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St. Brandans Weihnacht

St. Brandan segelte mit seinen zwölf erwählten Brüdern auf die hohe See hinaus, das Heilige Eiland zu suchen, das in ewiger Ruhe daliegt, eingebettet in die sonnenwarmen Wogen der westlichen See.

Der Heilige hatte lange den Zwist und Hader in seinem Vaterlande beklagt, und die Üppigkeit und Weltlichkeit seiner Priester und Mönche verworfen. Er wollte die Habgier, den Zank und Hader Irlands hinter sich lassen, und eine Heimat sich suchen, wo er Gott in Frieden dienen könnte, eine Heimat auf der sagenhaften Insel, die noch kein Seemann je erreicht hatte. Aber den Wachen im Auslug war sie mit schattigen Küsten und strahlenden Vorgebirgen zuweilen erschienen, wenn die Nebel, die sie unwürdigen Augen verbargen, plötzlich für einen Augenblick sich teilten, und die Paradiesesbrisen hinaus über die See strichen.

Viele Tage bereiteten St. Brandan und seine Gefährten ihre Seelen vor, auf daß ihre Augen, rein von irdischem Staub, sähen, und ihre Seelen, rein von irdischer Befleckung, fröhlich erreichten das Land, wo es keine Sünde und keinen Kummer gibt.

Darauf, kühn den Bug gegen den unbekannten Westen kehrend, zogen sie ihr Segel auf, und während das reuige Volk an der Küste weinte und betete, ward das Segel zu einem weißen Fleckchen auf der dunkeln See, bis es in der roten Glorie der sinkenden Sonne zerschmolz und die Grenzen der Welt hinter sich ließ.

Mannigfache Abenteuer hatten die Reisenden zu bestehen; die wurden nach Jahren von ihrer einem niedergeschrieben, der am Leben geblieben war, um heimzukehren und als ein heiliger Mann in seiner Zelle zu sterben. Denn ihre Seelen mußten durch harte Prüfungen gehen, und ihre Geister das Licht der Gnade empfangen, ehe daß sie das Heilige Eiland finden konnten. Viele von ihnen aber erlagen der Versuchung und gingen verloren. Und noch mehr Weisheit und Zucht mußten mit Schmerzen errungen werden, daß sie in dem Ozeanparadies bleiben könnten, wenn es einmal gewonnen war. Denn seine Süße und sein Licht ergaben sich nur denen, die Süße und Licht mit sich brachten, und die den Herrn liebten, und alles, was der Herr geschaffen hat.

Doch nur St. Brandan allein (es heißt auch, einer oder zwei Gefährten seien mit ihm gewesen, die Überlieferungen sind verschieden) durfte das überirdische Licht und die Lieblichkeit des sündenlosen Landes schauen; und da ist er bis zu diesem Tage und wird dort bleiben bis zum Jüngsten Tage, um unverwundet vom Stachel des Todes in das Paradies Gottes einzugehen, von dem seine mystische Insel ein Teil ist; denn im Anbeginn war sie der Garten Eden gewesen, der nach Adams Sündenfall hinweggetragen und im Meer verborgen wurde, sichtbar nur den Augen der Heiligen.

Aber manchmal geschieht es einem irischen Fischerjungen, der reinen Herzens ist und treu in der Pflicht, fromm und voller Liebe für seine alte Mutter, die daheim vor dem Torffeuer spinnt, daß er, auf den hoch an der Felsenküste Westirlands emporschäumenden Wogen von den verlorenen Herrlichkeiten des grünen Landes träumend, die Gold- und Purpurgehänge des Sonnenunterganges für einen Augenblick sich lüften sieht über der schimmernden See; und seine Augen haben die schattigen Obstgärten, die blühenden Abhänge, die silbernen Ströme und die diamantenglitzernden Wasserfälle von St. Brandans Insel erschaut. Aber ehe er sich bekreuzigen und sein Vaterunser sprechen kann, sind die schweren Nebelfalten wieder herabgesunken, und die sündenlose Insel ist verschwunden.

Er aber dankt Gott, denn er weiß, daß er den Seinen ein Segen für alle Tage sein wird, und daß er im Glauben sterben wird mit dem Beistand der Engel und der Heiligen, denn auch er hat »das Eiland des Heiligen« gesehen.

