Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Zwanzigstes Kapitel.

Die Zustände im eigenen Hause hatte Rothari seinen Erwartungen wenig entsprechend gefunden, aber das war nicht seine einzige Sorge. Jetta hatte ihm von dem wunderlichen Auftauchen und Verschwinden seines Bruders erzählt und der Alamanne hielt sich für verpflichtet, dem jungen Mönche nachzuforschen. Ihm erschien das ganze Gebahren des Knaben als ein stiller Wahnsinn, den die Christianer über ihn gebracht und den auszutreiben er als Haupt des Geschlechtes sich berufen fühlte. Von den Knechten erhielt er endlich Andeutungen, wo Vulfilaich sich umhertreibe und nachdem ihn Lupicinus auf die Spur gebracht, blieb dem geübten Auge des Jägers des Einsiedlers geheimes Versteck nicht lange verborgen. Den Fußtapfen nachgehend, gelangte er an die ihm wohlbekannte Höhle und zahlreiche Feuerspuren auf dem Rasen, ein warmes Lager aus Heu und geflochtenen Matten in der Tiefe der Grotte, reiche Vorräthe an Früchten und trocknen Körnern, deuteten darauf, daß Vulfilaich nicht nur vorübergehend in der Höhle weile, sondern daß er seinen dauernden Wohnsitz hier oben genommen habe. Aber der Einsiedler selbst war weder in seinem stattlichen Felsgemache, noch im Walde zu finden.

»Wunderlich hat mich mein Schicksal zwischen Propheten und Sibyllen gebettet«, seufzte Rothari und ging nach dem Lager, um dort seine Forschungen fortzusetzen. Dieselben führten ihn aber auf sehr unliebsame Spuren von Vulfilaich's Thätigkeit. Arator erzählte auf Befragen seinem Schwiegersohne, daß je und je in letzter Zeit Altäre und Denksteine nächtlicher Weile seien umgestürzt worden, daß selbst im Innern der Häuser Götterbilder vor Verstümmlung nicht sicher seien und daß man Vulfilaich solcher Frevel beschuldige. Sollten die heidnischen Soldaten seiner habhaft werden, schloß der Comes seine Erzählung, so würden sie ihm übel mitspielen. Auch er selbst, sagte er, sei von Valentinian angewiesen, Gewaltthätigkeiten der Christen gegen die Tempel nicht minder streng zu strafen, wie Störungen des Cults der Christen durch die Verehrer der alten Götter. »Mir aber wäre lieber, er ließe sich anderswo hängen«, schloß der alte Soldat seine Rede. »Darum sieh zu, wie du ihn los wirst.« Rothari hatte nach diesem Gespräche verstimmt das Prätorium verlassen und war am Abhange des Mons Piri hingegangen, ob er vielleicht auf dieser Seite des Stromes den Mönch entdecke, den er drüben vergeblich gesucht. So kam er gegen Mittag an den Brunnen, hinter dem die Pforte zur Grotte des Mithras lag. Eine dunkle Ahnung flüsterte ihm zu, daß wenn Vulfilaich auf Zerstörung der Heiligthümer der Heiden ausgehe, er vor allem hier sich würde zu schaffen machen. Ein lauter Fluch entfuhr seinen Lippen, als er seine Vermuthung bestätigt fand. In die verborgene Thüre hatte eine freche Hand ein Loch gebohrt und die Riegel von innen geöffnet. Die Pforte war angelehnt, der Zugang zu dem streng zu hütenden Heiligthume stand jedem Profanen offen. Zornig griff der Germane nach seinem Schwerte und beschritt den dunklen Gang.

