Adolf Hausrath
Jetta
Adolf Hausrath

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Am Tage nach ihrer Flucht saß Jetta sicher geborgen im Palaste zu Alta Ripa. Valentinian hatte ihren Bericht, warum sie ihren Gatten verlassen, so freundlich angehört als sein mürrisches Temperament es irgend erwarten ließ; dann hatte er entschieden, er könne nicht zugeben, daß Rothari dem Alamannenkönige seinen Sohn als Geisel ausliefere. Im Gegentheil werde nun er den Knaben als Unterpfand für Rothari's immer zweifelhaftere Treue im Palaste behalten, wo Jetta, wie immer, ein willkommener Gast sei. Ihr war das recht, denn es erschien ihr als die sicherste Form, sie zu schützen. Rothari konnte das Kind jetzt nicht von ihr, er mußte es von dem Augustus fordern. Ein weiterer Stein ward Jetta vom Herzen genommen, als ein heimlich nach dem Bühl entsendeter Bote mit der Nachricht zurückkehrte, Rothari's Blindheit weiche. Schon jetzt bewege er sich in dem dämmerigen Saale ohne Anstoß und in wenigen Tagen werde er ohne Zweifel ganz genesen. Phorkyas hatte sie mithin nicht getäuscht und ihr Vertrauen sowohl auf die Kunst, wie auf die Treue der alten Dienerin befestigte sich auf's neue.

Das wäre nun alles schön und gut gewesen, hätte nur der zarte Knabe, über den all dieses Leid begonnen, nicht bei der übereilten nächtlichen Flucht sich eine Krankheit zugezogen. Das Kind glühte im Fieber und von Zeit zu Zeit lief ein Reißen und ein Zucken durch seinen Leib, wie es Jetta nie an ihm wahrgenommen hatte. Angstvoll saß die bekümmerte Mutter an der Wiege, in der einst das eigene Söhnchen der Augusta gelegen und suchte durch feuchte Tücher das heiße Haupt des Kindes zu kühlen. In ihrem Herzen aber wühlte der Vorwurf, daß, wenn der Knabe nun sterbe, nur ihr Widerstreben gegen Rothari's Willen ihn getödtet habe. In einem benachbarten Gemache flüsterten Justina und Phorkyas und nicht blos, um den Kleinen nicht in seinem Schlummer zu stören, sprachen sie leise.

»Warum bestandest du nur auf den persischen Pfeilen«,, fragte Justina, »die ich sonst nur im Schlachtgewühl meinem Boten auf den Bogen lege?«

»Ich wählte das Mittel, sagte Phorkyas, »bei dem man am wenigsten an ein altes Weib denkt. Wenn er durch Männerwaffen fiel, rieth man nicht auf mich. Auch hatte ein Knecht mir vertraut, es sei Rothari geweissagt, von einem Pfeile werde er fallen.«

»Eine unsichere Waffe in deiner Hand«, seufzte Justina.

»Deßhalb spielte ich Jetta das Fläschchen zu, damit sie es in die offene Wunde gieße, er aber schlug es ihr aus der Hand, daß es am Pfeiler zersplitterte.«

»Das Schicksal schreitet seinen festen Weg«, seufzte Justina mit kummervoller Miene. »Soll ein Germane Augustus werden, so prallen die Pfeile an ihm ab und Gift findet ihn nicht. Der Goldhelm wartet seiner und das Schicksal bewahrt ihn zu meines Kindes Verderben, ihn und seinen Blutbruder. Ich fürchte es wird sich alles erfüllen.«

In diesem Augenblicke erschien Jetta todtenbleich an der Thüre: »Phorkyas, schnell, schnell, das Kind will sterben!« Die Frauen fuhren auf wie ertappte Verbrecherinnen und folgten hastig Jetta an das Bett ihres Knaben. Der kleine Tullius lag in Krämpfen. Wie zerhackt lagen seine Glieder in den unnatürlichsten Stellungen nebeneinander. Das Auge war nach oben gedreht, so daß der Augapfel oft ganz verschwand, die kleinen Zähne knirschten, während ihm Schaum vor dem Munde stand. »Er ist dämonisch«, sagte Justina mit kalter Bestimmtheit.

