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Westindische Studien

A. Historische Notizen

I

Die Geschichte der Halbblutrassen in Westindien – insbesondere in Französisch-Westindien –, ein sehr interessantes, aber auch peinliches Kapitel in der großen Allgemeingeschichte der Kolonisation des Westens, ist noch nicht geschrieben und muß aus den Werken der Kolonialschriftsteller mehr erraten als studiert werden. Sie ist, ganz kurz gesagt, die Geschichte eines verzweifelt ringenden Bemühens, weiß zu werden. Der größte Fehler der Sklavenpolitik war der, der die Entstehung der Mischrassen zur Folge hatte – die illegitime Verbindung zwischen dem weißen Herrn und der Afrikanerin, deren Kinder vor dem Gesetz Sklaven blieben. Es wäre zu erwarten, daß unter einigermaßen normalen Umständen die Nachkommenschaft einer Vereinigung zwischen einer wilden und einer zivilisierten Rasse – gerade wenn man annimmt, daß diese miteinander im Kriege liegen – sich als ein Mittel zur Versöhnung erweist. Aber daß die Mischrasse überall ein allmächtiges Element der Zwietracht war, um sich schließlich Weißen und Schwarzen gleich feindlich zu zeigen und mit Gewalt die Elternrassen auf immer voneinander zu trennen, – diese Tatsachen beweisen am besten, welch abnormen Charakter die Sklaverei unter dem Code Noir als soziale Institution in Westindien hatte. Auf beiden Seiten gehaßt und gefürchtet, benutzten die Mischlinge die geistig Schwächeren als Werkzeug, um die Stärkeren zu überlisten und schließlich zu beherrschen. Vermöge ihrer überlegenen Intelligenz und Schlauheit waren sie imstande, den einfältigen Schwarzen plausibel zu machen, daß sie ungerecht behandelt würden, und sie moralisch von ihren Herren zu trennen, indem sie jenen Pflichtglauben und jenes künstliche Gefühl kindlicher Liebe zerstörten, welche das alte patriarchalische System nicht ohne Erfolg gepflegt hatte. Später konnten sie durch widerspenstige Halsstarrigkeit und gelegentliche Beweise von Aggressivität die Herrenklasse zu Kompromissen zwingen. Das hoffärtige weiße Leben in ihren Adern – voll wütender Rachsucht, tückisch, mißtrauisch und verwegen – war von einer Hartnäckigkeit, der nichts widerstehen konnte. Lange währte das Hin und Her widerwärtiger politischer Intriguen. Verrätereien, Resolutionen, Kühnheit und Doppelzüngigkeit waren Kräfte, die oft von der schwächeren Partei ins Treffen geführt wurden. Vielleicht waren die Farbigen wirklich so grausam, perfid und undankbar, wie man ihnen vorgeworfen hat; aber die Rasse war nur, wozu die Moral ihrer Väter und der Druck der Verhältnisse sie gemacht hatte; und ihre Streitlust war nur eine Bestätigung des Naturgesetzes, daß in der Entwicklung immer ein Verbrechen das andere rächt, – in der Entwicklung, die der Verbrecher nie klar voraussieht. Die Farbigen wurden von den Weißen nie wirklich verachtet, – sie wurden gefürchtet; selbst das Schimpfwort »infâme mulatre« war ein Wort des Hasses. Schon lange vor der großen Insurrektion von Santo Domingo hatten weitblickende Schriftsteller vorausgesagt, die Rache der Mischlinge werde die Kolonie zerstören. Alte westindische Reiseerzählungen sind voll solcher Prophezeiungen und warnen vor dem künftigen Zur-Macht-Gelangen der Farbigen als einem großen Unglück. Denn klare Köpfe erkannten früh, daß jene die Führer und Ratgeber der Schwarzen sein würden, sobald es deren Interessen entspräche, – gewiß nicht, weil der Afrikaner den Farbigen liebte, den er bereits in einer Menge boshafter Sprichwörter höhnte und verspottete, sondern weil er seine geistige Überlegenheit und seinen geheimen Haß gegen den Weißen begriff, ihm also in allem, was mit der Rache zu tun hatte, vertrauen konnte. Aber weiter wollte der Schwarze ihm nicht trauen; er mochte sich mit ihm für ein gemeinsames Ziel vereinigen; war aber dieses Ziel einmal erreicht, so wurde die Verbindung schleunigst abgebrochen. Nach dem Haiti-Aufstand entledigten sich die Neger rasch ihrer gefährlichen Verbündeten, indem sie die ganze Rasse vertilgten. Die Afrikaner waren klug genug zu wissen, daß das Farbigenelement zwei Übel wieder über sie bringen konnte – entweder eine neue Kastenherrschaft oder Wiederherstellung der Fremdenregierung durch Verrat. Die hommes-de-couleur hatten nie gezögert, den Neger ihrem eigenen Interesse aufzuopfern; den Weißen sozial gleich zu werden, schien ihnen ein Ziel, das jedes Mittel heiligte; und das wußten die Schwarzen nur zu genau! Vielleicht hätte Haiti ohne die fürchterlichen Blutbäder, die Dessalines veranstaltete, sich weit besser entwickelt, als es geschehen ist; aber der Instinkt, der diese Metzeleien inspirierte, war nicht im Unrecht, als der Trieb einer Rasse, die keine Ursache hatte, die Zivilisation zu lieben – kannte sie doch nur die Zivilisation, die einst jedes menschliche Wesen auf der Insel, das über sechs Jahre alt war, zu Tode verurteilt hatte – und die nur ihre alten Sitten und Lebensgewohnheiten aus Afrika wieder aufzunehmen wünschte.