Der junge Einsiedler war in der That der Dinge schuldig, die der würdige Comes Militiä ihm zur Last gelegt. Nach jener Begegnung mit Jetta hatte Vulfilaich beschlossen, sich nicht mehr hinauszuwagen in den Bereich der bösen Geister, die ihm nachgestellt. Nur in früher Morgenstunde verließ er sein Asyl, um Beeren, Wurzeln und Kräuter zu sammeln, gefallene Früchte aufzulesen oder wohl auch Bäume und Felder zu zehnten für seinen frommen Dienst. Sobald aber das Leben im Thale begann, zog er sich in sein Versteck zurück, um dort aus seinem treuen Gedächtniß all die Psalmen und Gebete täglich abzubeten, die Bruder Venedictus ihn gelehrt hatte. Aber alles Beten, Fasten und Geiseln wollte den bösen Feind und sein höllisches Heer nicht vertreiben. »Warum verfolgt ihr mich«, klagte er oft, »da ich euch kein Leid thue?« Oder er seufzte: »Wehe dem, der allein steht! Wenn er fällt, hat er niemanden, der ihn aufrichtet.« Manchen Morgen erhob er sich frisch gestärkt und heiteren Sinnes, so daß er beim Sammeln der Beeren seine Hymnen nach fröhlichen, weltlichen Weisen sang. Dann aber in der Höhle kauernd, ermüdet vom Beten und Fasten, stellte sich Niedergeschlagenheit ein, Verwirrung, Haß auf sich selbst und sein Leben. Der Kopf summte ihm und oft ertönten Donnerschläge in seinem Ohre, als ob das Haupt ihm berste. Dann spalteten sich die Wände seiner Höhle, die Dämonen erschienen als Schlangen, Asseln, Krebse und Krabben, ein buntes Gewimmel, oder als Stiere, Wölfe und Bären brüllend und drohend. Machte er das Zeichen des Kreuzes gegen sie, so verwandelten sie sich in Menschen, pfiffen freche Lieder, sagten ihre Lästerungen ihm in's Ohr, daß das Ohr ihm brannte; lärmend, singend und tanzend umschwärmten sie ihn und schlugen ihn bis zum Tode, so daß er sich beim Erwachen wie gerädert fand. Nach solchen Stürmen kamen dann wieder Tage stiller, trauriger Ergebung, kein guter und kein böser Geist wagte sich herbei. Aber er war dann auch innerlich todt und trocken und seufzte nach einer Berührung mit den Seligkeiten der höheren Welt, die er früher in den Stunden seines gesteigerten Seelenlebens empfunden hatte bis die Entrückungen in das Paradies eines Tages plötzlich in jene höllischen Heimsuchungen umgeschlagen waren. Mechanisch betete er Tag für Tag alle seine Psalmen und heiligen Stellen ab, suchte Wurzeln und Kräuter, oder rang auf den Knieen liegend nach Offenbarungen von oben. Dann grübelte er wieder, was er wohl wirken könne für die Welt, ohne in der Welt zu erscheinen. Denn draußen fürchtete er auf's neue jenen Versuchungen zu begegnen, die ihn nur allzuoft zu Zorn, Wollust und eitlen Gedanken entflammt hatten. Ein glücklicher Zufall spielte ihm eines Morgens einen jungen Staar in die Hände, der vom Morgenthau erstarrt, sich von ihm greifen ließ. Bulfilaich machte ihm ein Vogelbauer und für eine Weile war es ihm eine Zerstreuung, das Thier aufzufüttern und ihm das Symbol der Nicäner vorzusagen, damit der Vogel sich dasselbe einpräge. Sobald der Staar die Hauptsätze des Glaubens deutlich zu sprechen vermöchte, wollte er ihn dann in den Wald entlassen, zum Zeugniß über die im Walde streifenden Soldaten, die zumeist dem Areios huldigten. Aber dem Staare wurde der gehäufte Unterricht in Symbolik und Dogmatik zur Last und als Vulfilaich einst unvorsichtig das Pförtchen öffnete, entwich der theologische Zögling, der Ueberbürdung müde. Immerhin hatte diese Beschäftigung den Lehrer für eine Weile vom Besuche der Dämonen befreit und schon meinte er erlöst zu sein. Aber mitten in der Nacht kündete ihm ein Schütteln seiner Glieder auf's neue die Nähe des Bösen an. Rings umher hörte er das Wimmern von Kindern, das Blöken von Schafen, das Gebrüll von Rindern, das Klagegeschrei von Weibern und dann wieder den dröhnenden Schritt eines Kriegsheers. In Schweiß gebadet fand er sich mitten in der Alamannenschlacht, bei hellem Mondschein stürzte ein Wagen mit schnaubenden Rossen auf ihn zu, aber bei dem Angstruf »Jesus« wurde er von der Erde verschlungen. Lockende Weiber, reichbesetzte Tische erschienen ihm, selbst bei Tage oder während er betete sprangen heulende Wölfe oder bellende Füchse an ihm vorüber. Einmal war er im Traum in der Arena zu Treveri und sah die Gladiatoren kämpfen. Da stürzt sich Einer vor ihn, mit tiefer Wunde am Hals