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Die Jesuiten haben es zu allen Zeiten verschmäht, dem Staate und den Gesetzen zu gehorchen, soweit der erstere nicht ihnen gehorchte und die letzeren nicht nach ihrem Sinne waren. Die Jesuiten Ozorius und Gretser schrieben dem Papste das Recht zu, Kaiser und Könige ein- und abzusetzen und ihre Reiche aufzulösen. Unser Zeitgenosse Gury lehrt die nach seinem Buche »gebildeten« Geistlichen, und durch sie mittelbar die von ihnen geleiteten Gläubigen, denjenigen Gesetzen sich nicht zu unterwerfen, welche der kirchlichen Immunität oder den Gesetzen der Kirche entgegen sind, während er dagegen nicht nur den Katholiken, sondern allen Christen vorschreibt, den Kirchengesetzen zu gehorchen und letztere auch dann als verbindlich erklärt, wenn sie vom Staate nicht anerkannt werden. ( Comp. Pars I, No. 91 ff.) Noch 1871 und 1872 nannte die Civiltà cattolica den Papst den obersten Richter und Gesetzgeber der Christenheit, und der Jesuit Tarquini leitete aus dieser Würde – und nicht aus Verträgen – die Konkordate ab. – Es ist klar, daß ein geordneter Staat solche Ansichten nicht dulden darf, weil er mit ihnen nicht bestehen kann.
In der Zollgesetzgebung halten es die Jesuiten durchaus mit den Schmugglern. Gury u. a. lassen es unentschieden, ob das Treiben dieser »dunkeln Ehrenmänner« Sünde sei oder nicht und entbinden sie von jeder Pflicht des Ersatzes an den betrogenen Staat; ja sie gestatten sogar, eigentliche Steuern oder Abgaben, die man dem Staate vorenthalten hat, statt diesem zu geben, zu frommen Zwecken zu verwenden! Sehr nachsichtig ist Gury auch gegen unberechtigtes Jagen und Fischen, gegen bestechliche Richter und Gerichtsdiener und betrügerische Anwälte, sowie gegen Desertion und militärische Indisciplin jeder Art, gestattet dagegen bereitwillig »bei noch nicht vollendetem Kampfe« die Tötung von Unschuldigen, wie Frauen, Greise, Reisende, Geistliche, Ordensleute u. s. w., sofern sie mit den »Schuldigen« (so nennt er die Soldaten) vermischt sind, so daß ohne sie die übrige Schar der Feinde, welche ganz und gar vernichtet werden muß, nicht vernichtet werden könnte ( Comp. pag. 193)!
Die Preßfreiheit verstehen die Jesuiten ganz anders als jeder heutige Staat. Gury versteht unter schlechten, also zu verbietenden Büchern lediglich »ketzerische«, d. h. natürlich besonders solche, die den Jesuiten nicht gefallen. Er gestattet den Verkauf derselben nur an »gelehrte und verständige« Männer, um sie zu widerlegen. Wer Bücher von Ketzern liest oder hält, soll exkommuniziert werden; Gury versteht darunter aber auch kleine Schriften, sogar bloße Briefe von Ketzern, selbst wenn sie nichts von Ketzerei enthalten. Wer aber diese Schriften nur lesen hört, oder nur wenig liest, oder sie liest, um sie zu widerlegen oder den Oberen zu übergeben, ist straflos ( Compend. Pars II, No. 982).
Dies alles ist aber harmlos im Vergleiche zu der Art, wie die Jesuiten die Ketzer, d. h. was sie darunter verstehen, behandelt wissen wollen. Der Jesuit Beccanus ( Opera, Mainz 1649, tom I, pag. 353) unterwirft der kirchlichen Gerichtsbarkeit auch die Personen, die sich von der Kirche getrennt haben, verlangt gegen die »Ketzer« die große Exkommunikation, den Verlust aller Ehren, der sogar auf ihre Kinder und Neffen ausgedehnt werden soll, die Konfiskation sämtlicher Güter, den Verlust des Erbrechtes, der väterlichen Gewalt u. s. w., und erklärt den Staat pflichtig, »im Auftrage der Kirche« beharrliche Ketzer mit dem Tode zu bestrafen. Ja noch in unseren Tagen (1872) behauptete das Jesuitenorgan » civiltà cattolica«, die katholische Kirche habe das Recht, sogar Protestanten und griechische Katholiken mit den schwersten körperlichen Strafen (also auch mit dem Scheiterhaufen!) zu belegen. Natürlich verdammen daher die Jesuiten (besonders der genannte Beccanus a. a. O. pag. 362, und Paul Laymann Theol. mor. Würzb. 1748, t. I, pag. 268) die Religionsfreiheit mit den schärfsten Worten und nennen sie staatsgefährlich. Die Jesuiten dulden heißt also: die Religionsfreiheit ächten!