Phorkyas stimmte bei. »Nur Beschwörung kann hier helfen.«

»»Ach nein, übergieße ihn mit Wasser«, rief Jetta. Die Alte zögerte. Endlich rüstete sie ein Bad. Die Kaiserin aber brachte mit fanatischem Eifer aus dem Versteck eine Räucherpfanne zum Vorschein. Während Jetta und Phorkyas die Wanne füllten und die kleine verkrümmte Jammergestalt hineinhielten, schüttelte Justina Kohlen auf die Pfanne und entzündete sieben Weihrauchschalen, Dann zog sie einen mystischen Kreis mit Kreide und legte rings umher ihre Amulete. Jetta fühlte indessen mit Entzücken, wie die Glieder ihres Kindes im Bade geschmeidiger wurden. Phorkyas goß kaltes Wasser auf das kleine Haupt und alsbald hörten die Convulsionen auf und die bleichen Augen blickten wieder natürlich. Glücklich hob Jetta das Kind empor, um es mit Tüchern zu trocknen. Inzwischen hatte die Kaiserin die Kohlen entzündet. Nun legte sie ihren Gürtel ab und streifte die Sandalen von den Füßen, dann nahm sie Jetta am Arme. »Tritt hierher und halte das Kind über die Kohlen bis ich das Gebet gesprochen«, sagte sie leise. Jetta, noch betäubt von ihrem Schrecken und gewohnt, der Augusta zu gehorchen, folgte der wilden Energie des herrischen Weibes. Diese selbst stützte ihr den rechten, Phorkyas den linken Arm, damit sie bei dem langen Gebete nicht ermüde. Und nun begann Justina ihre Beschwörungen. Es war zuerst nur ein verworrenes Gemurmel, das keiner menschlichen Sprache anzugehören schien und bei dem sich ihre Lippen kaum merkbar bewegten. Dann aber steigerte sich ihr Ton, bald einförmig singend, bald leidenschaftlich mit gellenden Anrufungen sich aufbäumend, schoß sie ihre Worte wie Pfeile. Was der Uhu dem Walde klagt und der Wolf heult, schien sie zu wiederholen und das Zischen der Schlangen. Endlich ermüdete sie, ihre Haltung ward schlaff und sie erging sich nur noch in monotonen Anrufungen: »Elan, Elan, Elan, pugna oh Sabaoth, Bel, Balsumith, Oromazo, pugna, Anubis, Michael, Gabriel, Neoriel, pugna! Abraxas luminis superni affusor custodi infantem! Custodi, Elan, Elan, Elan!« So ging das eine Weile. Mitten während dieser Beschwörungen fühlte Jetta, wie das Kind dreimal zuckte. »Siehe, wie es der Dämon verläßt!« flüsterte Phorkyas, während Justina ihren Arm mit eisernem Griffe festhielt und mit wildem Fanatismus ihre Beschwörungen auf's neue begann. Da hing der Knabe plötzlich das Köpfchen zur Seite. Mit einem lauten Schrei fuhr Jetta auf: »Er ist todt«, rief sie in wilder Verzweiflung und machte sich, sogar den Fuß gegen die Kaiserin stemmend von dem wahnsinnigen Weibe los, das ihren Arm auch jetzt noch umklammerte. »Rasch, rasch, Wasser«, schrie sie in entsetzlicher Angst. Phorkyas sprang auf und brachte den Krug, es war umsonst, das Kind war erstickt und kein Reiben und Besprengen brachte es wieder zum Leben.

»Es wäre doch gestorben«, sagte Justina mit eisiger Kälte, indem sie Gürtel und Sandalen wieder anlegte und ihren Zauberapparat zusammenräumte.

»So möge dein Sohn verderben!« rief Jetta in grauenvoller Verzweiflung. »Dir vor den Augen sollen sie ihn zerschmettern! Fluch über euch beide; ihr habt mich meinem Gemahle entfremdet, ihr habt mein Kind getödtet, Fluch über dich und deinen Knaben!«

Justina stand bleich und zitternd. Sie glaubte an die Kraft solcher Worte. Wo es sich um das geliebte Haupt des kleinen Valentinian handelte, war die herzlose Herrscherin ein Weib wie Andere. Alles Empfinden hatte sich bei ihr in diesen einen Nerv zurückgezogen, das war der Punkt, von dem aus sie in Bewegung zu setzen war. Mit heroischer Kälte konnte sie die Welt um sich her verderben sehen, nur ihr Kind durfte kein rauher Hauch kränken. »Die Wahnsinnige hat meinen Sohn verflucht!« – das war das Einzige, was sie in diesem Augenblick zu denken vermochte.

