Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Vulfilaich hatte im Lager vergeblich auf Rothari gewartet. Als die Nacht eingebrochen war, kehrte er deßhalb zum Bühl zurück. Hier erfuhr er von einem heidnischen Sklaven, der ihn mißtrauisch aufnahm, daß der Herr dagewesen sei, nun aber vor Tagesanbruch nicht mehr heimkehren werde. Einen Augenblick schwankte der junge Büßer, ob er die Gastfreundschaft seines Bruders in Anspruch nehmen solle, aber das stärkere Klopfen seines Herzens sagte ihm, daß dieser Gedanke nur eine Eingebung des Bösen sei. Zwar hatte er alles auf dem Hofe in größter Auflösung gesehen, aber war Rothari noch nicht weiter gezogen, so weilte auch Jetta wohl noch hier, und rasch kehrte der Jüngling sich ab und stieg zum Flusse hinunter. Wie fröhlich war er alle diese Tage seines Weges gezogen! Er hatte etwas gethan für das Wohl der Welt, er hatte etwas ausgerichtet. Als Friedensstifter zwischen Valentinian und Rothari, zwischen ihrem Volke und seinem Volke fühlte er sich, während er seine geheim gehaltene Last unter dem Mantel barg. Legte er sich dann an einem einsamen Orte nieder, den Helm neben sich, dann genoß er die Wonne einer durch Arbeit, nicht durch Visionen erworbenen Müdigkeit. Er streichelte den wohlverwahrten Schatz mit einer gewissen Zärtlichkeit und sang seine Hymnen nach fröhlichen Weisen. Was war es nun, daß plötzlich der alte Kampf ihn wieder überfiel, als er an dem Platze stand, wo er damals Jetta mit dem Kinde an der Brust getroffen? Wie in Fieberhitze wanderte er dahin. Die Unholden hatten auf's neue Macht über ihn gewonnen. Als er unten am Strome anlangte, warf er mit raschem Entschlusse seine Kleider ab und stürzte sich in die brausenden Wellen. Die Kühlung that ihm wohl. Mitten im Flusse legte er sich auf einer seichten Stelle nieder und ließ die Strömung über sich weggehn, daß sie in weißen Strudeln um ihn aufbrauste. So lag er lange Stunden und schaute in den düstern Gewitterhimmel hinauf, an dem die Wolken wanderten und blickte in die schwarze Fluth und nach den dunkeln Kuppen der Berge. Bald war er selbst nur noch ein schwach empfindender Punkt inmitten des allgemeinen Lebens der Natur. Rings um ihn rauschte und brauste es und er lag in dem Strome wie ein Stein und mehrte den Strudel und das Brausen. Seine Augen konnten in jedem Augenblick sich schließen, dann floß er dahin und war vom Krampfe des Lebens erlöst. Seine Leidenschaften und Stürme hatten sich beruhigt. Endlich erhob er sich wieder, schritt hinaus, nahm die Kleider, mit denen Rando ihn beschenkt und sank am Fuße eines Felsen in erquicklichen Schlaf. Als er erwachte, war er sich seines gestrigen Falles mit Beschämung bewußt und er beschloß, den Tag mit Bußübungen zu begehen und Rothari und Jetta erst gegenüberzutreten, nachdem er sich durch fromme Uebungen gestärkt und durch langes Fasten und stündliche Geiselung seines Fleisches Hoffahrt gedämpft hätte. Bei einer Wand von hohen Granitpfeilern hinter den Hecken und Hollunderbüschen kniete er nieder und begann sein frommes Werk. Die Sonne beschrieb ihren Weg über ihn weg und sie allein sah die harten Uebungen, mit denen der Jüngling sich peinigte. Als sie längst wieder niedergegangen und die Nacht hereingebrochen war, legte der Mönch sich wiederum in den Strom und ließ die Wellen über sich hingehn. Dann erhob er sich. Der Tag der Uebungen war absolvirt. Er wollte sich nun stärken an den Vorräthen seiner Höhle, schlafen und dann vor Rothari treten, ob er ihm ein neues Werk zu bezeichnen wisse, durch das er ein Friedensstifter werde auf Erden. Aber als der Weg auf der Höhe über Rothari's Haus hinführte, fühlte er, daß er seinen Leib vergeblich gepeinigt hatte. Sie waren alle wieder da, die bösen Geister, die ihn in diesem Thale verfolgt hatten. Bald als entsetzliche Thiere, bald als Faune, bald als Nymphen schwebten sie vor ihm her und vor allem lockte ihn die Eine, der schöne Dämon mit dunkeln Augen und schlangengleichen schwarzen Haaren. Wie seines Bruders Weib sah die Teufelin aus, bald stillte sie ein Kind, bald schmeichelte sie ihm mit ihren schlanken schönen Armen ... Vulfilaich schlug ein Kreuz, denn je näher er seiner warmen Lagerstätte kam, um so deutlicher machte sich die Nähe des schönen Unholds auch heute geltend. »Ob es Lilit ist oder Asmodäa oder die Helena des Simon Magus?« murmelte er. »Ich werde das Gebet des heiligen Sisinnius gegen sie brauchen«, sagte er, als er, sich zwischen den Büschen hindurchzwängend, vor dem Eingange zu seiner Höhle stand. Aber was war das? In sein Heiligthum selbst war heute der Feind eingedrungen. Er hörte in seiner Höhle ein böses Knurren und eine besänftigende Stimme, nach der es wieder still ward. Vulfilaich trat ein, aber wieder knurrte der böse Teufel aus dem Hintergrunde seiner Höhle. »Michael trete dich unter seine Füße, Gabriel durchbohre dich mit seiner Lanze, Uriel blende dich mit seinem Lichte« ... stammelte Vulfilaich, indem er an der Seite des Eingangs nach Stahl und Schwamm suchte und eine Fackel entflammte. Aber wieder hörte er die beruhigende Stimme des weiblichen Dämons. Mit dem Gebete Salomonis gegen die Starken der Unterwelt drang er, die Flamme in der Faust, vorwärts. Da sah er bleich und groß im Hintergrunde den schönen Dämon sich erheben; das sind ihre dunkeln Augen, das sind ihre schwarzen Haare, ihre üppigen weißen Arme. Und er breitet die Hände gegen sie aus, die Hölle ist stärker als alle Gebete, – er muß sie besitzen. Aber plötzlich springt neben ihr der Satan selbst in Gestalt eines Wolfes empor, grüne Augen glühen ihn an. Vulfilaich fährt zurück. Es war wieder ein Trugbild des bösen Geistes, aber so deutlich hatte er ihn nie zuvor geschaut. »Nieder Wolf«, – rief jetzt eine herrische Stimme. »Ich wußte nicht, daß das dein Versteck ist, Vulfilaich«, hörte er Jetta sagen. »Du weißt, warum ich obdachlos bin und bei den Thieren des Waldes Hause?«