Martinique blieb eine gleiche Periode des Schreckens, der Massakers und der Rassenvertilgung nur dadurch erspart, daß die Engländer die Insel am 27. März 1794 eroberten. Sie hatten sie acht Jahre lang in Besitz und regierten sie gut; sie führten die Sklaverei wieder ein, stellten aber gleichzeitig Zucht und Ordnung wieder her und gaben ein schönes Beispiel von Humanität; sie hinterließen ein paar ins Patois aufgenommene Wörter und im Gedächtnis der Bevölkerung eine dankbare, freundliche, etwas legendäre Erinnerung an müde, gerechte Justiz, viel Gold und prächtige Scharlachuniformen. Gouadeloupe wurde, obgleich es erfolgreichen Widerstand geleistet hatte, auf ähnliche Weise diszipliniert und zweifelsohne gerettet. Auch Santo Domingo zu retten wurde versucht, aber die englischen Streitkräfte waren zu schwach dazu.

Auf diesen französischen Inseln war es, wo der Farbige als Freigelassener, schon bevor er in den vollen Genuß politischer Rechte getreten war, sich von seiner schlechtesten Seite zeigte, während der grausame politische Druck ihm den Weg mehr und mehr erschwerte, je höher er kam. Teilweise mochte sein sonderbares Verhalten dadurch veranlaßt sein, daß er den wachsenden Verdacht der noch immer allmächtigen Aristokratie irreführen mußte. Wir lesen von dem außerordentlichen Eifer, mit dem er sich an jeder Unterdrückung beteiligte, von der Unbarmherzigkeit, die er als Sklavenhalter bewies, von dem Mut, mit dem er als Soldat gegen Freiheit und Rebellion focht, und von der rücksichtslosen Energie, mit der er als Freiwilliger Aufstände unterdrückte und entlaufene Sklaven wieder einfing: er nimmt sogar an einigen brutalen Versuchen, die Befürwortung der Sklaverei durch Blutvergießen zum Schweigen zu bringen, teil! Aber die ganze Zeit sind, so anders es auch nach außen den Anschein haben mag, Sklave und freigelassener Mischling in geheimem Einverständnis. Schließlich werden unter Louis Philippe allen Freigelassenen die vollen politischen Rechte zuerkannt. Fast mit einem Schlage ändert die Klasse ihr Verhalten. Der Farbige streckt seine Hände nach dem Sklaven aus, beginnt ihm zu schmeicheln, – er wagt es sogar, den Herrn scheel anzusehen. Bald wird er unverkennbar aggressiv; aber er hat seine Macht schon so weit befestigt, daß es gefährlich ist, sich mit ihm einzulassen. Schließlich gewährt er den Fürsprechern der Sklavenbefreiung offen Beistand und arbeitet mit allen seinen Kräften, zu Hause und draußen, darauf hin, den Tag der Freiheit und des allgemeinen Stimmrechts nahe zu bringen – die Stunde des Triumphs und der Rache. Und es gelingt ihm! Er nennt sich Streiter und Retter seiner schwarzen Verwandten und wendet sich an diese mit dem Gebot: »Ihr werdet tun und stimmen, wie ich euch heiße: schärft eure Säbelmesser.« Dann tritt er dem weißen Kreolen entgegen und erklärt: »Ihr werdet mir jetzt alle Privilegien absoluter sozialer Gleichberechtigung geben, oder ich vernichte euch. Ich biete euch meine Hilfe an.« Dieses Angebot verdient in Erwägung gezogen zu werden, denn der Weiße ist matt gesetzt: er weiß, daß er ohne die vorgeschlagene Hilfe außerstande ist, die Schwarzen zu kontrollieren. Die Aristokraten auf Gouadeloupe schließen klüglich einen Vergleich; die auf Martinique lehnen ihn ab. Die Folge davon ist, daß sie politisch ausgeschaltet und sozial zugrunde gerichtet werden. Bei den Wahlen ist die Stimme des Weißen ohne jeden Einfluß; kein Weißer kann zu Ämtern aufsteigen; und die einst allmächtige Pflanzerklasse muß allmählich erfahren, daß ihre Feinde mit Hilfe eines schlau ersonnenen Steuersystems langsam, aber sicher ihre Geldmittel erschöpfen und sie schließlich aller ihrer Geburtsrechte berauben können.

II

Daß die Farbigenrasse an der Erringung der Freiheit mitgearbeitet hat – was heftig in Abrede gestellt worden ist – ließe sich durch die Anführung einer Reihe von Tatsachen einleuchtend erweisen. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, daß von Anfang an die Aufhebung der Eigentumsrechte auf Menschenfleisch den Farbigen zu verdanken ist; nicht etwa weil sie mit Willen – als Individuen, die für ein ihnen sichtbares Ziel kämpfen – auf eine solche Abolition hinarbeiteten, sondern weil sie es unbewußt und opferähnlich taten, lediglich durch Rasseninstinkt. Vor allem waren sie in ihrer Gesamtheit ein großes, lebendiges Zeugnis für die böseste Sünde der Sklaverei; und dieses Zeugnis, glaube ich, brachte mehr als alles andere das menschliche Gewissen und von da aus die Regierungen zur Erkenntnis und zur Verurteilung der Sünde selbst. Ihre Existenz allein hatte schon zur Folge, daß die Welt sich der Sklaverei als einer Schmach schämen mußte, während die Kraft, Schönheit und Intelligenz der Rasse die Sympathie der Menschheit eroberte. Es gibt viele Beispiele auf den Seiten der die Sklaverei bekämpfenden Literatur, die beweisen, daß der Schreiber an den Farbigen dachte, während er für den Neger plädierte, dessen Natur er nie voll und ganz verstand.

