel;
3. in der Pflege der Leibesübung um ihrer selbst willen.
Dieser dritte Punkt bedeutet, daß der Sport außer auf Zeitvertreib auf eine Veredlung des Menschenleibes ohne irgendwelche pekuniären Vorteile abzielt. Hier ist neuerdings eine gewisse Verwirrung eingetreten, die erwähnt werden muß, weil die Inhaber der vorgeschrittensten Technik einer bestimmten Spielart erfahrungsgemäß leicht in die Versuchung kommen, diese Technik unmittelbar für den Lebenskampf verwerten zu wollen und auf Ausübung eines weiteren bürgerlichen Berufes zu verzichten. Auch darf man das nicht einmal bedauern. Denn die nationale Sache gewinnt durch solche Ausgezeichneten mehr, als sie durch Einreihung von ein paar weiteren Bürgern in irgendwelche Dutzendstellungen gewinnen könnte. Sie wirken durch ihr Beispiel vorbildlich und anfeuernd auf Hunderttausende junger Menschen, die niemals auf den Gedanken verfallen, aus dem Sport einen Lebensberuf zu machen. Und sie sind uns zur Vertretung bei internationalen Wettkämpfen unentbehrlich, weil kein Volk sich auf die Dauer durch eine fortlaufende Reihe beschämender Niederlagen befriedigt fühlt, selbst wenn vor gewissen Allzustrengen durch diese Niederlagen der Beweis erbracht wurde, daß beim Üben »das rechte Maß eingehalten« worden war. Die öffentliche Meinung wird ganz im Gegenteil darauf dringen, daß deutsche Sportbeflissene genau so streng geschult werden wie die fremden, gegen die sie antreten sollen, damit wir bei den entscheidenden Wettspielen mit Ehren abschneiden.
Darum ist es, wenn Badeverwaltungen den Glanz ihrer Tennisturniere zu erhöhen und sich die Mitwirkung gewisser feiner Damen zu sichern wünschen, nicht zweckmäßig, diesen lieblos nachzurechnen, wieviel ihnen über die Tageskosten hinaus vergütet worden sei. Die Zeit wird bei gutem Willen aller Beteiligten die Grenzen zwischen Liebhaberei und nährendem Beruf schon genügend feststellen; dann wird der Charakter des Sports als der neben dem Militärdienst wichtigsten Einrichtung für die höchsten biologischen Zwecke nur um so heller scheinen.
Der zweite Punkt meiner Sportcharakteristik wird manchen Müttern vielleicht Bedenken erregen, insofern sie gar nicht beabsichtigen, daß in ihren Töchtern, weil sie sich auszeichneten, körperlicher Ehrgeiz aufflamme. Sie besorgen, daß dann die Studien vernachlässigt werden könnten, durch welche die Berechtigungen für ein selbständiges Fortkommen im späteren Leben errungen werden.
Dieser Konflikt bereitet dem Hygieniker manchen Kummer, da es klar ist, wie leicht sich zumal bei den Entschließungen solcher Eltern, die selber noch keine sportlich belebte Jugend gehabt hatten, naheliegende praktische Interessen gegen höhere biologische Pflichten durchsetzen. In England war es schon vor zwei Menschenaltern gebräuchlich, daß für die Berechtigung zum Eintritt in den ostindischen Zivildienst folgende vier Arten von Leistungen gleichwertig waren: in alten Sprachen, in Mathematik, in freier Beherrschung des Englischen zur Verskunst und im Sport. Bei jedem der jungen Leute, die auf einem dieser vier Gebiete ausgezeichnete Proben abgelegt hatten, wurde ohne weiteres ein Grad von Tüchtigkeit angenommen, der ihn für jenen anspruchsvollen Dienst befähigte. Auch unser Staat sollte die Plätze, über die er verfügt und auf denen Staatsbürgerinnen bis zur Heirat ihr Dasein fristen können, austeilen nur an solche, die tätig zur Kräftigung unserer biologischen Rasse durch Zucht am eigenen Leibe mitgewirkt haben und so dem staatenbauenden Gedanken der Schönheit dienen. Von einer so durch und durch biologischen Auffassung des Tüchtigen ist die Pedanterie weiter Kreise freilich noch sehr