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Zehntes Kapitel.
Reform gegen Mode.

Von der Halsfreiheit. – Forderungen an hygienische Kleidung. – Der Kampf um den Schnürleib. – Reform der Schneider. – Kurze Röcke. – Humpelröcke und Stöckelschuhe. – Früchte der Reformbewegung. – Das Empirekostüm. – Vorteil der Mode. – Ein gesundheitliches Kompromiß. – Japanische Frauentracht.


Um es jungen Mädchen und Frauen überhaupt zu ermöglichen, sich in heißen Ballsälen stundenlang zu drehen, war allmählich eine Tracht aufgekommen, die wir »ausgeschnitten« nennen. Sie war also ursprünglich als Halsfreiheit gedacht und einst ein wichtiger Fortschritt gewesen, denn das ausgehende Mittelalter hatte nur eingewickelte Frauen gelten lassen, so daß außer Gesicht und Händen nichts an die Luft kam, eine Tracht, die der Hygieniker unbedingt verwerfen muß. Schon das Rokoko hatte den Ausschnitt am Halse vertieft, und ganz offenbar je mehr das gesellschaftliche Tanzen sich in der Gangart erhitzte, entwickelte sich aus Gründen persönlichen Behagens wie aus rein ästhetischen Rücksichten die Halsfreiheit zur Schulter- und Busenfreiheit.

In der Tat wirkt ein schwitzender Adonis mit puterrotem Gesicht und durchweichtem Hemdkragen peinlich. Den Frauen und Mädchen aber gestattete ihr oberes Nichtbekleidetsein, durch dieses Ventil die bei lebhaftem Tanz entstehende Ausdünstung kräftiger abzugeben, ohne daß die Haut unter erhöhtem Blutdruck in eine solche Aufregung geriet, daß auch die Schweißdrüsen sich zu regen begannen.

Dort, wo der Widerwille gegen jede Art von Erhitzung am stärksten ausgeprägt ist: in Hofkreisen, entwickelte sich auch die »Busenfreiheit« am tiefsten. Gewiß war sie sehr geeignet, vorhandener Schönheit zu ihren Rechten an Bewunderung zu verhelfen. Indessen ist man hier oft auch weiter gegangen, als es gesundheitliche Rücksichten allein erfordert hätten. Dafür spricht die Bemerkung des witzigen Londoner Bischofs Bloomfield, den eine Freundin einst auf ein ganz besonderes Wagnis dieser Art mit den Worten aufmerksam machte: »Haben Sie so etwas schon gesehen?« Er blickte hin und antwortete trocken: »Seit meiner Entwöhnung nicht.«

Wir waren an die liebe Kelchform, in der sich holde Weiblichkeit vor uns erschloß, jahrzehntelang so gewöhnt gewesen, daß wir aufgehört hatten, uns über sie zu wundern. Nur die Türken, die nach der Landessitte ihre Frauen streng verhüllten, schüttelten den Kopf. Dann begann eines Tages die Hygiene nachzuprüfen, was an jener Tracht notwendig oder doch wünschenswert, was weniger löblich oder gar schädlich sei. Sie gab ihr Urteil schließlich dahin ab, daß die Vorteile oberhalb des Schnürleibs durch schwere Nachteile im Bereich dieser Verpanzerung selbst ausgehoben würden. Sie ging nicht etwa davon aus, daß junge Damen sich selbstverständlich erkälten konnten, falls hinter ihren warmgewordenen Schultern in vorgerückter Abendstunde heimlich irgendein Zugfenster geöffnet wurde; oder wenn sie sich verleiten ließen, aus dem heißen Ballsaal unverwahrt in einen kühlen Garten zu treten und hier zu lange beim Gespräch auszuharren. Denn im allgemeinen war und ist es wohl auch heute noch überall Sitte, für die Schulterpartie während der Pausen einen Umwurf bereitzuhalten, der hinreichenden Schutz gegen eine plötzliche Unterbrechung der Hauttätigkeit bietet. Vorausgesetzt also, daß es allen Backfischen erspart blieb, jenen Reiz zu empfinden, der immerhin darin liegt, wenn Frauen sich vor Männeraugen teilweise enthüllen, und der erfahrungsgemäß leicht in jungen Rosen den Wurm bildet, würde die Hygiene gegen das Dekolletieren an sich nicht viel einzuwenden gehabt haben, weil ihr ja die ganze Kleiderreform sehr viel weniger eine Bekleidungs- als eine Entkleidungsfrage ist. Sie erhob nur dagegen Einspruch, daß jene Hals- und Schulterfreiheit allein auf Kosten eines verunstalteten Mittelkörpers zu erreichen sein sollte.

