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V. Die Moral der Jesuiten.

. Die moralischen Grundsätze des Ordens der Jesuiten bezeichnet man gewöhnlich durch den Satz: »der Zweck heiligt die Mittel.« Es ist zwar nicht nachgewiesen, daß dieser Satz mit derselben Wortfolge in einer jesuitischen Schrift vorkomme; allein seine jesuitische Herkunft erhellt sowohl aus dem Umstande, daß er aus den Ansichten der Moralisten des Ordens dem Sinne nach hervorgeht, wie wir näher sehen werden, als auch aus folgenden Sätzen jener Gelehrten: Hermann Busembaum stellt in seiner » Medulla theologiae moralis« (erschienen zuerst 1650 in Frankfurt a. M.) als Lehrsatz S. 320 hin: «Cum finis est licitus, etiam media sunt licita«(wenn der Zweck erlaubt ist, so sind auch die Mittel erlaubt), und S. 504: » Cui licitus est finis, etiam licent media.«Der Jesuit Paul Laymann faßt in seiner » Theologia moralis« (München 1625, Liber III, s 4, § 12 p. 20), indem er sich auf Sanchez beruft, jenen Satz in folgende Worte: » Tactus turpes inter coniuges, si fiant ut praeparationes, seu incitamenta ad copulam coniugalem, vacant culpa: quia cui concessus est finis, concessa etiam sunt media ad finem ordinata.« Escobar in seinen » Univ. theologiae moralis recept. sententiae« (Lyon 1652–63) sagt ( Tom IV, l. 33, sect. 2, probl. 65, n. 300, p. 336): » Non peccat, qui ob bonum finem in actibus ex natura sua malis delectatur«(der sündigt nicht, welcher sich wegen eines guten Zweckes an ihrer Natur nach schlechten Handlungen ergötzt). » Finis enim,« so heißt es nach Beleuchtung obigen Satzes an obscönen Beispielen dann weiter, » dat specificationem actibus et ex bono vel malo fine boni vel mali redduntur« (denn der Zweck giebt den Handlungen ihren eigentlichen Charakter, und durch einen guten oder schlechten Zweck werden die Handlungen gut oder schlecht). Der nämliche Satz findet sich auch in den Schriften der Jesuiten Sotus, Toletanus, Navarra, Vasquez, Sanchez, Lessius, Sayre, Sylvester u. a. Bei Carolus Antonius Casnedi » Crisis theologica« (Lissabon 1711) zitieren wir in dieser Beziehung Tom. I, disp. 7, sect. 2, § 5, n. 87, p. 219, wo es heißt: » nunquam posse peccari sine advertentia ad malitiam, nunquam cum bona intentione« (niemals könne ohne Hinwendung zur Bosheit, niemals mit einer guten Absicht gesündigt werden) und Tom. 2, disp. 14, sect. 4, § 3, n. 120, p. 381, wo geschrieben steht: » Bonum morale non pendet nisi a iudicio operantis, quod sive sit, sive non sit materialiter conforme legi Dei, dummodo ut est sub indicio prudenti, sit formaliter conforme legi Dei, ut ab operante apprehensae, satis est Deo, qui primario operantis intentionem consideret« (ob eine Handlung moralisch gut sei, hängt nur von dem Urteile des Handelnden ab, welches für Gott, der ja vorzüglich auf die Absicht des Handelnden sieht, genug ist, es mag nun materiell dem göttlichen Gesetze entsprechen oder nicht, wenn es nach verständigem Urteil und formell dem göttlichen Gesetze entspricht, wie dieses vom Handelnden aufgefaßt ist). Jakob Illsung sagt in seinem »Baum der Weisheit etc.« S. 153: » Cui licitus est finis, illi licet etiam medium ex natura sua ordinatum ad talem finem« (wem der Zweck erlaubt ist, dem ist auch das seiner Natur nach zu solchem Zwecke geeignete Mittel erlaubt). Ludwig Wagemann, jesuitischer Professor der Moral, in seiner » Synopsis theologiae moralis« (Augsburg und Innsbruck 1762), Index lit. F« Finis determinat moralitatem actus«(der Zweck bestimmt die Sittlichkeit der Handlung). Edmund Voit in seiner » Theologia moralis« (Würzburg 1769, neueste Aufl. 1860), Pars I, p. 123 sagt: » Cui finis licet, ei et media permissa sunt«; ebendaselbst p. 472, n. 731: » Cui concessus est finis, concessa etiam sunt media ad finem ordinata.« Pater Vincentius Filliucius aus Siena sagt in seinen » Quaestiones morales de christianis officiis in casibus conscientiae« (Lyon 1634), tom II, fract. 25, cap. 11, quaest. 4, No. 331, pag. 161: Intentio discernit actionem (die Absicht giebt der Handlung ihren Charakter). Auch in neuester Zeit lehrt Johannes Petrus Gury in seinen » Casus conscientiae« (Regensburg 1865), p. 332: » ubi licitus est finis, etiam licita sunt media per se indifferentia«– (die an sich gleichgiltigen Mittel). Der neueste jesuitische Moraltheolog Augustin Lehmkuhl endlich sagt: moralitas tandem desumiter ex fine (die Moralität wird nach dem Zwecke beurteilt; Theol. moralis 5. edit. Friburg. 1888, vol. I, pag. 32, § 30).