Herbeigezogen durch die entsetzlichen Schreie, die wild hinausklangen in den Hof des Palatium, trat jetzt Valentinian in das Gemach seines Weibes. Er kannte diese Stube und wußte, was Justina hier in dunkeln Nächten zu treiben pflegte. Ein Blick auf Jetta, die über den Körper des kleinen Tullius hingestreckt war, auf die Räucherpfannen, deren blauer Dunst noch beklemmend die Luft erfüllten, auf seine Gattin, die ein Bild des bösen Gewissens bleich zur Seite stand, ohne Worte zu finden, die ihr doch sonst niemals fehlten, sagten ihm alles.

»Hast du wieder Unheil angerichtet mit deinem magischen Wahnsinn?« fragte der Kaiser finster. Dann verstummte er, als er die kleine Leiche sah und Jetta's thränenlose Verzweiflung. Die schöne junge Mutter weckte etwas wie Mitleid in seinem versteinten Innern, zugleich aber dachte er mit Unmuth an Rothari, der hier einen neuen Grund zu schwerer Klage erhalte. Er überlegte, wie das Geschehene am besten zu verbergen sei. Für den Augenblick freilich konnte es sich nur darum handeln, Jetta zu beruhigen. Mild und gütig redete er der Bedauernswerthen zu, und um nur überhaupt etwas zu thun, ordnete er an, daß nach Sonnenuntergang der Scheiterhaufen für die kleine Leiche auf der Terrasse hinter dem Palatium, angesichts des heiligen Stromes solle errichtet werden, den Jetta liebe. Die kostbarste Urne des Palastes bestimmte er dazu, die Asche des kleinen Tullius aufzunehmen, er selbst wolle der heiligen Handlung beiwohnen. Jetta schüttelte heftig das Haupt. »Bitte nicht«, sagte sie mit angstvoll erweiterten Augen. Sie wolle allein mit Phorkyas die Bestattung besorgen, flehte sie, niemand, niemand solle dabei sein. Ihr graute davor, neben Justina zu stehen in der Scheidestunde von ihrem Kinde. Auch das sagte Valentinian ihr zu. Froh, auf gute Art von diesem beklemmenden Orte so vielen Leids zu entkommen, führte er Justina hinaus, um sofort das Nöthige anzuordnen. Die kleine Leiche in ihren Armen haltend, blieb Jetta in dem Gemache zurück, in ihrer dumpfen Verzweiflung selbst des Trostes der Thränen entbehrend. Allein, einsam, verlassen fühlte sie sich von aller Welt, selbst von ihrem Gatten, nach dem ihre Seele nun schrie in heißem Verlangen. Hatte ihr Rothari nicht immer gesagt, sie werde das Unglück noch über sich herabziehen mit ihrem Frevel! Nun war es da. In traurigem Dahinbrüten vergingen ihr Stunden auf Stunden und sie fühlte nichts, als daß ihr Leben vernichtet sei. Als endlich die Dämmerung einbrach und Phorkyas meldete, der Scheiterhaufen sei entflammt und die Terrasse von allen Zuschauern geräumt, vermochte es die erschöpfte Mutter nicht, den kleinen Leichnam der gierigen Flamme selbst zu überliefern. Auch ihn zu tragen waren ihre Kniee nicht fähig. Man solle das Feuer löschen, befahl sie jetzt, sie wolle Tullius balsamiren. Aber, wer sollte das thun hier in Alta Riva? Welcher Unwissende sollte das Messer ansetzen an die theueren Glieder? »Nein«, schluchzte sie, »nimm ihn, lege ihn sanft in die Flamme und wenn alles niedergebrannt ist, dann führe mich hin, daß ich die Asche selbst mir sammle. Keine fremde Hand soll mir daran rühren. Hörst du!« Phorkyas nahm die kleine Leiche, fuhr mit der Hand noch einmal liebkosend über das kleine Haupt, indem sie es in der Hand wog und stieg dann schweigend die Treppe nach dem Garten hinunter. Eine lange, lange, Stunde saß Jetta allein in der einsamen Stube, von Göttern und Menschen verlassen, dann kam die Alte, um zu melden, die Kohlen seien nunmehr so weit erloschen, daß es möglich sein werde, das kleine Häuflein weißer Asche herauszunehmen. Wankenden Schrittes, mit umflorten Augen stieg Jetta zu der Terrasse hinter dem Palatium hinab, wo der letzte Abendschein auf den gleitenden Wellen des Rhenus verglühte und die gallischen Berge sich dunkel abhoben von dem trüben Abendroth. Bei dem unsicheren Zwielichte der Dämmerung sammelte die unglückliche Mutter die letzten Reste ihres Lieblings in die Urne, die ihr der Kaiser geschickt. Ach es war so wenig übrig von dem süßen kleinen Wesen, an das all' ihr Stolz, an das eine Welt von Hoffnungen sich noch gestern geknüpft hatte, so unbegreiflich wenig! Sie selbst schüttete die Holzreste in den heiligen Strom, damit nicht der kleinste Theil ihres Kindes im Winde verwehe. Die Urne mit der Asche drückte sie an ihr Herz und kehrte wankenden Schrittes nach dem Hause zurück, noch oft zurückschauend nach dem geheiligten Platze, über dem noch immer eine dünne Rauchschichte schwebte. »Auch ein Theil von ihm«, schluchzte sie und suchte weinend, die theuere Urne in den Armen, ihr Lager.