Vulfilaich schwieg und noch immer betrachtete er sie mit abergläubigem Grausen. Sie aber drängte sich mit ihrem Thiere an ihm vorbei in's Freie und sagte: »So komm! wenn du es nicht weißt. Sie haben deinen Bruder gestern feig erschlagen. Drunten am Steine des Giganten ward er ermordet, gestern vor Mitternacht. Noch ist das Blut nicht trocken, das sie vergossen.«

»Rothari todt!« rief der Mönch von plötzlichem Schmerze überwältigt. »Wehe über sie, dreifaches Wehe. Wie lange richtest und rächest du nicht unser Blut an den Bewohnern der Erde. Wie lange noch!« rief er zornig zum nächtlichen Himmel empor. »An ihn wende dich«, sagte er dann zu Jetta, »der da kommt auf den Wolken des Himmels und von den Heuchlern fordern wird alles gerechte Blut, das vergossen ward auf Erden von dem Blute Abel's bis auf das Blut des Sohnes Barachja, den sie getödtet haben zwischen Tempel und Altar.«

»Richten und rächen! Ja, Mönch, das ist das Wort, das mir auf der Seele lag und ich konnte es nicht finden. Ich bin nur ein Weib, aber sie haben mir mein Herz in der Brust versteint. – Wie sie mich so weit gebracht, kann ich dir nicht sagen. Die Zunge im Gaumen würde mir vertrocknen, die Bäume und der Rasen würden welken, wenn ich es ausspräche und der Mond sich verdunkeln, wenn er es hörte. Auch ich war gebunden und erdrückt von dem Entsetzlichen, aber, richten und rächen« das ist das Wort, die Formel, die meine Erstarrung löst!«

»Mein ist die Rache, spricht der Herr«, sagte der Mönch.