Dann ist die ganze Geschichte der Rasse in ihrer Heimat eine glänzende Bestätigung dieser Theorie. Überall gewann die Anmut und der Charme ihrer Frauen die Liebe der Gebieter, und durch diese Liebe Reichtum und Befreiung von tatsächlicher Knechtschaft. Überall vermehrte sich die Rasse mit Hilfe ihrer Frauen, während bei den Negern die Sterblichkeitsziffer beständig die Geburtenziffer überschritt; sie erwarb sich nicht nur überall Freiheit, ohne als ebenbürtig anerkannt zu sein, sie erzwang schließlich ihre Anerkennung als eigene Kaste, mit der in allen politischen Angelegenheiten zu rechnen war. Durch ihre Männer riß sie, indem sie Drohung und Diplomatie miteinander abwechseln ließ, alle noch verbleibenden Rechte an sich, auch das Recht, in politischer Hinsicht weiß zu werden, wenn auch nicht in sozialem Sinne nach den Begriffen der Kreolen. Und diese teilweise Nichtanerkennung der Rassenebenbürtigkeit, die den Farbigen in politischen Antagonismus zwang, führte die Vereinigung von Negern und Freigelassenen im siegreichen Kampf gegen die Sklaverei herbei.

Schließlich, das alte Argument der Verteidiger der Sklaverei – daß der Neger schon in seiner Heimat in Leibeigenschaft geboren wäre; daß in jenen Ländern, die den Kolonien Schwarze geliefert hätten, die Sklaverei für große Volksmassen seit undenklichen Zeiten ein Naturzustand gewesen sei – dieses Argument muß von einer neuen Seite beleuchtet werden. Es wird nämlich auch oft behauptet, die Neger wären ohne die Beeinflussung durch die Farbigen immer fügsam geblieben. Waren es also nicht sie und nur sie, durch deren Vermittlung die afrikanischen Sklaven die Ungerechtigkeit ihrer Unterdrückung kennen lernten und die moralische Kraft zu rebellieren fanden? Von welcher Seite aus auch die Geschichte der westindischen Sklaverei studiert wird, immer beweist sie klar und deutlich, daß die doppelte Teilnahme – eine unbewußte sowohl wie eine vorsätzliche – der Farbigenrasse an der großen Freiheitsbewegung bis jetzt noch nie voll und ganz gewürdigt worden ist.

III

Die Freiheitserklärung in Martinique wurde gerade noch rechtzeitig anerkannt, um ein allgemeines Weißenmassaker zu verhindern. Schon war die Hauptstadt in den Händen der Gebirgsneger, die einige dreißig Weiße lebendig verbrannt hatten, fast unter den Augen der französischen Besatzung (sie war zur Untätigkeit verurteilt durch die Befehle eines ehrlosen Gouverneurs, der nichts weiter als eine Marionette am Gängelband der Farbigen war). Blut war bereits überall geflossen, und Feuer loderten auf den Ruinen verwüsteter Plantagen. Die Ruhe wurde wieder hergestellt; aber das allgemeine Wahlrecht folgte der Anerkennung der Freiheit, und die Situation der kleinen Weißenbevölkerung wurde von Jahr zu Jahr schwieriger. Hunderte von Kreolen verließen das Land für immer; für die Zurückbleibenden gab es keine andere Hoffnung als ein mutiges Anerkennen der neuen Verhältnisse; alle, die sich ihnen nicht beugen konnten, zerbrachen darunter oder sahen sich gezwungen auszuwandern. Das zweite Kaiserreich brachte einige Erleichterung; aber mit dem Fall Napoleons III. begann der Krieg des Kastenhasses von neuem, und die Weißen fanden sich ein zweites Mal niedergerungen; so hoffnungslos niedergerungen, daß sie freiwillig auf jede Teilnahme an der Politik verzichteten. In der Regel hat der weiße Stadtkreole, der Kreole der neuen Generation, keinen Gedanken, der über das Kaufmännische hinausginge, und kein höheres Lebensziel als den Willen zum Leben selbst. Er lebt gemäß den Sitten seiner Väter, er hat ihre Fehler geerbt, nicht aber ihre feurige Energie und ihren Stolz; er murrt gewöhnlich über die Herrschaft der farbigen Rasse, hat aber nichtsdestoweniger farbige Kinder. Die öffentliche Meinung gestattet eine bestimmte Form des Konkubinats. Es wird nicht für einen gesellschaftlichen Verstoß gehalten, in Beziehungen dieser Art zu den Farbigen zu treten, vorausgesetzt, daß man diese Beziehungen nicht zu ernst nimmt. Vielleicht wird über viele Schwächen hinweggesehen, die man nirgendwo außerhalb der Kolonien ignorieren würde; nur eine Grenze gibt es, die kein weißer Kreole überschreiten darf, wenn er sich nicht ganz von seiner Rasse trennen will – die Heirat. Fremde aber heiraten skrupellos in die Klasse der sangs-mêlés und haben, soviel ich in Erfahrung bringen konnte, nur selten Ursache, es zu bedauern.

Denen aber, die sich in die neue Lage nicht fügen wollen, zahlt das Geschlecht der Farbigen Verachtung mit Hohn heim, Anklagen mit Schmähungen und Tadel mit einem Argument gleichen Werts, aber größerer Wirksamkeit – mit roher Gewalt. Wehe dem Weißen, der einen Mulatten schlägt! Im selben Augenblick ist er seines Lebens nicht mehr sicher; in den Straßen von Saint-Pierre wenigstens hängt es nur von der Gnade des Pöbels ab. Zur Demütigung des Kastenstolzes ersannen die Farbigen ein sehr probates Mittel. Sie stellten kühn jene vielgerühmte Rassenreinheit in Frage, die die Quelle des Hochmuts und gleichzeitig das unüberwindliche Hindernis war, das sich jedem Ausgleich in den Weg stellte. Pariser Journale gewährten ihnen Raum für die Erklärung, daß es in Martinique außer den Fremden überhaupt keine echten Weißen gäbe – daß alle vermeintlich weißen Familien einmal, früher oder später, afrikanisches Blut in ihre Adern aufgenommen hätten. Noch viele andere Schikanen mußten ertragen werden; während einiger Jahre mußte jeder gesetzliche Feiertag die Gelegenheit für feindselige Demonstrationen gegen die Weißen der Stadt sein; und deren Weigerung, ihre Häuser zu Ehren der Republik zu illuminieren, wurde weidlich ausgenützt. Jetzt ist es nicht mehr so, aber früher gab es Feiertage, an denen regelmäßig bestimmte Weiße belästigt wurden. Am Tage der Fête de la Republique, wenn ein farbiger Bürgermeister eine Ansprache an die begeisterte Menge hielt und die Nationalflagge unter den Klängen der von einer Militärkapelle gespielten Marseillaise auf der Mairie gehißt wurde, wenn man die Tore des großen Gebäudes weit öffnete, damit alle Bürger das Porträt Schölchers sehen könnten – des französischen Abolitionisten Schölcher, des Papa Schölcher, der eine Art Fetischgottheit bei den schwarzen Martiniquaisen geworden war – an diesem Tage wurden die weißen Kreolen fast wie Gefangene in ihren Häusern gehalten. Das Zeremoniell ist noch heute dasselbe, aber die Weißen werden nicht mehr zu Ehren der Bastillezerstörung beunruhigt.

