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II. Die Arbeit an der Schönheit.


Siebentes Kapitel.
Naiver biologischer Schönheitswert und Aktivhygiene.

Unsere Großmütter. – Verwirtschaftetes Schönheitskapital. – Aktiv- und Passivhygiene. – Züchtung fester Konstitutionen.


Es ist eine wohl aufzuwerfende Frage, woher es kommt, daß unsere Großmütter weder turnten, noch Lawn-Tennis spielten, noch Schneeschuh liefen und doch von einer so viel gediegneren Leiblichkeit, gesund und kinderreich waren.

Die Antwort lautet: weil damals noch zwei Drittel bis vier Fünftel unserer Bevölkerung auf dem Lande lebten; weil die Frauen auch der gebildeten Stände fast sämtlich noch ihre Kleinen an die Brust nahmen, da sie es gut konnten und es ihnen wohltat; weil die Nervenspannung weit geringer, der Nervenkitzel noch nicht so raffiniert, die Behaglichkeit noch ein Allgemeingut, die Lust an einfachen Freuden noch vorhanden, die Kost bescheidener und reizloser, kurz der ganze biologische Boden für Kinderaufzucht noch günstiger war. Selbst in kleinen Wohnungen lebte man besser als in den geräumigen heutiger Mietkasernen, solange zum Haus fast regelmäßig ein Garten gehörte.

Welch ein Hohn auf unsere Sprache wie auf unsere Sitten sind in Berlin die sogenannten »Gartenhäuser«! Man stellt sich ein Haus vor, das von einem Garten umgeben ist, in Wirklichkeit aber steht das Haus da, wo früher einmal ein Garten war, der nun abgeholzt, bebaut und asphaltiert ist.

Freilich, wenn man sich der mittelalterlichen Städte erinnert mit ihren aneinandergeklebten Gebäuden voll niedriger, kleiner Stuben, mit ihrem entsetzlichen Schmutz, ihren engen, dumpfen, lichtlosen Gassen, ihren verseuchten Sielwässern, ihrem Mangel an freien Spielplätzen und Spazierwegen, so erscheint es fast wie ein Wunder, daß auch diese grauenvoll unhygienischen Zustände von der Tüchtigkeit deutscher Naturanlage jahrhundertelang überdauert wurden. Von den Ritterburgen zu schweigen, die oft gleich Raubvogelnestern an kahlen Felsen klebten! Wo sollte hier wohl die Edelfrau ihren Spaziergang machen? Wo war Platz auch nur für ein Gemüsegärtchen, worin sie etwas hätte hacken und graben können, um sich die sehr notwendige Bewegung zu verschaffen? Die Bauern haben diesen Schaden wettgemacht, weil ihre Frauen und Töchter mit bloßen Armen geschürzt aufs Feld gingen und im Sommer nur selten mit mehr als einem losen Hemd, einem kurzen Rock bekleidet waren.

Nun ist uns – wie könnte das auch fehlen? – schnell geraten worden: »Also wollt ihr die gute alte Zeit wieder haben, wo die Frauen von Saft und Gesundheit strotzten, dann vor allem hinweg mit Lawn-Tennis und Schneeschuhlauf zurück mit den jungen Mädchen ins Haus!« Selbstverständlich wäre mit so mechanischem Rückwärtsschreiten nicht das Mindeste zu erreichen. Doch auch die Optimisten greifen fehl, die umgekehrt folgern: »Seht, so viel geschieht heute für die Gesundheit! Mindestens viermal so viel als vor fünfzig Jahren! Also muß die Gesundheit unvergleichlich besser daran sein als früher!« Ja, daß viermal so viel geschieht, ist, als Einzelheit aus dem Zusammenhang herausgenommen, richtig. Auf dem ganzen weiten Gebiet der Hygiene sprießt es und regt es sich. Allein was hilft es, daß viermal so viel geschieht wie früher, wenn wir zwölfmal so viel nötig haben?

Die deutsche Rasse hatte vom Schicksal ein ungewöhnlich großes Gesundheitskapital mitbekommen, aber sie hat es leider auch sorglos verwirtschaftet. Es war wie mit dem Radium, das von unglaublich zäher Dauer ist und sich eines späten Tages doch eben zersetzt und verflüchtigt. Die beste Schönheitspolitik, die es hier geben kann, wird sich bemühen, die Reste jenes Kapitals zu schonen und zu sichern. Vorher freilich müßte der Götze endloser Verfeinerung, bis alles, alles verweichlicht und widerstandsunfähig gemacht und auch der letzte Dörfler in einen Städter umgewandelt ist, entthront und entschieden zur Pflege der Robustheit übergegangen werden. Auszeichnungen und Leistungen in der Leibeszucht müßten mehr wert sein als die bisher geforderte Beherrschung eines gewissen Gedächtniskrames. Damit sind wir bei der Aktivhygiene.