»Nein, Mönch! Diese Rache ist mein«, rief Jetta gellend. »Die Mutter, der man das Kind stiehlt, der man das Kind verstümmelt, deren Kind man im Tode selbst nicht Ruhe gönnt, so daß der kleine Geist nicht schlafen darf, wenn alle schlafen am Busen der liebenden Mutter Erde, dessen Seelchen sie aufstacheln, daß es weinend Auskunft geben muß über alles, wonach Justina's Neugier gelüstet.... Mönch, hörst du? Hast du das verstanden? Diese Rache ist mein und wenn du ein Mann bist, so führe mich zu Macrian. Rothari sagte mir, zu ihm solle ich fliehn. Der letzte Hauch in seiner Brust war eine Botschaft an den Barbaren.« »Macrian liegt drüben im Walde mit den Vätern der Geiseln, die der Augustus schlachten will, um zu berathen, wie man sie befreie.«

Jetta schrie laut auf in wilder Freude. »So führe mich, Mönch, Feigling, Christ, Götterbote! Richten und Rächen, du bist ein wahrer Prophet, mein Knabe.« Sie ergriff ihn am Arm und stieß ihn vorwärts, während der Wolf scheu und tückisch ihnen zur Seite schlich. So schlugen sie sich hinunter nach dem Nicer. »Wie kommst du hinüber?« fragte Vulfilaich, als sie am Strome standen. »Kein Wasser kann mich trennen von meiner Rache«, erwiderte Jetta und schritt unerschrocken in die kalte klare Fluth und der Wolf folgte ihr. Als das gewaltige Thier neben ihr zu schwimmen begann, hing sie sich mit dem rechten Arm an seinen Hals, mit der Linken die Fluthen theilend. Wer sie so im Glanze der Sterne, das Unthier umhalsend, dahingleiten sah, der zweifelte nicht an den Künsten, an denen sie selbst seit gestern zweifelte und die sie heute verfluchte.

Eine milde Nacht lag über dem Wodanwalde. Die Bäume flüsterten in stillem Zwiegespräch und rauschten wiederum in gewaltigem Chor, wenn ein stärkerer Nachtwind über sie hinzog. Leuchtkäfer stäubten wie Lichtfunken durch die Büsche. Eine Gruppe Alamannen, die einen Mönch in ihre Mitte genommen, zieht eilig durch den Wald. Voran aber schreitet ein Weib mit fliegendem Haare, Wahnsinn im Auge, gefolgt von einem mächtigen Wolfe. Es ist Jetta, sie suchen Macrian, den Schrecklichen, hinter dem die schwarzen Raben flattern, weil sie stets Futter finden an seinem Wege. Plötzlich hält der Wolf und stößt ein Geheul aus. Er steht den blitzenden Waffen der alamannischen Vorposten gegenüber. Im Walde hinter dem Mons Piri lag am Stamm einer gewaltigen Eiche gelagert der Mann, den Jetta suchte, um Rom zu verrathen. Die Stelle war trocken durch das hohe Schutzdach des gewaltigen Baums und vor Ueberraschungen sicher, da ihre erhöhte Lage rings die Umgebung beherrschte. Dennoch waren überall Wachen ausgestellt, um jede Annäherung eines Feindes zu rechter Zeit zu melden. König Macrian hatte sich hier mit jenen Edeln seines Volkes zusammengefunden, deren Söhne den Römern vergeiselt waren. Hatte der König seinen eigenen Knaben listig aus Mogontiacum entführt, so hielt er für gerecht, ehe er den Krieg eröffnete, den Edelingen zu gleichem Versuche Gelegenheit zu geben. Aber der Versuch mochte glücken oder mißglücken, daß die Römer von diesem Thalausgang vertrieben werden müßten, war Beschluß des Dings. Bis tief in die Nacht hinein hatte man berathen, aber alle Vorschläge, wie man bis zu den Geiseln hindurchdringen könne, hatten sich als unausführbar erwiesen. Unmuthig hatten die Einen, in tiefer Trauer die Andern nach fruchtloser Berathung sich niedergelegt. Zeigte sich bis zum Morgen nicht die Gelegenheit zu einem glücklichen Handstreich, so war die Heimkehr beschlossen, um alle Könige des gesammten Volkes zu gemeinsamem Kriege aufzurufen. Die Sonne stieg eben hinter dem dunkelblauen Bergriegel des Wodanwaldes empor und das Morgenroth flammte über den grünen Buchengipfeln, als der gedämpfte Ton des Horns die sich vom Schlafe Ermunternden zur Eiche rief, wo der König lagerte. Rings aus den Büschen erhoben sich die Edlen mit ihrem Gefolge und die Krieger, die der König mit sich gebracht. Man zählte hundert Lanzen, als der Ring sich schloß. An der Eiche stand der König, einen gezähmten Wolf zu seinen Füßen und bei ihm ein römisches Weib und Vulfilaich der Christ. Neugierig richteten aller Augen sich auf diese Ankömmlinge, deren Anwesenheit keiner der Edlen sich zu deuten vermochte.