Auch in Ansehung der Kleider ist es ihr eben um gesunde Leibesschönheit zu tun. Der Körper selbst bleibt ihr die Hauptsache, nicht etwa der Prunk, der von Schneidern angefertigt oder in Läden gekauft wird, und den zu schmücken wirkliche Schönheit viel geeigneter ist, als daß sie durch ihn geschmückt würde. Weil aber kein Mädchen, auch nicht das zur Schönheit bestimmte, der Kleidung entraten kann, so soll hier untersucht werden, welche Trachten der Entwicklung werdender Schönheit förderlich, welche andern ihr abträglich sind.

Beginnen wir mit der Aufstellung gewisser Grundsätze, die zwar selbstverständlich sein sollten, doch leider alltäglich verletzt werden.

Alle Trachten müssen so sein, daß sie nichts Notwendiges, wie Atmung und Schreiten, behindern.

Alle Röcke sollen kurz gehalten sein; denn je länger die Röcke, desto schwerer sind sie. Sie erfordern dann, am Körper aufgehängt zu werden, und weder jugendliche Schultern noch jugendliche Hüften sind geeignet, schwere hinderliche Lasten vom Morgen bis zum Abend zu schleppen.

Alle Stoffe sollten durchlässig, nicht leimartig »appretiert« sein, damit der Körper seine Hautdünste durch sie hindurchsenden kann; und kein Kleidungstück sollte eng anliegen, weil durch solche Enge die Verdunstung künstlich zurückgehalten, die Haut belästigt und gelähmt wird. Hemden zumal dürfen an Wirkung nicht dem engmaschigen Gitter der Grubenlampe gleichen, das keine Flamme nach außen schlagen läßt, und unsere gestärkten Plätthemden sind gleich den undurchlässigen Lackschuhen ein gesundheitlicher Greuel.

Es ist ein Unfug, Mädchen im Sommer so zu kleiden, als ob es Winter wäre, oder in unsern milden Wintern so, als ob wir in Ostsibirien lebten. Denn der Körper hat ein tiefes Bedürfnis, die vom Stoffumsatz gebildeten Stauungsgluten abzugeben; er wird unbehaglich und schlaff, sobald man ihn daran hindert.

Es ist ein Unfug, jugendliche Brustkörbe und Unterleiber bereits in harte Büstenhalter zu klemmen, wodurch zumal die Rückenmuskulatur jämmerlich verfaulenzt, Magen und Herz bedrückt, die Leber verschnürt und eine böse Angewohnheit für Lebenszeit befestigt wird.

*

Bekanntlich ist am Streit über das Schnüren einst der Kampf um die Kleiderreform überhaupt entbrannt. Es hatte sich herausgestellt, daß die Kelchform des oberen Frauenkörpers längst zur Sanduhrform geworden war, bei der zwar durch das von der zusammengedrückten Weiche hinweg nach unten gepreßte Fettpolster übermäßige Hüften entstanden, aber einige der edelsten Unterleibsorgane in unverantwortlicher Weise gequält, ja geradezu – man denke nur an die »Schnürleber« – verstümmelt wurden.

Der Feldzug gegen das »Korsett« ist, man kann es ruhig aussprechen, verloren worden, weil man den Menschen, denen man etwas fortnehmen will, etwas Besseres, das einleuchtet, dafür anbieten muß. Daran hat es gefehlt. Die Frauen, die den Schnürleib wegließen, behielten darum doch die Schnürfurche. Ja der Zustand war noch schlimmer als früher, denn jetzt wurden Gürtel wie Haltebänder von Rock, Hosen und Unterröcken in die Weiche geradezu eingekerbt, und der Arzt allein weiß, was schon der einigermaßen schirmende Schnürleib an blutrünstigen, braun und blau gepreßten Hautstellen verdeckt hatte. Langsam nur entwickelte sich eine Industrie für elastische Leibchen. Sie boten große Vorteile für schöne und kräftige Mädchen, die gern dünne Stoffe trugen; aber sie hatten den schwerwiegenden Nachteil, daß sie dem großen Frauenheer in bezug auf Erleichterung der Kleiderlasten den alten liebgewordenen Hilfsträger nicht zu ersetzen vermochten. Dieser hatte die ganze Last wenigstens besser verteilt und auch den Brustkorb, dem er fest anlag, zur Unterstützung herangezogen. Die losen Leibchen, selbst wenn sie an Schulterbändern aufgehängt wurden, vermochten doch selten auch nur die Unterbeinkleider an Knöpfen zu tragen.

