Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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22

»Woher den Pfeffer im Blut?« scherzte Dombaly. »Sie werden unheimlich, Rebstein!«

»Ich hab's mir überlegt«, erwiderte Hilde. »Lieber vor der Staffelei zusammenbrechen, als im Frühjahr nicht ausstellen können.« Ihre dunkelumränderten Augen funkelten, ihre Hände zuckten in fieberisch erhöhtem Gestaltungsdrang.

»Jetzt gefallen Sie mir«, nickte ihr Dombaly zu.

Der durch Frau Glür verletzte Stolz hatte sich in einen brennenden Ehrgeiz umgewandelt, in den Ehrgeiz, sich als Künstlerin über die kleinen Menschen der Heimat zu erheben und ihnen mit Werken der Kunst zu beweisen, daß sie hoch über den niedrigen Verdächtigungen eines Kuno Glür stand.

Ja, nicht einmal ein Wort der Erwiderung oder Rechtfertigung wollte sie der von ihrem Sohn irregeführten alten Frau gönnen, ihr Wesen in herbem Stolz verschließen und keinen Menschen um die Beleidigung wissen lassen.

Sie schaute am Abend nach den Kindern der Familie Herdhüßer.

Der Doktor ließ sie rufen. »Schöne Geschichten«, begann er humorvoll. »Da war gestern abend einer bei uns, der hat am Kesselberg der Winterkälte zum Trotz Feuer gefangen. Was machen Sie für Eroberungen, Hilde!«

Ein helles Lachen spielte um seinen Mund, plötzlich aber änderte er unvermittelt seinen Ton in den herzlicher Besorgnis.

»Ja, was ist mit Ihnen, Hilde? – Sie haben ja Fieber auf den Wangen und zittern wie Espenlaub!«

Der Gedanke flog ihr durch den Kopf: Wenn ich mich in der häßlichen Angelegenheit Kuno Glürs dem Doktor anvertraute?

»Ich sterbe fast über einer Torheit, die ich begangen habe, über einer Kränkung, die mir widerfahren ist«, bekannte sie, und zögernd und schamrot beichtete sie dem väterlichen Freund ihren schweren Kummer.

Der Doktor sprang auf, durchmaß mit raschen Schritten das Zimmer und blieb vor Hilde stehen. »Keiner geht durchs Leben, einmal erfährt er, wie die Krallentatze der Hinterlist und Gemeinheit im Fleische brennt!« sagte er empört. »Davon weiß auch ich, Hilde. Legen Sie die widerliche Angelegenheit ruhig in meine Hände, schicken Sie mir sofort den Brief der engherzigen und beschränkten Frau, die Welt und Leben nie kennengelernt hat und durch ihren Geldbesitz dumm geworden ist; versprechen Sie mir aber, daß Sie selber ihr keine Zeile schreiben. Überhaupt Blatt auf den Mund – Sie und ich! Nicht einmal meiner Frau werde ich davon erzählen, nur an Ulrich Glür, den ältesten Sohn des Hauses Glür, schreiben, an meinen Geschäftsfreund, der seinen Bruder Kuno bis auf die Knochen kennt und ein Mann von Ehre ist. Sie werden sehen, wie rasch und gründlich Sie für den blöden Schimpf Genugtuung erhalten.« Die Wärme und der Eifer, mit dem der Doktor sprach, erlösten Hilde ein wenig von dem Bann und Druck, der mit dem Brief der Frau Glür über sie gekommen war. Ein Prachtmensch, der Doktor; eine Wohltat, daß sie mit ihm gesprochen hatte. Sie konnte jetzt doch wieder atmen und leben.

Auf ihren innigen Dank erwiderte er: »Besuchen Sie einmal die Malersleute Steiger. Ich bin recht neugierig, was Sie zu den angefangenen Porträts sagen!«

Ja, das wollte sie. – Lag es nun aber an der heißen Arbeit im Atelier oder an einer Nachwirkung des tiefen Ärgers über Kuno Glür und seine Mutter, sie fühlte sich jeden Abend so matt und zerschlagen, daß sie nicht an Besuch denken durfte.

Doch ein schönes Erlebnis! – Auf dem Weg vom Atelier in ihre Wohnung traf sie Siegfried Kulbach. Er hatte sie erwartet, um sie zu fragen, wie ihr der Ausflug in die Berge bekommen sei, und um eine Viertelstunde mit ihr zu gehen. – Wie lieb! Das war ein reiner Sonnenstrahl in die Gründe des Gemütes.


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