»Wie der Wolf am verschlossenen Stalle«, begann der König, »suchten wir gestern vergeblich einen Zugang zum Gewahrsam euerer Söhne. Ueber Nacht aber kam uns besserer Trost. Die ihr hier seht, sind Rothari's Bruder und Rothari's Weib. Er selbst aber liegt, wie meine Späher mir melden, auf der Bahre beim Rosenhofe, nachdem er die Treue seiner Bundesfreunde gekostet, wie ich ihm oft vorher gesagt. Sie haben ihn ermordet am Riesensteine. Diesen Morgen werden sie seine Leiche verbrennen und nach ihrer Sitte seine Asche in einer Urne beisetzen. Seine Wittib aber kam und lud uns zu Gast, daß dem Königssohne ein Gefolge von Römern mitgegeben werde auf dem dunkeln Wege in Hel's Reich. Ich sagte ihr, was unseren Arm binde, da erbot sie sich, Valentinian's Weib oder Kind, oder auch beide uns in die Hände zu liefern, um die Kaiserin zu strafen, die ihr Gatten und Kind gekränkt hat. Haben wir ein solches Unterpfand, so wird es leicht sein, euere Söhne zu lösen, ja vielleicht steht der Kaiser dann ohne Krieg von seiner Untreue ab.« Ein Murmeln des Beifalls war die Antwort auf des Königs Rede. Aber auch Mißtrauen regte sich und Jetta ward einem scharfen Verhöre unterworfen. War sie Rothari's Gattin, so war sie doch auch Arator's Tochter. Einsilbig, aber bestimmt stand Jetta Rede und die tiefe Trauer in ihren dunkeln Augen, der bleiche Zorn ihrer Stirne und die von Schmerz bebenden Lippen ließen selbst den Argwöhnischsten keinen Zweifel an dem Ernste ihrer Absicht. Die Meisten dieser Germanen kannten Jetta's Sprache nicht, aber der Ausdruck eines großen Schmerzes wird verstanden von einem Ende der Welt zum andern und von dem Barbarenweibe des Urwalds bis zur Niobe der Königsburg sehen sich über der Leiche ihres Kindes alle Frauen gleich. Wer sie ansah, dachte nicht mehr an Verrath. Macrian bat Jetta nun, ihre Pläne vorzutragen.

»Die Vornehmen im Lager«, sagte Jetta finster, »feiern heute ein Fest des Mithras in der Höhle des Gottes. Auch dort könnt ihr Geiseln finden, falls mein Anschlag auf Justina mißlingt.« Die Führer traten nun mit Jetta zu einer kurzen Berathung zusammen. Nachdem man das gemeinsame Ziel bestimmt hatte, verschwanden die einzelnen Haufen in den Büschen.