Da indessen obigen Stellen gar viele Ausnahmen und Vorbehalte beigefügt, ja sogar in manchen Füllen die »schlechten Mittel« (ein übrigens sehr dehnbarer Begriff) verworfen sind, so kann der wiederholt angeführte Satz nicht als ein ausdrücklich und für sich von den Jesuiten gelehrter gelten. Dagegen ist mit jenen Stellen, worin allein der Zweck dieser Anführungen besteht, der Beweis, daß der Grundsatz »Der Zweck heiligt die Mittel« nicht ohne Grund den Jesuiten zur Last gelegt worden, in unumstößlicher Weise geleistet.

Allerdings wird – leider – auch außerhalb der »Gesellschaft Jesu«, sogar von heftigsten Gegnern derselben, der Grundsatz, daß der Zweck die Mittel heilige, vielfach befolgt. Dies ist aber nicht zu vermeiden; denn es ist nicht möglich, die Befolgung dieses Grundsatzes in seiner Allgemeinheit in die Schranken eines Strafgesetzbuch-Paragraphen zu bringen.

Es würde nun allerdings nicht viel zu bedeuten haben, wenn der Grundsatz, daß, wo der Zweck erlaubt ist, auch die Mittel erlaubt seien, bloß für sich dastände, ohne daß praktische Konsequenzen daran geknüpft würden. Aber das Schlimme liegt eben darin, daß die gesamte Sittenlehre der Jesuiten von der ältern bis auf die neueste Zeit nur in einer weitern Ausführung jenes in seiner Anwendung so bedenklichen Satzes besteht. Diese Sittenlehre ist aber um so gefährlicher, als sie in vielen Fällen mit dem Leben ihrer Urheber im geraden Widerspruche steht und daher um so mehr zu unsittlichem Handeln mittelbar ermuntern oder solches wenigstens entschuldigen kann. Unter diesen Sittenlehren ist nämlich einer der bedeutendsten Antonius von Escobar und Mendoza (geb. 1589, gest. 1669), welcher das strengste sittliche Leben führte und der peinlichsten Pflichterfüllung in seinem geistlichen Amte oblag, was, wie wir nicht zweifeln wollen, auch von den meisten, wenn nicht allen, der übrigen jesuitischen Moralisten gesagt werden kann. Diese Männer haben jedoch durch die laxe Moral ihrer Lehren ihren Gläubigen indirekt das Recht gegeben, ihr eigenes strenges Verhalten für unnötig zur Erlangung religiöser und moralischer Verdienste zu erachten.

Keine Schönfärberei kann die Thatsache umstoßen, daß beinahe sämtliche Jesuiten, welche über Moral geschrieben haben, unter ihnen 50 bis 60 namhafte fleißige Schriftsteller und geistreiche Gelehrte, diejenigen Handlungen, welche vom gesunden Menschenverstande und von den Sittenvorschriften aller civilisierten Völker als schlecht erklärt werden, in vielen Fällen als erlaubt, in vielen wenigstens als zweifelhaft, ob erlaubt oder nicht, hingestellt haben. Da nun keine jesuitischen Morallehrer bekannt sind, deren Grundsätze mit der allgemein geltenden Moral durchaus übereinstimmen, die Schriften aber, in welchen das Gegenteil der Fall ist, vom Orden ausdrücklich gebilligt worden sind, so hat die Kulturgeschichte der Menschheit das vollste Recht, die Lehren der namhaften jesuitischen Morallehrer als Lehren des Ordens selbst zu betrachten. Es ist indessen unsere Pflicht, zu sagen, daß gegenüber den Lehren der älteren jesuitischen Moralisten (des 16. bis 18. Jahrhunderts) der neuere Gury (um 1870) bedeutend bessere, d. h. moralisch strengere Saiten aufzieht, und dem Letztern gegenüber der neueste Moralist Lehmkuhl in der Annäherung an die allgemein als gut anerkannte Moral wieder weitere Fortschritte gemacht hat. Ist es den Jesuiten damit Ernst, so soll es uns freuen; aber ein gewisses Mißtrauen in ihre Aufrichtigkeit dürfen sie uns im Hinblick auf ihre Vergangenheit nicht verübeln.