Ein herrlicher Morgen war über dem Buhle angebrochen, als Rothari, seiner Blindheit ledig, das Blockhaus verließ. Wie hell strahlten ihm die Farben der Welt entgegen, die er fast eine Woche im Dunkeln sitzend hatte entbehren müssen. Licht und Luft thaten ihm so wohl, daß er fast seines Zornes gegen Jetta vergaß. Im Lager unten erfuhr er von Arator, wo sein entflohenes Weib sich aufhalte und auch daraus machte der Comes kein Hehl, daß Valentinian sein Knäblein als Geisel für Rothari's Treue zurückzuhalten gedenke. Kalt und nach kurzem Austausch der Thatsachen schieden beide, keiner dem Andern trauend. Der neue Schlag gegen seine väterliche Gewalt empörte Rothari tief. Finsterer Groll gegen sein treuloses Weib, Haß gegen die Bande, die er sich selbst geschmiedet, Zorn auf den Augustus und Arator bestürmten zumal sein Herz. In dieser finstern Stimmung traf er in Alta Ripa ein, wo man ihn, wie es ihm schien, bereits erwartete. Aber die bekannten Diener und Beamten zogen sich scheu vor ihm zurück. Irgend ein Unheil las er in aller Mienen. Sollte Valentinian eine Gewaltthat gegen ihn im Schilde führen? Nicht anders begrüßte man zu Treveri diejenigen, die bestimmt waren, in Mica's Zwinger zu enden. Rothari faßte sein Schwert fest und beschloß sein Leben nötigenfalls theuer zu verkaufen. Aber der Velarius, an den er sich wendete, geleitete ihn ohne Widerrede zu den Gemächern Jetta's. Rothari schlug den Teppich zurück und sah sich seinem flüchtigen Weibe gegenüber. Ein Bild des Jammers saß sie an der Erde, beide Hände um eine Urne geschlungen. Ihre Lippen regten sich nicht, nur unendlich traurig sah sie ihn an mit ihren starren, todten Augen. Eine düstere Ahnung beschlich ihn.

»Wo ist mein Sohn, Jetta?« fragte er mit strengem Ernste.

»Hier«, rief sie mit einem Aufschrei wilden Schmerzes und streckte ihm die Urne entgegen und Rothari las:

TVLL . ROTHAR .
FIL . PVER . AN . II .

