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Seit die Geschichte spielte, die wir erzählen wollen, sind über anderthalb Jahrtausende verflossen. Neckar und Rhein hießen damals Nicer und Rhenus. Dem Nicer war soeben schwere Unbill widerfahren; Kaiser Valentinianus beschuldigte den alamannischen Strom, daß er mit seinem gewaltigen Wellenschlage die Fundamente des römischen Bollwerks vor Alta RipaAltrip bei Mannheim. unterwasche. Darum hatte er ihn aus seinem alten Bette geworfen und ihm ein neues gegraben. Nicht wo er gewohnt war, sondern wo der Alleinherrscher es gebot, mußte Nicer fließen. Wie wird der bärtige Rhenus mit dem schilfbekränzten Haupte sich gewundert haben, als sein Genosse an der gewohnten Stelle plötzlich ausblieb, um dann an ganz anderem Platze seine dunkelgrüne Welle mit den blaßgrünen Wogen des größeren Stromes zu vereinigen. Im Winter und Frühjahr, wenn Hochwasser eintrat, schwoll dem kleinen Flußgott freilich gewaltig der Kamm. Im Sommer aber verrieth der Strom, der das am meisten idyllische Thal Germaniens durchzog, keine dieser Launen. Aus tausend schimmernden Augen glänzend zog er friedlich zwischen großen Granitblöcken und gelben Sandbänken dahin und spiegelte an ruhigeren Stellen, gleich der glatten Fläche eines Sees, das stille Bild der Berge und Wälder wieder. An seinem Thalausgange thronte zur Linken der bewaldete Mons Valentiniani mit dem römischen Wartthurm, zur Rechten der Mons Piri, nach dem wilden Birnbaum so genannt, der weithin sichtbar den kahlen Rücken krönte. Zwischen diesen Bergriesen, die wie ein Pylonenpaar den Eingang zum heiligen Wodanwalde hüteten, trat der liebliche Fluß, behaglich sein Bett verbreiternd, in die grüne Ebene des Rhenus hinaus. Einige hundert Schritte unterhalb des Thalausgangs hatte der siegreiche Imperator die alte römische Jochbrücke wieder hergestellt und ein befestigtes Lager, ein Sperrfort würden wir sagen, errichtet, um die an der Brücke sich kreuzenden Straßen zu hüten und zu sorgen, daß das Thal nicht zum Ausfallthore für die Alamannen werde.
Auf der schnurgeraden Hochstraße, die westlich vom Mons Piri die grüne Ebene durchschnitt, war ein reges Leben der römischen Reiter und der zweirädrigen Ochsenkarren der Colonen, die zwischen dem neubefestigten LopodunumLadenburg. und dem römischen Standquartier den Verkehr vermittelten. Die Maiensonne brannte grimmig auf dem Kiescemente des hohen Wegdamms, der sich zwischen den Ablaufgräben hinzog, von keinem Baume, keiner Mauer beschattet, nur daß von Zeit zu Zeit ein Meilenzeiger, der die Entfernung von Lopodunum angab, oder ein kleines Stationsgebäude einen dunkeln Strich über die blendend weiße Straße warf. Den Kriegern, die die Sonne Africas und Syriens braun gebrannt, mochte diese Gluth behaglich sein, nachdem ihnen die deutschen Winterstürme lang genug den Helmbusch gezaust hatten. Mindern Dank verdiente sich die Maiensonne bei zwei christlichen Wandrern alamannischer Zunge, die barhäuptig hinter zwei hochbepackten Maulthieren und ihrem halbnackten Führer einherschritten. Den Aelteren, eine hagere Gestalt in weißem Untergewande und Ueberwurf, bezeichnete das gestickte Kreuz am Mantelende als Bischof. Der Jüngere, mit dem verwilderten blonden Haupte, der nur mit einem groben dunkeln Mantel seine Blöße deckte, schien einer jener Mönche zu sein, die auch im Abendlande überall auftauchten, seit der Zeit, da der heilige Athanasius etliche Begleiter dieser Art in sein Exil nach Gallien mitgebracht hatte. Dem Bischof wurde schließlich der Trab der munteren Maulthiere zu eilig und ermüdet