Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Zehntes Kapitel.

Rothari's Alamannentrotz hatte sich gewaltig aufgebäumt, als er vernahm, Valentinian habe alle seine Vertrauten zu einem Staatsrathe berufen, ihn aber ausgeschlossen. Als er dann vollends erfuhr, über ihn selbst und seine Verhandlungen mit Macrian werde drinnen berathen, da wollte er im Zorne ungerufen eintreten und Valentinian sein Schwert vor die Füße werfen, aber der Velarius vertrat ihm den Weg und dem klugen Manne gelang es, durch freundliches Zureden den aufgebrachten Alamannen zu beschwichtigen. Aber eine Viertelstunde nach der andern verrann, ohne daß der Angeklagte vorgerufen wurde; da riß ihm endlich die Geduld; er ging nach den Ställen und warf die Decke über seinen Rappen. Unangefochten ließ die Wache den bekannten Heerführer durch die Thore des Munimentum. In's Freie gelangt durchritt er den seichten Strom und sprengte dann wild über die Ebene dem Mons Piri und Valentiniani entgegen, deren Kuppen von der Abendsonne vergoldet aus dem blauen Dufte des Flußthals emporragten. Die weiland so fruchtbare Fläche zwischen Nicer und Rhenus war nur theilweise bestellt. Zwischen spärlich bewachsenen Feldern und wildem Wiesengrün wucherte niederes Gestrüpp und das Krüppelholz der Zwergkiefer. Hier und dort bezeugten noch ausgebrannte, verfallene Gehöfte das Schicksal der Landschaft in den letzten Jahrzehnten. In den Senkungen des Bodens hatten sich flache Teiche gebildet, die der Schnee im Winter und der Frühlingsregen füllte und die die Sommersonne durstig austrank. Dann kamen wieder beackerte Striche mit ländlichen Villen, die die neu hergestellte Mauer umgab. Eine Kette von Wasserhühnern, die vor ihm aufflog, zeigte dem Reiter, daß ein Sumpf in der Nähe sei. »In solchem Moore«, lachte er grimmig, »verlor der tapfere Kaiser seinen Helm. Nun soll er ihn nicht wieder erhalten, nachdem er mich zum zweiten Male mißhandelt.« Und er gab seinem Rosse die Sporen, daß der Rappe in gewaltigen Sätzen dem Hause Arator's zuschoß, das im Abendlichte vom Abhang herüberglänzte. An der Thüre stand Lupicinus mit verbundenem Kopfe und die Diener Arator's, die den allein zurückkehrenden Gast ihres Herrn verwundert begrüßten.

Aber bis zum folgenden Morgen war der Zorn des gutmüthigen Recken verschlafen, zumal er ein Schreiben Arator's vorfand, das ihm die Verzeihung des Kaisers meldete. Weich gestimmt verlebte er eine stille Morgenstunde in Jetta's Garten, andächtig den Spuren der Wunderbaren nachgehend, deren sinniges Walten hier überall sichtbar war. Ihrer gedenkend ging der Held jedem kleinen Blümchen aus dem Wege und gab jedem goldflügligen Käfer Raum, um ihn nicht zu zertreten. Endlich ließ er sich bei der plätschernden Marmorschale nieder, wo er jüngst den seligen Abend mit Arator's Tochter verbracht hatte. Die Sonne lag warm auf den hellen Kieswegen und Rothari sah träumend der Arbeit der summenden Bienen zu und dem taumelnden Fluge der Schmetterlinge. Was ihm die Zukunft, was ihm des Kaisers Gnade oder Ungnade bringe, war ihm gleich, er dachte nur an Jetta.

»Nun, hat Medea richtig geweissagt?« hörte der in seine Träume Versunkene plötzlich die volle und dunkle Stimme fragen, die sein Gemüth stets in gleicher Weise in Schwingung setzte. Als er aufblickte, stand Jetta vor ihm. In aller Stille war sie aus Alta Ripa mit ihren Frauen zurückgekehrt. Bewegt griff er nach ihrer schmalen weichen Hand. »Ich danke dir. Der Muth, den du mir gabst, hat mich gerettet.«

»Dich rettete dein Stern«, sagte sie ernst, »und nicht ein armes Mädchen. Wie hast du dir die Zeit vertrieben, die du uns entzogst?« fragte sie dann mit leisem Vorwurf.

»Ich war in Flora's Reich und küßte die Spuren der schönen Füße.«

»Wäre ich eine Göttin«, sagte sie heiter, »so möchte ich nicht Flora sein, sondern Bellona. Denn wenn ich auch der Blumen warte, so geschieht es doch nur, um zu beweisen, daß diese Hügel noch zu Italien gehören.«

»Die Abhänge des Wodanwaldes rechnest du zu Italien?« fragte Rothari lächelnd.