Eine Stunde später ertönte bei den Bauhütten auf dem Mons Piri das Signal zum Beginne der Arbeit. Mit rastlosem Eifer betrieben, näherte sich das in der Stille vorbereitete Werk rasch der Vollendung. Die Form des Castells, ein an den vier Enden abgerundetes Viereck, war bereits deutlich zu erkennen. Mannshoch ragten die Fundamente der Thore und Thürme aus der Erde empor, der Unterbau des Prätoriums war nahezu vollendet. Quadern und Bausteine lagen wohl zugehauen rings umher. Die beiden alten Bollwerke der Alamannen, den engeren und weiteren Steinwall, die den ganzen Gipfel des Berges doppelt umgaben, hatte man als Vorwerk erhalten.

Auch heute herrschte eine emsige Thätigkeit, neu angespornt durch den gestrigen Besuch des Kaisers. Die Soldaten standen schaufelnd in dem Graben, der das Werk umgab, andere führten Erde zu oder entfernten den Schutt. An den Kalkgruben arbeiteten die Einen, die Andern setzten Stein auf Stein, Die Waffen hingen in den Bauhütten, alle waren leicht, bekleidet, die Schaufelnden sogar halbnackt. Nichts war zu hören ringsum als das fröhliche kling, kling der Eisenhämmer, die auf die Mauersteine niederfielen. Da plötzlich unterbricht ein schriller Schrei die fröhliche Musik, aber der innere Ring des alten Alamannenbollwerks verdeckte für das Auge der Soldaten, was jenseits desselben vorging. Aller Augen richten sich nach unten; da tauchen plötzlich überall auf dem Steinringe riesige Lanzen empor, wilde Häupter, geschwungene Streitmeißel. Die der Bauhütte zunächst stehenden Soldaten stürzen nach ihren Waffen. Aber wie die im Kessel zusammengetriebenen Thiere des Feldes sehen sie sich umringt. Der Eine endet niedergeschmettert von dem Schlachtbeil, des Andern nackten Leib durchbohrt der lange alamannische Spieß, die Wenigen, die zum Fechten gelangen, sind nach kurzem Widerstande gebändigt. Auf der Höhe des Ringes aber steht der König, furchtbar anzusehen in seinem Eberhelme und von zehn Schritten zu zehn Schritten ist ein Alamanne mit dem Wurfgeschoß aufgestellt und wo ein Flüchtling eilenden Fußes von oben entrinnt, trifft ihn der Speer, ehe er keuchend die Höhe des Steinrings zu erklimmen vermag. Sterbend, seufzend, still liegt in einer halben Stunde die Schaar der Tapfern nebeneinander, die den Tag so frisch und arbeitsfroh begonnen. Neben Macrian aber steht Jetta. Sie wendet dem furchtbaren Schauspiele den Rücken und schaut starren Auges nach den Bergen jenseits des Rhenus, die Gallia und Germania scheiden. Nun ist sie es, die die Provinz den Alamannen überliefert. Als die blutige Arbeit gethan ist, ruft wieder gedämpfter Hornklang die Alamannen in die Nähe des Königs. Von Jetta geführt, in keilförmiger Ordnung, Holzschild und Waffe fest in den Händen, steigen sie vorsichtig den Berg hinab. Gedeckt von Hecken, den Falten des Gesteins sich anschließend, oft gebückt und selbst auf dem Leibe kriechend wälzt sich der Heerwurm leise den Abhang hinunter, bis Macrian mit seiner Führerin an der Pforte einer Gartenmauer angekommen ist. Jetta greift nach einem geheimen Riegel und durch wohlgepflegte Wege und blühende Beete folgt ihr die kriegerische Schaar. Ein Schauer scheint Jetta zu überlaufen, als sie auf die Terrasse heraustritt und das Haus vor ihr liegt, wo sie einst mit Rothari hatte hausen sollen. Aber wieder taucht ein bleiches Kinderhaupt auf vor ihrem geistigen Auge, es schwebt vor ihr