Die Theorien der Jesuiten in der sogenannten Moraltheologie lassen sich auf verschiedene Kunstgriffe zurückführen, durch welche ein möglichst schlaffes und wenig bindendes Sittengesetz erzielt wird, so daß der witzige Franzose Hallier vom Jesuiten Bauny sagen konnte: Sieh da Den, welcher hinwegnimmt die Sünden der Welt! Jene Kunstgriffe sind: der Probabilismus, die Leitung der Absicht ( methodus dirigendae intentionis) und der innere Vorbehalt ( reservatio s. restrictio mentalis), zu welchen Hauptmotiven noch einige untergeordnete Hilfsmittel kommen, wie die Zweideutigkeit, der Utilismus, Clandestinismus, Quietismus und Formalismus.

Der Probabilismus, (über welchen der Anhang Näheres sagt), diese Grundlage der gesamten jesuitischen Moral, liegt darin, daß alles für erlaubt gilt, was irgend eine achtungswerte Autorität ( Doctor gravis), für Jesuiten also offenbar zunächst eine jesuitische, als erlaubt erklärt. So sagen die Jesuiten Sanchez, Navarra, Escobar, Sa u. a. ausdrücklich: was ein einziger gelehrter Mann behaupte, erhalte hierdurch, wenn auch hundert dagegen sind, einen Grad von Wahrscheinlichkeit ( probabilitas) und dürfe daher unbedenklich vollführt werden. Halten nun mehrere Doctores graves, die Einen eine That für erlaubt, die Andern dieselbe für nicht erlaubt, so hat man die Wahl, sie zu verüben oder nicht. Emanuel Sa geht noch weiter und sagt: »Man kann thun, was man nach einer wahrscheinlichen Meinung für erlaubt hält, wenn auch das Gegenteil vor dem Gewissen sicherer ist,« und Escobar: man dürfe einer weniger wahrscheinlichen Meinung mit Hintansetzung der wahrscheinlichern folgen, ja sogar die sicherere aufgeben und der eines Andern folgen, wenn dieselbe nur ebenfalls wahrscheinlich ist. – Es versteht sich nun aber von selbst, daß ein Jesuit unter mehreren mehr oder weniger »wahrscheinlichen« ( probabeln) Handlungsweisen stets diejenigen ins Werk setzen, beziehungsweise Anderen anraten wird, welche seinem Orden vorteilhafter ( magis conveniens Nostris) ist, – sie möge gut oder schlecht sein ( Declar. in Const. III, 1. 0. VIII, 1 K).

Am gefährlichsten erscheint diese Theorie in Bezug auf eine der bedeutendsten Thätigkeiten des Ordens, diejenige im Beichtstuhle. Die Jesuiten Vasquez und Escobar lehren z. B., der Beichtvater dürfe dem Beichtkinde unter Umständen auch eine weniger wahrscheinliche, ja sogar eine gegen seine eigene Absicht streitende Handlungsweise anraten, wenn dieselbe leichter und vorteilhafter sei, und der Ordensmann Bauny ergänzt dies durch die Versicherung: wenn die Ansicht, nach welcher Jemand handelte, probabel sei, so müsse ihn der Beichtvater absolvieren, auch wenn er selbst eine ganz andere Ansicht hege, und wenn er sich dessen weigere, so begehe er eine Todsünde, – womit auch Sanchez und Suarez übereinstimmen.

Lehmkuhl faßt seine Ansicht über den Probabilismus so zusammen: »In allen zweifelhaften Dingen, und nur in diesen, in welchen es streitig ist, ob sie erlaubt sind oder nicht, darf man der wahrhaft probabeln Ansicht folgen, welche die Handlung oder Unterlassung als erlaubt bezeichnet, selbst wenn die entgegengesetzte Meinung, nach welcher sie für unerlaubt gehalten wird, auch probabel oder sogar probabler ist ( Theol. mor. I, p. 64).« Damit läßt sich schlechterdings jede Handlungsweise rechtfertigen.

Das eben Gesagte erhält gewichtige Unterstützung dadurch, daß in der That die einen jesuitischen Moralisten dieselbe Handlung für erlaubt erklären, welche die anderen verdammen. Während Vasquez den Mord entschieden verdammt, entschuldigen Lessius und Escobar den Mord aus Rache. Gregor von Valencia erlaubte dem Richter, der für die eine Partei so viel Wahrscheinlichkeit des Rechtes vorhanden findet, wie für die andere, derjenigen Recht zu geben, deren Vertreter ihm befreundet ist, ja sogar um seinem Freunde zu dienen, das eine Mal so, das andere Mal anders zu urteilen – wenn daraus kein Skandal erfolge! Azor und Escobar ( Theol. mor. tom. I, p. 48) erlauben dem Arzte, eine Arznei zu verordnen, von welcher anzunehmen ist, daß sie heilen könne, wenn auch wahrscheinlicher sei, daß sie schade.