»Wo der Lorbeer gedeiht«, bestätigte sie ernsthaft, »ist Rom. So weit die Cypresse fortkommt, Feige und Traube reift, so weit hat die Natur selbst unsere Grenze gesteckt. Wo nur noch Fichten, Buchen und Eichen wachsen, da beginnt das Reich der nordischen Götter.«

»So führst du einen Krieg gleich den Helden der Ilias, an deren Kämpfen die Götter selbst sich betheiligen! Vom Süden senden die Olympier ihrer schönen Prophetin die milden Lüfte zur Hülfe, während Wodan's wildes Heer und sein Nordsturm über den Wald braust und deine heitere Schöpfung bedroht. Die hohen Gewalten kämpfen mit dir und wider dich um dieses Land. Aber wisse, schöne Circe, die Götter Germaniens sind hier die stärkeren. Eine Weile magst du auf dieser harten Erde die Kinder eines milderen Himmels erziehen, dann aber kommen die deutschen Winterriesen und erschlagen dir in einer Nacht die ganze Herrlichkeit.« Das schöne Mädchen hob stolz das Haupt: »Du hast ganz Recht«, sagte sie, »in diesem Kampfe habe ich das Epos meines Lebens gefunden und bis zur Stunde habe ich gesiegt. Wer sagt dir, daß deine Götter die stärkeren sind? Sieh hier Apollo's schönblühenden Lorbeer, habe ich nicht sein heiliges Grün schon durch den zweiten Winter hindurchgerettet vor deinen Riesen? Du lächelst? Der Frühling kommt hier zur gleichen Zeit wie in Rom. Gehe im März durch den Wald hier oben und siehe, wie die sonnigen Abhänge mit röthlichen Anemonen bestreut sind, mit Narcissen und Primeln und dem blauen Sterne der immer grünen Vinka. Ich sah es nun zweimal, wie auf diesen Wiesen der Krokus sich erneuert, den die Römer, die vor uns hier hausten, in ihren bunten Safrangärten bauten. Als wir dieses Land betraten, hieß es die Einöde, unter unserer Hand ward es zum Garten und ein Jahrhundert der Alamannenwirthschaft hat die Spur davon noch nicht zu tilgen vermocht. Diesen Spuren gehe nach und dann frage dich, ob wir ein Recht haben auf diese Hügel?«

»Siehst du uns denn so tief unter euch«, erwiderte er gekränkt, »daß alles, was gut und schön ist, euch, was böse und häßlich ist, uns zukommt? Ich denke, jedes Volk hat Antheil an beidem und der Germane ist nicht schlechter darum, weil er kein Römer ist.«

»Seit ich fühle, bin ich stolz eine Tochter Roms zu sein«, sagte sie, »und seit ich denke, weiß ich warum.« Dann ward ihre Stimme milder und ihre Rede einfacher. Statt der majestätischen, rückwärts geworfenen Haltung, mit der sie neben ihm geschritten, ließ sie sinnend ihr schönes Haupt sinken und vertiefte sich in wehmüthige Erinnerungen. Sie erzählte Rothari die Geschichte ihrer Jugend, wie die fromme und geistvolle Mutter sie selbst gebildet, wie der Tod die vornehme Frau hinwegnahm, gerade als die Tochter reif genug war, ihrem hohen Gedankenfluge zu folgen. Nun führte sie der Vater nach Gallien, wo er an der Ostgrenze ein Commando erhielt. Unter häufigen Gefahren zogen sie in den Städten am Rhenus hin und wieder bis mit Cäsar Julian dem Reiche ein neuer Stern aufging. Seine Restauration der Tempel, sein rastloser Kampf für die ewigen Götter und seine kriegerischen Ziele waren das Ideal ihrer schwärmerischen Mädchenjahre. Ihre Stimme zitterte bei der Erzählung, wie dann nach des großen Cäsars Tod der schwächliche Abfall der Kampfgenossen, selbst des liebenswürdigen Ausonius, sie tief erbittert und wie sie erst wieder aufgelebt sei, als ihrem Vater die Aufgabe wurde, hier in Obergermanien einen Theil der Pläne Julian's zu verwirklichen. »Du spottest«, sagte sie, »daß ich hier Lorbeeren und Cypressen pflanze, Schlingrosen und Rebengewinde von Pfeiler zu Pfeiler und von Ulme zu Ulme leite, mir aber sind diese Blumengewinde Ketten, die ich dem Barbarenlande anlege, um es an Rom zu fesseln. So sollte es sein, daß die Männer fechten an der Grenze, die Frauen aber sollen hinter Bellona's Wagen einhergehn und die Verwundeten vom Boden aufnehmen und heilen, sie sollen der Altäre walten und durch Pflege des Schönen und Guten die Herzen versöhnen, sie sollen die Thränen trocknen und die Grabschriften mit Blumen zudecken. Ihnen kommt es zu, durch Milde und gütige Sorge das Volk auch innerlich zu gewinnen, das das Schwert der Männer unterjocht.« Eine so reine, himmlische Begeisterung leuchtete bei diesen Worten von dem Antlitz der schönen Prophetin, daß Rothari sich kaum enthielt, sich vor ihr niederzuwerfen und den Saum ihres Gewandes zu küssen. War doch eine solche Arbeitstheilung ganz nach seinem Sinn. »Doppelt tapfer wollte ich kämpfen«, sagte er mit glänzenden Blicken, »wenn auch mir ein solcher Garten blühte, von solchen Händen gepflegt.«

»Du bist unser«, rief Jetta froh, »du wirst nicht wieder zurückkehren zu den Haufen da drüben, wie so viele, die jetzt unsere Heere schlagen mit den Künsten, die sie bei uns gelernt. Doch komm und laß uns den Vater begrüßen, der dort drüben naht.« Wie im Traume folgte Rothari der vornehm schlanken Gestalt, die in vollendeter Anmuth vor ihm herging, hoch und stolz gleich einer Königin.