entfernt. Nach den Erfahrungen jedoch, die im Männerlager bereits gemacht wurden, wo der Sport von Tag zu Tag an Boden gewinnt, ist es nur eine Frage der Zeit, wann der grausame Grundsatz, die Jugend müsse schlechterdings zur Erlangung gewisser Vorkenntnisse und geistigen Abrichtungen ausgeschlachtet werden, in sich zusammensinkt. Noch durfte der amerikanische Sportlehrer Kränzlein seiner berechtigten Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß man in Deutschland immer wie mit schlechtem Gewissen an die Leibeszucht herangehe, als ob durch sie der Geist irgendwie zu kurz kommen müßte. Deutlicher: es fehlte allzulange unter uns an Verständnis für die starke Förderung, die durch Instandhalten des Körpers auf der Höhe der Leistungsfähigkeit gerade jene sehr wichtigen Eigenschaften erfahren, die, wie z. B. Frische der Auffassung, Beginnkraft, Mut, Zutrauen zu sich selber, Ausdauer und Festigkeit, für alle Anforderungen der Selbsterhaltung wie des nationalen Fortbestandes unerläßlich sind. Selbst in Frauenkreisen macht deshalb neuerdings der sportliche Gedanke erfreuliche Fortschritte, weil gerade für das, was man hier zu schätzen begann: selbständiges Auftreten, Durchhalten, Schlagfertigkeit, keine andre Art von Erziehung so viel leistet wie das sportliche Wettspiel mit seinem Aufundnieder des Glückes, seinen die Unverzagtheit herausfordernden Zwischenfällen, seinen Siegen, die das Selbstvertrauen fördern, seinen wurmenden Niederlagen, die zu Einkehr und erneuter Anstrengung führen.
Man spricht nun viel vom Turnen. Zweifellos ist es Gymnastik. Aber was hat es bisher für unsere Frauen Großes geleistet? Ein paar Ziffern genügen ja leider schon, um zu erweisen, daß die Werte, die es für die Schönheit der deutschen Frauenrasse mit sich bringen könnte, entfernt nicht ausgenutzt werden. Die deutsche Turnerschaft umfaßte (am 1. Januar 1912) 1 063 552 Mitglieder, darunter befanden sich 63 112 Frauen und 31 476 Mädchen, nicht ganz der elfte Teil. Wohlverstanden sind dies Mitglieder von Vereinen. Die Schulmädchen genießen ja wohl heute alle eine Art von Turnunterricht. Aber während aus den Knabenschulen, wie man sieht, ein mächtiges Überströmen in die späteren Verbände hinein stattfindet, muß der geringe Bruchteil an Frauen und Mädchen, der zu den wirklichen Kopfziffern in gar keinem Verhältnis steht, auffallen. Freilich spielt der Mangel an Organisationen, der vielfach erschwerte Anschluß an die männlichen Vereine, das Nichtvorhandensein eigener Hallen und Geräte erheblich mit. Vielleicht würden unsere Mädchen längst im Besitz der nötigen Einrichtungen sein, falls ihre Mütter schon damit angefangen hätten, etwas vorzubereiten.
Heute steht laut einer Umfrage, die der Mittelschullehrer H. Stern in Kattowitz unlängst bei fast anderthalbtausend vorgeschrittenen Volksschülern und Volksschülerinnen gehalten hat, das Turnen bei den Mädchen, wenn auch nicht obenan (wie Rechnen und Handarbeit), doch immerhin unter den beliebten Fächern, während es die Knaben gleichgültig läßt. Herr Stern spottet: »Daß es zu einer schönen Figur hilft, wissen die Fratzen übrigens auch schon.« Der Hygieniker wird hier umgekehrt rufen: »Bravo! Wenn es nur erst alle wüßten! Das wäre der Weg zum Heil!« Indessen liegt für jeden, der sich in die Seelenkunde der Frauenbewegung hineingehört hat, noch ein andres Motiv klar zutage: die Mädchen haben ein Feld mehr entdeckt, von dem sie früher so gut wie ausgeschlossen waren und wo sie es nun den Knaben gleichtun können. Ist dieser Reiz erst einmal verflogen, so steht freilich zu befürchten, daß unser Turnen auch ihnen so gleichgültig wird, wie es den Knaben heute schon ist.