Ebenso bequem ist die Lehre von der » Leitung der Absicht,« welche darin besteht, daß eine nach gewöhnlichen Begriffen schlechte Handlung dadurch erlaubt werde, daß ein erlaubtes Moment sich ihr beigeselle. So stimmen z. B. die Jesuiten Vasquez, Hurtado und Tanner darin überein, daß ein Sohn den Tod seines Vaters wünschen, ja sich darüber freuen dürfe, wenn er nicht den Tod als Zweck betrachte, sondern das zu ererbende oder ererbte Vermögen ins Auge fasse. Damit nicht zufrieden, gestattet Pater Fagundez jene Freude sogar in dem Falle, wenn der Sohn seinen Vater in der Trunkenheit selbst erschlagen habe!

Besonders bezeichnend für die ältere jesuitische Denkweise ist aber der innere Vorbehalt, mit welchem auch in den meisten Fällen die Zweideutigkeit verbunden ist. Er findet statt, wenn man einen unwahren Umstand versichert, ja sogar beschwört und sich Worte hinzudenkt, durch welche die Versicherung oder der Eid wahr werden. Die Zweideutigkeit wählt statt des Hinzugedachten einen Ausdruck, dem in Gedanken eine andere Bedeutung beigelegt werden kann. Sanchez ist besonders stark hierin und geht so weit, zu erlauben: wenn ein Mörder gefragt werde, ob er den Ermordeten getötet habe, so dürfe er antworten: nein, sofern er z. B. dazu denke, vor seiner Geburt habe er ihn nicht getötet ( Opus morale 1. III, p. 356). In ähnlicher Weise erlaubt Cardenas: wenn jemand einen Franzosen ermordet habe, so könne er ohne Lüge behaupten, er habe keinen solchen ( Gallum) getötet, sofern er sich darunter einen Hahn ( gallum) denkt ( Cris. theol. pag. 395). So kann man z. B. auch leugnen, ein Schloß (an der Thüre) erbrochen zu haben, sofern man dabei an ein Schloß (als Gebäude) denkt. Escobar dehnt diese Lehre aus, indem er davon dispensiert, Versprechungen zu halten, bei deren Ablegung man bereits beabsichtigt habe, sie nicht zu erfüllen!

Noch gefährlichere Folgen kann der Utilismus haben, welcher ein Verbrechen erlaubt, durch welches man einen großen Schaden von sich (!) abwenden kann. Lamy, Lesius, Tanner und Navarra z. B. erlauben, dem Verleumder seiner Ehre durch einen Mord zuvorkommen, sich einem Duell, das sie übrigens für erlaubt halten, durch den Mord des Gegners, ja sogar einem entehrenden Urteile durch den des Richters und der Zeugen sich zu entziehen; Caramuel: ein Weib zu töten, mit dem man sich vergangen, wenn zu befürchten sei, daß sie es verrate.

Harmloser, aber ebenso verächtlich, erscheinen der Quietismus, welcher die Sünde gestattet, sofern die Seele sich ihr »mit Widerstreben« hingebe oder sofern die Person, mit welcher man sie begehe, darin einwillige, – der Clandestinismus, welcher (namentlich durch Escobar) Alles entschuldigt, was geheim bleibt (nach der Regel: si non caste, tamen caute, wenn nicht tugendhaft, doch vorsichtig!) und der elende Formalismus, welcher alle Gebote zu umgehen erlaubt, wenn man es unter einer andern Form thut, als das Gebot enthält, z. B. ein verbotenes Buch in einzelnen Blättern liest, weil man dann kein »Buch« gelesen hat. ( Gury Compend. Ratisb. 1874, Pars II. pag. 906, No. 982).