Arator begrüßte Rothari nicht ohne Vorwürfe über sein gestriges Verschwinden. »Du spielst mit deinem Kopfe«, sagte er, »als ob du deren hundert hättest und Valentinian zum Scherze Augustus hieße.« Er nahm Rothari mit sich und erzählte ihm den Verlauf des Staatsraths. Nur Jetta's Antheil an dem milden Urtheil des Kaisers verschwieg er.

Als der reckenhafte Alamanne am Abend, von vielen Wegen und Berathungen müde, seine Waffen von sich gethan, zog es ihn mit mächtigen Banden nach dem Plätzchen an der Fontaine, wo er am Morgen mit Jetta gesessen. Still lag der Garten vor ihm und dahinter die weite blaue Ebene. Aus der Marmorschale fielen in rhythmischen Zwischenräumen die Wassertropfen in das untere Becken. Die Nacht that ihr dunkles Auge auf, von oben glänzten die Sterne und endlich stieg auch der Mond voll und groß hinter der Bergwand empor und wieder glänzte sein Silberschein in den Ringen des Wassers. In den Zweigen des Boskets wurden die ersten schluchzenden Töne der Nachtigall laut und die Glühwürmer schwebten wie grüne Funken durch die Büsche. So athmete der junge Krieger die berauschenden Düfte der Jasminhecken, während sein Ohr sehnsüchtig in die Ferne lauschte. Aber Jetta kam nicht. Eben rüstete sich der Alamanne betrübt zum Aufbruch, da hörte er auf der Terrasse ihren schwebenden elastischen Schritt. »Endlich«, sagte er treuherzig. »Ich hoffte schon längst, das Plaudern der Quelle werde die schöne Herrin hierher ziehn.« »Ich schlief bis jetzt«, sagte Jetta traurig, »bis Phorkyas mich weckte. Du wunderst dich über diese Verkehrung der Tagesordnung und es ist wohl besser, wenn ich dir selbst bekenne, welch seltsames Schicksal mich verfolgt, ehe dich Andere vor mir warnen oder ich, ohne es zu wissen, dich schrecke. Ich darf nicht schlafen im Mondlicht. Die Göttin zieht mich, ich weiß nicht warum und wie vom Lager empor, und ich muß dann, ohne daß ich erwache, ihrem milden Lichte folgen, stets ihr entgegen, höher und höher. Sie sagen, ich wisse dann manches, was in der Ferne vorgeht, sehe durch Wände und lese in den Herzen der Menschen. Ueber die Strahlen, die die Dinge und mich bescheinen, kommt es mir zu auf weite Strecken, aber es verschwindet, wenn sie in's Dunkel treten. Dem Vater machte es vielen Kummer und viele Aerzte haben mich mißhandelt und hätten vielleicht meinen Leib zerstört, denn es ward nur immer schlimmer. Da rieth mir ein alter Sklave, ich solle nur schlafen, wenn der Mond an meiner Thüre bereits vorübergezogen sei und das einfache Mittel half. Aber ich muß darum die gefährlichen Stunden bei den Büchern oder plaudernd bei den Menschen verbringen. Bis der Mond von dieser Wand des Hauses weicht, muß ich wachen und da du mich neulich batest, ich möchte dich einweihen in die heilige Kunst, komme ich, um die stille Stunde zu ernstem Zwecke zu nützen, denn nur wenn Selene selbst am Himmel steht, darf ich davon reden. Nur dann, wenn die Göttin ihr klares Licht hingießt durch die stille Nacht, nur dann erschließt sich die tiefste Seele des Menschen gleich dem Kelche der Blume, um den Thau aufzunehmen, der vom Himmel fällt.«

Rothari war beklommen zu Muthe. Ihm schien es schon zu viel des Wunderbaren an dem Weibe, das er liebte und nun wollte sie ihn in immer weitere Geheimnisse führen. »Bist du so sicher«, sagte er zögernd, »daß deine Kunst wirklich Gewalt hat über Natur und Gottheit, und daß nicht der Zufall zuweilen deine Sprüche erfüllt und deine Gebete erhört?«

»Es gibt keinen Zufall in der strengen Verkettung der Dinge«, erwiderte Jetta ernst, »und ich habe keine andere Gewalt über die geheimen Fäden, an denen sie hängen, als die, die auch du hast, nur daß ich weiß, wie sie laufen und verknüpft sind.«

»Für meinen Theil weiß ich nichts von einer solchen Gewalt, die ich hätte«, meinte Rothari zweifelnd.