und bittet ihn, er möge ihn bestatten. Aber alle Gestalten verwandelten sich zuletzt fast immer in das Bild einer schönen bleichen Frau, die ein Kind an der Brust hielt. Zuweilen beugte sie sich über ihn herab und fragte mit sanften Worten, was ihm fehle, dann lachte sie plötzlich hell auf, saß ihm auf dem Rücken und umklammerte ihm mit ihren Schenkeln den Hals, daß er erstickte. Er fällt nieder und schlägt um sich und wenn er erwacht, ist er wüste in seinem Kopfe und zerschlagen in seinen Gliedern. Diese Anfechtungen kamen Nacht für Nacht und wurden je länger, je ärger. Da faßte ihn grimmiger Haß gegen die Dämonen, die dem Zeichen des Kreuzes nicht mehr weichen, sondern es mit frechen Gebärden verhöhnen. So müde war er des Kampfes, daß er beschloß zu entfliehen. Aber eben jener weibliche Dämon, der ihn verfolgte, hielt ihn auch fest. Er fürchtete ihn, aber er fürchtete noch mehr, jene wunderbaren Augen nicht mehr zu schauen. Und war es auch nur recht zu entfliehen? Besser er nahm den Krieg auf und versuchte, die böse Schaar nun auch seinerseits zu schädigen, wie er konnte. »Warum sind es ihrer so viele in diesem Thale?« fragte er sich. Nicht weniger als zehntausend glaubte er in einer Nacht gezählt zu haben. »Kein Wunder, stehen doch noch überall ringsum ihre Altäre, Grotten, Kapellen und Tempel, die der christliche Eifer des Constantius in Gallien zerstört hat. Alle, die dort Vertrieben wurden, haben sich hier im Thale des Nicer zusammengedrängt. Also waffne dich, Vulfilaich, schlage die Schlachten deines Gottes!« Eines Morgens kürzte er den Stil seiner Axt, um sie bequem unter seinem Mantel von Fellen zu verbergen und fing an, die Berge zu durchstreifen und wo er einen geformten und gesalbten Stein entdeckte, wo ein Jäger aus Dank für glückliche Jagd der Diana, wo ein glücklich wiedergekehrter Reisender dem Mercurius Cimbrius oder Neptun ein Heiligthum aufgestellt, wo eine fromme Mutter den Manen ihres gestorbenen Kindes ein Gedächtniß gestiftet, da fiel erbarmungslos sein Beil hernieder. »Fort ihr Teufel«, schrie er dabei in heiserer Wuth und in den stiebenden Funken und dem scharfen Kieselgeruche glaubte er den entweichenden Dämon zu verspüren. »Hab ich dich, hab ich dich«, rief dann seine gellende Stimme in die Einsamkeit und ein Triumphlied singend und vor sich hinlachend, schritt er mit geschwungenem Beile seine Straße. Und in der That, seit er so draußen umherschweifte, die Arme brauchte, gewaltige Lasten umstürzte, zogen die Teufel sich sichtlich von ihm zurück. Oft schlief er jetzt wieder viele Stunden fest und erquicklich, ohne daß ein einziger böser Geist sich an ihn gewagt hätte. Als er so einstmals beim hellen Mondenscheine jenseits des Nicer seinen nächtlichen Geschäften nachging, sah er aus dem östlichen Thore des Lagers eine Reihe geschmückter Soldaten einen Pfad zwischen den Häusern nach dem Berge verfolgen. Etliche waren weiß gekleidet und trugen Opferkränze auf den gesalbten Locken. Leise schlich er ihnen nach und sah, wie sie hinter einem Brunnen verschwanden, als ob die Erde sie verschlungen hätte. Bei genauerem Forschen entdeckte er eine verborgene Thüre und als er das Ohr an dieselbe legte, hörte er deutlich den Gesang heidnischer Hymnen im Berge, götzendienerisches Gemurmel drang an sein Ohr, Schläge und Stimmen unterschied er und er beschloß einzudringen und ein Märtyrer zu werden in dem Kampfe gegen den Teufel. Aber wie sehr er sich auch abmühte, er konnte die Thüre nicht öffnen. Seine Finger bluteten, seine Nägel waren zerbrochen. Da streckte er sich hin vor die Thüre, um den Austritt der Heiden abzuwarten; als aber Stunde auf Stunde verrann, erhob er sich schließlich doch und gedachte in einer andern Nacht mit Beil und Eisen wiederzukehren und gründlich aufzuräumen in dem Hause des Satans. Aber auch einem erneuten Angriff hielt die Pforte der Hölle stand. Weinend vor Zorn lag der junge Mönch vor der festen Thüre, die aller seiner Angriffe spottete. Da ward ihm geoffenbart, er solle Tag für Tag mit einem spitzigen Eisen das Holz bearbeiten bis er durch eine Oeffnung seinen Arm stecken könne, um die gewaltigen Riegel von innen zurück zu schieben. Jetzt hatte er Arbeit für viele Nächte. Sobald es still geworden war im Thale und keine Störung zu befürchten, saß er an der geheinmißvollen