her und zeigt ihr den Weg und wie traumwandelnd schreitet sie vorwärts, als ob sie einem Gesichte nachgehe. Sie öffnet eine Thüre. Ein Sklave starrt sie verwundert an, aber ein Schwertschlag Macrian's wandelt das Schweigen des Schreckens alsbald in das Schweigen des Todes. Ein römischer Soldat erhebt das Schwert gegen die Eindringlinge. Jetta's Wolf reißt ihn nieder und ein Lanzenstoß bettet ihn bei seinem Genossen. Ein Theil der Mannen bleibt als Wache im Garten, die Andern folgen Macrian. Unheimlich klingt der Schritt der leise schleichenden Krieger in dem leeren Atrium, die bunten Hirten und Nymphen der Wandgemälde lächeln den germanischen Wölfen so freundlich zu wie sonst den römischen Herren. Die bunten Fruchtstücke des Mosaikbodens knistern unter den wuchtigen Füßen der Wilden. Vor einer schweren Thüre eines Seitengemachs bleibt Jetta stehn. »Hier unten feiern die Führer heute die Mysterien ihres Gottes. Ihr werdet sie fesseln können ohne Blutvergießen. Nehmt die Fackeln dort von den Leuchtern«, sagte sie, »und haltet Eisen bereit, diese Thüre zu sprengen. Mir gib zehn Krieger, um den untern Ausgang zu besetzen. Dort in der Kammer werden Stricke sein, die Gefangenen zu binden. Mit der Arbeit beginnt nicht eher, als bis ich von unten die Losung gebe. Welches Zeichen begehrst du?« Macrian reichte ihr eine kleine silberne Pfeife, ein Beutestück seiner gallischen Züge. Einen Augenblick nur dauerte es und alles war gerüstet. Geführt von Jetta stieg ein Dutzend Krieger den Abhang hinab, zu der Ecke des Berges, wo unter Buschwerk verborgen, hinter einem hohen Brunnensarge ein Thürchen sichtbar ward. Hier machte, die Führerin Halt. Ein schriller Pfiff verkündete den Genossen oben, daß der Ausgang besetzt sei. Athemlose Stille lagert über der kleinen Schaar, die, die Lanze gefällt, das Pförtchen fest im Auge behält, während ihrer zweie nach dem Nicer gewendet den Rückzug und Jetta selbst bewachen. Plötzlich hört man polternde Schritte, das Thürchen wird von innen aufgestoßen. Mit schreckensbleichen Zügen, gleich einem von den Furien gehetzten Orestes, kommt der bebende Nasica zum Vorschein. Als er die Lanzenspitzen sieht, prallt er zurück. »Haltet ihn fest«, ruft Jetta hart, »er half Rothari morden.« Nasica will rückwärts entweichen, aber die hinter ihm Drängenden stoßen ihn nach vorn, so fällt er den lachenden Germanen in die Hände, die ihn knebeln und zur Seite werfen wie einen Baumstamm. Schreckensbleich strecken nun die Folgenden die Arme entgegen als Zeichen ihrer Ergebung. Im weißen Kleide der Mysten, ohne Waffen, manche noch die Kränze im Haare treten sie Einer nach dem Andern aus dem schmalen Gange hervor und lassen sich binden. Dann kommen zwei, die schon gefesselt sind und hinter ihnen taucht das wilde Gesicht Macrian's auf. Blutflecken auf seinem Mantel zeugen von der Arbeit, die er drinnen gethan hat. Jetta läßt düster ihr Antlitz über die Gesichter der Gefangenen schweifen. Arator und Syagrius fehlen. Sie wohnen der Verbrennung Rothari's am Rosenhofe bei, wo Gratian soeben dem Freunde die letzte Ehre erweist. »Ihr seid zu schwach an Zahl«, sagte Jetta mit kaltem Tone zu Macrian, »um das Lager zu bestürmen. Justina aber ist mit ihrem Sohne im Zehnthof. Haltet diese hier gefangen, ich will suchen die Kaiserin oder ihr Kind zu ergreifen. Auch Vulfilaich, der Christ, bleibt hier, er könnte uns verrathen.«