»Hast du noch nie staunend erlebt«, gab Jetta zur Antwort, »daß ein heißer Wunsch sich dir plötzlich und wundersam erfüllte? Du wünschtest einen Freund herbei und im nächsten Augenblicke hörtest du seinen Schritt auf der Schwelle. Du dachtest an eine Freundin und der Sklave trat ein, dir einen Brief oder eine Gabe von ihr zu reichen. Du drohtest deinem Feinde Verderben und es traf ihn zur selben Stunde. Mit deinem starken Wollen und Wünschen hattest du die Fäden angezogen, an denen die Dinge hängen, aber es gehörte dazu, daß du zur rechten Stunde, am rechten Tage, in rechter Weise deinen Wunsch hineinwarfst in das Netzwerk, das der Demiurg gespannt hat. Es war also freilich bis jetzt Zufall, wenn du das Schicksal lenktest. Wohlan, was dir bis heute unbewußt zuweilen geglückt, das sollst du künftig wissend und schauend üben. Ich will den geheimen Zusammenhang der Dinge dir entschleiern und dir zeigen, wo du in die Speichen zu greifen hast, um das große Rad nach Gefallen zu lenken.« Rothari schauerte. Freilich hatte er jenes Zusammentreffen seiner Wünsche mit der Wirklichkeit auch schon erlebt, wie jeder Mensch durch dasselbe schon in Staunen gesetzt worden ist. Er hatte dann Wodan oder Donar oder Freya gedankt, daß sie ihn erhört hätten. Daß er selbst der Gott gewesen, der die Dinge solle gelenkt haben, entsetzte ihn. »Eine furchtbare Wissenschaft«, wollte er sagen, »laß ungelüftet den Schleier.«

Aber Jetta fuhr bereits in ruhigem Tone in ihrer Rede fort: »Als meine Lehrerin mich in den Elementen der heiligen Zahlenlehre unterrichtete, wies sie mich darauf hin, wie deutlich der Gottheit Hand sich darin erkenne, daß alle Dinge so kunstvoll abgemessen, abgetheilt, abgezählt sind. Die Verhältnißmäßigkeit der Theile ist der Grund der ewigen, göttlichen Ordnung und alle Ordnung beruht auf der Zahl. Die Harmonie der Zahlen ist darum das Geheimniß der Welt und die mathematischen Verhältnisse jedes Dings sind seines Wesens Grund und Kern. Auf einem großen verborgenen Zahlensystem beruht das Universum, auf den Combinationen und Configurationen der einzelnen Zahlen beruhn die Körper. Da hast du das ganze Geheimniß des All.«

Jetta schwieg und richtete ihre träumerischen dunkeln Augen auf den jungen Krieger. Rothari konnte nicht sagen, daß ihm diese Vorstellungen gerade neu wären, nur als Einleitung zur Magie hatte er sie nicht betrachtet. Neu war ihm nur das Unbehagen, das ihn beschlich. Ihr gelehrter Redefluß störte ihn. Frauen sind originell durch die Weise ihres Empfindens, sobald sie theoretisiren, es sei auch auf die untadelhafteste Weise, erscheinen sie dem Manne als eine Mißbildung, die vielleicht merkwürdig ist, aber niemals erfreulich. Der Germane hätte mit Anbetung gesehen, wie Jetta zauberte, aber daß sie philosophirte, war ihm unsympathisch. Das dunkle Gefühl beschlich ihn, daß, wenn sie so fortfahre, er am Ende der Lection sie nicht mehr lieben werde. Bis dahin hatte er ihr glücklicher Weise mehr mit den Augen zugehört als mit den Ohren. Er schaute sinnend auf diese festgeschnittenen Lippen und das starke Kinn, das der jugendlichen Rednerin den Ausdruck stolzer Beharrlichkeit und verhaltener Heftigkeit gab. Als sie nun aber plötzlich schwieg und eine Antwort von ihm erwartete, wußte er keine. Um wenigstens etwas zu erwidern, sagte er: »Pythagoras.«

»Ganz recht«, rief die Philosophin eifrig. »Aus der geheimnißvollen Harmonie der Zahlen hat Pythagoras die Welt erklärt. Weil die Zahlen auseinandergehen in gerade und ungerade, gilt auch in der Erscheinungswelt das Gesetz des Gegensatzes, darum gibt es Gerades und Ungerades, Einheit und Vielheit, Rechtes und Linkes, Begränztes und Begränzendes, Mann und Weib, Ruhe und Bewegung, Licht und Dunkel, Glück und Unglück.«

»Auch Plato lehrt«, schaltete Rothari nunmehr ein, »daß die Gottheit stets Geometrie treibe, denn in dem Abmessen und Setzen bestimmter Zahlenverhältnisse bestehe ihre weltformende Thätigkeit.«

»Wohl«, sagte Jetta befriedigt, »Auf der mathematischen Notwendigkeit des Quadrats beruht die Welt mit ihren vier Enden, auf der der Pyramide das Feuer, auf der des Ogdoeder die Luft und weil eine Kugel sein mußte, ward diese Welt. Denn nichts Anderes ist die Welt als sieben ineinandergesteckte Kugeln, die sich nach verschiedenen Richtungen, in verschiedenen Geschwindigkeiten um einen gemeinsamen Mittelpunkt, den verborgenen Heerd der Hestia, drehen und so die Harmonie der Sphären ertönen lassen.« Rothari schaute zu den Sternen empor und diese weite Perspective, wie die Planetenhimmel und die der Sonnen sich durcheinanderschieben, diese Weltanschauung von phantastischer Großartigkeit, ließ ihn erschauern. Mit einem dankbaren Neigen des Hauptes kehrten seine Augen zu den Lippen der schönen Rednerin zurück.