Pforte und bohrte und meißelte, daß ihm der Schweiß von der Stirne troff. Auch dabei stellte der böse Feind ihm häufig den Fuß. Ein boshafter Dämon stieß das Eisen zur Seite, so daß es Vulfilaich tief in den Ballen der linken Hand eindrang und er mehrere Tage lang die Arbeit aussetzen mußte. Der Herrscher der Luft warf zornig Gewitterregen gegen die Thüre und traf den heißen Nacken des Gottesknechts mit eisigem Hagelschlag, so daß er erkrankte und am Morgen kein Glied zu rühren vermochte. Aber des Mönches Eifer überwand alle Tücken des Satans und sobald er seine Glieder wieder zu rühren vermochte, schlich er zur heißen Mittagsstunde sich hinüber, um an der selten betretenen Stelle sein Werk zu vollenden. Wer beschriebe seinen Triumph, als die Oeffnung nun weit genug war, um den Arm hindurch zu stecken, als der Riegel wich und das Thor sich aufthat. Er sprach ein kräftiges Gebet und betrat den Gang. Nur wenige Schritte mußte er bei Dämmerlicht zwischen schmalen Wänden sich hindurchzwängen, dann wendete die Höhle sich und ward breiter, wendete sich nochmals und aus dem dunkeln Gange schaute der Jüngling in einen von oben erhellten Tempelraum, dessen gewaltiger Bilderwand er nun mit frohem Schaudern, sein Beil in der Faust, gegenüberstand. So war er nun wirklich in der Grotte des Mithras, vor dem Heiligthume des Gottes, den seine Kirche am kräftigsten haßte und am spätesten überwand. Vor ihm erhoben sich zwei Säulen, die aus einer breiten Basis emporwuchsen. Reblaub und Vögel, kunstvoll nachgebildet, zierten den Fuß derselben, während die Capitelle, schauerlich zu sehen, vier menschliche Köpfe darstellten. Rechts und links waren zwei Altäre zu sehn, Lampen von Erz und Thon standen an den Simsen. Die gegenüberliegende Hauptwand aber war eingenommen von einem gewaltigen Reliefbild, auf dem ein Jüngling in phrygischer Mütze einen Stier zur Erde wirft. Grausam bohrt sich die linke Hand des Jünglings in die Nüstern des Thiers und reißt den Kopf nach oben, während die Rechte ihm das Opfermesser in den Nacken stößt. Dennoch lag ein Ausdruck tiefen Mitleids in dem schmerzlichen Angesichte des opfernden jungen Priesters. Ein Hund sprang an dem Stiere empor und leckte gierig sein Blut und ein Skorpion nagte an den Attributen der Fruchtbarkeit. Schaudernd sah Vulfilaich an der Basis eine steinerne Schlange sich ringeln, die aus einem Wassergefäße trank. Zur Rechten war ein Knabe mit erhobener, zur Linken ein gleicher mit gesenkter Fackel gebildet und an beiden Seiten, wie auf dem obern Simse, zählte Vulfilaich zwölf kleine Bilder mit symbolischen Darstellungen, die er sich nicht zu deuten vermochte. Daß die Schlange an der Erde die alte Schlange, der Satan war, zu dem die Heiden beten, verstand sich von selbst. Ihm ward dieser Stier geschlachtet zum Brandopfer. »Geht nicht nach dem Scheine des Feuers«, recitirte der Mönch, »du siehst ihn ganz nahe und er ist fern. Geht lieber nach der Stimme des Wassers« ... »Ein falscher Dienst ist hier verherrlicht. Ich will nicht die Menge euerer Opfer, spricht der Herr!« rief er, daß es donnernd in den öden Gängen der Grotte wiederhallte. Er selbst erschrak vor dem gewaltigen Echo, aber um so zorniger erhob er die Axt, um das schöne, schmerzliche Angesicht des opfernden Jünglings zuerst zu zerschmettern, gerade weil sein reiner Ausdruck ihn rührte. Aber wider Willen ließ er sein Eisen sinken. Es war ihm, als ob der fremde Mann ihn anschaue und frage, was habe ich dir gethan, daß du mich schlägst? Was der Jüngling dem Stiere zufügte, war grausam, aber es machte ihm selbst Schmerz, das war deutlich auf seinem edlen Angesichte zu lesen. Ein tiefes Mitgefühl ergriff Vulfilaich's Herz, daß dieser schöne Knabe für ewig verdammt sei und leiden solle ohne Ende in dem feurigen Pfuhle, der von ewigem Schwefel brennt. Auch hätte er gern gewußt, was das Bild wohl bedeute? Aber alsbald hörte er die Stimme des Geistes in seinem Ohre: »Ich habe dich gesendet zu zeugen wider dieses Götzenbild und nicht die Kniee deines Herzens vor ihm zu beugen.« Und wieder holte er aus zum mörderischen Schlage. Da zog eine überlegene Hand ihm von hinten das geschwungene Beil aus der Hand. Wie über einer bösen That ertappt, fuhr Vulfilaich zusammen. Er schaute zurück und vor ihm stand Rothari, sein Bruder.