In Guadeloupe, wo die Weißen sich freudig mit der Republik einverstanden erklärten (sie hatten nicht wie die Martiniquaisen Erinnerungen an 1848, die sie ihnen verleideten), arbeiten die Farbigen und die Weißen in Sachen des Gesetzes und der Ordnung Hand in Hand. In Martinique ist es nicht so. Vor wenigen Jahren drohte Saint-Pierre eine Wiederholung der Schrecken von 1848; und angesichts der drohenden Gefahr wurden einige Anstrengungen gemacht, die Kasten einander näher zu bringen. Die Stadt war fast schon in der Gewalt des Pöbels, und jeden Augenblick konnten die Neger von ihren Bergen herabsteigen. Aber im kritischesten Moment sahen sich die Weißen tatsächlich im Stich gelassen. Der Mob hatte gebrüllt, der strittige Punkt wäre eine Rassenfrage; die Farbigen machten sich allesamt aus dem Staub und ließen die weißen Freiwilligen und die wenigen Gendarmen allein dem Aufstand die Stirn bieten.

Doch trotz aller Erinnerungen an Vergangenes und trotz allen gegenwärtigen Grolls würde die farbige Rasse jeden entschiedenen Annäherungsversuch von Seiten der weißen Kreolen freudig begrüßen, denn die Anstrengungen weiß zu werden dauern noch an. Es ließe sich aber kaum denken, wie heute ein solcher Versuch gemacht werden sollte; ist doch die ursprüngliche Kastenfrage jetzt mit der politischen Frage, der Erziehungsfrage, der Kirchenfrage und mit einem Dutzend anderer Probleme mehr dermaßen verquickt, daß ein bloßes Skizzieren derselben viele Seiten füllen würde. Dennoch werden die weißen Kreolen schließlich entweder zu einem wie immer gearteten Entgegenkommen gezwungen oder aus der Kolonie hinausgedrängt werden. Keine Regierungsänderung, kein Wechsel der Herren der Insel, keine Veränderung in der Kolonialpolitik kann von nun ab jemals die Wiedereinführung sozialer Unterschiede, die lediglich auf der Abstammung basieren, zur Folge haben: die Tage dieser Unterschiede sind für alle westindischen Kolonien endgültig vorüber. Zudem kommen mindestens fünf Farbige auf einen Weißen; und in weniger als einem Menschenalter wird die höhere Klasse der Farbigen – vorausgesetzt, daß die gegenwärtigen Bedingungen im übrigen unverändert bleiben – besser unterrichtet, besser erzogen und in jeder Hinsicht besser ausgerüstet sein, ihr Glück im Leben zu versuchen, als ihre weißen Konkurrenten. Für die weiße Kaste gibt es keine Hoffnung mehr. Schon scheint ihr Konservativismus nichts anderes zu bedeuten als den Instinkt einer Rasse, die dagegen ankämpft, in ihrer Gesamtheit aufgesaugt zu werden. Solange sie noch einen kompakten sozialen Körper bilden kann, wird sie sich jeder Aussöhnung als einer Gefahr für die Integrität der Rasse widersetzen; aber es ist nicht wahrscheinlich, daß sie eine derartige Verfassung sehr lange aufrecht zu erhalten imstande sein wird. Und hier stehen wir vor einem ganz besonders mächtigen Widerstand gegen eine soziale Verschmelzung, dem Widerstand der Frau.

Die weiße Kreolin ist in scharfe Rivalität mit der Farbigen gedrängt, auf eine Weise, die allen ihren Empfindungen und Trieben zuwider ist, und muß sich natürlich auf das äußerste gegen jede Maßregel wehren, die, sei es auch indirekt, zu Bedingungen führen könnte, welche die Reinheit der Rasse noch mehr bedrohen. Der Instinkt der Rassenerhaltung in der Frau ist unendlich scharfsinnig und viel weitblickender als der Stolz oder irgendein Vorurteil des Mannes. Die Farbige strebt fröhlich eine Vereinigung mit dem Weißen an, um der Ergebnisse für ihre Nachkommenschaft willen; und die weiße Frau schaudert vor der leisesten Annäherung sozialer Verwandtschaft irgendwelcher Art mit der Mischrasse zurück, als vor etwas, das künftige Möglichkeiten einer Rassendegradation in sich birgt. Je mehr dem weißen Element Auflösung durch seine Umgebung oder ein Aufgehen darin droht, desto nachdrücklicher werden die Kundgebungen ihres Abscheus, und desto unbedingter wird ihr Widerstand. Aber sie muß fühlen, daß ihre Rasse dazu verurteilt ist, auszusterben. Sie kann nicht deren Wiedereinsetzung als Aristokratie erhoffen, sie kann nicht einmal denken, daß die Rasse sich auf dem Status quo in den Kolonien erhalten könne; und ihren Instinkten zufolge glaubt sie mit Recht, daß eine Aufsaugung weit mehr zu fürchten sei als völlige Vernichtung.