Er verstummte. »O, warum wolltest du ihn mir nehmen, Rothari?« sagte Jetta schmerzlich, »nun haben wir ihn beide verloren.« War das noch Jetta, die in diesen weichen Tönen zu ihm sprach? Aus ihrem schönen bleichen Antlitz war jeder Stolz, aus ihrer Haltung alle Majestät verschwunden. Der brennende Schmerz, die Reue, Mangel an Schlaf und Nahrung hatten sie verwüstet, aber der große starre Blick ihrer dunkeln Augen, der Anblick ihres Elends war so herzbrechend, daß kein Vorwurf, keine Frage von Rothari's Lippen kam. Zugleich aber stand ihm der Beschluß fest, dieses Land zu verlassen, nachdem der Tod seines Kindes das letzte Band gelöst hatte, das ihn diesem Weibe verknüpfte. Die andern hatte sie ja selbst zerschnitten. Aber das Unglück macht scharfsichtig. Es war, als ob Jetta in seinen Mienen zu lesen verstehe. Jetzt hatte sie ja nichts mehr als ihn und er wollte gehen! Alle die unausgesprochene, unbethätigte Liebe, die sie trotz allem und allem zu ihm im Herzen trug, wallte heiß in ihr auf. Wild warf sie sich zu seinen Füßen und umklammerte seine Kniee: »Verlasse mich nicht, Rothari, vergib mir, verstoße mich nicht, siehe mein Elend«, schluchzte sie. Ruhig und mild schaute der Germane auf sie nieder, aber im Innern unerschüttert. Eher zog ein Gefühl von Widerwillen gegen dieses leidenschaftliche Gebahren der Italiänerin durch seine gefaßte Seele. Er suchte nach einem beruhigenden, tröstenden Worte, aber ehe er es gefunden, trat Syagrius ein, ihn zum Kaiser zu bescheiden. Sem Auge hatte kalt und vornehm das an der Erde liegende schöne Weib gestreift, um das er einst so heiß geworben. Beschämt erhob Jetta sich vom Boden, indem sie that, als habe sie eine Spange an ihrem Fuße in Ordnung gebracht. So schieden beide Gatten. »Mit einer Lüge«, zuckte es durch Rothari's ehrliches Herz. Zunächst mußte er zu Valentinian, der ihn entbot, denn der Kaiser selbst hatte es über sich genommen, Rothari von dem Geschehenen in Kenntniß zu setzen und ihn mit der Gattin zu versöhnen.

Zu derselben Stunde, in der Rothari sich innerlich für immer von Jetta schied, waren die beiden Urheberinnen aller dieser Leiden, Justina und Phorkyas, in ihrer geheimen Werkstätte in dem Thurmgemache mit neuen Künsten und Beschwörungen beschäftigt. Das Zimmer war künstlich verdunkelt und nur der bleiche Schein einer flackernden Flamme erhellte die Stube. Es mußte eine dreifach grausenhafte Arbeit sein, an der die beiden Megären sich heute befanden, denn auf dem Boden war ihr magisches Werkzeug unordentlich verstreut, als ob die Besitzerin in höchster Aufregung darin gewühlt hätte. Bleich und geisterhaft beleuchtete die bläuliche Flamme aus der ehernen Opferschale die zwei Gestalten, so daß die schöne Justina fahl erschien wie eine Leiche, während Phorkyas einer lebendig gewordenen Mumie glich. Eine fieberhafte Erregung schien die Kaiserin bei ihrer mysteriösen Beschäftigung zu schütteln. Sie hielt sich zitternd an dem Tische und alle ihre Bewegungen waren krampfig und unstet, während der halbgeöffnete Mund nach Odem rang.

Der Gegenstand, mit dem die beiden Weiber zu thun hatten, war auch grausenhaft genug. Beide starrten nach einer seltsamen gelblichen Kugel, die auf einem Teller lag, der mit abenteuerlichen Charakteren bemalt war. Die Kugel glich dem wächsernen Haupte eines Kindes und bei dem unsteten Flackern der bläulichen Flamme sah es aus, als ob die todten Züge des kleinen Kopfes sich bewegten. Bald schienen die bleichen Augen sich zu drehen, bald schienen die dünnen Lippen sich zu öffnen. »Wie viele Jahre wird der Augustus noch leben?« flüsterte Phorkyas in das kleine vertrocknete Kinderohr. Aber alles blieb still. »Er möchte es sagen«, krächzte die Alte, »ich sah deutlich, wie er die Lippen bewegte und sein Auge sich gegen mich wendete, aber der Talisman ist nicht stark genug.«

»So lege ihm das Sigillum Saturni auf statt der Skarabeen«, lispelte die Kaiserin. Der Versuch wurde wiederholt, aber der Teraph blieb so still wie zuvor.