»Wollen wir nun«, fuhr Jetta fort, »die Gottheit nachahmen und schöpferisch thätig sein – nichts Anderes ist ja die Magie – so müssen wir die Bedeutung und wirkende Kraft der einzelnen Zahlen und Figuren erkunden. Die Eins ist, wie du aus Pythagoras weißt, noch keine Zahl, denn sie ist keine Summe. Auch die Zwei enthält nur den unvermittelten Gegensatz. Erst die Drei ist eine Zahl, sie hat den Gegensatz der Eins und Zwei in sich aufgenommen und überwunden. Sie hat Anfang, Mitte und Ende. Aus ihr, der ersten und Grundzahl geht alles hervor. Darum ist, wie auch die Christianer anerkennen, die Drei Grundzahl des göttlichen Wesens und das Dreieck die Signatur der Gottheit. Aus Gott geht die Welt hervor, aus der Drei die Vier. Darum ist die Vier die Grundform der Welt und das Quadrat die Signatur derselben.« Bei diesen Worten beugte sich das schöne Weib nach vornen, um auf dem Sande die beiden Figuren nebeneinander zu zeichnen. Rothari folgte der Bewegung und ihre dunkeln Flechten vermischten sich einen Augenblick mit dem Goldhaare des Germanen. Ein süßer Schauer überlief ihn und statt ihren Zeichnungen im Sande zu folgen, blieb sein Auge an den stolzen Conturen des Halses und der Schultern der blühenden Sibylle hangen. Sie aber erhob sich wieder und geröthet von der Anstrengung fuhr sie fort: »Also, weil die Vier die Signatur der Welt ist, gibt es vier Weltgegenden, vier Tageszeiten, vier Jahreszeiten und vier Enden der Erde.«

»Die Erde ist ein Quadrat und das All ist eine Kugel«, bestätigte Rothari zerstreut.

»So ist es«, sagte Jetta.

»Addiren wir nun die Drei und die Vier, das heißt Gott und die Welt, so entsteht die heilige Zahl Sieben, deren Bedeutung ist das Ineinandersein von Gott und Welt. Durch sie ist der Verkehr zwischen beiden. Darum gibt es sieben Wochentage, sieben Planeten, sieben Pforten der Seele am Haupte, sieben hochheilige Geister, die die Gottheit der Parsen umgeben und bei uns unter verschiedenen Namen dem ewigen Zeus unterworfen sind. Nun aber lerne noch eine heilige Zahl, die Zehn, die Grundlage des Dekadensystems, das die kosmische Ordnung in ihrer ewigen Gesetzmäßigkeit begreift. Was über die Zehn hinausgeht, kehrt wieder in sie zurück. Darum ist die Zehn es, die den gesetzmäßigen Wechsel des kosmischen Lebens begründet.« Die Prophetin erhob sich. »Den Grund habe ich nun gelegt. Vertiefe dich in diese Anschauungen und morgen, wenn der Mond sich über jene Bergwand hebt, komm wieder an diese Stelle, so will ich mit der praktischen Anwendung dieser heiligen Bedeutung der Zahlen beginnen.«

Gern hätte der Krieger das schöne Weib zurückgehalten in der lauen Maiennacht, obwohl sie ihm jüngst, da sie von Rom sprach, schöner erschienen war als in diesen mystischen Reden von heute. Aber Befangenheit schloß ihm den Mund und während er zögerte, war sie bereits nach oben entschwunden.

Mit gemischten Gefühlen blieb der Alamanne unter den blühenden Büschen bei der plätschernden Schale zurück. Der Tiefsinn der Anschauungen, die ihm Jetta vorgetragen, wirkte stark auf seinen mystischen Hang. Er grübelte nach über das, was die geheimnißvolle Jungfrau ihm gesagt. Es war ja möglich, daß ihm von dieser Seite Licht kommen würde über die Geheimnisse des Daseins. Hatten nicht Seherinnen auch seines Volkes, wie jene Velleda, mit der Gottheit verkehrt und Zukünftiges verkündet? Seine Empfindung für dieses schöne Weib war durchaus durchdrungen von der Ehrfurcht des Germanen gegen das ahnungsvolle Gemüth der Frau. Und dennoch konnte er ein gewisses Mißbehagen nicht bewältigen, daß gerade sie es war, die sich ihm zur Führerin in diese dunkeln Tiefen aufwarf. Was sollte sie mit allem diesem Wissen, wenn sie sein Weib ward? Wenn er sonst davon träumte, sich eine Gattin zu suchen, so hatte er an die Jungfrauen seines Landes gedacht. Ein schüchternes, schuldloses, seiner selbst unbewußtes Herz mußte es sein, das ihn beglücken sollte. Von dem Allem war Jetta das Gegentheil. Sie war eine Zauberin, die ihn abwechselnd verwirrte und beruhigte, aber es war ihm unmöglich sie nicht zu lieben. »Zur Sibylle«, sagte er sich, »ist sie zu jung, zu reich an Liebreiz, darum sollte sie die traurigen Künste lassen. Sie hat bessere Geheimnisse zu verwalten, die glücklicher machen: das große Geheimniß von Mann und Weib.« Und über seine eigene Empfindung unklar suchte er sein Lager.