ließ er sich auf einem Steine nieder, den in früheren Tagen ein Curator der Straßen den Göttern der Doppelwege, Dreiwege und Kreuzwege gesetzt hatte. »Nun, Bruder Vulfilaich«, sprach er, »ich hoffe, du zürnest uns nicht mehr wegen der Täuschung, die sich der Diakon mit dir erlaubte. Aser glaubte, du brächtest Kirchengefäße und heilige Gewänder, deren unsere arme, von den Alamannen zehnmal geplünderte Basilica zu Lopodunum sehr bedarf, darum beschwatzte er dich, in unserer Stadt auszusteigen. Wie konnte er auch denken, daß ein Mönch Waffen und weltliches Geräthe in seinen Bündeln birgt?«
»Ich zürne nicht, ehrwürdiger Vater Anaklet, aber mich kränkt, daß ein Diener der heiligen Kirche die Unwahrheit redete und mich täuschte gleich den Kindern der Welt. Hätte ich ihn nicht gefragt, so wäre ich in meinem Schiffe nun längst im Lager.«
»Ich werde ihm eine Kirchenbuße auferlegen für seine Lüge, aber du selbst, wie kommst du dazu, dieses Rüstzeug der Welt einem Heiden nachzuführen?«
»Der Heide ist mein Bruder, dem Fleische nach.«
»Der gewaltige Alamanne Rothari ist dein Bruder?« fragte der Bischof ungläubig und dieser Gedanke belebte ihn so, daß er aufsprang und wieder den Maulthieren folgte, die inzwischen einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen hatten.
»Wie arm und dürftig ich heute vor dir stehe«, begann der junge Alamanne, »bin ich dennoch ein Königssohn, der noch vor wenig Jahren brennend und sengend durch Galliens Städte die Römer schreckte. Mein Vater, König Vadomar, ward von Cäsar Julian gefangen und schlug dann im fernen Osten die Schlachten Roms. Wir Söhne, vier an der Zahl, Vithikab, Fraomar, Rothari und ich führten den Krieg weiter und ich denke mit Glück. Ihr zittertet oft genug vor des bleichen Vithikab's Schlachtruf. Dann aber kam Streit und Mißtrauen und Bruderfehde, die uns trennte, und euch zu gut kam.« Der junge Mönch schwieg und schien in schmerzliche Erinnerungen zu versinken, der Bischof aber fragte salbungsvoll: »Es war wohl der alte Kampf um mein und dein, der euch entzweite?« Vulfilaich nickte nachdenklich mit dem wirren blonden Haupte, dann fuhr er fort: »Aus dem fernen Syrien kam die Nachricht von des Vaters Tod. Der Aelteste der Sippe sollte nach Recht und Herkommen zwischen den Söhnen die Habe theilen. Aber er war ein untreuer Mann. Er begünstigte den König und Rothari schädigte er, denn er haßte meinen Bruder, der ihn um eines getödteten Knechtes willen gepfändet hatte. So theilte er ungerecht und der böse Satan verblendete mich also, daß ich nahm, was nicht mein war. Rothari, der Schöne, Treue warf mir einen langen, traurigen Blick zu, den ich nicht vergessen werde in meiner Todesstunde, schwang sich auf's Roß und ritt zu den Römern. Seitdem wich das Glück von unserem Stamme. Vithikab, der König, ward von einem Diener ermordet, den der Augustus bestochen hatte. Wir verloren Schlacht auf Schlacht und mußten sogar unsere unrecht erworbenen Schätze in dem festen Ringe auf dem höchsten Gipfel des Taunusgebirges bergen. Bekümmert und traurig gingen mein Bruder Fraomar und ich einher und wir fühlten, wie unsere Achtung sich mindre im Volke. Als es zur Königswahl kam, wählten die Edlen Macrian. Fraomar ward darüber verbittert und hielt im Geheimen zu den Römern. Wie gebrandmarkt ging er einher und nur wenige mochten mit ihm zu thun haben. Am schlimmsten war es mir ergangen. Du weißt, wie im letzten Jahre des Königs Vithikab unsere Jugend den gefrorenen Rhenus überschritt und MogontiacumMainz ausräumte.«
Der Bischof machte mit der Hand eine Gebärde des Abscheus.