»Hätte ich ein Schwert, mit dem drei Männer getödtet wurden«, sagte Phorkyas, »darin steckt eine Kraft, der könnte er nicht widerstehn.«

»Valentinian berühmt sich, daß das seine mehr denn dreißig Feinde nach dem Orkus gesendet«, sagte Justina. »Warte, ich hole es«, und sie verschwand schwankenden Schritts und in den Knieen zitternd durch die Thüre. Die Alte blieb, aber das Spiel der Flammen auf den leidenden Kinderzügen schreckte selbst sie in dieser Einsamkeit. Das kleine Antlitz schien in der flackernden Bewegung sich schmerzlich zu verziehen, die todten Augen schauten nach ihr, der singende Ton der Flamme lautete wie stilles Weinen. Ihr schauerte. Sie löschte die Flamme, indem sie einen Deckel über die eherne Schale fallen ließ, entzündete statt dessen eine Lampe und verließ die Stube. Da fiel ihr ein, daß auch sie ein starkes Siegel in Verwahrung habe und sie ging es zu holen. Als sie an der Treppe aber Schritte eines Mannes hörte, floh sie eilig nach den Zimmern zurück, um von innen nach ihrer Kammer zu gelangen. Der Nahende war Rothari, der zum Kaiser bestellt war. In seinen tiefen Träumen war er eine Treppe zu hoch gestiegen. Als er es wahrnahm, wollte er umkehren. Aber war das nicht Phorkyas, die dort um die Ecke huschte? Also hier wurden die Tränke gebraut, mit denen man sein Auge geblendet und sein Kind vergiftet? Ein Berserkerzorn übermannte ihn. Die Hexe kam ihm eben recht. Mit dieser Faust wollte er die alte Vettel vor den Kaiser schleppen, sie der Magie, der Verführung seines Weibes, des Mordversuchs, der Blendung beklagen und verweigerte ihm Valentinian sein Recht, so warf er dem Römer sein Schwert vor die Füße und ritt zu den Alamannen; seiner Eide war er dann quitt und ledig. Leise folgte er der Alten und trat in das nächste Zimmer. Es war leer. Aber ihm fiel auf, daß das Gemach daneben verdunkelt war und bei hellem Tage Lampenlicht durch die Vorhänge glänzte. Behutsam schlug er den Teppich zurück, aber auch in diesem Gelasse war keine Seele. Phorkyas' Spuren freilich waren nicht zu verkennen. Seltsamen Hexenhausrath unterschied er bei dem schwachen Scheine der flachen Lampe, so daß er neugierig näher trat. Würfel, Bälle, Zirbelnüsse, Aepfel, Kreisel, eigenthümlich geformte Spiegel, gemalte Schalen und Scheiben waren theils auf dem Tische in der Mitte der kleinen Stube, theils auf dem Boden zerstreut. Ohne die ekle Waare näher zu beachten, spähte Rothari, ob Phorkyas etwa hinter den Polstern sich verberge? Bei diesem Umgang fiel des Suchenden Auge auf einen räthselhaften Gegenstand, der mitten auf dem Tische auf einer thönernen Platte stand, die mit allerlei geheimnißvollen Charakteren grell bemalt war. Als er sich darüber beugte, um die seltsam geformte Kugel naher zu betrachten, wollte ihm das Blut in seinen Adern gerinnen, denn er sah das Haupt eines todten Kindes. Ekel und Abscheu schüttelten ihn, denn er wußte, daß ruchlose Magier es verstanden, solche bleiche und dünne Lippen zu öffnen, um von ihnen Auskunft zu erhalten über alle Geheimnisse, die unter der Erde sind. Mit tiefem Mitleid betrachtete Rothari das kleine Haupt, das man so schändlichem Unterfangen geopfert hatte. Aber dieses helle blonde Haar schien ihm so bekannt, diese starren bleichen Augen hatte er schon geschaut. Da war es, als ob ein Blitz in ihn geschlagen hätte und durch alle seine Glieder schmettre. Ein lautes Stöhnen entrang sich seiner mächtigen Brust. Das waren ja seines Kindes Züge, das waren seine lieben blonden Haare, hier war die Narbe am Auge, die es von ihm selbst geerbt, und er nahm das kleine Haupt in seine Hand und die Zornader auf seiner Stirne schwoll und der Berserkerzorn ergriff ihn auf's neue. In diesem Augenblicke rauschte es im Nebenzimmer, jetzt huschte es durch den Vorhang. Da hatte der Germane mit eisernem Griffe die Alte bereits am Arme. Sie erschrak und ihre Kniee schlotterten, er aber schleppte sie vor das kleine Haupt des unschuldigen Kindes, indem er mit flammenden Augen in ihre verzerrten Züge starrte. »Was glotzest du?« rief er in entsetzlichem Tone. »Rede, bekenne! oder ich schüttle dir die Seele aus dem Leibe!« und er rüttelte sie, daß sie zu sterben meinte.

