Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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33

Am anderen Morgen erzählte Hilde ihrem Lehrer von dem überraschenden Besuch des gestrigen Abends.

»Es ist um deinetwillen!« trotzte sie. »Angesichts deiner sonstigen Schwierigkeiten solltest du es vermeiden, noch in eine Skandalgeschichte verwickelt zu weiden. Deine Nerven halten es nicht aus, Dombaly, wenn dein Name unehrenvoll durch die Öffentlichkeit geht. Ändere das Gesicht der Mizzi, wie du es ihr versprochen hast, und wenn das Advokätlein vielleicht doch ins Atelier geschlichen kommt, so führst du es lächelnd vor das Bild: Was wollen Sie von mir? Ist das die Mizzi Schäfer? – Lässest du dich aber in den Handel verwickeln, so hast du Ärger über Ärger. In der Nervenüberreizung leidet dein Edelstes, deine Kunst! – Nur diesmal folge meinem Rat, ich bitte dich!« –

»An dir hat ja die Mizzi einen vorzüglichen Anwalt«, höhnte er, »doch durch ein Revolvermännchen lasse ich mich von ihr nicht zwingen.«

»Wenn aber das Mädchen aus Kränkung ein Unglück anstellt?«

»Die!« spottete Dombaly. Durch seinen Hohn klang aber die Erregung.

»Vielleicht hast du Mizzi doch nicht bis auf den Grund der Seele gesehen«, mahnte Hilde, die ins Feuer gekommen war. »Ich hätte den Mut zu einer so furchtbaren Probe nicht!« Dombaly kreuzte die Arme über der Brust und schaute mit umwölkten Brauen. »Rebstein, an dir ist ein Bußprediger verlorengegangen«, lachte er mit wildem Humor.

Sie ließ das Gespräch, sie kannte ja seinen Eigensinn, und wandte sich ihrem unglücklichen Bilde zu. »Gott, ich würd's am liebsten aus dem Rahmen schneiden«, seufzte sie, »ich komm ja doch nicht vorwärts damit!«

Der Gang ins Atelier wurde ihr jeden Tag schwerer. Und wann konnte sie an den Herdhüßerschen Porträtauftrag gehen?

Da, vom Abend zum Margen kam der erfreuliche Umschwung. Dombaly war plötzlich guter Laune.

»Nun wird Sakuntala doch mein Modell!« erzählte er. »Morgen schon! Sie hat sich in der Münchner Gesellschaft unmöglich gemacht. Wo sie erscheint, bleiben die anderen Damen fern. Deswegen will sie, die Gemiedene und Gekränkte, eine Weile zurückgezogen leben. Wo kann sie das besser als in meinem Atelier? Sobald ich sie male, kommt keiner der Manichäer herein, sie wissen ja, daß es ein großartiges Bild wird, daß Dombaly mit einem Schlag wieder im Aufschwung ist. Ich habe doch stets noch meinen guten Stern!«

Das große Kind sah die Welt wieder im Rosenschimmer.

»Aber ein Vampir – ein Vampir ist Sakuntala doch. Was kostet mich das Weib!« warf er unvermittelt hin.

»Ein Vampir! – Darum entschuldigst du mich, wenn ich über die Zeit, da sie dir Modell steht, vom Atelier wegbleibe, und zwar ohne daß du mich eine feige Ratte schiltst!« bat Hilde. »Selbst wenn ich die Indierin nicht sehe, bei dem bloßen Gedanken, daß ich mit ihr dieselbe Luft teile, schauert mir ein Gifthauch durch die Glieder. Nenn's Aberglaube oder Torheit – wenn ich nur an das Weib denke, ist mir weh. In ihrer Nähe würde mein verfehltes Bild noch mehr mißraten!«

Dombaly sann.