Dies liegt leider an der Art des Betriebes, weil es aus einem freien Spiel, den Absichten des Begründers Friedrich Ludwig Jahn entgegen, zu einem Drillmittel umgebogen und verdorben worden ist. Geturnt soll nicht sowohl werden, weil es der Jugend Freude macht, als weil es ihr ermöglicht, so und so viel weitere Stunden unter Aufsicht zu stehen und Gehorsamsproben abzulegen. Es soll, wenn überhaupt, in Reih und Glied stattfinden und auf Kommando. So erklärt es sich, warum das Turnen, obwohl wir es in Preußen seit dem Jahr 1842 als offizielles Schulfach haben, kein Gegengewicht gegen das Kneipen der Gymnasiasten gebildet und als vielgerühmtes Charaktererziehungsmittel versagt hat. Für eine Steigerung des Daseinsgefühls, nach der die Jugend leidenschaftlich verlangt, hat sich der Alkohol eben viele Jahrzehnte hindurch als reizvoller und beliebter erwiesen. Erst seit der edlere Sporn des Antretens zum Wettspiel bei der Jugend bekannt wurde, wachsen unter uns Schüler heran, die zugunsten ihrer Herzkraft abstinent bleiben; erst seit die großen Vereine es lernten, auch das Turnen sportmäßig als Wettturnen, mit Zählung von Punkten und Aufstellung eines Rekords zu betreiben, hat sich ihm die Gunst der schulentlassenen Jünglinge in steigendem Maße zugewendet. Erst seither finden sich auch weibliche Turnriegen den männlichen angegliedert oder gar in eigenen Verbänden organisiert.
Prüfen wir nun, was das Turnen an sich vermag, um ein Urteil zu gewinnen, was es bestenfalls für den weiblichen Körper bedeuten könnte, so sind wir sofort beim Grundunterschied zwischen dem Sport und der Gymnastik an sich. Sehr hübsch hat der Däne Müller diesen Unterschied einmal dahin erläutert: »Wenn nach einem beendigten Kursus in Leibesübungen gefragt wird: ›Was können die Teilnehmer leisten?‹ dann handelt es sich um Sport. Wird hingegen gefragt: ›Wie sind sie geworden?‹ dann ist es Gymnastik.«
Hierin liegt ausgedrückt, daß die Gymnastik stets den ganzen Menschenleib zu erfassen und allseitig durchzubilden sucht, während fast alle Sportarten in erster Linie auf Überwindung von Schwierigkeiten einer bestimmten Art ausgehen und ganz einseitig sein können. Nur bei der von den Engländern »Rugby« getauften Hauptart des Fußballes kämpfen die Gegner, außer mit allen Künsten und Listen der Taktik, mit Herz, Lungen, Armen und Beinen zugleich; bei der Unterart, die » association« heißt, ruhen die Arme. Das sonst ausgezeichnete Lawn-Tennis stellt mindestens den linken Arm fast völlig still; ebenso sind bei den Radfahrern die Armmuskeln nicht gehörig in Tätigkeit, und es gewährt immer einen peinlichen Eindruck, junge Menschen mit ausgearbeiteten, stattlichen Waden, aber dünnen Armen zu sehen. Beim Rudern umgekehrt werden Arme und Rumpf, besonders die sonst viel vernachlässigten Bauchmuskeln, scharf und bildsam herangenommen, die Beine nicht annähernd so.
Daher soll keine Mutter alles für erledigt und in bester Ordnung halten, sobald sie sagen kann, ihre Tochter treibe nun Sport. Denn dem echten Sport bleibt nur ein Gutes unter allen Umständen: er findet in freier Luft statt und nötigt zu tieferen Atemzügen. Eine gleichmäßige Durcharbeitung sämtlicher Muskelgruppen aber sichert er nicht, und zumal auch gewisse Wintersportarten bedürfen der Gymnastik dringend zur Ergänzung. In England bildet Laufen durchweg die Unterlage für die beiden verbreitetsten nationalen Sportarten Kricket und Fußball. In Deutschland wiederum hat vom Turnen her das Hanteln eine ganz gewaltige Ausdehnung errungen. Es gibt kaum einen bürgerlichen Haushalt, kaum eine Junggesellenwohnung, wo nicht irgendwo ein Paar Hanteln in der Ecke lägen. Sie üben freilich nur Brustkorb und Arme; die Beine, wenn auch angespannt, stehen beim Hanteln still. Aber ich weiß aus Erfahrung, daß Hunderttausende deutscher Männer gleich nach dem Aufstehen und vor dem ersten Frühstück auch ihre hundert bis zweihundert Kniebeugen machen und sich dadurch bis ins hohe Alter einen Teil ihrer Ansehnlichkeit bewahren, indem sie sich einen muntern Gang und eine kräftige Wade sichern.