Diese getheilte Stimmung verließ ihn nicht, als er am folgenden Morgen ausritt, um die neuen Anlagen dieser Gegend zu mustern. Die Gattin, die er sich wählte, mußte in der Stille des Hauses ganz ihm allein sein, aber würde Jetta darein willigen, so im Dunkel zu stehn und war es nicht Unrecht, sie in den Schatten zu stellen? Würde sie gern auf das verzichten, was sie ihre Mission nannte? Sie war gewohnt, mit den unteren und oberen Göttern zu verkehren, würde es ihr da genügen, den Mägden zu gebieten und Kinder zu erziehn? Mußte eine solche Ehe nicht enden wie Jason's Bund mit der Zauberin von Kolchis? Sein Haupt hing tief herab auf den Hals seines Rosses, als er in diesen Träumen dahinritt und seine Beklemmung wuchs, als er heimwärts kehrte und die Doppelhöhen des Mons Piri mit den beiden Steinringen der Alamannen vor ihm lag. Häufiger als sonst fuhr er ungeduldig aus mit seiner Gerte und riß sein Pferd dann wieder hart zurück mit dem Zügel, wenn das Roß sich, die Bewegung mißverstehend, in Trab setzte. »Ich bin ein schlechter Reiter geworden, seit ich begehre ein Magier zu sein«, sagte er unmuthig. Er fühlte sich mehr berauscht als glücklich. Gerade die Bewunderung, die ihm Jetta einflößte, war zugleich eine Gefahr für seine Liebe. Von einer Sappho geliebt zu werden, schmeichelte ihm vielleicht, aber welcher Mann möchte eine Ehefrau, die ihn geistig überragte? Das Alles sagte sich Rothari nicht so offen und klar, aber es wäre ihm lieber gewesen, Jetta hätte nur ihr liebliches Lächeln gehabt und nicht die hohe Kunde der geheimen Zahlen. Als er das Haus betrat, war er entschlossen, sie nicht zu freien. Dennoch trieb es ihn noch vor der von Jetta bestimmten Stunde aus dem Hause in den Garten hinaus. Eine laue, weiche Nacht lag über den blühenden Büschen und schwüle Gewitterluft brütete über der leise murmelnden Quelle. Nur von Zeit zu Zeit bewegte ein linder Hauch die Zweige und deutete an, daß ein milder Frühlingsregen bevorstehe. Rothari blieb auf der Terrasse, den traumhaften Lauten der Nacht und ihrem geheimnißvollen Gekose lauschend. Der Mond kam spät und als er endlich aufging, war er groß und bleich und sein Licht matter als gestern. Gehorsam der Ladung stieg Rothari nunmehr zum Marmorbrunnen hinab, da dämmerte ihm schon von Weitem Jetta's helle Gestalt entgegen. Sie saß, das Haupt gegen einen alten Ahornstamm gelehnt und hatte die bloßen Arme über die Brust gekreuzt. In dem bleichen Mondenlichte erschien sie noch blasser als gewöhnlich. Ein weites, weißes Gewand umhüllte sie in weichen Falten, die malerisch bis zum festen zierlichen Knöchel hinabspielten. Mit einem Blick voll trauernden Ernstes, das Haupt nur leise neigend, begrüßte sie ihn. Ihr Auge hing dann eine Weile an der bleichen Scheibe des Mondes; sie schien ein Gebet zu sprechen, dann ging sie, jeden persönlichen Austausch abschneidend, sofort zu ihrer Unterweisung über. »Ich habe dir gestern gezeigt«, begann sie mit ihrer tiefen melodischen Stimme, »wie die Zahlen die Keime alles Seins sind und daß die Sinnenwelt sich so gestaltete, wie die Gottheit die Zahlen durch ihren Willen zusammenfügte oder wie sie innerhalb des göttlichen Wesens sich ordnen. Nun aber weißt du, daß die Zahlzeichen der Chaldäer auch Buchstaben sind und sich aussprechen lassen als Wort. Darum sagen die Hebräer, Chaldäer und Christianer nicht mit Unrecht, die Welt sei geschaffen durch das Wort. Die Zahlen, die die Grundverhältnisse der Welt bilden, sind zusammen das göttliche schöpferische Wort. Wie finden wir nun dieses heilige schöpferische Wort?« fragte sie und ihre Stimme dämpfte sich und sank herab zu einem geheimnißvollen Flüstern. »Wir zählen die heiligen Zahlen zusammen und finden so den unaussprechlichen, geheimnißvollen Logos, durch den die Gottheit die Welt geschaffen und der noch heute schöpferisch ist. In allen seinen Abwandlungen werde ich das Wort dich lehren, wenn du dazu gereift bist. Für heute nur so viel: Nicht alle Zahlen und Buchstaben sind von gleichem Werthe. Der erste, mittlere und letzte Buchstabe des Alphabets, in dem das Ganze ruht, sind die Mütter, die geheimen Quellen des Daseins. Anfang, Ende und Mitte bilden sie, so beruht auf ihnen Satz, Gegensatz und Ausgleichung. Diese drei aber nimmst du wahr in Allem, was existirt. Du siehst Wasser und Feuer und als Ausgleichung die Luft, Geist und Körper und als Ausgleichung die Seele. Nichts existirt, das nicht in diesen Dreien hinge wie in den Müttern das ganze Alphabet. Anfang, Mitte und Ende hat jedes Ding. Zu diesen drei Buchstaben kommen sieben weitere, die sowohl hart, wie weich ausgesprochen werden können. Auf dieser ihrer Eigenschaft beruht der reine Gegensatz, der durch alles Irdische zieht. Durch sie ist Leben und Tod, Frieden und Krieg, Weisheit und Thorheit, Lust und Schmerz u. s. w. Nun bleiben noch zwölf einfache Buchstaben; sie bewirken die Mannigfaltigkeit und Vielheit der Dinge. Um dieser zwölfe willen hat der Horizont zwölf Winkel, das Jahr zwölf Monate, der Körper zwölf Glieder. Doch haben auch sie, jeder seine besondere Qualität, was für die Zusammensetzung der Zauberformeln hoch bedeutsam ist. In diesen Buchstabenreihen bergen sich geheinmißvoll wirkende Kräfte, theurgische Mittel, mächtige Talismane, schützende Amulete, furchtbare Bannformeln.«

