Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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21

Der schöne Tag! – Nun aber wieder die Arbeit! Die jugendliche Spannkraft Hildes begehrte nach Auslösung in schaffender Gestaltung. Mit beschwingter Seele eilte sie ins Atelier.

Auch Dombaly war nach den Feiertagen überraschend frisch. Er empfing Hilde mit einem Strohfeuer seiner nachtdunklen Augen: »Rebstein, darf man fragen, ob das Bild des roten Flattervogels einen Käufer gefunden hat?«

»Doktor Herdhüßer hat es gekauft«, gestand Hilde.

Ein Schatten flog über die hohe, edle Stirn Dombalys, aber gleich darauf spielte jenes knaben- oder jünglinghafte Lächeln um seinen Mund, das dem geistvollen Antlitz einen Ausdruck unendlicher, naiver Güte verlieh. »Nein, ich will mich nicht weiter kränken, daß Herdhüßer von mir abgesprungen ist«, versetzte er gutgelaunt, »auch sein kühlduftiges Ingeborg-Weib, das meinen Augen nicht traut, kann ich verschmerzen. Jedem geht mal was fehl, jeder hat sein Glück. Mein nächstes weibliches Modell, ich hoffe ein Akt – ach, da gibt's mal was zu staunen, Rebstein! Auf einer Weihnachtsfeier habe ich sie kennengelernt – eine Indierin. Sie trägt einen unaussprechlich langen Namen, an dem man sich die Zunge brechen kann – Fräulein Bachavadgita, ich nenne sie kurzweg Sakuntala nach dem altindischen Drama vom bezauberten Jung. Aber nun das Weib! Eines jener wunderbaren Geschöpfe, wie sie dem Künstler nur einmal im Leben den Weg kreuzen, das Geheimnis der Geheimnisse. Unschuldige Lieblichkeit, zuckendes Leben, dämonische Leidenschaft, ein unfaßbares, sich stets wandelndes, aber stets und mit jeder Bewegung berauschendes Weib. Süße, zarte Sakuntala, blutdürstige Salome.«

»Jetzt hören Sie aber auf, Dombaly«, lachte Hilde. »Sie verlieren den Boden unter den Füßen, und mir wird über der Indierin seltsam vor den Augen.«

Ein Doppelgefühl stritt sich in ihrer Seele: die Beruhigung, daß sie dem Künstler wirklich nichts als die Schülerin sei – sonst würde er vor ihr nicht wie ein verliebter Tor in den höchsten Wortgebilden von der Fremden sprechen; zugleich aber ein weiblicher Ärger über seine maßlose Schwärmerei.

Er sah sie betroffen an: »Nein, kränken will ich Sie mit der Indierin nicht, Rebstein! Ich bin aber von ihr doch so eingenommen, daß ich mich jetzt unmöglich mit einem anderen Modell beschäftigen kann. Was tun, bis sie mir ihre Zusage gibt? – Ich male Sie, Rebstein, grad so wie Sie arbeiten!«

Hilde sann in großer Verlegenheit. Wie würde es Siegfried berühren, wenn ihr Porträt von Dombalys Hand gemalt auf eine Ausstellung kam? Mit Recht konnte aber niemand etwas dagegen einwenden, und daß es ein feines und edles Bildnis würde, war ja gewiß.

»Nochmals, das ist einfach, ich male Sie!« scherzte Dombaly der Nachdenklichen zu. Er stellte schon die Staffelei neben die ihre vor und warf die ersten grundlegenden Striche auf die Leinwand. »Nicht stören lassen – nur eins! Zugleich mit Ihrem Porträt muß auch das erste reife Bild Ihrer Hand auf die Ausstellung gelangen!«

Sie sah ihn verwundert an.

»Es gibt nichts anderes«, drang er feurig in sie. »Sie müssen mit: die Welt soll erfahren, daß mein Bild nicht nur einen jugendlichen schönen Frauenkopf, sondern eine Künstlerin darstellt, die selber was kann, das wird den inneren Wert meines Bildes heben und Ihnen mit einem Schlag die große Beachtung der Kunstwelt verschaffen. – Ein sehr guter Plan!« –

Die lodernden Augen Dombalys ruhten mit magnetischer Stärke fordernd und aufstachelnd auf Hilde. Sie schüttelte aber den Kopf. »Unmöglich, daß ich so rasch vorwärtskomme – da kenn' ich mich zu gut.«

»Im Sommer mögen Sie sich unter die Schattenbäume des Gebirges legen«, spottete er, »jetzt aber sollen Sie arbeiten, bis Ihnen der Veitstanz in die Glieder fährt. Künstler sein heißt brennen! Doch das wissen Sie ja, Rebstein. Und ich gebe Ihnen als Modell meinen Giovanni.«