Gehen wir nun auf die Ansichten der Jesuiten über einzelne Laster und Verbrechen ein, so können wir uns bei der geschlechtlichen Gruppe unstatthafter Handlungen am kürzesten fassen, weil die Art und Weise, wie die jesuitischen Moralisten dieselbe besprechen, den einfachsten Begriffen von Anstand dermaßen in's Gesicht schlägt, daß sie nicht näher erörtert werden kann. Es ist schon bezeichnend, daß die Übersetzungen von Pater Gury's Moraltheologie dieses Kapitel in der lateinischen Ursprache lassen und nicht in neueren Sprachen wiedergeben. Was dabei am meisten abstößt, ist der Umstand, daß die Jesuiten das weibliche Geschlecht mit Abscheu und Verachtung behandeln und nur mit einer Verführung der Männer durch dasselbe, nicht mit dem beinahe allein stattfindenden Gegenteil den Begriff der Sünde zu verbinden scheinen. Was die Männer in dieser Richtung verüben, findet überall seine zahlreichen Entschuldigungen, so daß es kaum einen Fall giebt, in welchem sie verurteilt werden, während die armen Frauen viel schlechter wegkommen. Gestatten ja viele Jesuiten dem Verführer, die Heirat seines Opfers zu unterlassen, wenn – ein schlimmer Ausgang der Ehe »befürchtet« werde, und sprechen einen Mann von jeder Entschädigung an seine Mitschuldige frei, ja sogar von der Bitte um Verzeihung bei den Eltern! Die Jesuiten erlauben auch die Prostitution, welche das Weib bekanntlich zur Sklavin herabwürdigt ( Gury Compend. Pars I. pag. 200, No. 421, Note 1)! Filliucius und Tamburini gestatten sie sogar – ehrbaren (?!) Frauen und Mädchen!!

Wir fügen die bezügliche entsetzliche Stelle, an deren Vorhandensein wir ohne Einblick in das Original kaum glauben konnten, aus Tamburini, der sich auf de Lugo stützt ( Explicatio Decalogi, Monachii 1659, lib. VII. cap. 5. § 3, No. 25 oder Tom. II, pag. 195) wörtlich hier bei: At vero faemina honesta potest petere et saniere, quantum ei placet; ratio est, quia in his et similibus rebus, quae pretio statuto, vel vulgato carent, tanti res potest vendi (!), quanti eam aestimat qui vendit (!) At puella honesta plurimi potest suam honestatem aestimare; unde vides, meretricem, de qua numero praecedente fuit locutio, potuisse initio suae prostitutionis plus accipere; at ubi tanto, vel tanto pretio honestatem suam aestimavit, huic aestimationi debet stare; secus, venderet supra aestimationem. Es ist bezeichnend, daß diese Stelle von keinem einzigen Kritiker unseres Büchleins berührt worden ist. Mit kühler Stirne, wie ein Geschäftsmann von seiner Ware, spricht hier der Jesuit vom Verkaufe und von der Preisschätzung fraulicher und jungfräulicher Ehre, statt von vorn herein eine jede Preisgebung dieses unschätzbaren Gutes mit heiliger Entrüstung zu verdammen! (Vergl. die ähnl. Stelle bei Filliucius moral, quaest. tom. II. tract. 31, cap. 9, No. 231.)

Man wird vielleicht sagen, solche schmutzige Spezialitäten, wie sie besonders Gury mit Vorliebe kultiviert, seien dem Beichtvater notwendig, um in derlei Fällen zu wissen, ob und in wie weit er absolvieren müsse! Jesus, dem die Jesuiten nachzufolgen – vorgeben, war nicht dieser Meinung. Er sagte zur Sünderin: »Gehe und sündige hinfort nicht mehr;« Spezialitäten wollte er keine wissen. Diese thun auch rein nichts zur Sache, wenn einmal Unkeuschheit vorliegt. Eine eindringliche Ermahnung ist hier einem unsaubern Examen doch gewiß weit vorzuziehen, wirksamer und der Kirche würdiger, abgesehen von den Gefahren, die es unter Umständen sowohl dem Beichtvater als dem Beichtkinde bereiten kann! Unschuldige Knaben und Mädchen und unerfahrene Frauen können hierdurch auf Gedanken geführt werden, die ihnen sonst fremd blieben.

