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Verdammte Wespen! Wurde ihm das Leben nicht reichlich sauer jetzt, wo er wieder ohne Stellung war? Aber wer konnte denn was dafür, daß die Rosinenkiste kaputt ging und die ganze Bescherung am Boden lag. Das hätte der Lagermeister schließlich auch begreifen können, daß die Kiste ...
Verdammte Wespen! Da hatte er sie wieder um die Ohren!
Er schlug mit der Mütze nach einem der großen, gelben Angreifer, der mit wütendem Summen zwischen den schwankenden Grashalmen verschwand. Es staubte bloß vom trockenen Erdboden hoch, als der Schlag fiel. Das Summen entfernte sich und erstarb nach und nach.
Jetzt sangen nur noch die elektrischen Steinbohrer ihr einförmiges und schrilles Lied da draußen in der Sonnenglut. Dieses Lied kannte er allzugut. Die schnellen, regelmäßigen Schreie, mit denen sich Stahl in Granit frißt, das harte Knattern, fast wie die russischen Maschinengewehre auf dem Schießplatz, wo die großen, bemalten Scheibenfiguren immer auf und nieder tanzten. Das Lied hatte seinen eigenen stolzen Klang gehabt, als noch Waldemar Kokko am Steinbohrer stand, sein starker Vater. Er entsann sich gut jenes Abends, als Vater heim kam und erzählte, daß das jetzt 'ne ganz andere Sache mit den Sprengarbeiten würde, jetzt hätten sie den ersten elektrischen Bohrer bekommen, und er, Kokko, sollte den bedienen. Am folgenden Morgen war er mitgegangen und hatte zugesehen, wie der Vater das Wunderwerk in Gang setzte, und nach knapp einer Woche hatte er das auch raus gehabt und es dem Kalle und den anderen Jungens vorgemacht. Ja, und den Stationsarbeitern auch. – Jaja, damals war man noch ein Kind, aber nun zählte man schon volle vierzehn Jahre.
Pärrrr ...! echote es zwischen den steilen Felswänden. Dann fuhr ein Zug, von der Stadt herkommend, unten in der Tiefe vorbei; zischend und sich ringelnd wie ein Wurm rasselte er dort draußen im grünen Land heran, mit flimmernder Hitze über den schwarzen geteerten Dächern der Wagen, bis er dann bullernd und brausend zwischen die Steinmassen eintauchte. Nur der Rauch quoll weiß und gewaltig aus dem blauen Schatten da unten herauf. Kurz hernach kam ein Güterzug gemächlich pustend in entgegengesetzter Richtung auf die Stadt zu. Die beiden Züge begegneten sich drinnen im Berg, und die Erde zitterte und donnerte in weitem Umkreis.
Aber dann war das vorbei, und wieder begann ein Bohrer: Pärrrr ... Und ein anderer und ein dritter folgten noch schärfer: Pärrrr ... Pärrrr ...
Nein, es war jetzt nicht mehr dasselbe Lied. Seitdem Vater das zustieß im vorigen Frühling ... seit Vaters Tod, war da ein Knirschen hineingekommen, das es früher nicht gab. Es war, als ob der Stein vor Schmerz unter der Stahlspitze schrie. Da klangen beinah noch die russischen Maschinengewehre besser ... Nein, doch wohl nicht. Ru-ss-en!
Ja, die Russen!
Onni Kokko lag längelang auf dem Bauch in dem spärlichen Gras, die Ellbogen auf den Boden gestützt und die Handflächen schwermütig gegen die Wangen gedrückt. Sein rundliches Gesicht hatte sich unter dem Einfluß der düsteren Grübeleien ungewöhnlich lang gezogen. Aber bei dem letzten Gedanken sprangen zwei gelbe Funken in seinen Augen auf. Die braunen Finger krampften sich in das zerzauste Haar, und die Kiefer klappten mit einem Biß zusammen, es war zu spüren, wie sein Herz voll war von dem einen unausgesprochenen Wort: Satan!