Nun war während St. Brandans Reise der Weihnachtsabend herangekommen, der Abend vor dem Hehren Tage, der der sündigen Welt ihren Erlöser geschenkt hat. Und die ganze Nacht wachte der Heilige mit seinen Gefährten, und sie sangen Psalmen und bereiteten sich zur Frühmesse. Und sie sprachen viel zueinander von der großen Liebe des Herrn und seinem wunderbaren Mysterium, dessen Höhe und Tiefe kein Mensch ermessen kann. Und auch von unseres lieben Herrn großem Erbarmen mit allen sündhaften Menschen sprachen sie, das nie ausgeschöpft werden kann, dessen auch die Schlechtesten und Undankbarsten genießen.

Da sie mittlerweile weit oben in den nördlichen Meeren waren, erfüllte sich die Nacht mit dem fürchterlichen Krachen des berstenden Eises, und gespenstische Berge trieben vorüber und verschwanden in den dunkeln Nebeln. Dann war ein großer Feuerschein wie von einem brennenden Berge über der Nacht, und Klirren von Ketten und Schreie der Verzweiflung kamen über das düstere Wasser. »Das, meine Brüder,« sagte St. Brandan »ist gewiß die äußerste Grenze der Welt, wo die verlorenen Seelen in die Hölle gestoßen werden; denn diese Schreie sind die Schreie von Seelen, die Gott verleugnet haben.« Und einer sagte: »Hier also kennt der Herr kein Erbarmen.« Und St. Brandan erwiderte: »Sprich nicht also, mein Bruder. Nirgends kann unser Herr ohne Erbarmen sein. Lasset uns also beten für diese, die da jammern. Denn wer vermag die Kraft des Gebetes zu ermessen?«

Und so beteten und sangen sie diese ganze schreckliche Nacht – nicht für sich, sondern für die, deren Schreie aus den Höhlen der fürchterlichen weißen Berge gellten und über die murrende See hallten.

In der Morgendämmerung fanden sie sich von einer Kette glitzernder Eisberge umringt, die in rosigem Licht erstrahlten; – und diese Berge waren bedeckt mit Menschen, die Ketten trugen und große Qualen zu leiden schienen. Weit davon, an der Öffnung einer großen Höhle im Eise, aus der Rauch und Flammen brachen, tobten und heulten Haufen von Teufeln und suchten zu den Menschen zu kommen. Aber ein Engel mit einem gewaltigen Schwert stellte sich ihnen entgegen und rief: »Zurück! zurück! Laßt ihnen ihre Frist. Das ist des Herrn Zeit, die Stunde Seiner Gnade.«

»Und wer sind diese?« fragte St. Brandan kühn in der Reinheit seines Herzens den großen Engel. »Diese,« erwiderte der, »sind verlorene Seelen, die Mitleid mit einer von Gottes Kreaturen hatten, während sie auf Erden lebten; und unser Herr, der so gnädig ist, vergißt nicht die kleinste Tat der Barmherzigkeit zu belohnen, und sei es an einem Verdammten. Sprich zu ihm dort, und er wird Dir alles erzählen.«

Sie wandten sich um und sahen einen Mann von grausiger und fürchterlicher Häßlichkeit allein auf einer Eisklippe sitzen. So schrecklich war er, daß die anderen Verdammten ringsumher voller Furcht ihm auswichen und sich die Augen zuhielten, um ihn nicht zu sehen, und die Ohren, um nicht die Flüche zu hören, die aus seinem Schwefelmaul kamen. »Wer bist Du?« sagte der Heilige. Und die Heiligkeit, die der Hölle wie dem Himmel befiehlt, erzwang eine Antwort von dem Menschenteufel. »Ich bin Judas, der den Herrn verkaufte, und der in die unterste Hölle verdammt ist; aber weil ich einmal als Kind in den Straßen Jerusalems, da ich einen Esel unter seiner Last fallen sah, mir die Last auflud und den Esel erlöste, deshalb gönnt mir der Herr, den ich verriet, an jedem Weihnachtstage Erholung von dem ewigen Feuer, daß ich meinen Brand mit den anderen auf dem Eise kühle.« Dann brach er wieder in Verwünschungen aus. Und die Eisberge trieben fort, und die weißen Nebel fielen vom Norden herab, und St. Brandan sang die Messe auf der verlassenen See; und alle Brüder erkannten den Herrn und wußten fortan, daß der Sohn Marias, der zu Bethlehem geboren ward, keinem eine Tat der Barmherzigkeit je vergißt, sei er auf Erden, im Himmel oder in der Hölle.


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