B. Anmerkungen zum Rassenproblem

I

Jeder, der viel über die westindischen Kolonien gelesen, hat einen Begriff von der wundervollen Mannigfaltigkeit der Farben, welche die Mischrassen dort aufweisen – Farben, die unter der Tropensonne eine Lebhaftigkeit annehmen, wie wir sie an unseren eigenen Mischlingen im Süden der United States nicht kennen. Er weiß wohl auch, daß man den Versuch gemacht hat, diese Rassenfarben in neun Hauptklassen einzuteilen – von Schwarz oder nahezu Schwarz über Bronzerot, Kupferbraun und Fruchtgelb bis zu dem matten Elfenbeinweiß des sang-mêlé. Er wird vielleicht auch vermutet haben, daß die Schattierungen fast ebenso unbestimmbar untereinander variieren wie das Verhältnis von weißem zu schwarzem Blut in der Kombination der Vorfahren. Aber er muß selbst in die Kolonien gehen, um zu erfahren, daß jedes Individuum der Mischrasse seine eigene Farbe hat, – die nur der Kreole erkennen kann, nicht aber der unerfahrene Fremde. Er wird von dieser Tatsache in Kenntnis gesetzt und ist unzweifelhaft davon überzeugt, – mag auch sein eigenes Auge nicht die Fähigkeit haben, solche unendlich kleine Tönungsunterschiede zu konstatieren. Und nach einem mehrjährigen Aufenthalt in der Kolonie, die ich besucht habe, hätte er auf gleiche Weise die Überzeugung gewonnen, daß die Schattierungen und Unterschattierungen der sozialen Frage kaum weniger vielfach und kompliziert sind als die Verschiedenheiten der Hautfärbung; und daß jedes Individuum der Mischrasse auch seine eigene soziale Farbe oder sein eigenes Merkmal von eingebildetem Lokalwert hat – ebenso unkenntlich für den Fremden, dem Kreolen aber deutlich sichtbar. Nach kurzer Zeit weiß er, daß die soziale Frage viel zu verwickelt ist, um begriffen, geschweige denn erklärt zu werden.

Es mag zum Beispiel zunächst als ganz einfacher und klarer Sachverhalt erscheinen, daß das Weißenelement, wenn auch aus der Politik verdrängt, noch immer unter dem alten Sklaventitel »békés«, der gleichzeitig Herr und Weißer bedeutet, die anerkannte Spitze der sozialen Stufenleiter ist. Aber man muß zwischen vier oder fünf deutlich abgegrenzten Klassen unterscheiden, ganz abgesehen von den anderen, die mehr oder weniger ineinander übergehen. Da gibt es die alten Kreolen, die eine ziemlich kompakte Klasse bilden; nahezu alle, wenn nicht überhaupt alle, haben farbige Kinder und widersetzen sich der Aussöhnung auf das heftigste. Dann die jungen Kreolenweißen, die eine Organisation für sich sind und einige Neigung zeigen, eine versöhnlichere Haltung einzunehmen. Ferner die fremden Weißen, die vorgeben, mit den alten Weißen zu sympathisieren, und jene fremden Weißen, die offenkundig mit der Farbigenrasse sympathisieren und sich nicht scheuen, in diese hineinzuheiraten. Dann wieder die unabhängigen Weißen, denen es gelingt, bei jedermann Anklang zu finden, soweit es möglich ist, Gefallen zu erregen, indem man niemand beleidigt. Außerdem gibt es die Farbigen, die auf allgemeinen Beschluß der Weißen als Weiße geduldet werden. Schließlich sind jene »weißen Farbigen« da, die durch ihren Charakter, ihren Reichtum und ihre Bildung Achtung erzwingen und sich im übrigen nicht darum kümmern, was die alten Weißen denken oder nicht denken. Diese Leute können in Paris Weiße sein und fragen nicht danach, in Martinique dafür zu gelten; sie kennen ihren Wert und können, wenn es not tut, plumpen Spöttern Unterricht im Spott erteilen. Alle bisher Genannten werden vom Volk in der Klasse der »békés« zusammengefaßt; und man kann sagen, daß alle Weißen mit Ausnahme jener, die durch Heirat oder politische Neigung sich der Farbigenrasse verbunden haben, eine Kaste bilden, die an der Spitze scharf umrissen ist und sich an ihrer Basis in Unbestimmbarkeit verliert.

Der französische Gouverneur, die aus dem Mutterland geschickten Gouvernementsbeamten, die Land- und Seestreitkräfte und die prächtige Gendarmerie Coloniale stellen lediglich die Regierungsmaschinerie dar und haben kein Teil am bunten Leben der Insel. Aber soweit lokaler Einfluß überhaupt die Hebel dieser Maschinerie bewegen kann, ist der Arm des Farbigen die treibende Kraft. Tatsächlich ist es den Farbigen unter der Republik gelungen, einen Regierungswechsel zu erzwingen. Auch zeigen die Regierungsbeamten selbst, frei von den Vorurteilen der Kolonien, gewöhnlich persönliche Sympathie für die Bevölkerung, sowohl menschlich wie politisch, zum mindesten aber stehen sie immer den konservativen Anschauungen der Weißen gleichgültig gegenüber. Wie dem auch sei, als Amtsmechanismus hat die Regierung bestimmt nichts zur Besänftigung der Parteileidenschaften und zur Versöhnung unternommen, eher das Gegenteil, vielleicht sogar in sehr erheblichem Maße das Gegenteil. In Wirklichkeit regelt der auf Grund des allgemeinen Stimmrechts erwählte Conseil Général alle lokalen Angelegenheiten, und die französische Regierung interessiert sich nicht für die Resultate. Die weißen Kreolen haben in praxi keine Vertretung mehr, weder in der Kolonialregierung noch in Paris, seitdem auch die Senatoren und die Deputierten in allgemeiner Wahl gewählt werden; und die Folgen davon sind durchaus nicht günstig für das Gedeihen der Orte. Als Mr. Froude sein English in the West Indies schrieb, – ein wundervoll sachlicher und klarer Überblick über die Verhältnisse auf den englischen Inseln – konnte er nur sehr wenig von der französischen Westindienpolitik unter der Republik wissen, sonst hätte er nie den Versuch unternommen, sie mit den Einrichtungen der benachbarten englischen Kolonien zu vergleichen. Man stelle sich vor, was für Zustände auf Demarare oder Trinidad herrschen würden, wenn die eingeborenen Schwarzen mit Hilfe des allgemeinen Wahlrechts die Steuern bestimmen könnten, ohne daß es den weißen Steuerzahlern möglich wäre, eine Vertretung zu bekommen oder auch nur einigen Einfluß auf die Wahlen auszuüben.