Noch ebenso feindlich stehen aber auch in unserer Zeit die Jesuiten der Gewissensfreiheit gegenüber. Ihr Organ, die Civiltà cattolica, drückte seine Freude darüber aus, daß die Encyklika und der Syllabus Pius des IX. vom 8. Dez. 1864 »die ganze jetzige Weltanschauung von den Rechten des Gewissens und des religiösen Glaubens und Bekenntnisses« verdammen, und fuhr fort: »Es ist eine arge Verirrung, Protestanten zu gleichen politischen Rechten mit den Katholiken zuzulassen oder protestantischen Einwanderern die freie Ausübung des Gottesdienstes zu gestatten.« Dasselbe Blatt nannte 1869 die Gewissens- und Kultusfreiheit »Wahnsinn und Verderben«. Der Jesuit Liberatore nannte sie 1871 »eine reine Tollheit«. Ja, der Jesuit Brunengo ging 1891 so weit, die Inquisition zu lobpreisen und entgegen den sonstigen Behauptungen der Ultramontanen, ihren kirchlichen Ursprung und Charakter und das Recht der Kirche, sogar weltliche Strafen zu verhängen, zu verteidigen! Denselben Grundsatz verfochten 1869 die Jesuiten Gerhard Schneemann und Clemens Schrader. Bekannt ist, daß der berühmte Jesuitenprediger Pater Roh die Toleranz mit den unflätigsten Beschimpfungen überhäuft hat! – An ihren Früchten soll man sie erkennen!
Wie sich die Jesuiten zur staatlichen Schule verhalten, weiß man schon aus dem Auftreten der ihnen ergebenen Partei. Gury sagt aber ausdrücklich, daß es für Katholiken eine schwere Sünde sei, ihre Kinder in nichtkatholische oder gottlose Schulen zu schicken, oder sie nichtkatholischen oder gottlosen oder sittlich verdorbenen Lehrern zu überlassen. Als Taufpathen schließt Gury »Ketzer« und Leute von schlechten Sitten und übelm Ruf in einem Atem aus. Seine Meinung von den gemischten Ehen ist die der Ultramontanen überhaupt und wie die meisten Ansichten dieser Partei mit dem konfessionellen Frieden in einem paritätischen Staate unverträglich.
Die Jesuiten haben aber niemals danach gefragt, ob ihre Lehren mit der Staatsordnung vereinbar seien, sondern stets gegen jede Regierung gearbeitet, die sich ihnen nicht blindlings ergab. Darum haben auch sämtliche Jesuiten, welche über Politik schrieben, die Frage, ob man einen Tyrannen töten dürfe, bejaht. Dabei ist aber wohl zu bemerken, daß sie unter einem Tyrannen niemals einen solchen verstehen, der zum Vorteile ihres Ordens regiert, und wäre er noch so blutig und grausam, träte auch noch so keck die Gerechtigkeit in den Staub, – sondern stets nur einen solchen, welcher nicht nach dem Willen der Kirche oder speziell der Jesuiten lebt, also einen aufgeklärten Monarchen, wäre auch seine Regierung noch so mild. Der Jesuit Rainold erklärte ausdrücklich die »ketzerischen« Fürsten für die ärgsten Tyrannen. Der Jesuit Mariana sagte darüber: »wir untersuchen nicht, was die Menschen thun, sondern was die Gesetze der Natur erlauben, und nach diesen ist es völlig gleich, ob du mit dem Dolche oder mit Gift mordest« ( de rege et regis institutione, cap. 4). Der Bischof Bouvier von Mans, den Gury als Autorität anzurufen liebt, sagt: »Die Unterthanen müssen den Usurpator (d. h. jesuitenfeindlichen Fürsten) bekämpfen, besiegen, verjagen, ja, wie einen öffentlichen Missethäter ermorden, sobald der legitime (d. h. jesuitenfreundliche Fürst) es verlangt ( Bouvier, Institut, philos. ad usum colleg. et Seminar., Paris 1841, tom III, pag. 628). Den Königsmord verteidigten ferner die Jesuiten Rosseus, Delrio, Bellarmin, Salmeron, Valencia, Azor, Sotus, Busembaum, Suarez, Lessius, Toleto, Tanner, Escobar, Molina, Lugo u. m. A. Es ist daher eine Lüge, wenn behauptet wird, Mariana sei der Einzige gewesen, der dies that. Der Letztere frohlockte über die Ermordung des freilich elenden Heinrich III. von Frankreich und nannte seinen Mörder Clement »die ewige Zierde Galliens« ( de rege I 6). Aber Mariana lebte in Spanien unter Philipp II.! Warum führte er au diesem Tyrannen seine Theorien nicht aus? Nach der Ermordung Heinrichs IV. erließ der Jesuitengeneral Aquaviva zwar ein Edikt gegen den Königsmord, beschränkte sich aber darauf, zu sagen: nicht Jedem (!) sei es erlaubt, Könige zu ermorden. Dies hatte denn auch so wenig zu bedeuten, daß ein guter Teil der genannten Jesuiten der Zeit nach jenem Edikte angehört. Erst in neuester Zeit hat der Jesuit Gury den Fürstenmord verworfen.