Da ward man zum Überfluß inne, daß bevor an die Frauen der Anspruch herantrat, sich in diesem Punkt zu ändern, zwei andre wichtige Dinge gründlich hätten verbessert werden müssen, nämlich der Geschmack der Männer und ganz besonders der Geschmack der Schneider und Schneiderinnen. Denn es ist klar, daß Gretchen gerade in dem entscheidenden Winter, wo sie der Lisel den Hans wegzukapern fest entschlossen ist, nicht ihre Rüstung ablegen, sondern sich weiter panzern und schnüren wird, sobald sie weiß, daß Hans ein leidenschaftlicher Bewunderer der »Wespentaille« ist. Solange es also Männer gibt, die angesichts einer stark zusammengeschnürten Dame von »Schneid« fabeln und aus ihm alle möglichen abergläubischen Rückschlüsse ziehen, wird der stählerne Schnürleib der Gesundheit zum Trotz eine Waffe im Kampf um den Versorger, ein unentbehrlicher Bestandteil der Frauentracht bleiben. Die hygienische Satire hat diesen Hader zwischen Reformkleid und Mode in folgendem Zwiegespräch ausgedrückt. »Meine lose Kleidung«, sagte die Reform, »ist gesund und erhält den Leib tüchtig für die Mutterpflichten.« Worauf die gepuderte und geschminkte Mode in Schnürleib und Reifrock schnippisch antwortete: »Solange Sie den Fetzen anhaben, meine Liebe, werden Sie nie in diese Verlegenheit kommen.«

Schneider und Schneiderinnen aber sind wegen geschäftlicher Befangenheit gar schwer davon zu überzeugen, daß kurze Kleider besser als lange sein könnten. Denn je länger das Frauenkleid, desto mehr zu nähen gibt es, desto mehr Macherlohn; desto mehr Stoff braucht es, desto zufriedener ist der wichtige Tuchfabrikant, desto größer der Umsatz, desto reichlicher der allgemeine Gewinn. Die Schneidergilde, mit wenigen rühmlichen Ausnahmen, ist also von Anbeginn eine erbitterte Feindin der gesundheitlichen Trachtverbesserung gewesen. Ihr wäre es das Liebste, wenn auch halbwüchsige Mädchen schon im Sommer lange schwere Wollkleider trügen, bis die Kniee brechen. Weshalb mir eine Freundin beim Beginn des Reformkampfes klagte: »Ich kann bei meiner Schneiderin zehnmal einen fußfreien Rock bestellen. Sie lächelt überlegen, sagt zu allem ja, ja; und der Rock, den ich schließlich bekomme, wird immer noch länger als irgendeiner, den ich vorher gehabt hatte.«

Dann folgte eine kurze lichte Zeit, um 1907. Die Reform schien gesiegt zu haben: fußfreie Röcke wurden Mode. Man sah plötzlich junge Damen wieder schreiten, buchstäblich, nicht nur etwa schleichen oder trippeln, wie man das bisher gewohnt gewesen war. Alle Wetter, welch ein Genuß! Ich lebte damals unter Badenerinnen, denen die Natur schlanke Skelette und viel natürliche Anmut mitzugeben pflegt. Wie fest und elastisch sie die Füße setzten, wie flink sie vorwärts kamen! Was ist unser männlicher Parademarsch doch für eine plumpe Sache verglichen mit dem lyrischen Schwung im Gangwerk eines wohlgewachsenen Mädels! Wie die Röckchen rhythmisch hin und her schwenkten! Unwillkürlich dachte man der verklungenen harmlosen Zeiten, da diese liebenswürdige Erscheinung auch beim Tanz noch zu beobachten war.