»Was hat dir der Lichtgott gethan, daß du gegen ihn frevelst?« fragte Rothari mit strenger Stimme. Vulfilaich mußte sich erst sammeln, so hatte der plötzliche Ueberfall ihn erschreckt. Doch war er denn nicht in seinem Rechte? Hatte nicht der Geist selbst ihn so gewiesen? Sein Trotz kehrte alsbald wieder und, er sprach: »Stieropfer verherrlicht ihr hier, als ob sie helfen könnten, blutige Baalspriester bildet ihr mit Engelsmienen, um die Schwachen zu verführen; die alte Satansschlange betet ihr an, statt ihr den Kopf zu zertreten! Gib mir mein Beil, damit ich dem Gräuel ein Ziel setze.«

»Du meinst also, ein Stieropfer werde hier dargestellt und die Schlange des Paradieses, von dem euere Priester erzählen?«

»Was sonst?« fragte Vulfilaich, aber seine zusammengeraffte Fassung schwand, da er sich seiner Kunde durchaus nicht sicher fühlte.

»Thörichter Knabe«, sagte Rothari mit einem strafenden Tone, aus dem Vulfilaich empfindliche Geringschätzung heraushörte. »Heilige Steine zerschlagen ist freilich leichter als sie verstehn. Es ist verboten, die Geheimnisse des Gottes dem Uneingeweihten zu verrathen, aber der Dinge, von denen du träumst, enthält dieses Bild keines. Den Lichtgott, den unbesiegten stellt es dar, der das Naturjahr sich unterthänig macht. Er tödtet voll Erbarmen das alte Jahr, damit das neue wieder beginne. Aehren sprießen aus dem Schweife des Thiers, weil mit dem Naturjahr die Pflanzen kommen und gehn. Der Hund, der sein Blut leckt, d. h. die glühende Hitze des Sirius, und der rauhe Herbststurm, wenn die Sonne in das Zeichen des Skorpions tritt, sind die Feinde seiner Fruchtbarkeit. Die Schlange bedeutet die segnenden Ströme, die das lechzende Erdreich erquicken und Phosphorus mit der gehobenen, Hesperus mit der gesenkten Fackel erinnern an das aufsteigende und sich senkende Licht der zunehmenden und abnehmenden Tage. Lerne erst den reichen Inhalt und tiefen Sinn dieser Tafel verstehn, unwissender Mönch, ehe du mit frevelnder Hand dich an ihr versündigst.«