Seine Anfeuerung riß Hilde mit sich. In einem Überschuß künstlerischer Stimmung ging sie an das Ölbild des wie eine klassische Bronze anmutenden Italienerjungen. Giovanni, der ihr zugetan war, erriet feinfühlig jeden ihrer Wünsche. Ein ideales Modell. Dazu Dombaly als Lehrer, der selber malend ihre Striche überwachte! Aus der Zusammenarbeit der Werdenden mit dem vorbildlich reifen Künstler gab sich eine wunderbare, von Seele zu Seele strömende Förderung, ein rasches, sieghaftes Vorwärtskommen von selbst. Am Abend aber, wenn Hilde auf ihre Dachkammer stieg, da war sie todmüde, die Glieder zuckten ihr manchmal krampfhaft zusammen, und mit dem schmerzenden Kopf konnte sie sogar nicht mehr an Siegfried Kulbach denken.

Ein Brief auf dem Tisch – ein Brief aus der Heimat! Wohl von Kuno Glürs Mutter?

Als Hilde ihn zu lesen begann, ahnte sie aus der Anrede gleich nichts Gutes, Unherzlich lautete sie: »Fräulein Rebstein!« Hilde las, wurde aschfahl und ließ, wie aufs Haupt geschlagen, den Brief sinken. War das auszudenken? Die alte Frau Glür beschuldigte sie, sich in die Gunst Kunos eingeschlichen zu haben, der die Bilder in der Annahme, sie befinde sich in ökonomischer Bedrängnis, aus bloßer Herzensgüte gekauft habe. In der Familie Glür habe man die Blätter nie gesehen und trage auch kein Begehr danach, sowenig wie nach einem Verkehr mit ihr, und man verbitte sich weitere Belästigungen durch sie. Das Schreiben schloß mit einer Erinnerung an ihren Vater, der ein geachteter Beamter der Firma Glür u. Comp. gewesen sei, aber stets die Bescheidenheit beobachtet habe.

Das ungefähr war der mit christlichen Redensarten gespickte Brief.

Hilde wußte nicht, sollte sie schrill auflachen oder bitterlich weinen. »Einschleichen, belästigen!« – Die beleidigenden Ausdrücke tanzten vor ihren Augen, als wären es rote Flämmchen, sie empfand sie wie Feuer in offene Wunden. An die Luft, sonst –

Aus ihrem Zimmer stieg sie hinab in die Straße. Unwillkürlich ballten sich ihre Fäuste, und in ihrer Seele loderte der wilde Drang, Kuno Glür mit einer Gerte ins Gesicht zu schlagen. »Da, du Verleumder!« Der Feigling war ja aber daheim in St. Agathen. Da saß er bei der Mutter und erzählte der alten, frommen Dame Märchen, wie sie ihm gefielen. – Wie hatte sie beim Verkauf der Bilder nur so arglos in die Falle eines verdorbenen Menschen gehen können, wie jene feine Stimme überhören, die sie stets vor Kuno Glür warnte? Oh, die kurzsichtige Torheit, in der Familie Glür an ein Herz für die Kunst zu glauben, Adolf und dem alten Lehrer in seligem Glück darüber zu schreiben! Mußte sie sich nicht das Haar raufen vor Scham, wenn sie daran dachte? Sie lief und wußte nicht wohin; erst als ihr die Ermüdung Halt gebot, merkte sie, daß sie in der weiten schneebedeckten Ebene umherirrte, die sich von München gegen Schleißheim zieht, daß über ihr die glitzernden Sterne des Winterhimmels standen. Und es war gut so! In der großen Einsamkeit brannte die Seele sich aus von der Schmach, die wie im Sturm über sie gekommen war.

Als Hilde wieder daheim anlangte, konnte sie den Trieb fast nicht besiegen, Frau Glür zu schreiben, was sich an Mädchenstolz in ihrer Brust bäumte, aber die Ermattung war zu groß. Ein jammerndes Weh erfüllte ihre Seele. Ja, die Not des Lebens hatte sie schon erfahren, aber seine Gemeinheit noch nicht. Nun spürte sie, wie die Gemeinheit tut. Sie wühlt wie ein Messer im Herzen und tötet darin etwas Köstliches, die zartesten Wurzeln frommen Menschenglaubens. In einem einzigen Augenblick kann da die Seele um ein Jahrzehnt altern. – Und das Allerbitterste: die Gemeinheit kam aus der Heimat! –


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