Und nun lebte das wieder auf, um deswillen man die lieben Puppen doch als ein holdes Wunder verehrt hatte? Trieb und Zug waren in diesem Schritt, nichts Schleppendes mehr, nichts, das an die überlasteten Trödler der Landstraße gemahnte, die ja auch immer ein viel zu schweres Bündel von Fabrikwaren mit sich herumtragen. Man sah, unser Frauengeschlecht war noch nicht ganz verloren. Eine kühne Hoffnung regte sich: dieses junge Blut könnte womöglich gar eines Tages noch »laufen« lernen, wie man im Norden, oder »springen«, wie man in Süddeutschland, »rennen«, wie man in Berlin sagt.

Allein schon als der Winter zu Ende ging, fragten sich die Zweifler: »Werden die Röckchen auch im Jahr 1908 noch kurz sein?« Denn lange Röcke machen größer, als man ist. Zufällig herrschte damals eine gewaltige Hutform, die ausgleichend wirkte. Da kamen die »Humpelröcke«, fußfrei, doch eng. Und manche Dämchen banden sich die Kniee zusammen, um ja recht kleine Schritte machen zu müssen. Gleichzeitig verschwanden die niedrigen Absätze wieder. Wie hatte die Reform frohlockt, als es gelungen war, die Frauen davon zu überzeugen: »Hohe Absätze laufen eurer ganzen Bauart zuwider, euer Skelett kommt aus der Lage. Stellt ihr die Hacken auf Stützen, so wird euer ohnehin schon nach vorn geneigtes Becken vollends übergekippt, als ob ihr eure Eingeweide auf die Straße schütten wolltet. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren und den Kopf nach hinten drücken zu können, müßt ihr mit krummen Knieen gehen, was nur eure langen, weiten Kleider verdecken.« Das alles ist vergessen worden; längst wanken unsere Weltdamen wieder auf Stöckelschuhen, so gut oder so schlecht es geht.

Immerhin ist von der Reformbewegung auch einiges Gute geschaffen und dauernder Gewinn erzielt worden. Unternehmende Leute kamen auf den Einfall, mit den Reformgedanken ein Geschäft zu machen. Es entstanden Werkstätten und Ausstellungen; weibliche Wanderprediger wurden mit Mustern auf die Reise geschickt und führten sie an lebenden Modellen vor, die Damen großer wie kleiner Städte strömten herzu und überzeugten sich, daß wohlgewachsene Frauen auch noch auf andre Weise »Figur machen« könnten als nur mit Hilfe des Mieders und der Schnürfurche. Die lange Schleppe ist von der Straße tatsächlich so gut wie verschwunden, der fußfreie Rock zum Gemeingut wenigstens der weiblichen Angestellten geworden, die in Läden und Stuben viel hin und her laufen müssen. Der Glockenrock (vorn glatt, hinten mit etlichen langen Bogenfalten), der Rockgürtel (zum Aufhängen der Unterkleider), die Hemdhose und verschiedene andre Kombinationsversuche, um die Weiche zu entlasten, die Schultern mehr als bisher zum Tragen der Kleiderwucht heranzunehmen, dienten als Beweis, daß die Erfindung sich zu regen begann. So wurden denn auch planmäßige Versuche mit dem sogenannten Empirekostüm unternommen, dem freilich die durch die Bürgerin Tallien in Paris eingeführte altgriechische Tracht wesentlich vorgearbeitet hatte.

Die großen gesundheitlichen Vorteile, die dieses Kostüm den Frauen bot, erblickt der Reformer in folgendem:

Es verlegte den Gürtel nach oben bis dicht unter die Brust. So war alles Schnüren zur Unmöglichkeit gemacht, denn der knöcherne Brustkorb leistet solchen Versuchen einen Widerstand, zu dem die Weiche nicht fähig ist;

es ließ die Arme kleiderfrei und gewährte, wenn auch der Nacken manchmal bedeckt blieb, ausgiebige Hals- und Brustfreiheit (Tafel X);

es war unbedingt kurzröckig bis zur Knöchelfreiheit und darüber hinaus; die Damen sahen sich gezwungen, für saubere Schuhe zu sorgen. Schleppkleider, die zuweilen dem Empirekostüm angepaßt wurden, waren ebenso stilwidrig wie ungesund;

es forderte gebieterisch helle, leichte Stoffe.