»Auf eisigen Schneefeldern zogen wir dahin und schlichen leise wie die Wölfe über den gefrornen Strom. Wir hatten fast das andere Ufer erreicht und alles stürzte eilig dem Lande zu, da brach ich ein und konnte mich nicht emporarbeiten. So oft ich mich nach oben schwingen wollte, brach das Eis auf's neue. In meinem Ohre aber hörte ich deutlich das höhnische Lachen des Nix, der unter der Eisdecke saß und wenn sie brach jedesmal sagte: ›so brachest du dem Bruder die Treue.‹ Endlich ward ich starr, nur noch lose hing ich an meinen krampfigen Armen. Da kamen etliche Nachzügler. Sie zogen mich heraus und schleiften mich nach dem Ufer. Dort aber ließen sie mich im Schneefeld liegen, denn sie sorgten, zu spät zu kommen zur Beute.«
»Große Sünde ward dir erspart«, sagte der Bischof salbungsvoll. »Du weißt, wie die Deinen, das Fest der Erscheinung nicht achtend, die Basiliken umstellten und alle Heiligen, die zum Theile vom Lande hereingeströmt waren, abführten in die Knechtschaft, wie sie ruchlos die Kirchen des Herrn plünderten und mit den Kelchen des Heiligthums sündige Gelage feierten. Preise den Herrn, mein Bruder, der dich herausgerissen hat gleich einem Brand aus dem Feuer.«
»Im Feuer lag ich, ehrwürdiger Vater. In Fiebergluthen fand ich mich auf einem Wagen der Unsern, als ich wieder zu mir kam. Den ganzen Winter war ich krank. Zwei Zehen waren mir abgefroren. Als die Sonne wieder wärmer schien, meinte ich zu genesen. Aber noch viel schwerere Züchtigung hatte mir der Herr verhängt zur Strafe, daß ich seine Kirche hatte plündern wollen. Er hatte mir einen Satansengel zugesellt, der mich mit Fäusten schlägt. Von Zeit zu Zeit kommt er über mich. Meine Glieder sind dann wie zerrissen. Ich rase und tobe und erst nach langem Schlafe komme ich wieder zu mir. Mit meinem Volke ging es unter Macrian's Führung wieder empor und Fraomar ward verjagt, als ihn die Römer zum Könige einsetzen wollten. Mich konnten sie im Kriege nicht mehr brauchen und wollten mich auch nicht, da meine Brüder zu den Römern hielten. So lungerte ich im Walde, lebte der Jagd und geleitete Fremde um Sold, wie auch andere Edelinge thun in unserem Grenzlande. Als ich so eines Tages ausritt, traf ich am Wege sitzend den Diakonen Benedictus, der mit Empfehlungen des Königs Gundomad zu Macrian wollte, ob ihm erlaubt sei, die Christen zu besuchen, die in den Thälern des Taunusgebirges wohnen. Er hatte sich den Fuß verletzt und bat mich, ich möchte ihn auf meinem Rosse nach Aquä MattiacäWiesbaden bringen. Was er mir dafür geben wolle? fragte ich ihn gierig. Er sagte, den irdischen Preis solle ich bestimmen, dazu wolle er für meine Seele beten. Da lachte ich, half ihm auf mein Roß und führte ihn nach seiner Stadt. Als wir schieden, forderte ich einen unziemlichen Preis. Der ehrwürdige Greis sah mich mit einem sanften Blicke an, gab mir, was ich verlangte, dann noch zwei Hände voll dazu und fragte, ob ich noch mehr wolle? Ich starrte ihn an, ob er wahnsinnig sei? Er aber sprach: ›Du bist noch jung, möge der Herr dich erleuchten, daß du lernest, wie auch die glänzendste Erde nichts ist als Schmutz.‹ Als ich das Geld einsteckte, war mir, als ob ich es heimlich gestohlen hätte. Alle Freude daran war mir hinweggenommen. Ich kam bis vor das Thor. Dann fiel mir ein, wie habsüchtig ich damals gegen meinen liebsten Bruder gehandelt, wie ich ihn verloren und wie ich seitdem weder Glück noch Stern mehr gehabt und ich mußte weinen und weinen und was ich auch thun mochte, die Thränen ließen sich nicht stillen. Da wendete ich mein Roß und sprengte zurück zu dem heiligen Manne und traf ihn vor dem Hause sitzend, wo ich ihn verlassen. Ich sprang vom Pferde, trat vor ihn, ihn anzureden wagte ich kaum, ich reichte ihm nur sein Geld in meiner Tasche. ›Ich wußte, daß du kommen würdest‹, sprach er mild. ›Deine Augen sind hell und klar wie die goldbraunen Bergbäche des Mons Abnoba,Schwarzwald. der Böse konnte nur auf einen Augenblick dein Herr sein.