Im Mittelalter hatten die Tempelritter den Plan gefaßt, die Gewalt der Fürsten zu vernichten und die Welt durch eine Aristokratie ihres Ordens zu beherrschen. Dem fortgeschrittenen Zeitbewußtsein gemäß versuchen es die Jesuiten mit der Demokratie, und demgemäß sind noch heute in Deutschland und der Schweiz die Ultramontanen und Demokraten politische Bundesgenossen!
Es war ein bewundernswerter, richtiger Blick, der die Jesuiten bereits längst vor der französischen Revolution veranlaßte, sich auf das Volk zu stützen und dessen Souveränität zu lehren. Der Jesuit Bellarmin sagte mit Recht, die Art der politischen Macht, ob Monarchie, Aristokratie oder Demokratie, folge notwendig aus der Natur des Menschen; die politische Macht selbst aber ruhe auf der gesamten Menge; denn es gebe von Natur keinen Vorzug der einen Menschen vor den anderen; die Gewalt der Gesamtheit sei also göttlichen Rechtes. Der Jesuit Mariana baute hierauf weiter die Ausführung, daß es an dem Volke sei, die Regierung zu bestellen und die erbliche Monarchie daher zu verwerfen, weil sie die Persönlichkeit des Herrschers dem Zufall überlasse. Ein Monarch dürfe demgemäß, wenn er seine Macht mißbrauche, vom Volke abgesetzt und mit dem Tode bestraft werden. Man sieht, die englischen Revolutionäre von 1649 und die französischen von 1793 waren gelehrige Schüler der Jesuiten in politischer Beziehung. Aber es ist den Ordensvätern mit der Verteidigung der Volkssouveränität keineswegs um das Wohl des Volkes, sondern nur darum zu thun, die Völker zur Erreichung ihrer Zwecke gegen die Fürsten zu benutzen, um dann an der Stelle der Letzteren die Ersteren zu regieren. Wollten die Templer ein aristokratisches Ordensreich, so wollen die Jesuiten ein demokratisches unter päpstlicher und katholischer Firma errichten, dessen wirkliche Regierung aber in ihren eigenen Händen liegen soll. Und dies ist klug berechnet; denn noch keine Macht hat die Völker so gut zu bändigen und zu gängeln, ihre Sinnlichkeit zu wecken und ihre Verstandesthätigkeit einzuschläfern gewußt, wie die römisch-katholische Kirche, seitdem sie leider unter jesuitischem Einflüsse steht.
Der Jesuitismus unterdrückt, wie Graf Hoensbroech (S. 38 ff.) zeigt, ja vernichtet bis zu einem gewissen Grade das berechtigte Nationalgefühl, den berechtigten Patriotismus. »Von seinem Eintritt, sagt er, bis zu seinem Lebensende wird dem Jesuiten eingeprägt, daß er für die Welt und nicht für diese oder jene Nation da ist; praktisch wird ihm das begreiflich gemacht durch die Verschickung in die verschiedensten Länder.« »Das sind die Gründe (schließt der Genannte), die mich zum Austritt aus dem Jesuitenorden bestimmt haben. Eines bedaure ich, ihren Einfluß nicht früher auf mich haben wirken zu lassen.«