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10

Tag um Tag verging unter Kämpfen und mancherlei Abenteuern. Nun lag Onni schon lange an des Leutnants Seite vor dem Feind, und oft stand er breitbeinig in irgendeiner Gruppe von Soldaten, die wie zu einem Veteranen zu ihm aufsahen und ihn voller Achtung nach den verschiedenen Geheimnissen der Kriegskunst ausfragten.

In seiner heimlichen Rechnung jedoch herrschte nach wie vor Unklarheit. Nur das eine stand fest, daß die Zahl zehn keineswegs unerreichbar war, er näherte sich ihr immer mehr. Je näher er aber dem Ziel seiner Vergeltung kam, um so mehr wuchs seine Unruhe. Es blieb ein Gefühl in ihm, das immer stärker nach Rache dürstete, das auch von den gefallenen Feinden sich nicht beschwichtigen ließ. Es war genau so da wie zuvor, nur überdeckt von der Fülle aufregender Erlebnisse.

Mitunter nahm er sich vor, die Anzahl aufs Doppelte zu erhöhen, dann wieder – und das geschah häufiger – beschloß er, alle »Halben« nicht mitzurechnen und sich nur an die zu halten, die es wert waren. Alles andere war ja längst zum simpeln Handwerk geworden, das zwar Ruhm und auch eine gewisse Befriedigung eintrug, mit seinem wirklichen Verlangen aber wenig zu schaffen hatte.

Noch hatte er dem Leutnant nichts davon offenbart, aber oft fragte er: »Wie kommt es, daß hier in unserem Abschnitt so wenig Russen liegen? Ist denen die Angst so in die Beine gefahren, daß sie sich davongemacht haben, oder geht die Sache überhaupt schon zu Ende?«

»Die russischen Truppen stehen im allgemeinen nicht an dieser Front«, belehrte ihn der Leutnant. »Die stehen weiter im Osten.«

»Na, warum rücken wir dann nicht weiter nach Osten?«

Der Leutnant lächelte. Als jedoch Onni tags darauf wieder fragte: »Sagen Sie, Herr Leutnant, könnten wir uns nicht dranmachen und weiter nach Osten ziehen?« meinte er etwas nachdrücklicher: »Hör mal, kleiner Herr Adjutant, glaubst du vielleicht, man geht einfach so seiner Wege, wie es einem paßt? Man schlägt sich dort, wo's befohlen wird. Verstanden! Wenn du aber auf die Russen so versessen bist, dann sei man ruhig. Wirst schon noch mit ihnen zu tun kriegen, wenn wir erst unten auf die Städte im Süden stoßen.«

Diese Antwort zusammen mit seiner wachsenden Kriegerehre beruhigte ihn sichtlich. In Erwartung des bevorstehenden Großen, das da kommen sollte, beschloß er, sich einstweilen mit seinen unklaren Berechnungen zufrieden zu geben. Daß dies Große wirklich auf die eine oder andere Weise eintreten würde, ahnte und empfand er. Bislang war ja alles nur Anfang, ein kaum beschrittener Weg zu einem unbekannten Ziel.

In seinem Innersten nämlich nährte er eine unwahrscheinliche Hoffnung. Kaum wagte er, sich selbst das einzugestehen, und ebensowenig wußte er, daß diese Hoffnung von Anfang an die geheime Kraft seines Armes und der heimlichste Ansporn im Kampf gegen den Feind gewesen war. Vielleicht hätte er überhaupt nicht gemerkt, was in ihm vorging, wenn ihm nicht von Zeit zu Zeit bewußt geworden wäre, daß er nach etwas suchte. Zum Beispiel, als er sich vom Leutnant und der ganzen Kompanie entfernte und auf das Nachbargehöft zustürmte. Er hatte wohl insgeheim seine Absicht dabei, es hätte ja doch sein können ... Und wie oft ging er nicht umher, untersuchte gefallene Feinde und drehte den einen oder anderen, der da im grauen Mantel lag, um. Und hatte er einen einzigen russischen Gefangenen unbeachtet gelassen?

Er suchte ein Gesicht. Er hegte die unwahrscheinliche Hoffnung, daß er in diesen meilenweiten, riesigen Wäldern und unter all den kämpfenden Männern den finden würde, den er suchte. Oder würde er ihm in einem der zusammengeschossenen, rauchenden Dörfer begegnen, in irgendeiner ausgeplünderten Kirche vielleicht, die gerade über dem glaubensfesten Pfarrer in Flammen aufging? Oder sollte es erst dort unten in den Städten im Süden geschehen, dort, wo er vielleicht in einen Keller hineinstürmen und eine Tür sprengen würde? Würde er ihn dort in einem dunklen Winkel unter der Erde zusammengekauert und zitternd finden – den Richtigen?

Um diese Zeit wurde der Leutnant plötzlich auf einige Wochen von der Front abberufen. Er sollte zwei neu aufgestellten Kompanien von seinem tüchtigen Küstenvolk den letzten Schliff geben und sie dann ins Feuer führen.

Onni Kokko blieb zurück. Er wurde in derselben Stellung von dem Jägerkapitän Karr übernommen, einem hünenhaften und wortkargen Mann. Auf seinem neuen Posten hatte er nicht zu klagen, es kitzelte sogar seinen Stolz ein wenig, daß er auf diese Weise im Rang gestiegen war. Aber Stiefelputzen und ähnliches nahm leider überhand, und die ewige düstere Miene des Kapitäns bedrückte ihn so, daß er die Tage zählte. Jetzt ging es nicht mehr an, mit seinem Chef über alles zu sprechen, was man auf dem Herzen hatte. Nein, so wie der Leutnant war doch keiner.

Trotz seinem gehobenen Stolze war es daher nicht mehr wie früher, und Onni Kokko setzte seine ganze Hoffnung darauf, daß der Kapitän gesagt hatte: »Ich übernehme ihn also so lange, bis ...«


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