»Sage es Jetta nicht«, keuchte die Alte in heiserem Tone. »Ihr Herz würde brechen, sie würde wahnsinnig, wenn sie es erführe. Die Kaiserin hat es gethan. Es ging so schnell, ich konnte es nicht hindern und Jetta hatte sie gekränkt, indem sie ihr Kind verfluchte. ›Was trägt es aus‹, sagte sie, ›ob ein todtes Kind mit oder ohne Kopf verbrannt wird. Ihr eigener Knabe soll mir bekennen, ob ihre Flüche an dem meinen sich erfüllen?«‹

»Warum fluchte Jetta dem Prinzen?« fragte Rothari finster.

»Jetta wollte ihrem Kinde den Dämon austreiben, da erstickte der Knabe ... Er wäre doch gestorben ... Sie hat das Kind zu lang über die Kohlen gehalten ... Justina sagte die Formel so langsam ... Schon zehn Kinder habe ich mit dieser Beschwörung gerettet, aber die Kaiserin verdirbt alles.« So erfuhr Rothari die ganze jammervolle Geschichte.

»Nun ist sie wirklich zur Medea geworden«, dachte er, »und hat ihr eigenes Kind geschlachtet.«

»Laß mich«, flehte die Alte, seine mildere Stimmung gewahrend. Aber zu ihrem Unheile wollte sie sich losreißen. Er ergriff sie an der Kehle, indem sein Zorn nur um so wilder entbrannte.

»Wer hat die giftigen Pfeile auf mich entsendet?« rief er in furchtbarem Tone.

»Ich nicht ... ich nicht« ... röchelte sie.

»Du nicht?«

»Gratian« – stammelte Phorkyas.

»Lügnerin!« rief Rothari entrüstet, »verruchte, verläumderische Hexe!«

Phorkyas suchte mit ihren zitternden alten Händen seine Faust von ihrer Kehle zu entfernen, da griff er fester. Ihre Augen starrten kraß und quollen aus ihren Höhlen. »Viper, Viper!« rief er. »Oh, daß ich dich zehnmal erwürgen könnte!« Und er warf ihren Leichnam auf die Erde, der strahlend schönen Justina vor die Füße, die eben, ein Schwert in der Hand, triumphirenden Blickes eintrat. Mit einem Schrei sprang die Augusta zurück und entfloh, so rasch ihre Füße sie trugen.

»Nun wird sie die Wachen gegen mich hetzen«, lachte Rothari mit wildem Hohne und griff nach seinem Schwerte.

»Aber es sind Germanen. Wenn ich mit diesem Haupte vor sie trete und ihnen sage, was Justina mir gethan, dann ist es aus mit diesem Herrscherhause.« Einen Augenblick erhob er die Hand, dann aber sagte er: »Nein, ich will nicht auch deinen Frieden stören, du armes Kind und ich halte den Eid, den ich Gratian geschworen.« Zärtlich fuhr er über die kleinen blonden Haare. »Vor mir habe Ruhe.« Dann legte er sorgsam das kleine Haupt wieder auf den kabbalistischen Teller. »Ich lasse dich hier«, sagte er laut, »als Zeugen gegen die Gräuel dieses Hauses. Magst du das Mordweib selbst verklagen. Sie werden deinen blassen Lippen kein anderes Geheinmiß mehr entlocken; fürchte dich nicht, mein süßer Knabe!«

Damit stieg er die Treppen wieder hinab, aber nicht zu Valentinian. Er fühlte, er würde den Tyrannen niederstoßen bei seinem ersten trotzigen Worte. Was hatte er auch dort zu suchen? Im Stalle suchte er sein Pferd und ritt von dannen. Jetzt hatte er genug gesehen von dieser römischen Welt voll Lug und Trug und magischer Gräuel und er lechzte förmlich nach der reinen Luft seiner heimischen Berge. »Fort zu deinem Volke!« rief er sich zu. »Oh daß du es nie verlassen hättest!« Und indem er einsam über die weite Ebene dahinritt, erwog er in tiefem schmerzlichem Ernste, wie er am besten seine Eide löse, um dem Dienste dieser Menschen zu entrinnen.


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