Das farbige Element, das sich zu sich selbst bekennt, ist in seiner sozialen Struktur mindestens doppelt so kompliziert wie das weiße: da gibt es die Farbigen, die eine offen aggressive Stellung dem weißen Konservativismus gegenüber eingenommen haben und sie noch einnehmen, dem religiösen und dem politischen Konservativismus gegenüber: diese sind die eigentlichen Beherrscher der Kolonie. Dann die, welche wohl eine soziale Verbrüderung mit den Weißen abgelehnt haben, aber trotzdem Sympathie für sie zur Schau tragen. Ferner diejenigen, die in der Rassenfrage eine strenge Neutralität bewahren. (Bei den politischen Spaltungen der Farbigen untereinander spielt die allgemeine soziale Frage keine Rolle.) Schließlich noch die große Menge der Farbigenbevölkerung, die sich aus den Vertretern der verschiedenen Gewerbe und Berufe zusammensetzt, noch vielfach geteilt und untergeteilt durch Rassensympathie und Rassenhaß; sie bildet außerhalb der großen Rassenfrage zwei kuriose Kasten, die hauptsächlich am Anzug der Frauen zu erkennen sind: die einen kleiden sich europäisch, die anderen halten treu an den alten Sitten von Martinique fest – die »femme en foulard« und die »femme en chapeau« vor allem. Die allgemeine Neigung geht, wie mit Bedauern festgestellt werden muß, dahin, die schönen alten Trachten preiszugeben. Unter den gegenwärtigen Umständen glaubt die »femme en chapeau«, daß die Verrichtung mancher Arbeiten, und seien sie auch noch so gut bezahlt, ihrem europäischen Kleid zur Schande gereichen würde. Auf der anderen Seite gibt es unter den »femmes en foulard«, die an den alten Sitten und Trachten hängen, eine Klasse, die nur für »békés« arbeiten will, und eine andere, die für jeden arbeitet, der sie bezahlen kann. Aber auch bei den Ärmsten ist das Problem des Ursprungs und der Abkunft von weißen Vorfahren, mögen diese auch noch so weit zurückliegen, von größter Wichtigkeit; und ich kenne keinen rührenderen Zug aus dem kindlich schlichten Leben der Eingeborenen als den braven unschuldigen Stolz, mit dem ein farbiges Mädchen sich auf ihren weißen Vater beruft – dessen Namen sie nicht tragen darf.

Eine andere unschuldige Quelle des Stolzes, besonders in den ungebildeten Volksschichten, ist die Fertigkeit, Französisch zu sprechen. Denn schon früh stellte der Neger nach seinen afrikanischen Sprachvorstellungen ein schönes und klangreiches Patois zusammen, das französischen Ohren ganz und gar unverständlich ist, und zwang seinen Herren diesen Dialekt auf. Er wurde die Umgangssprache der kleinen Insel und das Verständigungsmittel ihres lokalen Handelsverkehrs. Es gibt keinen weißen Kreolen in der Kolonie, der ihn nicht vollkommen beherrscht: er hat ihn schon als ganz kleines Kind von der sanften schwarzen Amme gelernt, deren Milch er getrunken hat, und die er trotz seines Stolzes und seines Konservativismus von ganzem Herzen liebt. Noch ist es eine Seltenheit, auf den Straßen andere als Weiße Französisch sprechen zu hören; und jenen in den Weißenfamilien erzogenen farbigen Weibern, die vom Hören allein die kompliziertere Sprache erlernt haben, kann gewiß niemand das Recht bestreiten, auf diese Errungenschaft stolz zu sein. Aber die Volksschule ist daran, das Französische zur Stadtsprache für die nächste Generation zu machen. Zu allen Zeiten sprachen die städtischen Kreolen mehr Französisch als die auf dem Lande; und noch heute wird so mancher Fremde, der sich stolz seiner in Saint-Pierre erworbenen Kenntnisse des Kreolischen rühmt, mit Erstaunen feststellen müssen, daß die Sprache der »bitaco«, der Landneger, noch genug Rätsel birgt, die ihm den Dolmetsch unentbehrlich machen. Aber die Verschiedenheit ist nicht so groß, wie er glaubt: der Unterschied besteht im großen und ganzen nur darin, daß der städtische Kreole den Dialekt wie das Französische ausspricht, und der »bitaco« nicht. Nur wer in der Kolonie geboren und aufgewachsen ist, kann das Patois in allen seinen Spielarten perfekt sprechen. Intelligente Fremde können es so weit lernen, als sie es für die Praxis brauchen, aber nie gut genug, um verbergen zu können, daß sie Ausländer sind. Diese blumenreiche Sprache deutet eigentlich nur an, was gesagt werden soll, und nur die vertrauteste Kenntnis des kolonialen Lebens in Vergangenheit und Gegenwart kann den Zugereisten befähigen, die Phrasen des alltäglichen Verkehrs zu verstehen, die wörtlich ins Französische übertragen sinnlos klingen.