Welch ein munteres, unbehindertes Schreiten genoß jenes tanzfrohe Geschlecht! Freilich hatte die Tracht einen geheimen Schönheitsfehler, der die Kritik mehr und mehr gegen sie einnahm: der Gürtel saß nicht an der vorgezeichneten Stelle. Er war nach oben geflohen, als ob er eine Stätte des Unheils meiden wolle. Doch der Einschnitt, den die bildende Natur in der Weiche angebracht hatte, ließ die Damenschneider nicht schlafen. Die Mode ruhte nicht, bis sie, nach Rückführung des Gürtels, ihren scheinbaren Gehorsam gegen jenen Wink in die völlige Unvernunft hinein übertrieben hatte.

Indessen war, was die Empiretracht schließlich verschwinden machte, weniger die Gürtelangelegenheit als ein industrieller Fortschritt, ein Bedürfnis der Fabrikanten nach neuem und höherem Verdienst. Es kamen gegen Ende der zwanziger Jahre schwere dunkle Wollstoffe auf, die die Frauen gern getragen hätten, die aber dem Empirekostüm durchaus widerstrebten. So wurden die Arme wiederum mit Ärmeln bedeckt, der Brustkorb von der Luft abgeschlossen, die Röcke verlängert. Dem industriellen Gewinn entsprach, wie so häufig, ein bitterer gesundheitlicher Verlust.

Nun rufen die Radikalen wohl: »Fort mit der ganzen Mode! Sie ist unsere Todfeindin, sie tritt alles Gute wieder zu Boden; sie gleicht dem Kronos, der die eigenen Kinder frißt. Denn ist etwas Gesundes, Ersprießliches ›Mode‹ geworden, so liegt ja darin schon die Gewähr, daß es wieder verschwindet, um etwas Törichtem und Schädlichem Platz zu machen!«

Das klingt ganz gescheit und ist doch – für Erwachsene – auch nur halb richtig, wie der unbedingte Ruf nach Abschaffung des Schnürleibs. Denn hätte die Mode nur Schattenseiten, würde sie ja niemals diese Macht über das weibliche Gemüt erlangt haben. Aber wie schon Kant die Vorliebe der Frauen für modische Kleidung, als in ihrem ästhetischen Wesen tief begründet, in Schutz nahm, so hat sein Schüler Simmel darauf hingewiesen, wie nur die Mode dem zarten Geschlecht die Sicherheit gibt, nicht aufzufallen. Frauen im allgemeinen, und gewiß die feinfühligeren, haben nicht Hang und Beruf, gleich den Männern der öffentlichen Meinung zu trotzen oder gar sie herauszufordern. Sich dem spöttischen Lächeln einer Mehrheit preiszugeben, ist für sie eine der schlimmsten und empfindlichsten Gefahren. Nur das Bewußtsein, so auszusehen, wie man sein sollte, beruhigt sie.

So wäre dies die passende Gelegenheit für ein gesundheitliches Kompromiß. Mögen Frauen, die in den Vollbesitz eines reifen, durchgebildeten, widerstandsfähigen Körpers gelangt sind, mit dessen Kräften und Schönheiten anfangen, was sie wollen. Sie sind mündig und mögen die Verantwortung für sich selber tragen. Aber verschont und gönnt uns die Jugend! Ihre Schönheit ist erst im Wachsen, sie bedarf der Vernunft, nicht der modischen Schaustellung und Ausnutzung. Je mehr Haut sie an die Luft bringt, desto reiner wird diese Haut eines Tages sein, je kürzer die Röcke waren, desto eher wird ein federnder Gang sie zieren. Durchlässig (porös) alle Stoffe; Hemden und Kleidchen lose anliegend; Waden und Arme frei – das ist eine richtige Tracht für Mädchen, die schön werden sollen.

Ein Volk auf Erden hat es gegeben, dessen weibliche Tracht in mehr als einer Hinsicht unserm gesundheitlichen Ideal am nächsten kam: die Japaner. Ihre Frauen und Mädchen kleideten sich in leichte, lose Gewänder mit offenen, weiten Ärmeln; den Gürtel bildete eine breite, weiche Schärpe, die jeden Gedanken einer Schnürung ausschloß.

Es ist eine der vielen Widersinnigkeiten zunehmender Zivilisation, daß die Japaner diese Tracht abzuschaffen und zu den schweren Wollröcken, zum Schnürleib der Europäerinnen überzugehen begonnen haben.

Möchten deutsche Mütter im Gegenteil es lernen, jene bekömmliche Tracht ihren heranblühenden Töchterchen anzupassen, nicht damit sie »Mode« werde und als Mode wieder verschwinde, sondern aus Wohlwollen, aus gesundheitlicher Vernunft!


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