‹ ›Heiliger Mann‹, erwiderte ich, ›der du mir das Herz im Busen umwenden konntest, schaffe, daß ich meinen Bruder wiederfinde, den ich verloren habe.‹ Auf sein Verlangen erzählte ich ihm meine Geschichte. ›Erst will ich dich mit dem Vater versöhnen‹, sagte er, ›dann mit dem Bruder.‹ So blieb ich bei ihm. Er lehrte mich Gott kennen und seinen Sohn und die lieben Heiligen. Nach langer Prüfung ließ er mich dann zur Taufe zu.«
Der Bischof nickte befriedigt mit dem Haupte, dann fragte er: »Und hat es dich nie zurückverlangt aus diesem schlichten Kleide nach der Pracht und den Freuden der Königshalle?«
»Nach den Freuden nie, ehrwürdiger Vater. Die Erinnerung an sie ist mir wie der Geruch des geleerten Bechers am Tage nach dem Gelage. Aber mit der Erinnerung an Kampf und große Thaten versucht mich der böse Feind zuweilen. Noch greift meine Hand nach jeder Waffe, die ich sehe und ich vergesse schwer, daß ich ein Krieger war.«
»Lebtest du so still und thatlos bei Benedictus?«
»Viele Wochen begleitete ich den heiligen Mann und diente ihm zur Stütze auf seinen Wanderungen zwischen MönusMain. und Nicer. Ich lernte, wie man Frauen und Kindern predigt und Helden schreckt mit den Waffen unseres Gottes, aber innerlich hatte ich keine Ruhe, ehe ich mir den Bruder wieder versöhnt und mein großes Unrecht gesühnt hätte. Deßhalb entließ mich Benedictus.
Ich stieg nach dem Ringe auf der Höhe des Mons Taunus hinauf und nahm alles, was an Schätzen von Rothari's Antheil auf mich gefallen und das Meine dazu und schaffte es nach dem Rhenus hinab, dort lud ich es auf einen Kahn und fuhr stromaufwärts. Zu Mogontiacum traf ich den Diakonen, der mich bat, ihn bis Lopodunum mitzunehmen. Das Weitere weißt du. Ich hätte meine Fracht nicht nach Lopodunum hinaufgeschafft, hätte er mir nicht vorgeredet, das Haus des Comes Arator, wo Rothari wohne, sei leichter von euerer Stadt als vom Lager aus zu erreichen.«
»Nun, meine Maulthiere haben, denke ich, Afer's fromme Lüge wieder gut gemacht und ich selbst gebe dir zu Arator's Villa das Geleite. Bist du aber auch gewillt, unter dem Dache eines Ungläubigen zu herbergen?«
»Wie soll ich sie bekehren, wenn ich nicht bei ihnen herberge? Hat der Apostel nicht das Gleiche gethan?«
»Wohl, wohl, mein Sohn, aber dieses Haus ist mehr als eine Hütte der Galater, es ist der Tempel Bileam's, die Höhle von Endor, der Palast des Simon Magus und Elymas, es ist der götzendienerischen Jesabel Laube zu Thyatira.«
»Du sprichst in Räthseln, mein Vater.«
»So wisset, sagte der Bischof in gedämpftem Tone, indem er einige Schritte hinter dem Maulthiertreiber zurückblieb, »daß Arator's Tochter Zauberei treibt. Weit und breit ist kein Weib in den Künsten der Magie so bewandert wie sie. Jeden Vollmond übt sie ihr teuflisches Wesen und gläubige Sklaven sahen sie in tiefer Nacht mit geschlossenen Augen im Mondlichte wandeln, sie schritt auf den höchsten Mauern und Zinnen dahin, ohne zu schwindeln und kehrte auf den unbegreiflichsten Wegen nach ihrer Stube zurück.«
Der junge Mönch erbleichte und starrte mit weit aufgerissenen Augen den Bischof an. »Und hast du sie nie beschworen, mein Vater, sie nie mit geweihtem Wasser besprengt, ihr nie in's Gewissen geredet?«