Während Jetta so leise redete, fing der weiche Westwind an sich zu verstärken und das Rauschen in den Kronen der alten Ahornbäume nahm zu; man hörte die Aeste aneinanderklappen, während die Wolken in wilder Hast über die Mondfläche hinjagten. Jetta schien es nicht zu beachten; mit erhöhtem Eifer fuhr sie fort: »Wegen dieser Eigenschaft der Buchstaben ist es nicht gleichgültig, wie ein Ding sich nennt. Daß die Gottheit diese Buchstaben zum Namen zusammenfügte, das macht sein Wesen, sein Leben und seinen Charakter. Die Chiffre jedes Dings ist seines Wesens Grund. Darum wenden auch Unwissende Namen übler Vorbedeutung ab, weil sie diese geheimen Kräfte der Namen ahnen.« Der Prophetin Blick richtete sich jetzt scharf nach dem Himmel, an dem immer wilder die Wolken jagten. »So gibt es Namen der Gottheit«, fuhr sie fort, »bei deren Nennung noch heute das Weltall in seinen Fugen ächzt.« Sie zögerte und schien sich zu besinnen. Dann sagte sie geheinmißvoll: »Der freundlichste ihrer siebzig unausgesprochenen Namen, der Name, den ich dir heute schon nenne, er heißt: Jao Kabao.« Am Horizonte wetterleuchtete es und man hörte das ferne Rollen des Donners. Rothari überlief ein leichtes, abergläubisches Grausen. »Die Wissenden aber, die Schüler der Chaldäer, verstehen aus diesem einen Namen alle andern abzuleiten. So ist der zweite, der schon gewaltiger wirkt: Kaulaukauch.« Ein greller Blitz erhellte Jetta's geisterbleiches Angesicht und ein stärkerer Donnerschlag zeigte das Hereinbrechen des Orkans. Aber die Prophetin harrte ruhig aus, während der Wind sie bereits mit Staub und losgerissenen Blättern überschüttete. »Der dritte Name aber ist der Name, der die Erde erschüttert, die Untern und Obern entsetzt« .... ein harter Donnerschlag, der fast gleichzeitig mit dem Strahle niederfiel, verschlang ihr Wort. Der Blitz beleuchtete ihre fanatisch aufgerichtete unheimliche Gestalt vom Haupte bis zu den Füßen. Ihre Lippen bebten, ihr Auge war starr. Rothari wußte nicht, hatte sie den Namen genannt oder verschwiegen. Entsetzt sprang er auf und rief: »Donar! höre sie nicht!« und zu Jetta gewendet: »Ich bitte dich schweige, schweige« ....