Nun frage ich die deutschen Mütter, die schon heranblühende Backfische zu hüten haben: was von allem, das die Gymnastik an die Hand gibt, betreiben sie, um ihren zärtlich geliebten Töchtern die Vorteile scharfen Stoffumsatzes und ausgiebiger Gewebsreinigung zu verschaffen? Ist es ihnen überhaupt bekannt, daß hier die wahren Quellen der Schönheit liegen? Muß nicht vielmehr, wenn die Saftentmischung begonnen hat und sich als Bleichsucht äußert, irgendein Gesundheitstee herhalten, und wenn die Haut unrein wird, irgendeine Seife oder Salbe? Sind sie überhaupt schon einmal auf den Gedanken gekommen, daß auch drei- und vierjährige Mädchen bereits mit höchstem Vorteil für die Gesundheit Dauerlauf und Kniebeugen machen können? Meistens wird lässig abgewartet, bis es zu spät ist, und dann soll irgendein ganz neues System alles Versäumte plötzlich hervorzaubern.
Es gibt eine ganze Menge Systeme. Die heute meistgenannten sind die von Schreber, vom Ostpreußen Sandow, der sein reiches Feld in London gefunden hat, und vom Dänen J. P. Müller (»Mein System«). Alle diese Systeme sind vortrefflich, erinnern aber ein wenig an die zuweilen nicht minder vortreffliche Medizin, die der Kranke wegschüttet. Es erfordert einen ganz ungewöhnlichen Grad von Ausdauer und Energie, um sämtliche Übungen, die Schreber empfiehlt, nacheinander auszuführen. Nur allzuvielen, die eifrig damit beginnen, gebricht es einfach an Zeit dazu, wenigstens in den Morgenstunden, wo alle solche Übungen am bekömmlichsten sind. Deshalb sucht sich am besten jeder aus der Fülle des Gebotenen das aus, dessen er am meisten bedarf, und bleibt dem treu, was an seine Geduld die geringsten Anforderungen stellt. Es ist nicht Sache der Frauen, wie Müller es empfiehlt, sich platt auf den Boden zu kauern, sich mit den Fußspitzen an den unteren freien Rand irgendeines Schrankes zu klammern und zwanzigmal hintereinander aufzurichten. Schon die langen Kleider und auch gewisse anerzogene Begriffe von Sittsamkeit hindern sie daran, sich auf das Ende eines Sofas so zu legen, daß sie mit den Beinen in der Luft herumstrampeln können. So teilen denn viele dieser ausgezeichneten Übungen nur zu bald das Schicksal der Ruderapparate – und sogar künstliche Pferde zum Reiten gibt es – die eine Zeitlang im Schlafzimmer prangen und schließlich in die Rumpelkammer wandern.
Gilt es, einen wirklich brauchbaren Rat zu geben für solche gymnastischen Übungen, die das Wesentliche leisten und zugleich bequem sind, so würde ich Frauen und Mädchen eine Kombination aus Kniebeugen und elastischen Sandowschen Hanteln empfehlen. Der Gang ist der Mensch selbst, und regelmäßige Kniebeugen veredeln ihn. Sie sind nicht minder nützlich für eine gewisse Gelenkigkeit beim Hinsetzen und Aufstehen. Wer einmal morgens, vor dem Ankleiden, mit ihnen begonnen hat, dem werden sie bald zum selbstverständlichen Bedürfnis wie Waschen oder Baden. Die Hantelübungen macht man am besten hinterdrein. Sie wirken, wenn früh genug begonnen, vorteilhafter und zuverlässiger als alle »Büstenhalter«. Denn die Festigkeit der Formen beruht ganz wesentlich auf der Festigkeit ihrer Unterlagen. Läßt man diese, d. h. die Brustkorbmuskulatur, samt den Haltebändern durch Vernachlässigung erschlaffen, so hängt bald auch die noch junge Brust, wie man das heute so vielfach sieht. Sandows Muskelstärker mit elastischen Schnüren und steigbügelartigen Griffen sind sehr hübsch, aber auch kostspielig, weil sie kaum länger als ein Jahr vorhalten. Ganz prächtig und auch billig sind die gleichfalls von Sandow erfundenen Hanteln ohne Schnüre, doch mit federnden Griffen. Die Hand wird ganz gehörig angestrengt, indem sie die Federn des Griffes zusammenpressen muß, und man kann die aufzuwendende Kraft ganz nach Bedarf abstufen. Kinder üben am besten zunächst mit leichten Holzhanteln und genießen dabei alle Vorteile kräftiger Ausdehnung des Brustkastens. Eine Mutter, die ganz befremdet ist, wenn sie hört, daß für kleine Mädel überhaupt schon etwas nötig sein solle, während der Landesbrauch doch lehrt, daß rein gar nichts zu geschehen habe, wird erstaunen und reich belohnt werden durch die Freude, mit der die Kleinen an ihre Aufgabe gehen – sobald man sich mit dem Erreichbaren begnügt und ihnen nicht im Überschwang der Methodik die Sache verleidet. In der frühen Jugend aber werden Kraft und Schönheit angelegt; nachher ist es meistens zu spät.