»Gerne hätte ich ihr den Dämon ausgetrieben, aber die Heuchler haben es nicht zugelassen. Ihr Vater ist ungläubig und ein mächtiger Mann. Da müssen wir wohl schweigen zu allen Gräueln, zumal die Kaiserin Justina des Mädchens innige Freundin ist und das Gerücht geht, sie selbst habe Arator's Tochter in der Magie unterwiesen.«
»Aber die Kaiserin ist doch getauft. Warum excommunicirst du sie nicht?«
»Die Kaiserin excommuniciren? Bist du wahnwitzig? Was denkst du junger Thor? Sie ist ja die einzige Stütze der Sache des Areios.«
»Des Areios!« – rief der junge Mönch entsetzt. »Also ein Arianer bist du?« und er schlug ein Kreuz. »Also darum bin ich bei euch in ein solches Netz von Lügen und Täuschungen gerathen? Nun wundert mich nicht mehr, was ich unter euch erlebte.«
»Hüte deine Zunge, du vom Teufel besessener Knabe oder ich werfe dir deine ganze heidnische Ladung auf die Straße und kehre mit meinen Maulthieren nach Lopodunum heim. Wie willst du, junger Fant, über die höchsten Geheimnisse des Glaubens urtheilen?«
»Mein geistlicher Vater Benedictus«, sagte der junge Vulfilaich ruhig, »hat mir verboten, mit Arianern zu verkehren, mit ihnen zu wandern auf dem Wege, mit ihnen zu reden auf der Straße, mit ihnen zu essen an einem Tische, mit ihnen zu beten zu einem Gotte, mit ihnen zu wohnen unter einem Dache.« Das Auge des alten Bischofs schoß Blitze. Einen Augenblick wollte er seinen Vorsatz ausführen und den Maulthiertreiber abladen lassen. Aber die Thiere waren zu weit voraus, um ihrer sofort habhaft zu werden, auch bedachte der Hochwürdige, daß es der Bruder des mächtigen Rothari sei, der also mit ihm redete.
»Du bist der Ruthe zu frühe entlaufen, junger Alamanne«, sagte er kalt. »Wäre ich nicht gewohnt, Böses mit Gutem zu vergelten, so ließe ich dich hier mit deinen Bündeln sitzen, die die Soldaten dir schon erleichtern würden. So leihe ich dir die Thiere bis zu Arator's Haus. Dein zartes Gewissen aber will ich nicht weiter mit meiner Gesellschaft beschweren.«
Ohne Gruß kehrte er um und der junge Mönch ließ ihn ziehen ohne Abschied. »So jemand zu euch kommt«, sagte er vor sich hin, »und bringet diese Lehre, den nehmet nicht zu Hause auf und grüßet ihn auch nicht. Denn wer ihn grüßet, der macht sich theilhaftig seiner bösen Werke.« Doppelt hastig schritt er auf der heißen und staubigen Straße vorwärts, bis der Maulthiertreiber nach einem Hause an dem blühenden Abhange des Mons Piri deutete mit dem Bemerken, dieses sei Arator's Villa. Durch eine weite Wiesenfläche von der staubigen Hochstraße getrennt, lag das Haus, das der junge Vulfilaich suchte, hart am Fuße des Berges. Malerisch hoben sich die blüthenweißen Vorhügel des zweikuppigen Gebirgsstockes ab von den schwarzgrünen Föhrenwäldern darüber. Da, wo der Abhang am sonnigsten sich hinbreitete, hatte der Comes Arator sich und seiner Tochter Jetta einen anmuthigen Wohnsitz geschaffen. Hinter blühenden Bäumen und grün umsponnenen Rebgängen erhob sich das neue Gebäude, dessen weiße Wände in vornehmer Einfachheit durch die Büsche glänzten. Der Lärm der Straße mit ihren militärischen Lastwagen, der Hufschlag der Rosse, das Knarren der rinderbespannten Karren der Colonen drang nur gedämpft zu diesem Eiland, das wohlgepflegte Blumenbeete und dunkle Lauben umgaben. Aber keiner der jungen Krieger, die die Straße ritten, vergaß nach dem Garten hinaufzuschauen, ob etwa zwischen den blühenden Büschen eine hohe weibliche Gestalt sich zeige und nur den Schein ihres weißen Gewandes von ferne erblickt zu haben, galt ihm für