Er lag in einer kleinen Senke zwischen den vielen grünen Höckern da oben auf dem Berge, den der Schienenstrang mitten durchschnitt. In der Ferne hörte man den Lärm und die Geräusche der Stadt, und in gleicher Richtung, nicht weit von ihr, lag der erste Rangierbahnhof, wo sich die Züge von geringerer Wichtigkeit zu stauen pflegten, bis endlich ein Gleis in der engen Durchfahrt frei wurde und einer nach dem anderen in die Hauptstadt abgelassen werden konnte. Es blinkte und tönte von Signalen, Tag und Nacht, zwischen diesen beiden Punkten, dem Bahnhof und seinem Vorposten. Und ebenso wie die Stadt selbst, wuchs auch der Bedarf an neuen Gleisen in dieser Enge; und Jahr um Jahr sangen die Bohrer und donnerten die Sprengschüsse dort drinnen im Berg und fraßen eine immer breitere Schlucht in ihn hinein.
Onni hatte sich hierher gelegt, weil er nichts anderes zu tun hatte. Außerdem war er keineswegs darauf erpicht, sich um diese Tageszeit zu Hause blicken zu lassen. Wenn er sich morgens zur gewöhnlichen Zeit auf den Weg zur Stadt machte, brauchte ja niemand zu wissen, daß er mit seinem leeren Magen in irgendeiner Mulde bis zum Abendbrot liegen blieb. Damit wurde man am leichtesten fertig, wenn man sich still verhielt. Der Magen war doch wohl kein so gewichtiger Herr, daß man sich von ihm kleinkriegen lassen mußte. Man legte sich ganz einfach auf den Bauch und drückte ihn gegen den Boden. Da konnte er bullern und aufbegehren, soviel er wollte – man blieb in diesem Ringkampf doch oben.
… Nicht, daß die Mutter groß was gegeben hätte auf die Herren und Direktoren in der Stadt da drinnen, und noch dazu jetzt, seit sie waschen gehen mußte und sie bei Onkel Isak wohnten. Mehr als einmal war sie abends mit wunden Händen vom Waschen heim gekommen und hatte sie alle ans Fenster gezogen, um ihnen zu zeigen: solche Hände! ... dafür würde sich das Herrschaftsvolk wohl bedanken. Im übrigen war Mutter nicht so, daß man so gern mit ihr sprach, und käme man etwa an und sagte, daß einer von diesen Herren einen ganz unberechtigt aus dem Dienst gejagt habe, da wußte man schon, was man zu hören bekäme: Schieb die Schuld nicht auf andere, ich weiß schon, was du für einer bist.
Nein, wenn er nicht bald einen neuen Dienst kriegte, und wenn der Magen nicht mehr bis zum Abend hungern sollte, so war es wohl nur Onkel Isak, dem er sich anvertrauen konnte. Das war ein hilfsbereiter Mann. Er hatte ja damals auch alles in Ordnung gebracht, so gut es eben ging. Also war er der einzige, mit dem man reden könnte, obschon er eigentlich nie eine Antwort gab. Damals, letztes Frühjahr, hatte er aber immerhin soviel gesagt: Nun ist dein Vater tot, Junge, und nun werde ich, kurzum, gewissermaßen ... ich ... – Dabei war es seitdem geblieben. Das einzig Verdrießliche mit ihm war, daß er die Russen nicht so richtig haßte. Aber schließlich wußte er ja ebensowenig wie Mutter, was Onni wußte.
Die Bohrer sangen, die Züge brausten unten in der Tiefe vorbei.
Onni Kokkos Kopf war immer tiefer gesunken, nun lag er schläfrig auf dem ausgestreckten Arm. Vor seiner Nase erhob sich ein Gräserfeld, das glich einem grünen Walddickicht ohne Äste. Vielleicht sahen so die Bambusdschungeln im Lande Indien aus? ... Nun kletterte ein rotgesprenkelter Käfer sacht und vorsichtig an einem Halm hinauf, und der begann an der Spitze zu schwanken. Das war eine Tigerbestie in dem Dickicht. Onni Kokko gähnte.
Das Gräserfeld vor seiner Nase stand reglos in der windstillen Julihitze. Aber jedesmal, wenn drunten ein Zug vorbeidonnerte, fuhr ein Windhauch bis hier herauf, und die Halme beugten sich nieder. Dann wurden jenseits der Bahn für einen Augenblick die sonnenheißen, gelben Steinmassen sichtbar. Und dort zwischen den glutheißen Granitblöcken bewegten sich braungebrannte Gestalten mit nacktem Oberkörper. Die beugten sich über ihre lärmenden Bohrer, und noch von hier aus sah man ihre Körper in der Sonne glitzern, als seien sie aus Glas. Das kam, weil sie so schwitzten.