Die Lüge spielt eine große Rolle im jesuitischen Moralsystem, leider mehr durch ihre Gestattung, als durch ihr Verbot. Die Jesuiten gestatten in Strafprozessen den Angeklagten und den Zeugen so viele Verdrehungen, Leugnungen und andere Unwahrheiten, daß bei ihrer Befolgung die Thätigkeit der Gerichte ungemein erschwert, wo nicht vereitelt würde. Allerdings setzt Sanchez dabei den Fall, daß die Frage des Richters ungerechtfertigt sei; aber er überläßt die Beurteilung dieses Umstandes dem zu Verhörenden! Aus der weitern Ausführung dieses jesuitischen Gelehrten geht übrigens klar hervor, daß unter einem Richter, welcher ungerechtfertigte Fragen stellt, ein solcher zu verstehen ist, welcher seiner Ansichten wegen bei der Kirche nicht in Gunst steht! Aber auch ohne diesen Umstand darf man nach Sanchez eine Handlung leugnen, wenn man hofft, hierdurch seine Freisprechung zu erzielen oder seinen Vorteil zu wahren oder auch irgend welchen Vorbehalt in Gedanken dabei macht (s. oben S. 65), so daß im Grunde jedes Leugnen als erlaubt erscheint. Unter diesen Umständen wird auch Meineid ausdrücklich gestattet ( Sanchez, opus morale in praec. Decal. Lib. III, Cap. 6, No. 23–46)! Gury verbietet zwar im Allgemeinen jede Lüge, erlaubt aber, »aus wichtiger Ursache« einen geistigen Vorbehalt und zweideutige Worte zu gebrauchen, und beruft sich auf den heiligen Alfons von Liguori, welcher zwar kein Jesuit, aber der Gründer eines der Gesellschaft Jesu befreundeten und ähnlichen Ordens, der Redemptoristen oder Liguorianer war und sich nicht gescheut hatte, zu behaupten, Christus selbst habe solche Kunstgriffe gebraucht ( Gury casus conscient. Ratisb. 1865, pars I. de octavo praec. Decal. pag. 128, No. 415)!!! Einem Jesuiten erscheint also das, was andere Leute als Lästerung einer göttlichen Person auffassen, als Lob derselben! Jesus hat gesagt: »wenn man dir auf die eine Wange schlägt, so biete auch die andere dar!« Seine angeblichen Nachfolger Fagundez, Filliucius, Escobar, Gury u.a. aber erlauben, Verleumdung durch Verleumdung, Schimpf durch Schimpf zu vergelten (Escobar Tom. IV, pag. 368, Probl. I. No. 86), und zwar – zum Heile des Beschimpfers, damit er nicht übermütig werde und damit ihn Andere weniger achten!! Ja, es wird sogar erlaubt, einem Andern ein falsches Verbrechen anzudichten, um vor Gericht der Tortur oder außer Gericht schwerem Schaden zu entgehen (Sotus, Lessius u. A., bei Escobar a. a. D., pag. 373). Escobar, Lessius, Navarra u. m. A. gestatten auch die Eröffnung fremder Briefe, von denen man ein Übel »fürchtet,« oder auch aus Neugierde, wenn man »nichts bedeutendes« darin enthalten glaubt! Sollte aber unerwartetes Übel daraus erfolgen, so ist der Neugierige nach Molina zu keinem Ersatze verpflichtet (Escobar a. a. D. pag 375 f.). Dasselbe gestattet auch Gury ( Compend. Pars I, pag. 221, No. 471).

Dies führt uns auf andere Vergehen gegen die Nächstenliebe. So gestatten mehrere jesuitische Moralisten, durch Einflüsterungen einen Andern aus der Gunst eines Hochstehenden zu verdrängen, indem man Fehler desselben aufdeckt, – ein einem Andern zugedachtes Erbteil für sich selbst zu erbitten, – einem Sünder Krankheit zu wünschen, damit er sich bekehre, oder den Tod, damit sein Unrechtthun aufhöre. – Einem das Gut, um das man ihn gebracht, wenn er den Schädiger beschimpft hat, nicht zu erstatten, – Tote zu beschimpfen etc. (Escobar, IV, p. 384, 388, Molina, Filliucius u. a. Strenger ist dagegen Gury Compend. Pars I. pag 214 f.). Selbst das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern und zwischen Eheleuten begegnet bei den Jesuiten recht häßlichen Grundsätzen. Nach Escobar, Lara, Sanchez, Fagundez, Surdus und anderen sind weder katholische Kinder verpflichtet, ihre ketzerischen Eltern, noch katholische Eltern, ihre ketzerischen Kinder, selbst in schwerer Not, zu ernähren. »Katholiken sind gehalten, Väter, Brüder und Schwestern, wenn sie uns zur Sünde (d. h. zu anderm Glauben als dem kirchlichen) antreiben, zu hassen,« sagt Fagundez, und Escobar fügt bei: denn sie sind nicht Eltern, sondern Feinde der Seele und des Heils ( theol. mor. t. IV. p. 239). Toletus und Escobar (a. a. O.) lehren ferner, daß katholische Kinder ihre Eltern des Verbrechens der Ketzerei anklagen können, auch wenn sie wissen, das dieselben den Feuertod leiden müssen! Escobar behauptet, mit Zustimmung von Molina, Victoria, Henriquez u. a., daß Kinder den Eltern in Hinsicht der Ehe und Bewahrung der Unschuld keinen Gehorsam schuldig seien, und auch Gury ( Comp. pag. 771) ist derselben Ansicht. Sanchez lehrt, daß der Mann die Frau prügeln dürfe und dies erst dann einen Scheidungsgrund abgebe, wenn es mit Todesgefahr für die Frau verbunden sei ( Escobar, theol. moral, tom. IV, pag. 246. Sanchez disput. de matrim. tom. III, lib. 10 de divortio disp. 18, No. 15, 16).