Ebenso wie die allgemeine Bildung die Poesie und Naivität der Volkssprache vernichten wird, indem sie das härtere, gewandtere und nervösere Französisch an die Stelle der kindlichen Sprache setzt, die jetzt öfter négue als kreolisch genannt wird, ebenso wird die Politik die Poesie und Naivität des alten Koloniallebens zerstören. Denn das behagliche Leben innerhalb des Haushalts wurde nie durch Kastenvorurteile und politische Gegensätze gestört, – es war ein patriarchalisches Leben, das trotz aller Übel, die ihm innewohnten, voller Zartheit und Harmonie war. Alle die exotischen Zusammenhänge des alten sozialen Systems wie in eine schöne, schwankende Wolke hüllend gab es da, schwer zu schildern in der Süße der Empfindungen, die es auslöste, – eine Atmosphäre von Sanftmut und Vertrauen, die fast schon Liebe war. Noch ist sie nicht ganz verschwunden, aber sie ist so rar geworden, daß man sie nur unter ganz bestimmten Lokalverhältnissen finden kann. Von fünf Kreolenherren betrachteten mindestens vier ihre Haussklaven als Adoptivkinder und empfanden eine gewisse väterliche Zuneigung für sie. Nie waren es diese Haussklaven, unter denen der Geist der Unzufriedenheit und der Empörung Fortschritte machte, sondern die Freigelassenen und die Massen der schwarzen Plantagenarbeiter, die ihren Herrn fast immer nur durch seinen Aufseher kannten. Der kreolische Sklavenbesitzer konnte, wenn er nicht verkommen war, niemals unfreundliche Gefühle gegen die Rasse hegen; seine Kindheit mit ihren Seligkeiten und seine Jugend mit ihren Liebschaften hatte er in ihrer Mitte verlebt; das Mannesalter fand ihn gewöhnlich als Vater farbiger Kinder. Daß er sie in einem bestimmten Alter sich selbst überließ, geschah nur durch den Zwang der gesellschaftlichen Bräuche; aber schon in einem ganz frühen Abschnitt der Kolonialgeschichte muß diese Gewohnheit aufgehört haben, eine Grausamkeit den Betroffenen gegenüber zu sein. Im Lauf der Zeit wurde das persönliche Leiden, das diese Verwandtschaftsverhältnisse zur Folge hatte, viel geringfügiger, als man sich vorstellen kann; auf der einen Seite war man sich kaum der Schlechtigkeit seines Vorgehens bewußt, und auf der anderen gab es höchstens ein sehr schwaches Gefühl erlittener Unbill. Zeit und Gewohnheit hatten die moralische Empfindlichkeit erstickt: das ursprüngliche akute Übel hatte, indem es chronisch wurde, müdere Formen angenommen. Notwendigerweise waren die Kinder die Hauptleidtragenden: ob sie Sklaven oder Freigelassene waren, ihr weißes Blut empörte sich dagegen, mit ihrer Stellung in der Kastenordnung zufrieden zu sein; und aus ihren Leiden und Kämpfen wurde der widernatürliche Rassenhaß geboren, der noch herrscht und eines Tages die ursprünglichen Herren der Kolonie zwingen wird, ihr Geburtsland zu verlassen. Ismael und Hagar, aus dem Vaterhaus vertrieben, kehren heim, um Abraham und Sarah in die Wüste zu verbannen.

Doch wäre es wieder ein Irrtum, wollte man annehmen, daß die weißen Herren hart und grausam gewesen seien. Es war Sitte, freundlich zu sein, – eine Sitte, deren Entstehen vielleicht auf gemeinsame Gewissensbisse und Empfindungen zurückzuführen ist. Kein System positiver Strenge hätte diese Sanftmut zeitigen können, diese respektvolle und doch zärtliche Gefügigkeit, dieses eifrige Streben, zufrieden zu stellen, das noch heute eine große, von den Schlichten und Altmodischen gebildete Gruppe der Farbigenbevölkerung auszeichnet, das aber mit der jetzt lebenden Generation sterben wird.

In der Tat, alles schwindet dahin, was einen gern an die alte Zeit zurückdenken läßt. Die soziale Konfusion, die gegenwärtig in den Städten herrscht, ist ein Zeichen für das Heranrücken totaler Zersetzung – das Zerbrechen der Kasten in Klassen; und die geradezu absurde Vervielfältigung, die diese durch Spaltungen erfahren, weist darauf hin, daß Rassenvorurteile sich nur in einer Form erhalten können, die wir aus manchen südamerikanischen Republiken kennen, – in der Form persönlichen Familienstolzes. Nun, da einmal die Kraft gebrochen ist, die das durchaus künstliche Gleichgewicht des alten sozialen Organismus stützte, kann dem Streben nach Absonderung, in dem sich das Wirken eines Naturgesetzes manifestiert, kein Wechsel in der Kolonialpolitik Frankreichs Einhalt tun. Aber wir haben uns bisher lediglich mit dem Ringen der farbigen Rasse, weiß zu werden, beschäftigt; nun müssen wir von einer zweiten Gewalt sprechen, die an dem Zersetzungswerk arbeitet und die bitter erworbenen Früchte dieses Ringens wieder zu vernichten droht.

