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Die technischen Schwierigkeiten des Fluges in die Stratosphäre waren überwunden; es erwies sich, daß der Aufstieg in viele tausend Meter Höhe nicht nur die Schnelligkeit des Luftverkehrs verbesserte, sondern auch seine Sicherheit. Aber die Verdünnung der Luft, ja das gänzliche Fehlen der Atmosphäre machte künstliche Sauerstoffatmung unentbehrlich. Sie wurde leicht ertragen, schien aber bei längerer Dauer die Gehirnfunktionen ungünstig zu beeinflussen, merkwürdige Halluzinationen hervorzurufen. Immer häufiger berichteten die Stratosphärenflieger von unerklärlichen Erlebnissen. Sonderbar, daß die Wahrnehmungen der Piloten durch die Erzählungen der Passagiere voll bestätigt wurden.
In 13 000 m Höhe vernahm man herrliche Musik nie zuvor gehörter Melodien, vielstimmigen lieblichen Gesang, dann plötzlich markerschütternden Aufschrei, dem ein Geräusch wie von flatternden Flügeln folgte. Durch die leicht beschlagenen Fenster sah man undeutlich eine horizontal schwebende weißgekleidete Gestalt, über die sich andere Gestalten beugten, ebenfalls in langen weißen Gewändern. »Wir haben jemanden niedergestoßen«, rief ein Passagier entsetzt, und man konnte ihn nur schwer beruhigen. Der weitere Flug verlief ohne Zwischenfall. Ähnliches ereignete sich wiederholt. – 78
Die Abendblätter berichteten mit fettgedruckten Schlagzeilen darüber, nicht nur in Europa und Amerika, sondern auch im Himmel. So las man im »Himmelsexpreß«: »Schon wieder ein Engel überfahren! Heute nachmittag war eine Abteilung des Engelvereins ›Halleluja‹ mit den Harfen zu einem Übungsflug ausgerückt und schwebte singend und tönend durch das Firmament.
Ein rücksichtsloser Fliegerwildling kreuzte in rasender Fahrt, ohne das geringste Warnungszeichen zu geben, den Flug der Engel. Allen bis auf einen gelang es in letzter Sekunde auszuweichen. Dieser wurde, schwer verletzt, in bewußtlosem Zustand heimgebracht, wo ihm St. Peter die erste Hilfe angedeihen ließ. Er war aber nicht mehr zu retten. Der irdische Rohling, welcher anscheinend unter Spriteinwirkung stand, hatte sich, ohne irgend Notiz zu nehmen, eiligst entfernt. Das ist schon der vierte Engel, den wir auf diese nichtswürdige Weise verloren haben.« 79
Der Himmel flaggte Halbmast. Engel versammelten sich in erregten Scharen. Auf einer etwas erhöhten Wolke stehend redete ein Heiliger zu der Menge: »Geliebte Engel! Schon lange haben wir die irdische Entwicklung mit Mißbehagen wahrgenommen. Bis vor kurzem war allerdings die Gefahr nicht so akut. Wohl führten Engel Klage darüber, daß sie von sogenannten Wolkenkratzern häufig an den Fußsohlen gekitzelt wurden.« (Zurufe: »Pfui – Frechheit!«) »Zur Strafe dafür und als Warnung hat man den Irdischen einige Diktatoren und Kriege gesandt.« (»Bravo!«) »Es hat leider nichts genützt. Im Gegenteil. Unsere Grenzen sind von irdischen Flugzeugen mißachtet worden, sadistische Stratosphärenflieger haben harmlose Engel überfallen. Nie war die himmlische Ruhe so frech bedroht wie jetzt. Das 80 Maß ist voll. Wir fordern die Himmelsregierung zu energischster Abwehr auf. Sie soll sofort durch ein heftiges Unwetter ihren Protest zum Ausdruck bringen, für den Fall weiterer Übergriffe Überschwemmungskatastrophen und Vulkanausbrüche in Aussicht stellen, ja vor Androhung von Pestilenz und Hungersnot nicht zurückschrecken.«
Ein flammendes Protokoll wurde abgefaßt, das eine Abordnung von vier prominenten Engeln an den Stufen des Himmelsthrons ehrfürchtig niederlegen sollte.
Ausführlicher Bericht erschien im »Hosianna-Kurier«, dem Fachorgan der Engel. 81
Das Regierungsblatt »Die Sternenpost« suchte zu beruhigen und führte in einem Leitartikel aus, daß die Anwendung von Gewaltmitteln überflüssig sei. Es sei doch viel einfacher, der irdischen Welt ihren Frieden solange vorzuenthalten, bis sie die Sicherstellung des himmlischen Flugwesens garantiert habe, um so mehr, als sich nun kein Friedensengel ohne die größte Gefahr hinauswagen könne.
Das schien in der Tat die Ansicht der Himmelsregierung zu sein. Man behandelte die Sache aufschiebend, es geschah nichts.
Unter den Engeln verbreitete sich gereizte Stimmung. Viele waren zum Äußersten entschlossen. Sie drückten ihren Protest dadurch aus, daß sie nicht mehr flogen, sondern mit zusammengebundenen Flügeln herumspazierten. Ein Generalstreik der Engel sollte proklamiert werden. Düstere Wolken ballten sich am Firmament. Eine unermeßliche Katastrophe drohte hereinzubrechen.
In diesem kritischen Augenblick schwebte die Seele eines 82 Verstorbenen herauf. Am gefährlichsten Straßenübergang der Großstadt war ein Verkehrsschutzmann postiert, der bald den rechten, bald den linken weißüberzogenen Arm erhob, um die Passanten und Wagen anzuhalten oder in Gang zu setzen. Die Bremse eines Automobils hatte versagt und der brave Verkehrsschutzmann,. Herr Oberwachtmeister Köster, war getötet worden. Wie es sich für einen Schutzmann gehört, kam seine Seele sofort in den Himmel.
Noch mit den weißen Überärmeln an der dunklen Uniform bekleidet, meldete er sich bei St. Peter und gab seine Personalien an. Als er seinen Beruf nannte, hatte St. Peter eine Idee. 84 »Verkehrsschutzmann? Das ist gerade, was wir brauchen.« Er rief sofort die Erzengel Gabriel, Michael und Raphael telefonisch herbei, und in der Pförtnerstube fand eine wichtige Besprechung statt. Herr Köster hörte mit Erstaunen, daß es auch im Himmel Verkehrsprobleme gab. Interessiert entwarf er einen Plan zu ihrer Lösung, während ihm noch die Flügel angesetzt wurden. Die Erzengel, von Köster angeleitet, begriffen sogleich, worauf es ankam.
Sie übernahmen das Amt der Verkehrsoberschutzengel, eine Anzahl Cherubim und Seraphim wurden zu Verkehrsunterschutzengeln ausgebildet. Die Uniformierung wurde der irdischen nachgeformt, war aber weiß mit schwarzen Überärmeln. Köster, nun auch ein Engel, hatte die Oberleitung.
An den hauptsächlichsten Wegkreuzungen wurden kleine Wolkentürme aufgestellt, von denen aus die Überwachung geschah. Man konnte sie von der Erde aus deutlich sehen und die Leute freuten sich: »Ah, Zirruswolken! Da gibt es gutes Wetter.« 85