Auf dem Gebiete des Diebstahls huldigen die Väter der »Gesellschaft Jesu« durchweg derjenigen Handlungsweise, welche in Folge eines Mißverständnisses der Legende dem heiligen Crispinus nachgesagt wird. Ein Sohn sündigt nicht schwer, wenn er seinen Vater bestiehlt und das Gestohlene den Armen giebt oder zu standesgemäßer Erholung verwendet oder wenn er dem Vater so viel stiehlt, als ihm dieser für geleistete Arbeiten zu geben hätte und nicht freiwillig giebt. Ebenso eine Frau, die ihrem Manne Geld wegnimmt, damit er es nicht verschwende oder ein ketzerisches Buch, damit er es nicht lese (Busembaum, Escobar, Diana, Lessius, Liguori und Gury). Dienstboten dürfen kleine Portionen Lebensmittel stehlen (Navarra und die Vorigen), Mönche das ihnen von den Vorgesetzten vorenthaltene Notwendige (Escobar u. a.). Arme dürfen kleine Beiträge zusammenstehlen, um sich zu erhalten (Medina, Escobar und Gury). Wer aus Not fremdes Gut verzehrt, braucht es nicht zu erstatten; dem Schuldner darf man nehmen was er schuldet oder dem Gläubiger, was man ihm nach eigener Ansicht zu viel bezahlt hat oder dem Herrn, was man an Lohn zu wenig erhält oder was davon wegen unabsichtlicher Beschädigung einer Sache abgezogen wird. Ebenso ist es erlaubt, auf Grund einer Gegenforderung vom Gläubiger die Quittung zu erschleichen, unter dem Vorwande, ihn bezahlen zu wollen etc. (alles mit noch mehrerem bei Gury compend. P. I. No. 616-625; cas. consc. pag. 177 ff). Auch Lehmkuhl ( theol. mor. I. p. 577 f) gestattet in gewissen Fällen die geheime Schadloshaltung, welche doch nach den Gesetzen wahrer Moral durchaus verwerflich ist. Busembaum, Laymann, Navarra, Liguori und Gury gestatten dem Wesen nach dem Schuldner, mit Bezahlung der Schuld zu warten, so lange er will oder auch für immer, wenn er durch die Bezahlung mehr Nachteil erlitte als der Gläubiger Vorteil hätte, – Lessius und Escobar dem Falliten, so viel zurückzubehalten, daß er anständig leben kann, d. h. in der Praxis: so viel er will, – Sanchez sogar: das Zurückbehaltene vor dem Richter abzuleugnen. Escobar, Filliucius, Liguori, Gury ( compend. P. I. No. 944 ff.) u. a. gestatten den Spielern so viel Freiheiten, daß damit thatsächlich jeder Spielbetrug erlaubt ist, und Moullet ( compend. I, 521) ist so freundlich dem Schneider die Versorgung seiner »Hölle« mit Tuchstücken von »nicht bedeutendem Werte« und verschiedenen Leuten anderweitige geheime Schadloshaltung zu gestatten. Escobar schenkt dem Finder das Gefundene, wenn der Eigentümer unbekannt ist, und so geht der heimliche Kommunismus weiter ins Unglaubliche! – (Escob. IV, p. 342 ff.)