Leider pflegt in den Kleinkinderbewahranstalten nichts vorgerichtet zu sein, um in dem jungen Völkchen mit der Freude an leichter Gymnastik das dauernde Bedürfnis nach ihr zu wecken. Die Kinder sitzen herum, singen, hören Märchen erzählen, spielen, doch ein Raum, wo Dauerlauf gemacht werden könnte, fehlt, und wollen die Kleinen frische Luft schöpfen, so müssen sie auf die Straße.
Für erwachsene Städterinnen, denen die Gasse nicht mehr offensteht, das Gewinnen der Freiluft aber fast zur Unmöglichkeit gemacht wurde, tritt hier nun, wenigstens bei den wohlhabenderen, der Sport als Helfer und Retter ein. Man blicke nur auf einen mitten im Häusermeer kahl daliegenden Tennisplatz! Kann es eine reizlosere Erdenstrecke geben als die elf Meter der jedesmaligen Grundlinie? Doch sobald die Partie beginnt, die ersten Bälle mit Angriff und Rückschlag hin und her gegangen sind, wird diese Grundlinie zur Schwelle des Glücks, und die Spieler stürzen stundenlang zum Netz, als ob es gelte, ein Wunder zu schauen. So gewinnt auch das Pflaster der Ackerstraße oder sonst eines Nordostquartiers von Berlin für Mädchen, die mit den Buben zum Ballschlagen angetreten sind, schnell die Schönheit eines Gefildes der Seligen.
Schade, daß Lawn-Tennis durch seine verhältnismäßige Kostspieligkeit niemals zum Gemeingut des Kleinbürger- und Arbeiterstandes werden kann. Von den 22 000 Mitgliedern des Deutschen Lawn-Tennis-Bundes im Jahr 1912 dürfte etwa die Hälfte weiblich sein, und was außerhalb der dort vereinigten größeren Klubs noch den Schläger bewegt, wird kaum ins Gewicht fallen. Mögen die Erfolge für körperliche Form bei solchen jungen Mädchen, die irgendwie einen Ball übers Netz bringen, auch manches zu wünschen übrig lassen, so werden sie doch in freier Luft festgehalten und die Nötigung, ihre Glieder zu regen, tritt an sie heran, bis ihnen zuletzt wohl gar durch fleißiges Zuschauen die Idee der Schönheit vollendeter Leistungen aufgeht. Die Gräfin Schulenburg-Angern, die den besten englischen Vertreterinnen in Homburg v. d. Höhe oft genug den Sieg streitig gemacht hat, spielte mit jener Mischung aus Stärke und Grazie, die dem Auge so wohltut. In der Hingebung an den unsagbar erfrischenden Reiz des Sichmessens mit einer fremden Kraft schien sie bisweilen nicht mehr zu spielen, sondern leichtbeschwingt zu tanzen »gleich dem Schatten eines Blattes im sommerlichen Wind«. Im Jahre 1912 errang Fräulein Rieck (Tafel XIV), eine Hamburgerin, die Weltmeisterschaft auf Hartplätzen in Paris. Man muß bei jungen Mädchen, die früher alles Derartige hatten entbehren müssen, die Freude, die Dankbarkeit miterlebt haben, daß sie nun Mitglieder eines stattlichen Verbandes mit munterem kameradschaftlichen Verkehr und allen jenen hundert Abwechslungen des Vorwärtskommens, der Interklubwettspiele und Turniere geworden waren, um den seit etwa fünfzehn Jahren eingetretenen Fortschritt zum Besseren richtig bewerten zu können.