So wurden die Gefangenen wieder in den dunkeln Gang zurückgetrieben bis in die Grotte, wo sie dem Mithrasbilde gegenüber sich zur Erde kauerten. Auch Vulfilaich saß unter ihnen und starrte traurig das Bild des Gottes an, dessen edel geformtes Antlitz einst Rothari vor seinen Axthieben gerettet hatte, und der nach der Bosheit der Dämonen zum Dank den Retter sich hatte bei seinem Feste zum Opfer schlachten lassen.

Während dessen führte Jetta durch Gärten und Baumplätze drei der Barbaren zur Pforte des Zehnthofs. Leise öffnete sie dieselbe. Drinnen hörten sie Bissula's Stimme, die mit dem Kinde Justina's scherzte. »Eine bessere Gelegenheit hätten Jahre des Wartens nicht herbeiführen können«, sagte Jetta und in ihren Augen funkelte ein wilder Triumph. Ihr ganzes Wesen schien sich zu beleben, ihre Haltung ward straff, ihr Ausdruck hart und drohend. »Kind um Kind«, murmelte sie, »die Rache ist da.« Sie wies ihre Begleiter hinter die gewaltigen Stämme der Nußbäume und trat starren Angesichts durch die Thüre. Bissula, den kleinen Valentinian auf dem Arme, stieß einen Schrei der Ueberraschung aus, als sie Jetta erblickte. »Endlich«, rief sie, »endlich, arme Jetta, wie haben wir uns alle geängstet, selbst der Kaiser ließ nach dir senden und Justina war auf das Schlimmste gefaßt. Aber ich dachte mir wohl, du würdest kommen, wenn sie Rothari's Leib der Flamme übergeben!« Die arglose Alamannin setzte den Knaben auf die Erde, um den bleichen Gast nach dem Hause zu geleiten. Aber Jetta nahm das Kind auf und sagte: »Rufe Justina!«

Bissula sah sie fragend an. »Die Augusta soll hier vor mir erscheinen«, rief Jetta mit flammenden Augen, so daß Bissula sich kopfschüttelnd nach dem Hause wendete. »Der Schmerz hat sie verstört«, sagte sie vor sich hin, aber sie gehorchte. Der Knabe streckte ängstlich seine Arme nach seiner Wärterin aus, die eben im Begriff war, am Boden Blumen für den Kleinen zu pflücken, dann aber erstaunt und neugierig das Erscheinen der jungen Witwe Rothari's beobachtete, über deren unerklärliches Verschwinden man gestern den ganzen Tag gesprochen. Als sie sah, daß das Kind sich vor Jetta's stillem Wesen ängstete, erhob sie sich, ihrer Pflichten gedenkend. Da verschwand Jetta mit dem Knaben durch's Thor. Die Amme sprang ihr eilig nach, aber sie sah nur, wie Jetta das Kind in die Hände eines Kriegers legte. Hinter den Bäumen traten Gewaffnete hervor, die das flirrende Auge des geängsteten Weibes verzehnfachte. Halb ohnmächtig schoß sie nach dem Hause zurück. Unter der Thüre stieß sie auf Justina, die eben hochfahrend zu Bissula sagte: »Weise sie hinaus. Wäre sie nicht wahnsinnig, so ließe ich das freche Weib mit Ruthen züchtigen.«

In diesem Augenblicke stürzte die Wärterin des Knaben mit lautem Schreckensrufe durch die Thüre: »Die Alamannen! Der Cäsar ist geraubt!« rief sie verzweifelt, Justina fuhr auf, bleich vor Entsetzen. »Wo ist der Knabe?« – Zitternd wies die Wärterin nach dem Thore und wie eine Wölfin, der man ihr Junges genommen, stürzte die Augusta, gefolgt von den beiden Frauen nach der Straße. Alles war still ringsum, nur Jetta lehnte mit unterschlagenen Armen an dem gewaltigen Stamme eines alten Wallnußbaums. Die Wärterin deutete auf sie. »Sie nahm es.« »Mein Kind, mein Kind!« rief Justina. Jetta lächelte wie die Meduse, bei der der Schmerz in Hohn übergeht. »Gib Valentinian heraus«, schrie Justina »oder ich lasse dich mit glühenden Zangen zerreißen.« Und sie wendete sich nach dem Hause zurück, als ob sie rufen wolle. Aber Jetta faßte sie mit eisernem Griffe am Arme. »Sieh diese silberne Pfeife«, sagte sie zu Justina. »Ein Pfiff bedeutet, daß dort hinter jenem Zaune deinem Sohne das Haupt vom Rumpfe getrennt wird, wie du den meinen schändetest.«

»Dein Kind war todt«, lallte Justina und ihre Zähne klapperten.