Glück. Von der großen Straße sich abzweigend, führte ein sauber mit Flußkies bestreuter Weg durch grüne Matten nach der Villa hinüber. Aber mit ganz anderen Gefühlen als jene Krieger lenkte der junge Mönch in diesen Weg nun ein. Indem er nach der höchsten Zinne des vor ihm liegenden Hauses schaute, dachte er, welch schauerliches Bild es sein müsse, wenn das verruchte Zauberweib im Mondenscheine auf dieser Kante hingehe und er wunderte sich, daß noch kein gläubiger Bruder durch sein Gebet die Dämonen gezwungen, sie loszulassen, so daß sie am Boden zerschellte, wie einst Simon Magus durch Petrus' Gebet bei ähnlicher teuflischer Himmelfahrt sein Ende fand. Der Maulthiertreiber hielt und Bulfilaich mußte zur Schwelle treten, um zu klopfen. Lateinische Runen waren auf dem Steinfließe angebracht, die Vulfilaich mühsam entzifferte. Zuvor schlug er das Kreuz. Aber die Worte klangen ganz ehrbar: »Sei gegrüßt, der du kommst mit aufrichtigem Herzen!« »Auch der Satan nimmt die Gestalt des Engels des Lichtes an« sprach der Mönch in sich hinein und ließ den metallnen Hammer auf das Thor niederfallen. Ein junger Krieger öffnete ihm. Vulfilaich sah in ein gutmüthiges alamannisches Gesicht mit blonden Haaren und freundlichen blauen Augen. »Du bist wohl fehl gegangen«, sagte der Diener, des Mönches christlichen Gruß zurückgebend. »Die hier wohnen, sind Heiden.«
»Nicht ihre Gastfreundschaft begehre ich«, sagte der Mönch. »Ich soll diese Ladung an den Alamannen Rothari bestellen, der hier, wie ich hörte, herbergt.«
»Den edlen Rothari erwartet mein Herr, du kannst die Bündel in seine Zimmer tragen, doch wissen wir nicht, ob er heute noch eintrifft. Soll ich dir helfen? Bin doch auch ich ein Christ und ein Alamanne. Hier nennen sie mich freilich Lupicinus.«
»Nicht viel anders würden sie meinen Namen Vulfilaich auch übersetzen«, lächelte der Mönch, »also, Genosse, nimm diesen Bündel, aber Vorsicht, so, und nun diesen.« Behutsam setzten die beiden jungen Männer die klirrende Last am Boden nieder. Die Maulthiere, ihrer Bürde ledig, schüttelten sich fröhlich und kehrten in raschem Trab mit ihrem Führer nach der Straße zurück, während Vulfilaich und Lupicinus Rothari's Schätze nach dessen Gemächern trugen. In geräumiger Stube, die ihr Licht vom Atrium her empfing, packte der junge Mönch die Bündel aus, wobei ihm sein Genosse bereitwillig an die Hand ging. »Stellen wir die Sachen gleich auf«, sagte der Mönch, »damit Rothari sofort eine Freude habe, wenn er euer Haus betritt.« Flugs kamen nun aus den entrollten Säcken germanische und römische Waffen, silberne Krüge und Schüsseln, kostbare Spangen und Kleinodien aller Art zum Vorschein. Der biedere Lupicinus riß die Augen weit auf bei dieser Pracht und dem Triebe mittheilsamer Jugend folgend, waren die beiden Alamannen bald in einem lebhaften Austausche. Auch der junge Mönch ward bei dem Anblick der alten Beutestücke plötzlich ein Anderer. Seine Augen blitzten und ein lebhaftes Roth färbte seine bleichen Wangen. Freudig erzählte er dem hülfreichen Genossen, wie jedes dieser Beutestücke in den Besitz seiner Familie gekommen sei. »Diesen Becher habe ich selbst von LugdunumLyon zurückgebracht, als wir vor elf Jahren Gallien plünderten. Das war eine lustige Zeit«, rief der junge Alamanne, der sein Mönchsgewand ganz vergessen hatte beim Anblick seines besten Beutestücks. »Es war mein erster Kriegszug«, rief er, »und welcher Krieg! Die Römer waren uneinig; war Julian, der eine Feldherr, eingeschlossen, so hatte der Andere, Barbatio, die größte Freude daran und ließ uns immer wissen, wie