»Mag es weise klingen, wie ihr die Götzen deutet«, sagte Vulfilaich verstockt, »ihr gebt doch dem Herrn des Alls nicht die Ehre und treibt dunkle Gräuel.«

»Es ist der Herr des Alls, der die Zeiten heraufführt und Leben spendet, an den dies Bild uns erinnert und Gräuel nennst du die Gelübde der Tugend, die wir hier ablegen? Was weißt du denn von den Erprobungen der Kraft, weibischer Knabe, die Männer in diesen Räumen bestanden? Steige diesen Gang empor auf glitschrigen Brettern, auf steilen Leitern, durch Teiche und Gräben und Feuerstellen und dein Blut wird erstarren über die Proben der Treue, die Männer hier bestanden. Aber dein unheiliges Auge darf diese Dinge nicht schauen und wärest du nicht meines Vaters Kind, du würdest diesen Raum, in den du frech dich drängtest, nicht lebend verlassen. Den Bruder will ich schonen und den Kranken. Vulfilaich, was hast du aus Vadomar's liebstem Sohne gemacht, wohin ist es mit dir gekommen? Ist das das Leben eines Mannes, das du führst? Du liegst wie die Thiere des Waldes in einer Höhle, betest, winselst zu deinem Gotte, der dich von einem Manne zu einem Thoren gemacht hat. Als ich dich zuerst sah, da erschrak ich, aber heute möchte ich über dich weinen, so hat der Wahnsinn, den du deinen Glauben nennst, dich verwüstet. Heraus aus deiner Höhle, heraus unter die Menschen, oder du bist verloren!«

Der Mönch erbleichte; dann sagte er in stehendem Tone: »Oh sage das nicht, Sohn meines Vaters,! Du kennst nicht die Stimme, die mich Tag und Nacht rief, nicht den höllischen Versucher, der überall, bei der Arbeit, bei der Erholung, ja in deinem Hause selbst mir nachstellte. Wenn ich thue, was du gebietest, ja dann bin ich wirklich verloren.«

Der Ton, in dem Vulfilaich sprach, war so sehr Ausdruck eines gequälten Herzens, daß Rothari mitleidig das Haupt schüttelte und milder fortfuhr: »Ich will dir deinen Glauben nicht rauben, aber ich habe doch auch schon Christianer gekannt, die der Welt nützten, die das Leben nahmen, wie es ist und kämpften und arbeiteten statt sich wie eine Unke in Ritzen und Höhlen zu verkriechen.«

»Sie sind stark und ich bin schwach«, erwiderte Vulfilaich. »Ich fliehe die Versuchungen, die stärker sind als ich. Ich hatte Ithacius und den andern Bischöfen meine Dienste gewidmet. Aber was fand ich in dem Bunde, den sie Kirche nennen? Eitelkeit der Eitelkeiten! Ich sah, daß selbst unter den Dienern des Kreuzes, die vorgeben, der Welt entsagt zu haben, derer, die nicht glauben, mehr sind als derer, die glauben. Ich fragte Priester und Bischöfe um Rath, aber ihr Rath war irdisch und nicht himmlisch. Ich öffnete den Genossen mein Heiligstes und sie tappten danach mit schmutzigen Händen. Da entfloh ich ihnen. Ich flüchtete zu Vater Benedictus, der mich bekehrt hatte, aber ich fand ihn auf dem Todbette. ›Mein Sohn‹, sagte er, ›nicht in Jerusalem wanderst du hienieden, sondern in Jericho. Vom himmlischen Jerusalem zum irdischen Jericho herabsteigend fiel deine Seele unter die Mörder, die zogen sie aus und schlugen sie und gingen davon und ließen sie halbtodt liegen. Die Kirche die du suchst, ist die Stadt, die droben ist, aber indem das obere Jerusalem herabstieg, verfiel es dem Gesetze der irdischen Kräfte. In dieser Stadt wirst du Steine finden, die dir zum Anstoß gereichen, Scherben, die dich verletzen und Schmutz vollauf in ihren Gassen. Bist du nicht stark genug, das alles zu überwinden, so fliehe in die Einsamkeit. Es ist besser mit den Thieren zusammen zu Hausen als mit der Sünde!‹ So sprach der fromme Mann und starb. Als ich ihm die Augen zugedrückt, die einst so liebevoll geblickt hatten, fragte ich mich: Wohin, Vulfilaich? Zurück zu den Menschen oder allein in die Einsamkeit? An dem Tage nun, da man Benedictus begrub, war der ganze Klerus des Landes zugegen und sie luden mich mit gleißnerischen Worten, zurückzukehren in ihren Dienst. Aber ich fühlte, daß unter denen, die sich Heilige nannten, das Leben, das Gott in mir angefangen, ersticken würde von dem Odem der Heuchelei, der Wollust und des Stolzes, den sie ausathmeten. Gott hat mich nicht stark gemacht wie den gewaltigen Bischof Ambrosius oder Martinus, die Sünder niederzuschmettern, er gebot mir zu fliehen. ›Ziehe aus von ihnen‹, sagte die Stimme in meinem Ohre. Ich folgte des sterbenden Benedictus Rath. Ich lebte wie ein Geschöpf anderer Art. Die Menschen sollten mich verspotten, verfolgen und mißhandeln, damit meine Seele gezwungen sei, sich zu dem zu flüchten, bei dem allein Frieden ist.«