Sie ist natürlich ein Programm in sich selbst, aber für jede Mitwirkung, von welcher Seite her auch immer, wird sie dankbar sein. Denn es lag im Wesen der Dinge, daß die ganze Wahrheit nicht auf einmal an den Tag kam, sondern der Aktivhygiene logischerweise die Passivhygiene vorherging. Auch diese – will sagen die durch Organisation von oben her dem Einzelnen zuteil werdende Vorsorge zur Fernhaltung von Krankheit –, die unter uns aufkam, als der Deutsche sich noch in dem schmeichelnden Glauben wiegte, biologisch für ein ferneres Jahrtausend vorgemerkt zu sein, hat unendlichen Segen gestiftet. Sie hat uns vor allem in dem wichtigen Streben nach Reinlichkeit befestigt und dadurch manchen Seuchen, wie auch den entsetzlichen Wundkrankheiten ihre Schrecken genommen. Ja wenn sie uns nichts weiter geschenkt hätte als die zur Vollkommenheit entwickelte, unter dem Namen der »Asepsis« bekannte Technik gefahrlosen, gegen die früher üblichen Störungen und Nachwehen gesicherten chirurgischen Eingriffs, würden wir tief in ihrer Schuld stehen.

Allein es konnte nicht fehlen, daß die Passivhygiene das Publikum zuletzt einschläferte, als ob mit der Bekämpfung von Ansteckungsmöglichkeiten alles Nötige getan sei und man die Hände nunmehr in den Schoß legen könne. Dagegen konnten sich weiterblickende Hygieniker, wie Prof. Hueppe in Prag, nicht dabei beruhigen, daß zwar so viel geschah, doch mit der Abnahme der Seuchen die Gesundheit selbst, das heißt der Vollbesitz leiblicher Tüchtigkeit, keineswegs anwuchs, vielmehr dieses Verfahren verminderter Auslese und künstlicher Erhaltung von Schwächlichen vielfach auf Herabzüchtung hinauslief. Darum sprach Hueppe vor zwei Jahrzehnten schon von aufbauender Hygiene, die, statt die menschliche Gewebsfaser immer nur vor Gefahr beschützen und behüten zu wollen, sie ganz im Gegenteil durch Übung und Stählung so festigen und in ihrer Widerstandskraft stärken soll, daß sie sich auch der Gefahr auszusetzen und ihr siegreich zu trotzen vermöchte.

Als Beispiel mag die Geißel aller heutigen Mütter, die Erkältung, dienen. Eine ängstliche Mutter sperrt, im übeln Sinn passivhygienisch, ihr Kind aus Furcht vor Wind und Wetter in die Stube, läßt es nur in viel zu dicken Kleidern ins Freie und möchte es hier am liebsten von jeder lebhafteren Bewegung zurückhalten. Denn, so schließt sie, die Kinder werden davon krank, daß sie »draußen herumrennen«. Der Begriff Stoffwechsel ist für sie nicht vorhanden. Kranksein heißt ihr so viel wie Diphtheritis haben.

siehe Bildunterschrift

Tafel VIII. Kaiserin Maria Theresia von Österreich. Nach dein Gemälde von Martin de Meytens, gestochen von Andr. Kilian

siehe Bildunterschrift

Tafel VIII. Kaiserin Elisabeth von Österreich. Nach einer Photographie.

siehe Bildunterschrift

Tafel IX. Königin Olga von Württemberg. Nach dem Gemälde von F. N. Heigel.

Anders die Aktivhygiene. Sie sucht durch Bewegung im Freien erstens das Herz in der Meisterung des Blutdruckes zu üben, so daß trotz einer weit energischeren Durchströmung und Versorgung sämtlicher Gewebe mit Blut doch der Druck selbst nicht bei jeder Kleinigkeit unnütz ansteigt; zweitens die Atmung stundenlang ausgiebig zu vertiefen, damit durch lebhaftere Zufuhr von Sauerstoff die erwünschte Gewebsreinigung jeder Faser für die Funktion erzielt wird.

Das führt uns zu der bösen Schönheitsfeindin Tuberkulose, ihren Ursachen und ihrer Abwehr. Die Passivhygiene sagt: Die Tuberkulose kommt von den Bazillen, man muß diese töten. Die Aktivhygiene sagt: Die Schwindsucht ist eine Stuben- und Kleiderkrankheit. Gewisse Unluststoffe (Stoffwechselreste) verlassen uns nur durch eine kräftige Verdunstung, während sie bei zu fest verkleideter, untätiger Haut keinen Weg nach außen finden, sich rückwärts nach innen auf die Schleimhäute der Luftwege werfen und hier jene Katarrhe mit Schleimhautverlusten hervorrufen, die zur Schwindsucht hinführen Vgl. die sieben Beispiele S. 182 ff..