»Ja, das sehe ich selber ein!« versetzte er nachdenklich. »In ihrer Teufelsschönheit hat Sakuntala etwas an sich, was alle anderen Damen gegen sie aufstachelt. Na, Kind, so geh – und über die Wochen, die ich der Indierin widme, male die Herdhüßerschen Kinder. Es freut mich, wenn du mit der Kunst was verdienst und nie in die Klemme kommst wie ich. – Noch eins! Deinen guten Rat wegen des Aktbildes der Mizzi habe ich befolgt und bin froh. Das Advokätchen war dann hier, ein kniffiges, stets die Hände reibendes Männchen, ein abgedankter Schauspieler oder so was, mit einem Gaunergesicht erster Güte. Wirklich, Rebstein, vor diesem Gesicht war ich glücklich, daß dem Revolvermann der Wind aus den Segeln genommen war. Und um das geistlose Gesicht der Mizzi ist's nicht schade. Und die Manichäer! Wenn sie noch den Mut haben, über mich herzufallen wie die Geier über das Aas, sollen sie ein Bild nach ihrem Geschmack weniger von mir finden! Ich bin doch noch Herr meiner Schöpfungen. Und die Indierin kann ich jetzt in Ruhe malen.«

Etwas wie Erlösung und Frieden sprach nach den sorgenvollen, wilden Tagen aus der Seele Dombalys.

Noch glücklicher als er war Hilde. Sie hatte den Weg zu den Herdhüßerschen Kindern frei. Aufatmend stellte sie die ungesegnete Arbeit der letzten Wochen auf die Seite, bezahlte ihr Modell, die junge Mutter, und entließ es mit der Bitte, sich in einiger Zeit wieder bei ihr zu melden, da sie den Gedanken doch nicht aufgebe, das Bild zu gestalten – im Gegenteil, es bleibe ihr Lieblingsplan.

Schon wollte sie sich auch von Dombaly verabschieden. Da fragte sie noch: »Was hast du eigentlich aus dem Gesicht der Mizzi Schäfer gemacht?«

»Komm, sieh!« lachte er.

Sie geleitete ihn in den halb abgeschlossenen Raum, in dem das Bild nach innen an der Wand lehnte. Dombaly kehrte es um und hob es auf eine Staffelei. Das Gesicht der Mizzi war ausgekratzt. »Ich weiß noch nicht, was daraus werden soll», bemerkte er nachdenklich.

Hilde empfand ein Grauen vor dem in samtner Frische und den leuchtendsten und dabei zartesten Tönen gemalten jugendlichen Leib, auf dem kein Haupt mehr saß. Nur der Gedanke, daß durch die Vernichtung ein unedles Spiel gesühnt, die Mizzi Schäfer endlich aus ihrer grenzenlosen Angst erlöst sei, machte ihr den sonderbaren Anblick erträglich.

Dombaly war näher an das Gemälde herangetreten und ließ seine herrlich geformte Hand in einem feinen Spiel, doch ohne die Leinwand zu berühren, so durch die Luft gehen, als ob er die Umrisse eines weiblichen Hauptes in das Bild skizziere.

Dabei ging sein Blick beobachtend nach Hilde.

»Ja, um Gottes willen, was tust du, Dombaly?« schrie sie auf. Das Blut wich aus ihrem Antlitz. Sie starrte ihn an wie eine Verscheidende. »Ich verbiete es dir – daß du dir auch nur in deiner Phantasie meinen Kopf auf den Leib der Mizzi Schäfer setzest! – Schäme dich, Dombaly! – Nein, ich will nicht mehr deine Schülerin sein!«

Ihre Lippen zitterten, als ob sie weitersprechen wollte, aber sie brachte keinen Ton mehr hervor, sie schwankte, einer Schwäche nahe, in furchtbarem Schreck.

Dombaly stürzte das Blut zu Kopf. Er meinte, daß er eine unsägliche Torheit begangen, Hilde durch sein, skizzierendes Spiel bis auf den Grund der Seele beleidigt hatte.

»Verzeih mir, Kind!« bat er wie verwandelt.

Hilde schaute zu Boden. Ohne den Blick zu heben, antwortete sie, eine Gestalt der Schmerzen, leise und in bebender Traurigkeit: »Verzeihen – ja, Dombaly – aber deine Schülerin darf ich nicht mehr sein. Du mußt es selbst fühlen, ich habe nach diesem Spiel keinen Raum mehr neben dir. Stets müßte ich daran denken – und du weißt, ich habe schweres Blut!« Leise, langsam und feierlich gedämpft sprach Hilde.