Rothari schüttelte mitleidsvoll das Haupt: »Ist es dir nicht wohl in der Menge«, sagte er, »bist du weder ein Mann des Schwerts noch des Raths, so werde ein Weiser. Lies die Bücher, die die Philosophen geschrieben, lebe in deiner Zelle, um zu lernen und zu lehren. Forsche, was die früheren Geschlechter von Gott und Welt gedacht.«

»Auch das habe ich versucht«, sagte Vulfilaich traurig. »Ich habe über eueren Büchern gesessen den ganzen Winter, da ich zu Borbetomagus in der Schule des Bischofs vor Valentinian mich barg, bis der Spott der jungen Kleriker mich vertrieb. Auch philosophische Bücher gaben sie mir da. Aber was sollte ich mit dieser Weisheit? Wenn ich im Fieber glühte, so sprach sie, du sollst gesund sein; sie gebot mir stark zu sein, wenn ich mich schwach fühlte und wenn mein Blut siedete von sündiger Lust redete sie von Tugend. – – Der, der mir die Geisel in die Hand gab, meines Fleisches Hoffart zu dämpfen, der war der einzige Philosoph, der meine Natur verstand.«

»Wenn du dich erziehst, wie man Thiere erzieht«, sagte Ruthari hart, »so wirst du den Thieren immer ähnlicher werden, bei denen dir jetzt schon in deiner Höhle am wohlsten ist.«

»Nein, Rothari, nein!« rief Vulfilaich. »Oh hättest du sie nur ein Mal gekostet, diese himmlische Seligkeit«, sagte er geheimnißvoll und seine Augen glänzten, »du würdest nicht so reden. Die in Höhlen sitzen, schauen nicht das Licht der Sonne und das Angesicht der Menschen, das auch die Thiere sehn, aber das Angesicht der Engel, die Gott schauen. Niedergebeugt das Antlitz hören sie deutliche Stimmen, so heilsame als verborgene. Wie spricht der Geist? Der Mensch ist wie eine Lyra und ich schwebe über ihm wie ein Plektron. Der Mensch schläft und ich wache. Siehe der Herr ist es, der die Seelen der Menschen außer sich setzt.« Der junge Mönch schwieg und der Ausdruck einer stillen Verzückung hatte sich über sein Angesicht gelegt.

Aber Rothari lachte und fragte hart: »Und wozu nützt das alles?«

»Mein Gebet nützt der Welt, ich vertreibe damit die Teufel«, sagte Vulfilaich trotzig.

»Ist ein einziger böser Geist weniger, seit du hier hausest? Schleichen nicht Fieber und Seuchen wie sonst die Niederung des Flusses entlang, schlug nicht der Hagel gestern so tückisch wie je die Blüthen und Früchte von den Bäumen, rast nicht Leidenschaft gegen Leidenschaft mehr als je in der Welt? Gib du ihn auf, den Kampf gegen die boshaften Mächte, die unter dem grünen Rasen lauern! Dein geweihtes Wasser vertreibt die nicht, die den Mondschein trinken, deine Gebete helfen nichts gegen Geister, die keine Ohren haben, deine Beschwörung zu hören. Etwas Anderes suche zu beginnen, junger Thor, wovon meine Augen einen Vortheil sehen für das Reich und die Menschheit.«