Die Aktivhygiene will also durch eine natürlichere Haltung Widerstands- und Lebenskraft so hoch steigern, daß die Gefahr keine mehr ist, sondern durch die Schutz- und Abwehrstoffe des eigenen Blutes besiegt wird; die Passivhygiene will im Gegenteil durch ein Zaubermittel, das die Bazillen tötet, die Fortführung einer unvernünftigen Lebensweise ermöglichen.

Die Passivhygiene hat uns das Grundwasser der Städte reguliert, uns den Boden, auf dem wir leben, bekömmlicher gemacht, hat uns desinfizieren und isolieren gelehrt und auf diese Weise überall die Sterblichkeit von ihrer einst außerordentlichen Höhe heruntergesetzt, was als Annehmlichkeit für die jedesmal Überlebenden durchaus nicht unterschätzt werden darf. Aber sie hat unser Publikum dazu gebracht, das bloße Fernbleiben von Krankheit schon als biologische Hochwertigkeit zu betrachten, so daß Städte, die voll saftloser Neurastheniker stecken, trotzdem als besonders »gesund« aufgezählt werden, nur weil seit Jahren keine Typhusepidemie, keine Cholera aufgetreten, die Sterblichkeit gering geblieben war. Umgekehrt begnügt sich die Aktivhygiene nicht damit, jedes Siechtum und jede Schwäche bis ins Greisenalter verlängern zu wollen, sondern geht vor allem auf eine lebige, zähe, frohe Jugend aus.

Manches werden wir den großen Forschern der staatlich organisierten Hygiene noch verdanken, besonders in bezug auf jene interessanten Schädlinge, die sich in faulfähigen oder bereits in Fäulnis übergegangenen Geweben einnisten und hier so leicht auch eine eigengiftige Ansteckungsfähigkeit erlangen. Doch der Schönheitsfreund muß zur aktiven Hygiene schwören. Sie ist es, die die Konstitutionen festigt und krankhafte Veranlagungen nicht aufkommen läßt. Eine »gesunde Konstitution« haben solche Menschen, die auf jeden Reiz der physikalischen Außenwelt mit den drei Hauptfaktoren: Herztätigkeit, Atmung und Körperwärme normal reagieren. Ihnen wird gerade nach sogenannten körperlichen Anstrengungen das höchst angenehme Gefühl der Gewebsreinigung zuteil, und wegen des erzielten Umsatzes spüren sie jenen Gewebshunger nach Ersatz, den man »guten Appetit« zu nennen pflegt. Ihr Zellenstaat ist wohlgediehen, weil sie von klein auf solchen wechselnden Luftreizen ausgesetzt und zu scharfem Umsatz in den Muskeln angeregt wurden. Dagegen verkümmerten diejenigen, sind schlecht konstituiert und übel veranlagt, die ängstlich gegen solche Reize geschützt, also verweichlicht worden waren, bis ihr Körper sich in einem Dauerzustande langsamen, ungenügenden Stoffwechsels befand, auf den der Begriff »Gewebsreinigung« niemals Anwendung fand.

Denn jener Gesinnungsreinheit, von der wir im zweiten Kapitel als von einer Voraussetzung für Kraft und Schönheit handelten, entspricht durchaus auch eine körperliche, die man vielleicht besser noch »Schlackenfreiheit« nennen könnte, so daß alle Gewebe stets auf der Höhe ihrer Tauglichkeit bleiben und besonders die Haut rein, glatt und, wie man bei jungen Mädchen so gerne sagt, »durchsichtig« ist. Eine solche Schlackenfreiheit liefert nicht nur den Beweis für Zweckdienlichkeit der Kost und Mäßigung in ihrer Aufnahme, sondern auch für ihre vollendete Durcharbeitung infolge straffer Muskeltätigkeit und zuträglicher Liebe zur Freiluft.

Es war eine herrliche und bequeme Zeit, als es für ein junges Mädchen genügte, geboren zu sein, um sich mit Sicherheit zur lieblichsten Blume zu entfalten. Aber diese Zeit ist vorbei. Heute gilt es zu kämpfen und sich das, was Natur und Umstände nicht mehr so willig wie früher hergeben, in zielbewußtem Ringen zu erarbeiten.

Über den Weg zu diesem Ziele kann gar kein Zweifel obwalten. Wenn Kraft die unerläßliche Bedingung für Schönheit ist, kann sie für Mädchen auf keine andere Weise erstrebt und erlangt werden, als wie sie für Knaben und Jünglinge längst mit bestem Erfolg angewendet wird. Mit dieser »Koedukation«, von der leider gerade bei denen, die das Wort im Munde führen, noch wenig zu hören war, sollte nun endlich Ernst gemacht werden, im Sinn einer hygienischen Reform, die entweder Aktivhygiene sein oder auf dem Papier und ergebnislos bleiben wird.


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