Da stürzte ihr Dombaly zu Füßen, erhob bittend seine Hände: »Rebstein – Rebstein!«

Sie wandte das Haupt, doch ohne Haß oder Groll, nur in tiefem Schmerz.

Er küßte den Saum ihres Kleides – er versuchte ihre Hände zu küssen.

»Laß – laß!« stöhnte Hilde.

»Nein, ich lasse dich nicht, Hilde. Fühlst du es denn nicht, daß ich dich liebe, wie noch kein, kein Weib von mir geliebt worden ist? Und nun verzeihe dem Toren und liebe mich wieder! Werde mein Weib, Hilde, und dir will ich halten, was ich noch keiner gehalten habe – die Treue! Dir halt' ich sie! Werde mein Weib, und auf den Händen will ich dich tragen. Durch deine Liebe von den Schlacken des Lebens gereinigt, soll meiner Kunst ein neuer Frühling erblühen! Hilde, Heilige – und wenn sie mir die Kränze des Ruhmes um meine Stirne winden wollen, so will ich sie ablegen wie ein Knabe und dir die Stirne kränzen – Hilde, du Heilige! Du allein vermagst das Wunder – aber so sprich: Ich bleibe bei dir! – Du sprichst nicht, Hilde? – Du wendest dich von mir – Hilde, Heilige!«

»Laß mich gehen, Dombaly«, schluchzte sie, das Gesicht mit den Händen bedeckt und fassungslos zitternd. »Ich kann deine Schülerin nicht bleiben und dein Weib nicht werden. Laß mich, Dombaly – jetzt, da ich weiß, muß ich gehen!«

»Du willst nicht mein Weib werden?« schrie er.

»Ich darf nicht«, stöhnte sie.

»Wer in der Welt kann es verbieten? – Oho, wer in der Welt?«

»Ich bin verlobt – heimlich verlobt, Dombaly«, bebte ihre leise Stimme.

Da kreischte er sterbensfahl: »Du lügst, Hilde – sag, daß du lügst! – Wer ist der Hund, der sich an dich gewagt hat? Ich will ihn erschlagen!«

Vor den rollenden Augen und der schäumenden Wut Dombalys kam es Hilde zum Bewußtsein: Du stehst einem Wahnsinnigen gegenüber! – Sie verging fast vor Angst und Furcht. »Gib mich frei, Dombaly – und in unendlicher Dankbarkeit will ich deiner gedenken! In Gottes Namen und im Frieden gib mich frei, ich flehe dich an!«

Aus seinen Augen aber schoß die Lohe der Sinnlichkeit – jener Blick, von dem es hieß, er reiße den Weibern die Kleider vom Leib. »Küsse mich, Hilde – küsse mich!«

»Lieber sterben!« knirschte sie.

Dombaly versuchte sie mit Gewalt zu umarmen, doch mit ihrer durch die Gefahr gesteigerten Kraft fiel es ihr nicht schwer, den von seinen Ausschweifungen Geschwächten abzuwehren.

»Feigling«, stieß sie hervor. Seiner nicht achtend, schritt sie auf den Ausgang des Ateliers zu.

Dombaly stand geisterblaß und regungslos, er versuchte nicht mehr, sie zu halten. »Rebstein – mein Rebstein!« erhob er die klagende Stimme. Erschütternd klang's ihr nach. –

Sie fand kaum die Kraft, nach Hause zu gehen. Frost und Fieber schüttelten und rüttelten sie, auf ihren kleinen Diwan geworfen, ließ sie dem Strom der Tränen freien Lauf. Wie ein vernichtender Wettersturm brauste die Gemütswallung durch ihre Sinne.

»Das Ende – das schreckliche Ende!« schluchzte und wimmerte sie. »Nur nie wieder Dombaly, nie wieder seine nachtdunkeln, wahnsinnigen Augen sehen! – Fliehen vor ihm! – Sofort München verlassen – und für immer!« – Sie zitterte, als läge in jeder Stunde des Bleibens eine dunkle Gefahr.

Wenn doch nur Siegfried käme! –


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