Vulfilaich wollte nochmals widersprechen, aber Rothari machte eine gebieterische Bewegung mit der Hand und sagte: »Ich bin der Aelteste der Sippe. Mich hat auch dein Gott dir zum Haupte bestellt und ich gebiete dir, daß du den trägen Wahnsinn lassest.« Der Ernst, mit dem der mächtige Held zu ihm redete, verfehlte auf den Mönch seines Eindrucks nicht. »Sprich«, sagte er kleinlaut. »Was soll ich thun? Ist es nicht gegen den Herrn, dem ich diene, so gehorche ich gern.«

»Endlich ein vernünftiges Wort, du armer Knabe! Doch wozu kann man dich nun brauchen, wie du so vor mir stehst.« Betrübt musterte Rothari die traurige Gestalt des jungen Büßers, daß diesem die Röthe des Unwillens in die Wangen stieg. Nach einer kurzen Ueberlegung sprach dann der ältere Bruder rund und bündig: »Du mußt hier weg. Dein tempelschänderischer Unfug ist ruchbar im Lager und wenn die Soldaten dich greifen, so wanderst du an's Kreuz oder auf den Holzstoß. Gehe zu Rando nach den heißen Quellen Macrian's. Sage ihm, daß ich seine Vorschläge wegen des Helmes annehme und bringe mir das kostbare Stück hierher. Runzle nicht die Stirne, es handelt sich nicht um ein Gelüste der Eitelkeit, wie du dir sofort wieder einbildest. Ich will den Augustus mir versöhnen durch diese Gabe und mehr noch, ich will den Stachel aus einer Wunde nehmen, die sonst, niemals heilen wird. Daß er seinen Helm verloren bei Solicinium, den Goldhelm, der ein Feldzeichen war in jeder Schlacht, daß er ihn verloren angesichts seiner eigenen Reiter, das quält den Stolzen bei Tag und Nacht und er meint, zehn gewonnene Schlachten gegen die verhaßten Räuber brauche er zum mindesten, um diesen Schimpf zu tilgen und in Vergessenheit zu bringen. Liefern die Alamannen aber freiwillig das Beutestück aus, dann hat er keinen Grund mehr, in wahnsinnigen Streifzügen danach zu suchen, dann haben wir Frieden und ein Grund des Blutvergießens ist weniger in der Welt. Begreifst du, Knabe, daß das eine hohe Sendung ist, die dich ehrt?«

»Frieden zu stiften bin ich gesendet«, sagte Vulfilaich ernsthaft. »Ich will thun, was du sagst, damit Abel's Blut nicht immer auf's neue wider Kain zeuge. Hat mich der Herr erwählt, dem Morden ein Ziel zu setzen, so nehme ich seine Weisung auch aus deinem Munde.«

»Lege es dir zurecht, wie du magst, aber thue, was ich sage«, erwiderte Rothari streng. »Stiehl dich durch die Berge zum Vicus Nedensis,Neidenstein am Neckar. dort bist du sicher. Rando kennt meine Bedingungen und nimmt sie an. Bringe dann deine Gabe wohl versteckt und so geheim als du kannst in mein Haus auf dem Bühl, damit der gefährliche Besitz dich nicht verderbe. Hast du das vollbracht, so hast du ein Werk gethan, das ich lobe und es findet sich dann schon eine andere Aufgabe, die Vadomar's Sohn geziemt und deinem Gewande nicht zuwider ist. Jetzt aber komme heraus aus dieser Zelle, die du nie hättest betreten sollen.« Beschämt folgte Vulfilaich dem älteren Bruder nach. Draußen lag die Mittagshitze auf dem Abhang, an dem sie zwischen den hohen Brombeerhecken und dem blühenden Weißdorn hingingen. An einem Waldpfade gab Rothari mit einem ernsten Blicke dem Mönche sein Beil zurück, indem er ihm zugleich die Hand zum Abschiede reichte. Vulfilaich beugte sich nieder und zwei heiße Thränen fielen auf die rauhe Hand, die er zitternd ergriff. Gerührt schaute Rothari dem Knaben nach, als er in den Schatten des Eichwaldes verschwand. »Wenn er die Schmach seines Zustands so brennend empfindet«, sagte er, »so ist er vielleicht doch noch zu retten.«


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