Thomas Theodor Heine
Seltsames geschieht
Thomas Theodor Heine

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Biwolins Bombe

Ratlos stehen die Völker den Schrecken der Atomspaltung gegenüber, aber doch voller Stolz über diesen ungeheuren Fortschritt der Wissenschaft. In ihrer Bestürzung vergißt die Menschheit, daß die Erfindung gar nicht so neu ist. Jeder weiß doch, daß bereits im Mittelalter die Alchimisten eifrig mit der Dressur der Atome beschäftigt waren und sowohl wissenschaftlich wie pekuniär schöne Erfolge erzielten. Kein Zweifel, daß schon damals einigen Meistern die Zähmung der Naturkräfte gelungen war, daß sie Metalle nach Belieben in andere verwandeln, Gold in großen Mengen herstellen konnten. Die aufgeklärten Fürsten vergangener Jahrhunderte hielten sich neben Hofnarren, Hofdichtern und Hofmalern auch Hofalchimisten. Herzog August, genannt der Gütige, hatte einen besonders tüchtigen Alchimisten in seinem Dienst. Biwolin hieß er. Der erzeugte so viel Gold, wie gebraucht wurde, um alle Ausgaben des Herzogtums Buxtehude zu bestreiten. Niemand im Ländchen hatte auch nur einen Pfennig Steuern zu zahlen. »Ich will nur reiche Untertanen haben«, sagte August der Gütige und schenkte jedem Bedürftigen so viel Gold, daß er reich und ohne Sorgen leben konnte. Glückliche Menschen, wohlgepflegte Straßen, üppige Felder, fettes Vieh, prächtige Bauten überall. Das Volk 103 wußte, daß es all das seinem Herzog zu verdanken hatte, verehrte und liebte ihn.

Die Werkstatt des Alchimisten war etwas abseits in einer Felsgrotte gelegen. Die war durch drei dicke eiserne Türen abgeschlossen, zu denen nur der Herzog und er die Schlüssel hatten. Meister Biwolin arbeitete immer allein, ohne jeden Gehilfen, unter strengster Heimlichkeit.

Eines schönen Tages besuchte ihn der Herzog wieder, um anzugeben, wieviel Gold gebraucht würde. Dabei sah er sich interessiert um, was für neue Versuche gemacht wurden, ließ sich alles erklären. »Was ist das hier für eine eiserne Flasche?« fragte er. Sie war nicht größer als eine Weinflasche. »Ja, Hoheit, das ist eine Überraschung, die ich mir zu Dero Allerhöchstem Geburtstag ausgedacht habe.«

»Der ist ja morgen, also kannst du mir heute schon dein Geheimnis preisgeben.«

»Nun wohl, es sei, Herzogliche Hoheit! Buxtehude soll nicht nur das reichste Land der Erde sein, sondern auch das mächtigste. Mit solcher Flasche können wir die Weltherrschaft erringen, alle Nachbarländer, ja alle Länder der Welt erobern, verwüsten, Menschen, die Widerstand wagen, vernichten, ohne selbst Gefahr zu laufen.«

Der Herzog lachte: »Ei, ei, Biwolin! Was du nicht sagst! Was ist denn in dem Dings? Vielleicht Schießpulver?«

Der Alchimist blieb ernst: »Es ist weiter nichts darin als zwei winzig kleine Elemente, Atome nenne ich sie. Aber zwei Atome, die wahnsinnig verliebt ineinander sind und sich vereinigen wollen.« Er schraubte die Eisenflasche in der Mitte auseinander, 104 und es zeigte sich, daß sie aus zwei Teilen bestand, jeder durch eine grau schimmernde Bodenplatte abgedichtet. Biwolin erklärte: »Ich habe die Atome durch eine Schicht Blei und Graphit voneinander getrennt. Wird diese Schicht durch eine kleine Erschütterung aus ihrer Lage gebracht, stürzen sich die Atome aufeinander. Dabei werden ungeheure Kräfte frei, so gewaltige, als wenn alle Vulkane der Erde gleichzeitig losbrechen und alles Land, alles Lebende zerstören.«

August der Gütige dachte nach, dann fragte er: »Und wie hast du dir den weitern Verlauf gedacht?«

»Sehr einfach, Herzogliche Hoheit. Zuerst schießen wir nach allen Himmelsrichtungen je eine Flasche auf die Nachbarvölker. Die werden sofort vernichtet sein, zu Widerstand unfähig, meistens tot. Dann besetzen wir ihr Gebiet und arbeiten von dort aus in demselben Sinne weiter, bis uns die ganze Welt gehört.«

Der Herzog wurde immer bedenklicher: »Du phantasierst, ich kann dir nicht glauben.« Biwolin holte einen Stoß Papiere herbei, die waren mit Zeichnungen, Zahlen, mathematischen Formeln bedeckt. »Hier sind die Beweise. Bei allem, was mir heilig ist, ich habe die Wahrheit gesprochen – und – August der Gütige soll der Herrscher der Welt werden. Wissenschaft gibt Macht.« – »Ja, der Gütige«, murmelte August. Er war blaß geworden, fragte mit zitternder Stimme: »Hast du niemanden in dein Geheimnis eingeweiht, niemanden?«

»Ich schwöre zu Gott, niemand weiß davon außer dem Herzog und meiner Wenigkeit.«

»So verbrenne die Papiere dort im Feuer des Schmelzofens.« Biwolin zögerte. »Sofort. Ich, der Herzog, befehle es.« 105 Widerwillig wurde das Gebot befolgt. Der Alchimist stand gebückt vor der Glut, warf langsam ein Papier nach dem andern hinein.

Während er noch damit beschäftigt war, zog der Herzog seinen Degen und stach ihn von hinten nieder, indem er sagte: »Nichts für ungut, aber mein weiches Herz erfordert es.« Dann ergriff er eine Schaufel, übergab den Toten dem Feuer und zog die Schnur des Blasbalgs, bis kaum noch ein verkohlter Rest zu sehen war. Tränen flossen über das herzogliche Antlitz, von einem Seufzer begleitet und dem traurigen Ausruf: »Es mußte sein. Ich habe die Menschheit gerettet.« Er wankte hinaus, verschloß die drei Türen hinter sich.

Am folgenden Tage war dort angeschrieben: »Eintritt strengstens verboten.«

Von dem Alchimisten Biwolin hat nie jemand wieder gehört.

Die Welt war gerettet, aber Buxtehudes Wohlstand war dahin. 106 Das Gold fehlte. Bald mußten Steuern im Lande erhoben werden. Arme Untertanen verlangten vergeblich Unterstützung vom Herzog. Paläste, Häuser gerieten in Verfall. Anstatt der Goldmünzen wurden zuerst solche aus Blech, dann aus Papier in Umlauf gesetzt. Alle Preise stiegen unerhört. Das Ausland lieferte keine Waren mehr. Elend begann, Zerlumptheit, Unzufriedenheit. »Weshalb haben wir unsern August eigentlich den Gütigen genannt?« fragten die Leute.

Revolution brach aus. Als drohende Volkshaufen vor das Schloß zogen, trat der Herzog auf den Balkon und begann schluchzend 107 eine Ansprache: »Geliebte Untertanen, wenn ihr wüßtet, welches Opfer ich dem Wohle der Menschheit gebracht habe, würdet ihr –« Dann brach er zusammen. Ein Schlaganfall hatte ihn dahingerafft.

Johlend drangen die Aufrührer in das Schloß. 108

 


 


 << zurück weiter >>