wir Julian am leichtesten treffen könnten. Als wir unsere Beute in Sicherheit hatten, wollte Julian uns über den Rhenus verfolgen, aber Barbatio verbrannte ihm die Schiffe, daß er nicht herüber konnte. Selbst den Proviant schüttete er in den Rhenus, ehe er abzog, damit Julian's Soldaten verhungern müßten. Mit solchen Feinden ist gut Krieg führen. Es sind eben Ungläubige, Frevler, Hoffärtige, Prahler, den Eltern ungehorsam, unvernünftig, treulos«, setzte er dann ernst hinzu, seines Standes sich wieder erinnernd. »Diesen Schild«, fuhr er fort, »hat der Verfolger der Kirche, Galerius, meinem Ahnherrn Bappo geschenkt, der der Führer seiner Leibwache war. Hier ist das Schwert eines tapferen Mannes, meines Großoheims, auf dessen nackten Leib Kaiser Constantin im Amphitheater zu TreveriTrier die wilden Thiere hetzte. Möge es ihm nicht angerechnet werden an jenem Tage. Diese ehernen Krüge und krystallenen Becher, den ganzen Haufen von kostbaren Dingen, hat Rothari selbst erbeutet, als er AutosidurumAutun. stürmte. Es war ein gutes Jahr für unser Volk. Mogontiācum, Vorbetomăgus, Noviomăgus, Argentoratum, Breucomăgus, Tabernä und SaletioMainz, Worms, Speier, Straßburg, Brumath, Zabern und Selz im Elsaß. haben wir damals niedergebrannt, blinde Heiden, die wir waren.«
»Aber diese silberne Taube, habt ihr die aus einer Kirche geraubt?« sagte Lupicinus kopfschüttelnd.
»Stille, stille«, erwiderte leise der Mönch. »Sie gehört nicht mir, sonst hätte ich sie längst zurückgegeben. Sie stammt von Rando's Zug nach Mogontiacum. Es war auf das Fest der Epiphanien. Der Rhenus war fest gefroren, da zog Rando hinüber, während die ganze Gemeinde, das Landvolk mit inbegriffen, in der Basilica versammelt war. Mein Lehrer Benedictus erzählte mir, wie der Bischof gerade predigte von den drei Königen, die dem Himmelskönige huldigten im Namen aller Nationen der Erde und ihm Tribut brachten von allen Gaben, die ihm pflichtig seien. Da plötzlich erscholl der Schlachtruf der Alamannen auf allen Straßen. Die Kirchen wurden umstellt und alle guten Christen wurden als Knechte weggeführt, Mann, Weib und Kind. Ich denke, der Herr hat es zugelassen, damit sie den Samen des Evangeliums ausstreuen in unserem Volke. Die Häuser aber leerten die Unseren von oben bis unten. Die Beute war unermeßlich. Mir aber ward damals das Schwert aus der Hand geschlagen, ehe ich die Kirchen unseres Herrn geschändet.« Er seufzte und das gleißende Gold schien ihn plötzlich nicht mehr zu erfreuen. Lupicinus aber schaute über all die glänzenden Stücke hin und fragte bedenklich: »Also Rothari, der hier wohnen will, machte alle diese Raubzüge mit?«
»Allen Andern war er stets voraus und schreckte bis tief hinein nach Gallien die Heere des Augustus.«
»Da wundert mich nur«, erwiderte nun Lupicinus, »daß dein Herr in unsere Reihen getreten ist und euch nun schreckt.«
»Ich habe nur einen Herrn und habe die Schrecken der Menschen überwunden«, sagte der junge Mönch, über den plötzlich eine ganz andere Stimmung gekommen zu sein schien. Lupicinus schaute ihn betroffen an, da er sich nicht erklären konnte, warum mit einem Male ein Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit das Antlitz des jungen Mannes überschatte. Aber er hatte keine Zeit weiter zu forschen, denn es wurde laut im Atrium. Ein kleiner Mann mit rothem Barte und scharf geschnittenem Raubvogelgesichte war eingetreten und wurde alsbald von zwei jungen Kriegern begrüßt, die ihn über den in Aussicht stehenden Besuch des germanischen Heerführers befragten, der sie keineswegs zu freuen schien.