»Du hattest es getödtet.«

»Bitte, was soll ich? Was willst du? Fordere was du magst, ein Gut, ein Land, eine Provinz, du sollst sie haben, aber gib mir meinen Knaben.«

»Höre Augusta«, sagte Jetta kalt. »Dein Kind haben die Alamannen als Geisel. Sobald sie ihre Söhne zurückerhalten haben, die ihr treulos festhieltet, wird dein Knabe herausgegeben werden – an mich. Ich gebe ihn dir zurück, so wie du mir den meinen gabst. Den Leib für mich, das Haupt für dich. Du kannst es ja dann sprechen machen mit deinen Zauberbüchern.«. Entsetzt reckte die Kaiserin die Hände gegen Himmel, ihre Augen kreisten in ihren Höhlen. Wieder wendete sie sich zurück nach dem Hause.

»Vergiß nicht die Pfeife, Augusta!« und Jetta setzte das silberne Spielzeug an ihre Lippen. Da fiel das bleiche Weib vor Jetta auf die Kniee. »Gnade, Gnade!« kreischte sie.

»Sicher, erlauchte Frau – Gnade, wie du sie übtest an Rothari, an Tullius, an mir – Kind für Kind, wir tauschen die Köpfe« und sie lachte hart auf wie der Eumeniden eine.

Justina röchelte und wand sich an der Erde. »Höre wohl, Weib«, rief Jetta, indem sie mit dem Fuß verächtlich der Liegenden an den Leib stieß wie sonst wohl ihrem Wolfe, »kommen die Geiseln binnen drei Tagen nicht in unsere Hände, so schlachten die Alamannen deinen Sohn und füttern mit seinen Gliedern ihre Hunde. Haben wir unsere germanischen Knaben wieder, so erhältst du von mir das Haupt des deinen und lehrst es sprechen. Das ist ja deine liebste Unterhaltung. Und nun bleibst du hier liegen bis wir uns nicht mehr mit den Augen sehen, erhebst du dich zu früh, so werde ich pfeifen.« So lag die harte stolze Frau an der Erde, zitternd, bebend, verzweifelt, während Jetta's Schritt sich unhörbar auf dem Rasen verlor. Nach einer Weile wagte sie aufzublicken, ob sie Jetta noch sehe, aber sie lag allein vor der Thüre des Zehnthofs. Wie trunken, wahnsinnig vor Angst und Schmerz kehrte sie taumelnd nach dem Hause zurück und rief nach der Wärterin ihres Kindes. Die war entlaufen, aber auch Bissula war nicht zu finden. Es blieb der Kaiserin nichts übrig, als rasch ihr Gesinde zu versammeln. Die germanischen Knechte schickte sie auf Kundschaft und versprach jedem die Freiheit und fürstlichen Reichthum, falls er den Knaben wiederbringe. Mit den Andern flüchtete sie rasch nach dem Lager, froh, daß sie die Wege noch offen fand. Dort erfuhr sie, daß Valentinian, um der feierlichen Beisetzung Rothari's aus dem Wege zu gehen, in aller Frühe nach Alta Ripa geritten sei, wohin er auch Gratian entboten habe. Auch für sie lag der gemessene Befehl vor, sich schleunig nach dem Munimentum zurückzuziehen, da der Ausbruch des Krieges unmittelbar bevorstehe. Aber wie konnte die Mutter den Ort verlassen, wo man ihr soeben ihr Kind geraubt hatte? Wie die Henne um den Platz hin und wieder läuft, wo der Habicht ihr Küchlein entführt hat, so rannte sie am Thore des Lagers hülfesuchend umher, jeden Soldaten anhaltend, der beim Blasen der Tuba nach der Caserne zurückeilte. Endlich sammelte sie sich unter dem Zuspruch ihrer Frauen so weit, daß sie ein Schreiben an Valentinian aufsetzte, in welchem sie ihn flehentlich bat, er möge alsbald die Geiseln der Alamannen entlassen, da sonst ihr eigenes Kind dem Tode geweiht sei. Der beste Reiter des Lagers erbot sich, den Brief nach dem Hoflager zu bringen, Justina aber eilte, noch immer halb wahnwitzig vor Schmerz und Angst, nach dem Prätorium, um Arator gegen die Alamannen zu hetzen.


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