Bleich und groß wendete sie sich ihm zu: »Was thust du? Nun ist die gute Stunde vorbei. Vor Jahresfrist darf ich dir nun die weiteren Zeichen nicht enthüllen.« Und während der Regen herniederprasselte und die Blüthen von den Bäumen schlug, während Blitz und Donner sich jagten, legte sie ruhig ihr Obergewand zum Schutze über das Haupt und ging langsam vor ihm her nach der Treppe. Er folgte ihr nicht. Sie erschien ihm grausenhaft schön, aber er fürchtete sie. »Ein entsetzliches Weib«, murmelte er. »Wie kommt sie nur dazu, diese reinen, jungfräulichen Lippen mit dem schwarzen Gräuel solcher Zaubersprüche zu beflecken!« Auf einer Steinrampe sitzend hielt er den stromweise niederstürzenden Regen aus. Er kühlte ihm sein Haupt, dieser Regen, den sie vor seinen Augen gewirkt hatte. Endlich zwang ihn der anhaltende Guß doch, sein Zimmer zu suchen. Hier entledigte er sich der nassen Gewänder und mit seinem Mantel bedeckt lag er auf dem bequemen Polster und hörte dem Tropfen des Regens auf dem Dache, dem Rauschen der Rinnen in das Impluvium zu, das draußen im Atrium sein einförmiges Geplätscher fortsetzte. Die dumpfe Gewitterluft in dem engen Gemache ängstete ihn zum Ersticken. Das Schauerliche, was er gesehen, regte ihn auf: »Sie würde sich geben wie eine Königin«, sagte er zu sich selbst, »aber wäre es wünschenswerth sie zu besitzen?« Nein, es war vorbei mit seiner Liebe. Ihm war, als habe er ein Buch ergriffen, weil es oben ein schön gesetztes Liebesgedicht zeigte, aber als er es weiter entrollte, war es mit dunklen kabbalistischen Zeichen, mit zauberischen Gräueln beschrieben und er schauderte. »Fliehe, Rothari, fliehe«, rief eine Stimme in ihm. Aber sie war so schön mit ihren dunkeln Augen, diese junonische Gestalt – – und er warf sich unruhig auf dem weichen Polster hin und wieder. Am liebsten hätte er sein Roß gesattelt und wäre hinausgesprengt dem Wetter und Sturme entgegen. Da hörte er einen leisen, schleichenden Schritt. Ein röthliches Lampenlicht fiel durch die Spalte, das Rauschen eines weiblichen Gewandes traf sein krankhaft erregtes Gehör. Es tappte nach seiner Kammer. Rasch stand er auf den Füßen und warf den Mantel über sich. Dann öffnete er behutsam die Thüre und schrak zurück. Das alte Weib stand vor ihm, das er bei seinem ersten Erwachen vor diesem Gemache belauscht hatte. Sein Zurückprallen schien sie zu belustigen. Sie hatte wohl öfter Gelegenheit, sich dieses Eindrucks ihrer Reize zu erfreuen. Das eine Auge leuchtete spöttisch auf und selbst das andere kam zwischen dem gesunkenen Lide zwinkernd zum Vorschein. Wie sie ihre Oellampe hoch hielt, furchten sich all die tausend Runzeln ihres gelben Gesichts tiefer und schärfer, und der graue Flaum ihrer Wangen erglänzte silbern. Dennoch fand sie Rothari heute nicht häßlich. »Wen suchst du, Mütterchen?« fragte er freundlich.

»Dich, Herr«, kicherte sie leise.

»Und was bringst du, gute Mutter?«

»Eine Botschaft meiner Herrin.« Dem Helden schoß das Blut in's Angesicht und er erbebte, während die Alte still in sich hineinlachte. »Jetta«, fuhr sie hüstelnd fort, »verlangt deine Hülfe für sich und ihren Vater. Syagrius hat Anschläge auf sie und wird morgen mit dem Kaiser hier sein. Du giltst für den Einzigen, auf den der Kaiser hört. Sie bittet, du möchtest dem Comes zur Seite stehn und das Haus nicht verlassen, ehe Valentinian da war.«

Einen Augenblick dachte er bei dieser überraschenden Wendung, eine Zusammenkunft mit Jetta zu verlangen. Aber ehrfurchtsvolle Scheu hielt ihn zurück. Seine Stimme klang rauh, als er hastig erwiderte: »Sage deiner Herrin, ich würde kommen und wenn sie mir Weiteres anvertrauen wolle, würde ich zu jeder Stunde und wo sie es wünsche, bereit sein.«

Die Alte nickte mit dem Haupte, er wußte nicht, war es Schwäche der Glieder, war es Zustimmung, daß sie die Gebärde ohne Ende wiederholte. Sie schien ihren Kopf in's Schaukeln gebracht zu haben und nun vermochte sie ihn nicht wieder zu stellen.

Dann kehrte sie sich ab ohne Gruß und verschwand schleichend in's Tablinum. Rothari sah noch das Licht roth zwischen den Säulen der Peristyls glänzen. Ihr schleifender Schritt verhallte dann nach oben und man hörte im ganzen Hause wieder nichts als das einförmige Niederrieseln des Regenwassers in das Impluvium und das Klopfen der Tropfen auf den flachen Dächern. Dieses monotone Lied schläferte den Helden endlich ein und es war spät als er erwachte.


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