II

Mit der bunten Bevölkerung der Städte durch die dunkleren Kasten verwandt, lebt auf den Bergen das alte afrikanische Element, unaufhörlich sich mehrend und verstärkend – die große schwarze Reserve, die von den Gipfeln herab ständig die Siedlungen der Ebene bedroht; wenn sie auch infolge der geänderten klimatischen Bedingungen viel von ihrer ursprünglichen Kraft und Zähigkeit verloren haben, ihre Denkweise und ihre Gepflogenheiten haben sich im Lauf der Jahrhunderte kaum gewandelt. Nicht einmal der scharfsinnige Mulatte mit seiner zweifachen Rassenerfahrung kennt ihr Herz bis in sein Innerstes. In ruhigen Zeiten scheinen sie arglos und einfältig wie große Kinder; aber von plötzlichem Fanatismus ergriffen, können sie innerhalb eines Tages einen Orkan der Vernichtung und der Zerstörungswut entfesseln, blind und taub und erbarmungslos wie eine Elementargewalt. Und die tropische Natur selbst wird immer ihr Bundesgenosse sein, wenn politische Nachlässigkeit oder Mißwirtschaft ihnen die Früchte kolonialer Zivilisationsarbeit preisgibt. Es scheint, daß das schwarze Element über die Zukunft entscheiden wird. Schon als Sklavenrasse nahmen sie nicht nur passiv, sondern auch aktiv an dem Prozeß der Angleichung, der überall vor sich ging, teil, indem sie die Gebräuche, die Sitten, die Vorstellungswelt und die Sprache ihrer Herren modifizierten. Seit ihrer Befreiung nehmen sie weitere Einflüsse nicht mehr auf und sind das allein aktive Rassenelement in den Westtropen geworden. Noch ist die Magie die einzige Religion, die ihr Leben beherrscht, und der Hunger die einzige Gewalt, die sie wenigstens teilweise ihren Arbeitgebern botmäßig erhält. Infolge des Bevölkerungszuwachses von Jahr zu Jahr mehr beengt, schicken sie ihre kräftigen Männer und Frauen in die Städte hinab und nehmen so der eingesessenen Bevölkerung eine Existenzmöglichkeit nach der anderen. Mit ihrer ungeschlachten Kraft sind sie ein gefährliches Werkzeug in den Händen politischer Drahtzieher; aber die sie schon benutzt haben, werden vielleicht, wie ihre Vorgänger im achtzehnten Jahrhundert, eines Tages, wenn es schon zu spät ist, belehrt werden, daß die immer wieder aufgeputschten Neger ihren Führern entgleiten und, von ihren dunklen Instinkten getrieben, ihre eigenen schrecklichen Wege gehen können. Seit den Tagen der Emanzipation wird die Haltung, die sie einnehmen, immer hinterhältiger und gefahrdrohender; weiß zu werden, erstreben sie sicherlich nicht mehr. Sie kennen jetzt den Platz, auf den die Natur sie gestellt hat, und geben sich damit zufrieden, schwarz und stark zu bleiben und die Gelbhäutigen zu verachten. Kurz, sie haben ihr Rassenbewußtsein wiedergewonnen; sie hängen neuen Träumen nach, und wer weiß, wohin diese sie noch führen können?

Wir neigen heute zu der Ansicht, daß die menschliche Seele überall dieselbe ist. Aber es ist wohl sehr fraglich, ob wir es jemals so weit bringen werden, die Seele einer fremden Rasse zu kennen wie unsere eigene – jene Seele, welche das Resultat einer so ganz andersartigen Erfahrungsvererbung ist. Wir mögen manches von der Gemütsbildung der uns verwandten Rassen wissen – das Höhere und Edlere vielleicht eher als das Niedrigere und Gröbere; aber selbst an den Kelten, Romanen und Germanen bleibt uns noch einiges rätselhaft und befremdlich. Um wieviel weniger also können wir unter anderen Bedingungen entstandene Rassen begreifen, die sich so sehr in Sprache, Gepflogenheiten, Farbe und sogar Körperbau von uns unterscheiden? Wer kennt das Urgefühl, das der Naivität des Schwarzen zugrunde liegt? – Wer kennt die afrikanische Seele?

… Der Reisende, der, den Windungen des Bergpfades folgend, in das blaue Herz der Insel emporstrebt, wird zuweilen ein fremdartiges Getön vernehmen – einen unheimlichen Wechsel von Rattern und Brummen, bald scharf knatternd wie entferntes Gewehrfeuer, bald dumpf summend. Überrascht pariert er sein Pferd, um zu lauschen. Es ist das Dröhnen einer afrikanischen Trommel, eines »tamtam« oder »ka«, das von eisenharten Fingern geschlagen wird. Wenn er näher kommt, hämmert sich in sein Bewußtsein ein sinnverwirrender Rhythmus, desgleichen er nie zuvor gehört oder empfunden hat. Und plötzlich, mit einem Schlage, blitzt in ihm die Erkenntnis auf, daß er den Fuß in eine Welt gesetzt hat, die nicht die seine ist, und daß aus jenem wilden Rhythmus eine Seele spricht in den Lauten einer Sprache, die ihm fremd ist, die aber mit magischer Gewalt ein Ungekanntes in ihm wachrufen will, einen Gedanken vielleicht, vergessen vor unzähligen Jahren. Und schließlich, wenn das Getöse der Trommel ihn in wirbelndem Sturm umbraust, springt eine wilde Erregung ihn an, deren er sich fast schämt; alles Tierische in ihm wird aufgerührt und erbebt im Takte dieses triumphierenden, barbarischen Tanzes … Und könnte er die Ursache ergründen, er erriete damit das Mysterium einer Rasse.

… Selbst in großen Umrissen, wie hier, muß diese Geschichte eines verhängnisvollen Irrens und seiner einzigartigen Sühnung Mitleid und Furcht erregen, diese Geschichte vom verzweifelten Ringen der Farbigen, weiß zu werden. Um wieviel mehr müßten die Einzelheiten dieser ungeschriebenen Tragödien erschüttern; sie würden auch begreifen machen, warum man in jenen zerstörten Paradiesen der westlichen Welt, unter einem Himmel müder selbst als die Liebe, sich vom Menschen weg zur Natur wendet!

… Aber über Kummer und Enttäuschung, über den kleinlichen Ränken und den häßlichen Leidenschaften des Kampfes, über Vergangenheit und Gegenwart, über dem Kommen und Gehen von Rassen ragen die ewigen Gipfel in die Wolken hinauf und scheinen der Unbeständigkeit der Regierungen und der Torheiten der Zivilisation zu spotten. Der Mensch geht dahin, aber die Natur bleibt bestehen und nährt ihr grünes Leben gleichmütig mit dem Moder von Sklaven und Herren; und mit den Säften der Bäume steigt die Kraft der Herzen empor, die unter den grünen Kronen geliebt und gehaßt haben.


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