Genau so hatte auch Vater schwitzen müssen, aber ... ja, mit seiner Hünengestalt konnte es keiner aufnehmen ... Vater – immer wieder war er da!
Abermals donnerte ein Zug vorüber, wieder legten sich die Halme nieder. Aber nun war es, als tanzten die Gestalten oben im Steinbruch und die blanken Schienen, die sich drunten schlängelten – alles tanzte und zitterte ganz fern hinter einem heißen, flimmernden Dunstschleier ...
Er schloß die Augen und schlief ein. Die Züge brausten, die Bohrer sangen.
Aber da war jetzt etwas Garstiges, oder träumte er nur? ... Plötzlich fuhr er hoch und schlug sich noch halb im Schlaf und verwirrt um den Kopf. Dann rollte er sich wie betäubt im Grase herum. Uiii! ... was doch ein Wespenstich brennen konnte! Es brannte wie Feuer im ganzen Kopf.
Er spuckte sich in die Hand und rieb damit über die anschwellende Stelle. Das linderte den stechenden Schmerz ein wenig. Dann legte er sich wieder hin, unlustig und feindlich gesinnt gegen die ganze Weltordnung. Alles und alle verfolgten ihn.
Nun war kein Bohrer mehr zu hören, und kein Zug fuhr unten vorbei. Er wußte, was das bedeutete. Jetzt kam die Drei Uhr-Sprengung.
Gleich darauf hörte er Knall auf Knall die ersten Sprengschüsse und dann das dumpfe Gepolter brechender Steinblöcke.
Und immer war der Vater wieder dabei, und jetzt mehr denn je!
Solch ein Knall war es damals, letztes Frühjahr, gewesen, jener Schuß, der lange vor der eigentlichen Sprengzeit losgegangen war, früh am Morgen, als gerade der erste Bohrer zu surren begann. Vater hatte in diesen Tagen allein auf einer Stelle gebohrt ...
Wieder zogen die quälenden Bilder durch seinen Kopf, der noch vom Wespenstich brannte. Er sah sich selbst, wie er an dem klaren, windigen Aprilmorgen der Bahn entlang nach der Stadt zu ging. Da kam ihm eine Schar Arbeiter entgegen, und mitten in der Schar wurde eine Bahre getragen. So was war ihm ja auch früher schon bei Unglücksfällen begegnet, und eigentlich hatte er bloß im Vorübergehen fragen wollen, wer das sei und ob er noch am Leben sei. Da aber sah er schon von weitem, daß der rotbärtige Piilonen an der Spitze ging und mit den Armen durch die Luft fuchtelte.
»He, du Satansbengel, das hier ist, gottverdammich, dein Vater heute, komm mit zur Mutter!« Und Piilonen faßte ihn mit hartem Griff im Nacken und sprudelte eine Flut von bekümmerten Flüchen unter seinem fuchsigen Bart hervor.
Und während er noch unter dem ersten Schmerz und dem festen Griff dahinwankte, begriff er etwas. Am Abend zuvor, da war ihm nichts aufgefallen – aber nun war es zu spät. Am Abend zuvor ...
Er machte sich los und folgte den Männern. Noch heute empfand er deutlich die Schwäche in den Knien, noch heute fühlte er, wie schwarze Punkte vor seinen Augen tanzten, als er zur Bahre hinüberblickte, die da im Haufen der Männer schwankte.
So ging es langsam an der Station vorbei und hinauf in das große rote Ziegelhaus zur Mutter. In allen Stockwerken wurden die Türen aufgerissen, die Familien der Arbeiter stürzten heraus. Die Träger stiegen Schritt um Schritt mit ihrer Bürde die Treppen hinauf, und hinter ihnen drängten sich im Treppenhaus die Menschen, um die blutige Bahre zu sehen, die in den Treppenkehren wendete und schwankte. Die Nachbarsfrauen jammerten, das junge Volk gaffte und murrte.
Und dann lag Vater Kokko tot da oben in der Wohnung, ein Arzt kam, holte ein paar Stücke von dem zersplitterten Bohrer aus seiner Brust und schrieb etwas auf ein Stück Papier.
Es folgte all das Gejammer, dann das Begräbnis und schließlich die Übersiedelung zu Onkel Isak, hinunter in die Stube am Kreuzweg. Die am meisten in jenen Tagen heulte, war Schwester Anna. Aber Onni wußte, was er wußte, und viele Worte waren es nicht, die er seitdem mit ihr gewechselt hatte.