Spielt in den Kreisen von Bildung und Besitz etwa das zwanzigste junge Mädchen heute Lawn-Tennis, so kann man sicher sein, daß die 161 000 organisierten Fußballspieler, 20 000 Ruderer und 20 000 Schwerathleten des Jahres 1912 männlich sind. Das Damenrudern begann erst (Tafel XIX). Auch daß die Leichtathletik unter ihren rund 131 000, der Deutsche Schwimmverband unter seinen 58 000 Ausübenden weibliche Mitglieder in erheblicher Zahl einschließt, ist wenig wahrscheinlich. Und doch bietet gerade die Leichtathletik der Weiblichkeit ein dankbares Feld und zur Leibeszucht wertvolle Hilfen. Nichts ist dem ursprünglichen Menschen nötiger und vertrauter als Laufen, Springen und Werfen. Einiges davon übt wohl überall auch das Turnen; aber in der Leichtathletik finden wir es von gewissen schon beklagten Unarten des Turnbetriebes abgelöst und sportmäßig zugeschnitten. So sehr es sich nun von selbst verbietet, daß Frauen ihr Ideal bei der Schwerathletik im Heben riesiger Gewichte suchen, so ist es doch bekannt, wie selten eine deutsche Frau fähig ist, einen Nagel in die Wand zu schlagen. Das gab früher jene entzückende, den männlichen Schutz aufrufende »Hilflosigkeit«, von der die heutigen Frauen so wenig wissen wollen. Aber da der Hammer durch eine ausgesprochene Schleuderbewegung auf den Kopf des Nagels geführt wird, warum lernen dann die Mädchen nicht werfen gleich den Knaben? Jede braucht es bald einmal.
Zu warnen sind alle Mütter, die sich hübsche und gesunde Töchter wünschen, vor dem Zweirad. Es hat seinen Nutzen für ausgesprochene Berufs- und Verkehrszwecke reifer Personen, zum Beispiel einer Ärztin, die auf diese Weise ihre Kranken, oder einer jungen Frau, die ihren Tennisplatz leichter erreichen kann. Allein die Begeisterung, mit der das Zweirad einst gerade in weiblichen Kreisen begrüßt wurde, war höchst bedenklich, und in England ist es von allen feineren, mit Recht empfindlichen Familien ganz in der Stille für die jungen Mädchen wieder abgeschafft worden. Wo der vordere Teil des Sattels nicht stumpf gehalten und völlig reizlos ist, kann durch Reibung am Schoß bei den Halbwüchsigen hundertmal mehr, und entscheidender, dauernder Schaden angerichtet werden, als die Bewegung an sich selbst genützt hatte.
Ein Wort bleibt noch vom Wintersport zu sagen übrig. Seit der Neuentdeckung des Winters, seit es bekannt wurde, daß alle Vorteile, die der Aufenthalt in den Bergen für die Gesundheit bietet, insonderheit eine staubfreie, scharfe, nervenstählende Luft, im Winter ausgiebiger und auch mit größerer Sicherheit als im Sommer erhältlich sind, wimmelt es von Winterfrischlern, und wo nur überhaupt Schnee gefallen ist, drängen sich auf den Bahnhöfen fast ganz Deutschlands Rodler und Schneeschuhläufer mit ihrem Gerät. Von dem reißenden Wachstum dieses tüchtigen Wesens geben am deutlichsten die Ziffern des Deutschen Skiverbandes Zeugnis. Er ist in kurzen acht Jahren von 2450 Mitgliedern auf 27 913 gestiegen, hat also Lawn-Tennis weit überflügelt, mit dem er jedoch das Gemeinsame hat, daß seine ausgesprochen gesellige Tendenz den Skiklubs die jungen Mädchen der oberen Stände in Scharen zuführt (Tafel XVIII).
Und nun erst das Schlittschuhlaufen und Rodeln! Kann man die roten Wangen der kleinen Liebhaberinnen sehen, ihre jauchzende Lust mitanhören und noch fragen, ob das gesund sei, ob es mit Schönheit etwas zu schaffen habe? Wenn frische, lebige Jugendlust von der Bleichsucht an schönheitlichem Wert übertroffen würde, dann müßten ja wirklich auch, mit Falstaff zu reden, »die sieben mageren Kühe geliebt werden«.