»Still!« flüsterte Lupicinus dem Mönche zu. »Der Notar hat wieder gehorcht, ich sah ihn vorhin schon vorbeischleichen.«
»Wer sind die Herrn?«
»Unholde Gesellen; der Dicke, der den Mund aufsperrt wie ein gesottener Fisch, ist Statius, ein Vetter meines Herrn. Der Kleine, der wie ein Alräunchen aussieht mit den dünnen Gliedern heißt Nasica und ist Arator gleichfalls verwandt, der dritte mit dem rothen Barte« ....
Weiter kam Lupicinus nicht, denn der Aelteste der drei, von dem er eben reden wollte, drehte sich um und rief mit barscher Stimme: »Was treibt ihr hier und schwatzt von den Heldenthaten der Alamannen?«
»Er hat uns belauscht«, dachte Vulftlaich unwillig und schaute mit finsterer Miene zurück, aber er blickte in höhnische, abstoßende Züge. Ein kleiner, vornehm gekleideter Römer von etwa fünfzig Jahren, dessen magere Arme die Toga häßlich zerrten, stand vor ihm. An dem Manne war nichts schön als der rothe Bart, der unter der gewaltigen Römernase wohlgepflegt auf die Brust herabfiel. Ein feindselig in sich zusammengenommenes Selbstgefühl lag in seinem Angesicht und die schwarzen Augen stachen frech unter den rothen Wimpern hervor.
»Der NotarStaatssecretär. Syagrius«, flüsterte Lupicinus, während dieser Vulftlaich mißtrauisch musterte. »Der Mann bringt das Eigenthum des edlen Rothari«, sagte Lupicinus entschuldigend, »und wir sind im Begriff, alles an seinen Ort zu stellen.«
»Da müßtet ihr es in die Paläste des Augustus durch ganz Gallien wieder vertheilen, wo es gestohlen ist,« sagte der Notar scharf und ging mit einem höhnischen Lachen weiter, während die jüngeren Begleiter noch einen neugierigen Blick auf die ausgestellten Schätze zurückwarfen. »Vor dem hüte dich«, sagte Lupicinus, als sie hinaus waren. »Der hat scharfe Zähne. Du bleibst doch hier? Ich will meine Zelle mit dir theilen.«
»Ich habe an Bischof Ithacius einen Auftrag.«
»An Ithacius, den Gottverhaßten, den Mörder, was hast du mit diesem Wolfe, dem Antichrist?«
»Also auch du bist von der Heerde des Arius?« erwiderte der junge Mönch finster. Lupicinus schwieg, aber er runzelte die Stirne. »Es ist mir verboten, mit euch Gemeinschaft zu haben«, sagte Vulfilaich zögernd. »Melde Rothari, der dies gebracht, werde morgen wiederkehren. Dir aber wäre besser, du wärest nie zur Kirche getreten, als daß du ein so großes Heil verachtend es nun mit Füßen trittst. Willst du geheilt sein von deinen Irrthümern, so will ich wieder mit dir reden, deine Gastfreundschaft aber annehmen darf ich nicht«, damit schritt er hinaus, während ihm Lupicinus verwundert nachschaute.
»Da helfe ich dem frommen Manne, seine Esel abladen, Maulesel, der ich selbst bin, und zum Danke lästert er meinen Glauben. Nun warte, auf des Salvius Rücken soll morgen alles abgezahlt werden, was du mir heute im Namen eueres Gottes angethan hast.« Und er machte eine unmißverständliche Bewegung mit der Faust und ging hinaus an seine Arbeit.