Das schwerste aller Verbrechen, der Mord, begegnet bei den genannten Moralisten gleicher Nachsicht wie die übrigen. Escobar, Navarra und viele Andere erlauben, ohne überall einig zu sein, die Tötung desjenigen, der uns schlägt oder auch nur schlagen will, oder eines »falschen« Zeugen (d. h. eines solchen, der uns schaden kann) oder des Diebes, der uns bestehlen will, ebenso eines Tyrannen (d. h. den man dafür hält), und eines Ehrabschneiders nicht nur, sondern auch dessen, der unsere wirklichen geheimen Schäden offenbart u. s. w. Endlich ist es auch, nach der Ansicht Mancher, dem Sohne erlaubt, den Vater zu töten, wenn dieser – im Banne ist! Während aber die Jesuiten auf so frivole Weise mit dem Leben anderer umspringen, verbieten sie teilweise jeden Opfertod. Manche von ihnen gestatten nämlich nicht, das eigene Leben für das eines Freundes, noch für dessen Ehre und Vermögen auf's Spiel zu setzen, und predigen damit den scheußlichsten Egoismus, der, wenn die Menschen gelehrige Schüler der Jesuiten würden, absolute und allgemeine Unsicherheit des Lebens zur Folge haben würde! (Man findet diese Lehren vorzüglich bei Escobar vol. IV, lib. 32 de praecepto quinto, pag. 265 ff., 273 ff., sowie bei Navarra, Azor, Bannez, Lessius, Vasquez, Fagundez, Sa, Sotus, Hurtado, Victoria, Lorca, Busembaum, Tanner, Filliucius, Molina, Beecanus u. a.) Einige dieser Jesuiten sind allerdings strenger gegen die Mörder als andere, und Gury ist von diesen Mordlehren seiner älteren Ordensgenossen abgekommen, da sie denn doch mit der staatlichen Ordnung der Gegenwart unvereinbar geworden sind; aber er verkündet immerhin noch die durchaus unchristliche Lehre: »Jedermann ist verpflichtet, sich selbst mehr als den Nächsten zu lieben« ( Pars I. No. 221), und die Thatsache besteht trotz alledem, daß nicht nur wenigstens achtzehn gelehrte Jesuiten beinahe wörtlich und dem Sinn nach vollkommen den Grundsatz verteidigen, daß der Zweck die Mittel heilige, sondern ihrer wenigstens ein halbes Hundert, wo nicht weit mehr, und zwar mit Genehmigung ihrer Oberen, diesen Grundsatz in Ansehung aller, auch der schwersten Verbrechen in die Praxis einzuführen bestrebt waren und daß die Jesuiten auch heute noch, wie Gury zeigt, mit Ausnahme des Mordes dieselben Lehren aufrecht erhalten. Es ist zwar zu bemerken, daß diese »Moralisten« die Verbrechen, die wir oben nannten, und noch fernere, die uns zu weit führen würden, nicht immer absolut erlauben, sondern sehr subtil in jedem einzelnen Falle die Gründe für und gegen die Gestattung anführen und schließlich sich bald für und bald gegen dieselbe aussprechen; allein da sie in jedem Falle auch Gründe für die Erlaubnis anführen, so kann der Verbrecher nach dem Grundsatze des Probabilismus dieselben stets als Entschuldigungsgrund gebrauchen!

Uns ist psychologisch anfaßbar, daß die Ultramontanen sich nicht schämen, eine solche Gesellschaft mit der ehrwürdigen katholischen Kirche solidarisch zu erklären und durch dick und dünn zu verteidigen. Wahrlich, es ist weit wichtiger, daß eine solche Gesellschaft aus civilisierten Staaten fern gehalten, als daß ihr zulieb die absolute Vereinsfreiheit, von der man doch gegenüber Sozialisten und Anarchisten auch Ausnahmen macht, aufrecht gehalten werde! Die frechste Behauptung, die man sich denken kann, ist aber die, daß die Jesuiten Nachfolger Jesu seien. Jesus verurteilte ganz klar und einfach alle Verbrechen ohne Ausnahme; die Jesuiten dagegen beginnen zwar stets damit, ein Verbrechen »im Allgemeinen und an sich« zu verbieten, gestatten dann aber hintendrein so viele Ausnahmen, Hinterthüren, Umwege und Schleichwege, daß sich ihre Moral als die nackteste Heuchelei kennzeichnet!

Übrigens haben die Päpste Alexander VII. (1665 und 66) 45, Innocenz XI. durch Dekret vom 2. März 1679 nicht weniger als 65 und endlich Alexander VIII. 1690 noch 38 Lehrsätze der Jesuitenmoral verworfen und verdammt, was aber die späteren und auch noch die heutigen Jesuiten nicht verhindert, bei den meisten derselben zu verharren. –

Wenn nun, allen diesen Thatsachen zum Trotz, der aus dem Jesuitenorden ausgetretene Graf Paul von Hoensbroech in seiner diesen Austritt begründenden Schrift (3. Aust., Berlin 1893, S. 10) sagt: Die Moral der Jesuiten sei eine solche von tadelloser Lauterkeit, so begeht er dannt eine Vermengung der Moral, die der Orden lehrt, mit derjenigen, welche seine Glieder üben. Gegen die letztere schreiben wir nicht, weil wir keine Anhaltspunkte über sie haben, und wollen daher nicht bezweifeln, daß die meisten Jesniten tugendhaft leben. Wir halten es aber für unverantwortlich und schädlich, wenn der Orden trotzdem bis auf den heutigen Tag an dem alle Moral untergrabenden Probabilismus festhält. Es ist absolut unehrlich, wenn dieselben Leute, die nach dem Grafen Hoensbroech, im Herzen voll tadelloser Lauterkeit sind, – zugleich als »spitzfindige Köpfe« das Laster in seinen abstoßendsten Formen entschuldigen, ja sogar gestatten! Zwischen »Kopf« und »Herz« darf es keinen Widerspruch geben!


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