Von reiferen Frauen, die in der Obhut solcher Mütter aufwuchsen, die zu ihrer Zeit auch an schönen Wintertagen beim Strickstrumpf im Zimmer gehalten worden waren, hört man zuweilen die Sitten der »guten alten Zeit« in bezug auf die Freuden des Winters schildern: »Schlittschuhlaufen durften wir in der Woche höchstens zweimal, und auch dann nur bepackt mit drei gesteppten Unterröcken. Wir waren so unbeholfen, daß wir uns kaum rühren konnten. Und kamen wir wirklich einmal um fünf Minuten verspätet nach Hause, dann hieß es gleich: ›So, nun in diesem Winter nicht mehr!‹«
Die Neigung, den unheimlichen Sport unter irgendeinem Vorwande der Jugend wieder wegzunehmen, besteht auch heute noch sehr heftig; sonst hätte Deutschland nicht zum klassischen Lande der »Verpimplung« werden können. Auch Kränzlein spottete, daß bei uns jeder Sport viel weniger daraufhin angesehen werde, was er Gutes mit sich bringe, als darauf, ob er nicht irgendwo, irgendwie, irgendwann zu einer »Überanstrengung« führen könne. Worauf sein Schicksal besiegelt wäre. Dann wird die amerikanische » sporting girl« als abschreckendes Beispiel herangezogen, die mit den Knaben rudert, Fußball spielt, ja sogar dort und natürlich auch einen kräftigen, »unweiblichen« Handschlag hat. Von der bildschönen Barberina, der letzten Liebe des Alten Fritz, hieß es einst: »Sie hat Beine wie ein Mann.« Denn sie tanzte berufsmäßig und übertraf alle ihre Nebenbuhlerinnen. Heute wird jeder gesund Empfindende den Tennisarm einer Meisterin nur um so hübscher finden, wenn er auch sonnengebräunt ist. Im ganzen aber hat das weibliche Fettpolster eine außerordentliche Widerstandskraft gegen den Druck von innen her durch das Federn der Muskeln, und selten sieht man selbst bei Akrobatinnen die konturenreichere männliche Modellierung der Glieder. Ganz im Gegenteil sind schöne Arme durch den äußeren Druck der Knetung gefährdet, und manche junge Frau, die auf ihren üppigen runden Arm stolz war, doch aus Trägheit, statt sich aktive Bewegung zu machen, einen Kneter kommen ließ, hat den dauernden Verlust ihres Fettpolsters an der Ellenbeuge zu beklagen gehabt.
So soll es denn die letzte Sorge der Mütter sein, es könnten vielleicht durch zweckmäßige Gymnastik und durch Sport Kraft und Gesundheit ihrer Lieblinge unerwünscht zunehmen. Diese einfachsten Mittel, Schönheit zu fördern, haben vor allen anderen den Vorzug der Sachlichkeit, Gediegenheit und unfehlbaren Wirksamkeit voraus. Sie sind für Mütter, denen solche Forderungen zum erstenmal entgegentreten, vielleicht am Beginn etwas mühsam, doch auf die Dauer zeit- und geldsparend, weil sie alle Kuren und Kurse überflüssig machen. Denn innere Gewebsreinigung, die sich nach außen durchsetzt, trägt früher oder später ihren Lohn in sich selbst.
Ein Beispiel dieses Lohnes zeigt uns Tafel XVII, wohl die lehrreichste des ganzen Buches. Wir sehen da zunächst ein eben erwachsenes, unschön in sich zusammensinkendes Mädchen mit schlaffem Fleisch und welker Haut, mit hervortretendem Bauch und trotz ihrer Dürftigkeit schon hängenden Brüsten. Doch man vergleiche daneben, was drei Monate zweckmäßiger und beharrlicher gymnastischer Übung bewirkt haben! Die Haltung ist straff geworden, der Hals schlank, die Vorbuckelung des Leibes verschwunden. Der ganze Rumpf zeigt edle Linien, und es bedarf nur noch einer gewissen Schonung bei reichlicherer Kost, um die liebliche Fülle anzusetzen, wie sie die Kugelwerferin auf Tafel XIV, die Tänzerin, die Lebensfreude der Tafel XVI aufweisen.